V. Die weibliche Kleidung in der Innerschweiz von etwa 1800 an. Von Julie Heierli.

Der Text folgt dem Original. Textergänzungen sind kursiv und mit * gezeichnet.

I. Die Tracht im Kanton Schwyz.

Die französische Kaiserzeit schuf gänzlich neue Kleiderformen, neue Schnitte.
Das Schönheitsgefühl, der Geschmack veränderte sich vollständig. Der bisherige Kleiderluxus, die Kleiderpracht, die Verschwendung von Stoffmassen wurden beiseite gelegt. Bunte Seidendamaste, Brokate, farbige Stickereien fanden keine Beachtung, keine Verwendung mehr bei den modischen Frauen. Das weibliche Geschlecht verschmähte nun Hüftenpolster, gesteifte Mieder, schwere Faltenröcke, es entsagte allem Schmuck, allen Geld- und Silberketten. Die französische Empiremode kleidete die Damen schlank und fast durchsichtig in weiche Stoffe. Sie durften sich mit nur eigenen Haaren und ohne Puder sehen lassen. An Stelle der hohen Stöcklischuhe gingen sie auf absatzlosen Pantöffelchen einher.

Es ist nicht sonderlich zu verwundern, daß die Bewohnerinnen von Schwyz vor allen andern Innerschweizerinnen am empfänglichsten für neue Moden waren. Die Herren aus adeligen Schwyzer Familien standen vielfach in hohen militärischen Stellungen in fremden Kriegsdiensten, auch ihre Damen reisten öfters mit im Auslande und hatten somit Sinn und Anregung für Neuerungen wie auch neue Moden nach Hause gebracht. Schwyz selber lag an der Handelsstraße Zürich-Mailand. Durch den ganzen Kanton Schwyz über Schwyz, Brunnen, dann Flüelen, Altdorf ging der lebhafte Verkehr über den St. Gotthard von und nach Italien. Auch brachten die endlosen Scharen frommer Pilger und Wallfahrer aus fremden Ländern, die von Zürich aus per Schiff an das obere Ende des Zürichsees gelangten und von da zu Fuß durch die March und die Höfe nach Maria Einsiedeln und nach Schwyz pilgerten, viel Bewegung und auch Geld ins Land.

Aufgeregtes Leben und Treiben, Vergnügungen aller Art entstanden jeweilen in den Gegenden des Vierwaldstätter Sees durch das viele Volk, das einmal im Jahre die weit über die Grenzen des Landes bekannten und berühmten »Fäckerchilbene« in Gersau besuchte, zu denen eine Unzahl neugieriger Zuschauer, Händler, Gauner und Gaukler herbeiströmten. Alles das mögen Gründe gewesen sein, warum im Kanton Schwyz typisch ausgeprägte Volkstrachten keine Zeit und keine Muße zu ihrer Ausbildung gefunden. Modelaunen nisteten sich wohl ein paar Mal zu etwas längerem Verweilen ein und bildeten so, doch nur vorübergehend, kurze Erkennungszeichen ganz kleiner Distrikte, Gemeinden oder auch nur Dörfer.

In der offenen, freien Landschaft um Schwyz herum übermittelten sich die neuen Kleidermoden rasch der ganzen Frauenweh. Besonders die Wirtinnen folgten den Aristokratinnen schleunigst auf dem Fuße nach. Einzig indem für sich abgeschlossenen Muotatal blieben die Bäuerinnen länger ihren altgewohnten, steifen Miedern und anderem treu, so daß hier alte Mode zur Tracht wurde.

Trachten, Luzern, Schwyz, Kleidung, Schweiz, Costumes, Suisses,

Luzern, Schwyz, Luzern, Schwyz.

Sehr merkwürdig ist, daß, trotzdem die Kleidermode der Schwyzerinnen sich ganz in den Bann der französischen Empiremode begab und bedingungslos darin aufging, die alten Kopfzierden nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Mädchen nicht aufgegeben wurden, sondern sich in der Art erneuerten, indem sie die alten, durchaus schwzerischen Formen modegemäß ausbauten.

Die Mode des franz. Empire

Es ist gewiß sehr bemerkenswert, daß die so hochmodernen Aristokratinnen von Schwyz, mit der Veränderung ihrer Kleidermode. sich nicht dazu entschließen konnten, von der althergebrachten Sitte, die Verheirateten von den Ledigen zu unterscheiden, Abschied zu nehmen, und deshalb jeder Stand eine eigene Kopfzierde beibehielt. Der neue Frauen-Kopfputz wurde von allen verheirateten Bewohnerinnen des Kantons Schwyz, in Altdorf (Uri) wie in Nidwalden, hier aber nur von den Aristokratinnen zu den nach der Empiremode *) angefertigten Toiletten aufgesetzt.

*) Die Mode des franz. Empire (nach Napoleon Bonabartes Krönung zum Kaiser Napoleon I.), das engl. Recency (auch Georgian era nach König George III.), der Deutsche Klassizismus (Romantizismus, Wertherkostüm) fanden im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert statt. Bis dahin war Frankreich seit über 200 Jahren modisch tonangebend gewesen. Die Französische Revolution war Auslöser für grundlegende Reformen in Verbindung der beginnenden Industralisierung, Kolonialreichen, Aufteilung der bekannten Welt. Die Erfindung der künstlichen billigeren Farben, zusammen mit dem Zusammenbruch alter Kleiderordnungen erlaubte eine bis dahin nicht gekannte Buntheit der Kleidung bis hinab in die regionalen Volkstrachten.

Noch auffallender ist es, daß sich für die Mädchen eine neuartige Kopfzierde entwickelte, die einzig und allein nur im Kanton Scbwyz getragen wurde. Das alte, aus dem vorhergehenden Jahrhundert stammende „Schwyzerhübli“ der Frauen wurde wie das „Maitlikäpli“ den zurzeit hohen Pariser Coiffüren entsprechend verändert. Statt wie bisher flach auf den Köpfen zu liegen, stellten sie an dem ersteren weiße, an dem letzteren schwarze, hohe Spitzen als Flügel auf. Die Veränderung und Beibehaltung dieser typischen Schwyzer Frauen- und Mädchen-Flügelhauben behaupteten sich, trotz der nach 1800 fortwährend rasch wechselnden Moden der Kleider und Haarfrisuren, nicht nur bei den Bürgerlichen, sondern auch bei den tonangebenden Aristokratinnen etwa zwanzig Jahre lang. Bei den Bäuerinnen im Kanton Schwyz verblieben sie als Kirchentracht, als Ehren- und Erkennungszeichen bis etwa 1850 oder 1855. Die beigegebenen Bilder beweisen, daß auf Porträten von Schwyzerfrauen von etwa 1800 bis zur Mitte des Jahrhunderts alle sich folgenden Pariser Kleidermoden, aber damit unentwegt die Coiflihube mit den hohen Flügeln zu sehen sind.

Da der Kopfputz unabhängig von der Kleidermode seinen eigenen Weg ging, so sind demselben später eigene Kapitel gewidmet und sie werden hier bei den Kleidern nur ganz kurz gestreift.
Das erste Bildnis, das ich mit französischer Empiremode in der Innerschweiz kenne, zeigt eine Frau Anna Maria von Reding von Bibereck von 1805. Es zeigt die alte, herrische Dame in einem grauen Seidenkleid von neuestem Empire schnitte, doch hatte sie sich nicht entschließen können, die altmodisch gepuderten und glatt von der Stirne zurückgestrichenen Haare modern zu frisieren, obgleich sie die neumodisch gestaltete, schwyzerische „Coiflihube“ mit den allerdings noch niedrigen Flügeln aufsetzte. Das nächste Bildnis stellt ihre wahrscheinlich jung verheiratete Tochter, zu gleicher Zeit, ebenfalls in der Empiretoilette vor. Bei dieser sitzt die Coiflihube auf ungepuderten, modern gescheiteltem Haar, mit zierlichen Stirnlöckchen. (Abb.29, 30.)

Abb. 31 zeigt die bürgerliche Frau Landammann Schmid aus Lachen, den Höfen am oberen Zürichsee. Sie trug ebenfalls das Empirekleid. Den tiefen Ausschnitt hatte sie mit einem buntgestreiften Seidentuch ausgefüllt, aus dem eine Spitzenfräse aufstand. Das niedrige »Coifli« sitzt auf glatt rückwärts gekämmtem Haar, bis auf die Augenbrauen fallen sog. Simpelfransen herunter. Diese häßliche Mode hatten die Bäuerinnen nicht mitgemacht, dagegen alle Männer der Innerschweiz, herrisch wie bürgerlich, selbst die Bauern ließen ihr Haar in den ersten Jahrzehnten derart gleich Fransen gegen die Augen herunterhängen, wie ich bei den Männerkleidern zeigte. Von Schmuck finden sich zu der Zeit nur feine Halsketten, etwa eine Brustnadel, Ohrringe und etwas später dann Gürtelschnallen. Die um den Hals hochstehenden »Fräsen«, die en coeur, mit dem Halstuch oder Fichu auf die Brust herabgingen, hatte die französische Mode um 1800 gezeitigt. Um 1820 legten sich die Fräsen als »Krausen« auf die Schultern herab. Den Fräsen begegnete man überall in der Schweiz, den Krausen in der Innerschweiz fast nur bei Coiflihuben tragenden Frauen, vergl. das Porträt der Frau Karl Kayser aus Stans von 1820. (Abb. 111.)

Die junge Ochsenwirtin Elisabeth Gyr-Benziger in Einsiedeln zeigt auf ihrem Bilde von 1825 die gleichzeitige Pariser Toilette: die kurze mit einem Gürtel und Schnalle abgegrenzte Taille, mit den engen, oben mit Puffen besetzten Ärmeln, dem breit auf den Achseln liegenden Tüllkragen zu dem jetzt recht hohen Coifli. (Abb. 32.)

Paul von Deschwanden, Tracht, Nidwalden, Kanton, Unterwalden, Schweiz

Tafel VI. Frau Clara Zelzer, geb. von Deschwanden. Herrische Nidwaldnerfrau, Modekleidung. Gemalt von Paul von Deschwanden (1811 – 1881) um 1829.

Eine Nidwaldner Aristokratin Klara Zelger geb. v. Deschwanden (Tafel VI) zeigt um 1829 bereits die neueste französische Form der Schinkenärmel. Aus dem breit ausladenden, ebenfalls einer neuen Mode entsprechenden Spitzen-Schulterkragen ließ die nicht mehr ganz jugendliche Dame immer noch eine doppelreihige Fräse aufsteigen. Auch sie hatte ihre Taille mit einem Gürtelband und einer Schnalle begrenzt. Bereits tritt wieder etwas mehr Schmuck auf. Zu der Busennadel gesellt sich eine lange Uhrkette, um den Hals Granaten und feine Goldkettchen. Auf den zierlich gekräuselten weißen Haaren sitzt die sehr hohe Schwyzer Coiflihube mit der Blumengirlande, dem Abzeichen der Hochgestellten.

Noch 1851 finden wir auf einem Bildchen des Zeichners A. Schmid, das Frau Donath, die Tochter des Kapellvogtes zu Oberarth Kath. Reding verstellt, die oben weiten Schinkenärmel eines buntfarbigen Kattunkleides und den breiten Spitzenkragen. Als Bürgerliche trägt diese Frau wohl die hohe Coiflihube, aber ohne Blumengirlande. (Abb. 117.)

Ein Bild von A. Schmid 1825 entworfen (Abb. 35) zeigt eine Bäuerin mit dem Coifli auf den noch glatt rückwärts gekämmten Haaren. Ihr Tschopen weist die alte Form von 1780 auf. Um den Hals steht die Fräse. Das neben ihr stehende Mädchen ist mit der schwarzen Flügelhaube, einem Gestaltrock und der liegenden Krause bekleidet. Beider Röcke bestanden aus geblümtem Kattun oder Indienne, der billigen Handelsware jener Zeit. Die Strümpfe sind weiß und die Halbschuhe mit kaum merklichen Absätzen versehen. Schmid hat unter das Bild geschrieben: »Diese Tracht ging um 1825 ab.« Gerade diese Bemerkung zeigt, daß abgehende Moden gemeiniglich als typische Eigenarten, als Tracht angesehen wurden. Diese Angabe kann sich jedoch hier allein auf den französischen Schnitt des Tschopens, den wir 1794 an Frau Gisler (Abb. 27) als hochmodern kennen lernten, beziehen; denn alle ändern Bestandteile der auf diesem Bild vorgeführten Kleider können wir noch viele Jahre später als im Gebrauche stehend feststellen.

A. Schmid hat in den 1840er Jahren seine Stiefmutter und seine verheirateten Schwestern mit den Coiflihuben, den Fräsen, die Stiefmutter mit großem Halstuch, in bedruckten Kattunkleidern gezeichnet (Abb. 33, 34.) Die großen runden Ohrringe wurden in späteren Jahren gerne als typisch urnerisch bezeichnet, was darauf zurückzuführen ist, daß diese runde Form in Uri am längsten im Gebrauch geblieben. Die Bäuerinnen schmückten den Hals mit Granaten- und Korallenschnüren, wie überall in der Schweiz. Um 1830 war ein Abgehen der sogen. Rosenhaube der Ledigen zu konstatieren, während die Coiflihube der Verheirateten sich bis in die 1850er Jahre erhalten hatte. Mit dem Verschwinden dieser sogen. Hauben erlosch im Kanton Schwyz jegliche Eigenart der weiblichen Bekleidung.

Quelle:

Die Volkstrachten der Schweiz von Julie Heierli. Publiziert von E. Rentsch, 1922.

Abbildungen:

  • Nidwalden. Kanton Unterwalden. Tafel VI. Frau Clara Zelzer, geb. von Deschwanden. Herrische Nidwaldnerfrau, Modekleidung. Gemalt von Paul von Deschwanden (1811-1881) um 1829.
  • Costumes Suisses des 22 cantons. Dessinés d’apres Nature et Lithographiés par Yves, 1860.
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