Annibale Carracci. Begründer der ital. Barockmalerei.
Geb. 3. November 1560; gest. 15· Juli 1609.
Annibale Carracci wurde als Sohn des Schneiders Antonio Carracci am 3. November 1560 zu Bologna geboren. Anfänglich dazu bestimmt, das Handwerk seines Vaters zu erlernen, trat er nach der Rückkehr seines Großvetters Lodovico Carracci als Schüler in das Atelier desselben ein, wo er bei seiner reichen Begabung so rasche Fortschritte machte, daß ihn sein Lehrer bereits im Jahre 1580 zur weiteren Ausbildung nach Parma sandte. Er begeisterte sich hier an den Malereien Correggios (Antonio da Correggio 1489-1534) in der Kuppel der Kirche S. Giovanni, wollte aber von seinen Nachahmern nichts wissen und verschmähte den Rat Lodovicos, die Vorzüge Correggios mit denen Tizians in eklektischer Weise zu verbinden.
Als ihm im nächsten Jahr sein Bruder Agostino, welcher sich gleichfalls der Malerei gewidmet hatte, nach Parma nachfolgte, vereinigten sich die beiden, die Fresken Correggios in der später abgebrochenen Tribuna von S. Giovanni zu kopieren. Annibale nahm die gekrönte Maria, den Heiland und Johannes den Täufer auf sich, Agostino die drei übrigen Gemälde. Nach Vollendung dieser Arbeit zogen die Brüder weiter nach Venedig, wo sie mit Tintoretto, Paolo Veronese und Jacopo Bassano in Verbindung traten. Am meisten entzückten Annibale die Werke des Paolo Veronese. Er erklärte ihn für den ersten Künstler der Welt und stellte ihn als lebensvoller selbst über Correggio. Nachdem er noch in Venedig Tizians »Tod Peters, des Märtyrers« kopiert hatte, kehrte er gemeinschaftlich mit Agostino im Jahre 1582 nach Parma zurück.
Er beteiligte sich hier zusammen mit Lodovico und Agostino an der Ausschmückung eines dem Grafen Filippo Fava gehörigen Palastes mit Fresken, welche in Form eines Frieses den Mythus von Jason und den Argonauten sowie Szenen aus Vergils Aeneide darstellen. Die von ihm herrührenden Gemälde sind an einer gewissen derben Naturauffassung zu erkennen, da er es damals, wie seine von Simone Giulino Parigino gestochenen Straßenfiguren Bolognas beweisen, noch liebte, seine Modelle dem gewöhnlichen Leben zu entnehmen. Gerade aber dieser Umstand zog ihm eine Menge von Angriffen zu, die ihn zunächst zaghaft machten und ihn schließlich bewogen, sich die Anschauungen Lodovicos, daß man die Naturformen durch das Studium der großen Meister läutern und idealisieren müsse, zu eigen zu machen.
Um ihr Ziel, die Kunst aus dem Banne des Manierismus zu befreien und sie zur Einfachheit und Wahrheit zurückzuführen, zu verwirklichen, vereinigten sich die drei Carracci zu der Begründung einer Akademie, welche unter dem Namen der »Accademia degli Incamminati« in der Kunstgeschichte berühmt geworden ist. Das in einem Sonett Agostinos zusammengefaßte Programm derselben: »Wählet aus allen großen Meistern das Beste«, hinderte die freie Entfaltung der verschiedenen Individualitäten keineswegs, da auch auf das Studium nach dem lebenden Modell großer Wert gelegt wurde.
In jener Zeit pflegten die drei Carracci größtenteils gemeinschaftlich zu arbeiten. So lieferten sie für einen Saal des Palazzo Magnani eine Reihe von Fresken nach der Sage von Romulus und Remus in so gleichartiger Auffassung und Ausführung, daß es kaum möglich ist, den Anteil eines jeden von ihnen auszusondern. Von den Tafelbildern Annibales aus jener Periode lassen die beiden Gemälde der Dresdner Galerie: »Die Himmelfahrt Mariä« (1587) und die »Madonna mit dem Kinde umgeben von den Heiligen Franziscus, Johannes und Matthäus« deutlich erkennen, wie er immer noch fortfuhr zu experimentieren, während uns das in den neunziger Jahren entstandene, gleichfalls in Dresden befindliche »Almosen des Heiligen Rochus« den Künstler auf der Höhe seines Könnens angelangt zeigt. Er ist im weiteren Verlauf seiner Entwicklung im wesentlichen nicht über das in diesem Bilde Erreichte hinausgekommen, hat aber in einer Reihe seiner späteren Werke durch die Betonung des Landschaftlichen bahnbrechend gewirkt. Zu diesen gehören drei Bilder in der Eremitage zu St. Petersburg: »Die Ruhe auf der Flucht«, »Nacktes schlafendes Mädchen in einer Berglandschaft« und »Flußlandschaft mit Fischern«, ferner die »Assunta« in der Galerie del Prado zu Madrid und die »Waldlandschaft mit Jägern« im Louvre zu Paris.
Im Jahre 1597 erhielt Annibale den Auftrag, mit Unterstützung seines Bruders Agostino die Galerie des Kardinal Farnese in Rom mit Malereien auszuschmücken. Die Aufgabe bestand darin, in Schilderungen aus der antiken Mythologie die Macht der Liebe und die Gefahren einer zügellosen Hingabe an die Sinne darzustellen. Das Werk, dessen räumliche Einteilung vortrefflich gelungen ist, wurde die beste gemeinschaftliche Arbeit der beiden Brüder, führte aber zu gegenseitigen Mißhelligkeiten, welche Agostino bewogen, Rom wieder zu verlassen. Annibale übernahm nun allein die Vollendung der Fresken, mit denen er der Hauptsache nach im Jahre 1604 fertig wurde. Er benützte dabei die Vorbilder Raffaels und Michelangelos, die er in Rom fand, ohne die Erinnerung an die Arbeiten Correggios zu unterdrücken. Die Galerie Farnese erscheint als das bedeutendste Denkmal von Annibales Tätigkeit und zugleich als seine wertvollste Farbenleistung. Sie steht unter den wenigen ganz architektonisch und malerisch durchgeführten Prachtinterieurs aus jener Zeit obenan und diente der jüngeren Generation als das Muster für alle ähnlichen Aufgaben.
Nach Abschluß seiner Arbeit in der Galerie verfiel Annibale in eine tiefe Melancholie und in ein Siechtum, dessen er nicht mehr Herr zu werden vermochte. Er starb zu Rom am 15. Juli 1609 und wurde im Pantheon bestattet.
»In Vergleich mit den großen Meistern«, sagt Crowe, »hält Annibale zwar nirgends Stich, aber dennoch sind seine Leistungen großartig, und man lernt erst die ganze Macht ihres Einflusses kennen, wenn man seine Nachahmer im 17. Jahrhundert, besonders in Frankreich, studiert. Er war der fruchtbarste unter den Carraccis. Es sind in Bologna weniger Bilder von ihm zu finden, als in Frankreich, England und Deutschland, aber überall kann man bei seinen Werken seine verschiedenen Stilarten verfolgen und beobachten.«
Mit Caravaggio und Rubens legte er den Grundstein für die Geburt der Barockmalerei, zu deren Begründern er gehörte.
Stich von C. Townley nach einem Selbstporträt.
Quelle: Das Zeitalter des Dreissigjährigen Krieges (1600-1670). Allgemeines historisches Portraitwerk. München 1895. Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft vormals Friedrich Bruckmann. Nach den besten gleichzeitigen Originalen nach Auswahl von Dr. Woldemar von Seidlitz mit biografischen Daten von Dr. H. Tillmann und Dr. H. A. Lier.
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