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Der Werwolf in Sage und Mythos. Die Lykanthropie.

„Denn er erzählte ihnen Geschichten über den Loup-garou im Forcet.“

Fenriswolf, Fenris, Werwolf, Mythologie,
Die Bindung von Fenris. Von Dorthy Hardy.

Der Werwolf.

Die Sagen, Mythen und Märchen der verschiedensten Völker erzählen vielfach von Verwandlungen der Menschen in Schwäne, Raben, Falken, Rehe und Schlangen. Oft begegnet man auch der allgemeinen Annahme, daß sich ein Mensch mit Hilfe eines Zaubergürtels in einen Wolf zu verwandeln vermöge. Wie die Verwandlung in einen Schwan von der Zauberkraft des Schwanenringes abhing, so wurde die Umwandlung in einen Wolf durch das Umbinden des Wolfsgürtels oder das Überwerfen des Wolfshemds bedingt.

Wir finden diese Wolfsverwandlungssage außerordentlich weit verbreitet, vorzugsweise aber in den Ländern, die von slawischen Volksstämmen bewohnt werden. Sie läßt sich bis ins frühe Altertum zurück verfolgen, und schon der Vater der Geschichte, Herodot, und mit ihm übereinstimmend der Geograph Pomponius Mela erzählen, daß die Mauren, ein szythisches Volk (Skythen), im Ruf der Zauberei standen, weil sich jeder von ihnen alle Jahre auf einige Tage in einen Werwolf verwandelt, dann aber wieder menschliche Gestalt angenommen hätte.

Man glaubte im Altertum, daß diese Verwandlung nicht nur eine Gabe sei, die auf Zauberei beruhe, sondern daß sie eine Sucht, eine wirkliche Wahnidee sei, die in gewissen Familien von Glied zu Glied vererbt wird, also dem Menschen von Geburt an innewohnt. Ein Mensch, der das Zaubervermögen besaß, sich in einen Wolf zu verwandeln, oder den Wahn in sich trug, ein Wolf geworden zu sein, hieß Lykanthropos, die Wolfssucht selbst aber Lykanthropie.

Marcellus, ein griechischer Arzt und medizinischer Schriftsteller aus Sida in Pamphylien, *) der unter der Regierung des Kaisers Marc Aurel (161 bis 180) und noch zu des berühmten Galenus Zeiten in Rom lebte und praktizierte, gibt uns in fließenden Hexametern Nachricht und Aufschluss über die Lykanthropie.

*) Pamphylien war eine Region im Süden Kleinasiens, zwischen Lykien und Kilikien, die sich vom Mittelmeer bis zum Taurusgebirge erstreckte (alles in der heutigen Provinz Antalya, Türkei).

Es geht daraus hervor, daß mit diesem Wahn Behaftete besonders gegen den Frühling, im Monat Februar, einen unwiderstehlichen Trieb in sich fühlten, gleich den Wölfen im Freien herumzuschweifen, sich des Nachts an einsamen Orten aufzuhalten und dabei das Heulen des Wolfes nachzuahmen. Spuren dieser Krankheit glaubte man jedoch schon in dem arkadischen Mythus von dem Lykaon gefunden zu haben. In den Verwandlungen Ovids finden wir das Leben dieses arkadischen Königs geschildert.

Zu Lykaons Zeiten herrschte auch in Arkadien noch die grausame Sitte des Menschenopfers. Jupiter hörte von dieser Grausamkeit. Um sich selbst davon zu überzeugen und im Falle der Bestätigung des Gehörten die Frevler seinen Zorn fühlen zu lassen, verließ er einst den Olymp und kehrte als fremder Wanderer bei Lykaon ein, ließ aber im Gespräch durchblicken, daß er ein Gott sei. Die Anwesenden ließen ihm deshalb göttliche Verehrung zuteil werden; Lykaon aber lachte darüber und beschloß sogar, seinen Gast in der Nacht zu töten. Zuvor aber wollte er dessen Göttlichkeit doch noch prüfen und setzte ihm am Schluss der Tafel das Fleisch eines soeben geschlachteten Kriegsgefangenen Molossers vor. Kaum aber war dieses Gericht auf die Tafel gebracht worden, da steckte Jupiter durch einen Blitzstrahl das Haus in Brand; den Lykaon aber, der ins Freie entfliehen wollte, verwandelte er in einen heißhungrigen Wolf.

Der Geograph und Historiker Pausanias kann allerdings die Menschenopfer des Lykaon nicht in Abrede stellen; trotzdem aber schreibt er ihm große Verdienste um sein Volk zu und läßt ihn den Grund zu einem gesitteteren Leben unter den Arkadiern legen. Er sagt: „Lykaon baute die Stadt Lykosura auf dem Berge Lykäus und gab dem Zeus den Beinamen Lykäus, dem er auch heilige Spiele, die Lycäa, stiftete. Er brachte auf dem Altar dieses Zeus ein Kind dar, opferte es und goß dessen Blut als Libation auf dem Altar aus. Darum soll er nun selbst ein Wolf geworden sein.“ Er fügt dem aber noch hinzu: „Man erzählt auch, daß nach den Zeiten Lykaon beim Opfer des Jupiter Lykäus aus einem Menschen ein Wolf geworden sei, der Jahre in diesem Zustande verblieben, und wenn er sich während seines tierischen Zustandes des Menschenfleisches enthalten gehabt habe, wieder ein Mensch geworden, sonst aber ein Wolf geblieben sei.

Aus der Geschichte des Lykaon und namentlich auch aus den zuletzt angeführten Erzählungen des Pausanias scheint hervorzugehen, daß die Lykanthropie in den frühesten Zeiten sich vorzugsweise bei den Arkadiern zeigte. Es kann ja nicht Wunder nehmen, daß sich bei einem halbwilden Hirtenleben, wie es die Bewohner von Arkadien führten, die fast unaufhörlich mit den Raubtieren ihrer Gebirge zu kämpfen hatten, bei dem Genüsse roher Nahrungsmittel, bei einem rauhen unfreundlichen Klima, die Einbildungskraft erregt werden und sich der stärkste Aberglaube entwickeln mußte, der leicht zu den Wahnideen führen konnte, wie wir sie in der Lykanthropie ausgesprochen finden. Von Natur empfänglich für plötzliche Eindrücke der Furcht und des Schreckens, waren die arkadischen Hirten die ersten, welche ihren Mut durch den „panischen Schrecken“ so sehr beeinträchtigen ließen, daß seit dieser Zeit alle furchtsamen Gemüter der alten und neuen Welt damit erfüllt wurden; sie hörten grausige Töne aus ihren Wäldern schallen, und oft sahen sie mit Verwunderung, wie ihre Herden am hellen Mittag, ohne irgend eine äußere wahrnehmbare Veranlassung, plötzlich Reißaus nahmen und ihnen davon liefen.

Bei einer derartigen Anlage zu Gesichts- und Gehörhalluzinationen kann man wohl nicht mit Unrecht annehmen, daß die Lykanthropie gleichsam endemisch unter den Arkadiern geworden und nach dem Zeugnisse alter Schriftsteller in einigen Familien sogar erblich war oder sich, wie man glaubte, durch Anwendung von Zaubermitteln von Glied zu Glied fortpflanze. Plinius gibt uns darüber nach den Aufzeichnungen alter Schriftsteller interessante Einzelheiten. Er sagt: Evanthes, ein namhafter Schriftsteller, berichtet, daß er bei arkadischen Schriftstellern die Nachricht gefunden habe, es werde aus dem Geschlecht des Anthus durchs Los einer bestimmt und an einen arkadischen See gebracht, wo er seine Kleider an eine Eiche aufhänge, über den See schwimme und, in einen Wolf verwandelt, neun Jahre lang in Einöden herumirre und mit anderen Wölfen sein Wesen treibe. Habe er sich aber während der Zeit an keinem Menschen vergriffen, so schwimme er nach Verlauf der neun Jahre wieder über den See und bekomme seine Gestalt wieder, nur daß er neun Jahre älter sei; auch sein voriges Kleid finde er wieder.

So erzählt ferner Agriopas, der Nachrichten von den Siegern zu Olympia gesammelt hat, daß Demänatus aus Parrhasia bei einem Opfer, wo damals die Arkadier dem Jupiter Lycäus noch Menschenopfer darbrachten, von dem Fleische eines geopferten Knaben genossen und sich in einen Wolf verwandelt habe; doch sei er im zehnten Jahre wieder zu einer menschlichen Gestalt zurückgeführt und Sieger im Faustkampf zu Olympia geworden.

Beide Erzählungen scheinen im Altertum sehr bekannt und weit verbreitet gewesen zu sein; denn die eine bringt auch Pausanias, und die andere, die von der Erblichkeit der Lykanthropie in der Familie des Anthus handelt, deutet Plautus (184 v. Chr.) in seinem Lustspiele „Amphitryo“ an, wo er den Amphitryo, der über die doppelte Erscheinung des Sosias erstaunt ist, sagen läßt: „Es ist wahr, was ich erst von Arkadien erzählen hörte, daß die Familie des Anthus sich in Wölfe verwandelt habe und in diesem Zustande von niemandem erkannt worden sei.“

Es unterliegt demnach keinem Zweifel, daß die Lykanthropie in Arkadien so manche Opfer gefordert haben mag. Die Arkadier meinten aber auch Mittel zu besitzen, mit denen sie das Übel wirksam bekämpfen könnten. Es war teils der Zauber der Musik, den sie auf die Gemütskrankheit einwirken ließen, teils waren es Sühnopfer, die sie den Nationalgottheiten Jupiter und Pan darbrachten. Dieser Umstand war wohl vorzugsweise maßgebend, daß sie diesen Göttern den Namen „Wolfsgötter“ beilegten und ihnen unschuldige Knaben als wirksamste Sühnopfer zur Anwendung der Lykanthropie brachten.

Diesen Göttern zu Ehren feierten sie auch jährlich ein Fest, aus dem später bei den Römern das Fest der Luperkalien entstand, dessen Feier im Monate der Sühnungen, d. h. im Februar (von. „februare“ = sühnen), in welchem Monat, wie wir bereits gesehen haben, die griechischen Ärzte die periodische Rückkehr der Lykanthropie annahmen, abgehalten wurde.

Fast übereinstimmend mit den arkadischen lauten die deutschen und slawischen Werwolfsagen. Jeder, der sich mittels eines Gürtels oder Hemdes in einen Wolf verwandelt hat, bleibt ein solcher allemal neun Tage lang; am zehnten ist es ihm erst wieder vergönnt, menschliche Gestalt anzunehmen. Andere Sagen dehnen die Zeit, während welcher die Wolfsgestalt beibehalten werden muß, auf drei, sieben und neun Jahre aus. In dieser Zeit nimmt der Verwandelte alle Triebe und Eigenschaften des Wolfes an. In ungezügelter Wildheit stürzt er sich dann wie ein echter, rasender Wolf auf alle Tiere, die ihm in den Weg kommen und zerfleischt sie mit hungriger Fressgier.

Wie es nach einer hessischen Volkssage heißt, lebte einmal ein Ehepaar in bitterer Armut. Allein die Frau wußte trotzdem immer einen saftigen Braten auf den Tisch zu bringen. Der Mann ließ es sich zwar wohl schmecken, aber die Fleischgerichte, die ihm täglich so reichlich aufgetragen wurden, veranlaßten ihn doch endlich, seine Frau dringend anzugehen, ihm die Quelle zu nennen, aus der sie diese Fleischvorräte schöpfte. Sie versprach nach einigem Zögern, ihm diese zu entdecken, jedoch unter der Bedingung, daß er ihren Namen nicht ausspreche. Sie geleitete nun ihren Gatten zu einem Feld, wo eine Herde Schafe weidete. Hier legte sie sich einen Gürtel um den Leib und ward augenblicklich zum Werwolf.

Mit wilder Gier stürzte sie sich in die Herde, erwürgte ein Schaf und trug es eiligst davon. Der Mann war starr vor Entsetzen und als er darauf sah, daß Hirt und Hunde bei der Verfolgung seiner werwölfischen Gattin stark zusetzten, rief er bestürzt und geängstigt seinem Weibe zu: „Ach, Margarit!“ Bei Nennung des Namens aber war der Werwolf plötzlich verschwunden und Margarit, sein Weib, stand nackt auf dem Feld.

Eine andere Werwolfgeschichte lautet folgendermaßen: Eine boshafte Hexe, erzürnt über das Liebesglück eines Brautpaares, drehte ihren Zaubergürtel zusammen und legte ihn auf die Schwelle des Hochzeitshauses. Als die Neuvermählten darüber hinweg schritten, wurden sie augenblicklich nebst sechs Brautführern in Werwölfe verwandelt. In wildem Jagen stürmten sie nun hinaus und umkreisten in wütendem Geheul das Haus der Zauberin. Aber erst nach drei Jahren gefiel es dieser, den Zauber zu lösen. Sie nahm dazu einen Pelz, dessen Haare nach außen gewendet waren; mit diesem bedeckte sie jeden der Werwölfe und sofort erlangten diese die menschliche Gestalt wieder.

Drei junge Feldarbeiter — so lautet eine ostfriesische Sage — ruhten nach getaner Arbeit und nachdem sie ihr Mittagsmahl ver- zehrt hatten, unter dem schattigen Laubdache eines Baumes. Der eine machte sein gewohntes Mittagsschläfchen, der andere nickte nur scheinbar ein und stellte sich schlafend, und der dritte, der sich unbeobachtet glaubte, warf einen Gürtel um und wurde sofort zum Werwolf. Er lief hinaus ins freie Feld, fiel ein grasendes Füllen an und fraß es auf. Als er sich gesättigt hatte, entledigte er sich wieder seines Gürtels und die Umwandlung in seine frühere Menschengestalt war geschehen. Als abends die drei Genossen vom Felde nach Hause zurückkehrten, verspürte der Werwolf schon wieder Hunger. Verwundert über diesen grenzenlosen Appetit sagte der, der ihn mittags beobachtet hatte: „Wie, nach dem Genusse eines Füllens lechzt Dein Gaumen schon wieder nach neuer Speise?“ — „Das hättest du mir eher sagen sollen,“ erwiderte der Werwolf, „dann hätte ich es mit Dir gerade so gemacht.“

Der Glaube an die Werwölfe hat sich in Deutschland und Frankreich ziemlich lange erhalten. Das ganze Mittelalter hindurch war man geneigt, alle umlaufenden Geschichten von Werwölfen für reine Tatsachen zu halten. In Frankreich wurde sogar der Marschall Longueville im Jahre 1504 zu lebenslänglicher Galeerenstrafe verurteilt, weil er nach der Meinung seiner Richter ein Werwolf war, und eine livländische Urkunde erzählt noch aus der neueren Zeit von einem Werwolfe, der in Riga sein heilloses Wesen trieb. Es heißt dort: „Am 1. April 1618 kam ein gar gewaltiger Wolf in die Straßen Rigas und fraß einen undeutschen Kerlen, wurde aber darnach stracks erschlagen. Ums selbige Stund‘ starb der Wachtweister Behrend, ein eitel heilloser Mann. Selbiger soll oftmals als ein Wehrwolf herumgelaufen sein. “ *)

*) Vorstehendes ist einer im Sonntagsblatt der New-Yorker Staatszeitung erschienenen Abhandlung entnommen. Der Name des Verfassers war nicht angegeben.

In der Neuzeit dient der Werwolf hauptsächlich als Schreckgestalt für Kinder, die sich gerne nach dem Abendessen noch auf der Straße herumtreiben. Dieselben sollen von ihm mit Haut und Haar gefressen werden. Nach einem von Otto Schell („Bergische Sagen“) mitgeteiltem Märchen, können sich auch Mädchen in einen Werwolf verwandeln. Nach einem esthnischen Märchen legte eine Mutter, wenn sie allein war, ihre Kleider auf einen Felsen und säugte, nachdem sie sich in einen Wolf verwandelt, ihre Kinder. Als ihr Gemahl davon unterrichtet wurde, ließ er jenen Felsen heiß machen, so daß die Wolfshaut verbrannte und seine Gattin die Kunst des Verwandelns verlor.

Der Werwolf dankt jedem, der ihn verwundet, weil er dadurch von seiner Verzauberung befreit wird. In Hinterpommern hatte ein Bauer einen Knecht, der sich häufig in der Nacht auf längere Zeit heimlich entfernte, ohne daß man wußte, wohin er sich begab und was er in seiner Abwesenheit trieb. Nun bemerkte sein Herr einstmals, daß ihm, währenddem er schlief, ein Wolfsschwanz aus der zerrissenen Hose hing. Schnell schnitt er denselben ab, worauf der Knecht wütend aufsprang und ihm sämtliche Kleider vom Leibe riß. Von seiner Wolfsnatur aber war er von diesem Augenblick an befreit.

Verbrennt man das Fell eines Werwolfs, so ist der Mensch erlöst, wenigstens so lange bis ihn der Teufel mit einem anderen versieht. So behält auch die Schwanjungfrau ihre menschliche Form so lange, wie ihr das Federkleid vorenthalten wird.

Nach einem viel verbreiteten Aberglauben verwandeln sich die Menschen dadurch in Werwölfe, daß sie sich einen aus Wolfs- und Menschenhaut verfertigten Riemen, dessen Schnalle sieben Zungen hat, um den bloßen Bauch befestigen. Wollen sie ihre frühere Gestalt wieder annehmen, so öffnen sie die Schnalle einfach. Auch genügt zur Verwandlung in einen Wolf das Einschmieren des Körpers mit einer schwarzen Salbe. Diese, sowie den Gürtel, liefert der Teufel. Schlägt man den Werwolf auf den Bauch, so daß sich der Gürtel löst, so ist der Zauber gebrochen und der Mensch steht nackt da.

Der Werwolf ist stets hungrig; er zerreißt Menschen und Tiere. Oft ist der Mensch, der die Gabe besitzt, sich in einen Wolf zu verwandeln, daran zu erkennen, daß er zusammengewachsene Augenbraunen und zwei Wirbel auf dem Kopfe besitzt.

Temme erzählt von einem Menschen in der Altmark, der, sobald er sich einen aus Wolfshaut verfertigten Gürtel um den Leib band, zu einem Wolfe ward. Er war so stark, daß er einen Ochsen im Maule forttragen und ein Fuder Heu fortziehen konnte. Er würgte Vieh und Menschen und verschonte nur, auch wenn er noch so wütend war, seine Frau. Schließlich verbrannte man, nachdem man ihn durch einen Zauberspruch festgebannt, seinen Wolfsriemen, wonach er ein ganz friedlicher Mensch wurde.

Menschen, die im Geruch standen, sich in Werwölfe verwandeln zu können, wurden früher lebendig verbrannt. Getötet können sie nur mit einer Kugel aus Erbsilber werden.

Auf der Insel Rügen hält man alle Tiere für verwandelte Menschen.

Bei Anbruch des Tages legt der Werwolf seine Haut ab und versteckt sie; was nun dieser geschieht, geschieht dem Eigentümer. Legt man sie an einen kalten Platz, so friert er; steckt man sie in den heißen Ofen, so ruft er: „Ich brenne!“ (Revue Celtique I, 420.)

Unter den Bewohnern der Waldland von Kamerun, wie überhaupt in großen Teilen Afrikas, ist eine Art Werwolfglauben verbreitet. Es wird nämlich geglaubt, daß manche Leute die Fähigkeit haben, sich in Tiere zu verwandeln, namentlich in Elefanten, Leoparden und Krokodile. Ob jemand diesen Zauber besessen hat, kann man deutlich nur nach seinem Tod erkennen, denn es zeigt sich dann im Innern seines Leibes das verkleinerte Bild des betreffenden Tieres; vermutlich sind es die Windungen des Darms, aus denen man die Tiergestalten herausliest.

Wird dort jemand von einem Elefanten getötet, so zweifelt man nicht daran, daß es ein Mensch – Elefant gewesen sei, der die Tat beging, und ergreift die zur Ermittlung des Schuldigen notwendigen Mittel. Zu diesem Zweck begeben sichderSachekundige Männer in ein bestimmtes Haus; dort sehen sie in einer Traumvision den schuldigen Elefanten. Sie verwandeln sich — alles in ihrer Traumvision — in Bienen oder Vögel und belästigen in dieser Gestalt den als schuldig erschienenen Elefanten so lange, bis er dadurch gezwungen ist, seine Menschengestalt wieder anzunehmen, und die Beschwörer merken sich nun möglichst genau das Aussehen der ihnen auf diese Weise erschienenen Person.

Am andern Tag wird von ihnen irgend ein Mensch als der ihnen erschienene Schuldige bezeichnet, und da derselbe seine Tat nicht eingesteht, wird über ihn ein Gottesurteil in der Form herbeigeführt, daß er die Abkochung einer giftigen Baumrinde zu trinken bekommt. Bricht er das Gift wieder aus, so hat ihn das Gottesurteil für unschuldig erklärt; stirbt er, so gilt er als zugleich der Tat überführt und bestraft. Sein Leib wird geöffnet und bei etwas gutem Willen kann man aus den Windungen des Darms stets das Bild eines Tiers herauslesen, wodurch seine Schuld noch nachträglich als untrüglich bewiesen erscheint.

Nach einem Märchen der an der Hudson Bay wohnenden Eskimos war der Wolf früher eine arme Frau, die so viele Kinder hatte, daß sie dieselben nicht ernähren konnte. Sie nahm also Wolfsgestalt an und durchzog, währenddem sie ihren hungernden Kindern beständig Trostesworte zurief, Nahrung suchend das Land.

Ein Bruder des Indianergottes Menabuscho verwandelte sich jedesmal, wenn er auf die Jagd ging, in einen Wolf.

Nach einer Mitteilung von George Dorsey („Traditions of the Ankara,“ Washington 1894) wurde ein junger Arikara-Indianer von einem Wolf aus Lebensgefahr gerettet und als Sohn adoptiert; dieser verwandelte sich später sogar selber in einen Wolf und zeichnete sich als solcher besonders dadurch aus, daß er noch schneller als die übrigen Wölfe laufen konnte.

Nach De Smet weigern sich die meisten Frauen des Assiniboins das Fell des Wolfes zu gerben; als Grund dafür geben sie an, daß der Wolf manchmal toll werde und die Leute beiße. Um ihn zu versöhnen, machen sie ihm Geschenke und beten ihn an. Ein kleiner Wolf, gewöhnlich Medizin-Wolf genannt, wird von vielen Indianern hoch verehrt. Wenn ein Indianer sein Geheul hört, gibt er genau acht, ob dies stark oder schwach ist und aus welcher Richtung es kommt. Daraus zieht er dann Schlüsse für seine Zukunft. Ist er, nachdem er die Stimme jenes Wolfes gehört, bei seinem Unternehmen erfolgreich, so gibt er ihm zu Ehren ein Fest.

Einem verirrten Dakota, der von einer bösen Geisterfrau verfolgt wurde, zeigte ein mitleidiger Wolf den Weg nach einem Indianerlager, wo selbst er gut aufgenommen wurde. Wenn er später Wild schoß, so warf er aus Dankbarkeit jenem Wolf stets einen Teil vor den Wigwam.

Wenn die Schwarzfußindianer hungrig sind und ein Wolfslied singen, so finden sie sicher Nahrung. Sie und die Wölfe sind zuverlässige Freunde; auch können sie miteinander sprechen. Sie erzählen, daß in früheren Zeiten die Wölfe manchmal tobsüchtig wurden und nicht nur andere Tiere, sondern sogar auch die Menschen anfielen. Wer von ihnen gebissen wurde, verfiel ebenfalls in Tob- sucht und konnte nur durch ein Schwitzbad kuriert werden.

Unter den Omahas existiert eine geheime Gesellschaft, deren Mitglieder vorgeben, von den Wölfen Zauberkräfte erhalten zu haben. Dieselben feiern zu Ehren derselben jährlich ein Fest.

Die Landbewohner des Uralgebirges glauben allgemein, daß ein Mann, den ein Wolf früher erblickt als er ihn, lo lange stumm bleibt, wie das Raubtier lebt.

Die alten Irländer hielten die Wölfe für ihre Taufpaten und gebrauchten die Zähne derselben als Amulete.

Der Wolf als Wotans Tier war Sinnbild des Todes, des Schreckens und der Nacht. Die Wölfe Geri (der Heißhungrige) und Frecki (der Grimmige) umspielten seinen Thron und wurde von ihm gefüttert.

Nach einem alten Glauben künden die in der Nacht heulenden Wölfe den Weltuntergang an. Dies ist eine Erinnerung an den eddischen Fenriswolf, dessen erschütterndes Geheul den Anbruch der Götterdämmerung ansagt. Kein Wunder, daß die alten Germanen dem Wolf nicht sonderlich gewogen waren. Wer bei einem Wolf Gevatter stehen will, muß einen Hund unter dem Mantel haben, lautet ein Sprichwort.

In Frankreich waren Werwölfe lange Zeit der Schrecken der ländlichen Gegenden. Nach damaligem Glauben ist ein Werwolf ein Zauberer, den der Teufel selbst in einen Wolf verwandelt und ihn zwingt, unter grässlichem Geheul durch die Lande zu streifen. Die Existenz von Werwölfen wurde von Vergil, Solin, Strabon, Pomponius Mêla, Dionysius Afer, Varron überliefert. Kaiser Sigismund (1368-1437) ließ die Frage der Werwölfe vor ihm debattieren, und es wurde einstimmig beschlossen, dass die Verwandlung von Werwölfen eine wahrhaftige und konstante Tatsache sei. Erst unter Ludwig XIV. begann man, daran zu zweifeln.

Peucer (Caspar Peucer 1525-1602) erzählt, dass es in Livland jedes Jahr am Ende des Monats Dezember einen Widder gibt, der die Zauberer auffordert, sich an einen bestimmten Ort zu begeben. Wenn sie sich weigern, führt der Teufel sie mit Gewalt dorthin und zwar mit so harten Schlägen, dass tiefe Striemen am Rücken zurückbleiben. Dort überqueren sie einen Fluss und verwandeln sich am anderen Ufer in große Wölfe, fallen sie über Menschen und Vieh her und richten große Verwüstungen an. Nach zwölf Tagen kehren sie an denselben Fluss zurück und werden wieder zu Menschen.

Man fing einmal einen Werwolf, der in den Straßen von Padua herumlief; man schnitt ihm die Wolfspfoten ab, da er nahm im selben Augenblick wieder die Gestalt eines Menschen an, allerdings mit abgetrennten Armen und Füßen, wie Fincel (Jobus Fincelius) berichtet.

Im Jahr 1588, in einem Dorf, das zwei Meilen von Apchon entfernt in den Bergen der Auvergne liegt, sah ein Edelmann am Abend an seinem Fenster einen Jäger, den er kannte, und bat ihn, ihm von seiner Jagd zu berichten. Der Jäger versprach es und als er in die Ebene hinausging, sah er einen großen Wolf auf sich zu eilen. Er gab einen Schuss aus seiner Arkebuse ab jedoch verfehlte ihn. Der Wolf stürzte sich auf ihn und griff ihn scharf an. Der Jäger verteidigte sich mit seinem Jagdmesser und trennte dem Wolf die rechte Pfote ab, wonach dieser hinkend und unter grausigen Geheul die Flucht ergriff.

Als es Abend wurde, ging der Jäger zum Haus seines Freundes, der ihn fragte, ob er gut gejagt habe. Er zog die Pfote, die dem Wolf abgeschlagen worden war, aus seiner Tasche und war sehr erstaunt, als er eine Frauenhand vorfand, mit einem goldenen Ring an einem Finger, den der Mann als den seiner Frau erkannte. Er ging sofort hin, um sie zu finden. Sie stand am Feuer und verbarg ihren rechten Arm unter ihrer Schürze. Als sie sich weigerte, ihn herauszuziehen, zeigte er ihr die Hand, die der Jäger mitgebracht hatte. Die Frau gestand ihrem Mann schließlich, dass sie als Werwolf den Jäger verfolgt hatte. Der zornige Ehemann lieferte seine Frau dem Gericht aus und sie wurde verbrannt.

Daniel Sennert (1572-1637), ein berühmter Arzt, den man den Galen Deutschlands genannt hat, berichtet in Kapitel V. seiner „Okkulten Krankheiten“ von Begebenheiten, aus denen hervorgeht, dass die Angewohnheit mancher Maniker, als Werwolf zu laufen, mit einer geheimnisvollen Kraft in Verbindung steht, die manche Menschen, deren Körper während dieses Ausflugs in Ohnmacht fiel, zum Sabbat brachte. Er berichtet weiter von einer Frau die des Werwolflaufens beschuldigt wurde. Durch das Versprechen des Richters beruhigt, dass sie am Leben bleiben würde, wenn sie den Beweis für ihre Lauferei erbringen würde. Sie rieb daraufhin ihren Körper mit einer besonderen Salbe ein, worauf sie sofort einschlief. Erst nach drei Stunden wachte sie wieder auf. Dann erzählte sie, dass sie, als sie in einen Wolf verwandelt war, in der Nähe eines Ortes, den sie nannte, ein Schaf gerissen hatte; man schickte sofort dorthin und fand, dass das Schaf, das sie genannt hatte, tatsächlich zerrissen war und im Sterben lag.

Werwölfe waren im Poitou sehr verbreitet und wurden dort als „la bête bigourne qui cour la galipode“ (die schielende Bestie, die auf dem Galopp läuft) bezeichnet. Wenn die Einheimischen nachts das Heulen des Werwolfs hören verriegelten sie Tür und Tor. In dieser Provinz versichert man, dass man den Werwolf zwingen kann, seine geliehene Gestalt zu verlassen, indem man ihm mit einer Gabel zwischen die Augen stößt.

In der Saintonge sagt man, dass die Haut der Werwölfe so hart ist, dass sie gewöhnlichen Kugeln standhält. Das ändert sich jedoch, wenn diese Kugeln zu bestimmten geheimnisvollen Nachtstunden in einer dem heiligen Hubertus geweihten Kapelle gesegnet werden; dann kann der Zauberer getötet werden und die Tiergestalt, die er angenommen hatte, verschwindet und wird nicht mehr sichtbar.

Die Zeremonien des Kugelsegens sind schwierig zu vollziehen; man muss zahlreiche kostbare Substanzen bei sich haben, vor allem vierblättrigen Klee, damit die zähe Haut der Werwölfe durchdrungen wird.

J. de Nynauld veröffentlichte 1615 eine vollständige Abhandlung über die Lykanthropie, die er auch „Folie louvière“ und „Lykaonie“ nennt, deren Realität er unbestreitbar anerkennt. – Ein Sieur de Beauvoys de Chauvincourt, ein angevinischer Edelmann, ließ 1599 einen Band mit dem Titel „Discours de la lycanthropie, ou de la transmutation des hommes en loups“ (Diskurs über die Lykanthropie oder die Transmutation von Menschen in Wölfe) drucken. – Claude, ein Prior von Laval, hatte einige Jahre zuvor ein weiteres Buch zum selben Thema mit dem Titel „Dialogue de la lycanthropie“ veröffentlicht. Sie alle behaupten, dass es definitiv Werwölfe gibt.

Der Werwolf von Christian Morgenstern
Alle Galgenlieder. S. 86-87

Der Werwolf

Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind, und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!

Der Dorfschulmeister stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:

,Der Werwolf, – sprach der gute Mann,
,des Weswolfs, Genitiv sodann,
,dem Wemwolf, Dativ, wie man’s nennt,
,den Wenwolf, – damit hat’s ein End’.‘

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!

Der Dorfschulmeister aber mußte
gestehn, daß er von ihr nichts wußte.
Zwar Wölfe gäb’s in großer Schar,
doch ‚Wer‘ gäb’s nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind –
er hatte ja doch Weib und Kind!!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.

Quelle:

  • Amerikanische Redensarten und Volksgebräuche. Mit dem Anhang: Folkloristisches in Longfellow’s „Evangeline“ von Karl Knortz (1841-1918). Leipzig, Teutonia Verlage, 1907.
  • Mythen der Nordmänner aus den Eddas und Sagas von Hélène Adeline Guerber. London: Harrap, 1909.
  • The age of fable, or, Beauties of mythology by Thomas Bulfinch. Philadelphia: David McKay, 1898.
  • Dictionnaire infernal; répertoire universel des êtres, des personnages, des livres, des faits et des choses qui tiennent aux esprits par Collin de Plancy, Jacques-Albin-Simon. Paris, H. Plon, 1863.
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