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Der göttliche Ursprung der Spinne.

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Kunstformen der Natur. Arachnida. Spinnentiere.

Der göttliche Ursprung der Spinne.

„Hütet euch nur vor dem Fieber, meine Freunde, hütet euch vor dem Fieber!
Denn es ist nicht wie das in unserem kalten akadischen Klima,
Man heilt es mit einer Spinne, die man in einer Nussschale um den Hals trägt.“

Nach Ovid bildete sich die Nymphe Arachne auf ihre Kunstfertigkeit im Spinnen soviel ein, daß sie sich erkühnte, Minerva zu einem Wettkampfe herauszufordern. Diese wob nun ein das Leben der Götter verherrlichendes Bild und glaubte, damit ein Meisterstück geliefert zu haben. Arachne antwortete aber darauf mit einem das Treiben der Olympier verspottenden Kunstwerke, worüber die Göttin dermaßen in Wut geriet, daß sie dasselbe zerstörte, ihre Gegnerin in eine Spinne verwandelte und sie und ihre Nachkommen dazu verurteilte, beständig an einem selbstgesponnenen Faden zu hängen.

Der göttliche Ursprung der Spinne und ihre geheimnisvolle Beziehung zu überirdischen Mächten wird durch die Gebräuche und Märchen mehrerer Völker bewiesen. Der Peruaner bedient sich der Spinne, um den Willen der Götter zu erforschen. Als Wetterprophetin genießt sie einen weit verbreiteten Ruf; ebenso auch als Glücksverkünderin. Im Toskanischen herrscht der Aberglaube, daß die Spinne, die man am Abend sieht, nicht verbrannt werden darf; dasselbe aber darf mit der, die sich am Morgen zeigt, geschehen, nur muß man sie nicht mit den Fingern anrühren. Dies erinnert an den bekannten deutschen Spruch:
„Eine Spinne am Abend
Ist erquickend und labend;
Eine Spinne am Morgen
Bringt Kummer und Sorgen.“

Auf der Insel Rügen heißt eine gewisse kleine Spinne Glücksspinne; wer diese tötet oder sie auch nur vertreibt, wird vom Unglück verfolgt. Wer in der Mark an schlimmen Augen leidet, fängt eine Spinne, steckt sie in eine Nußschale, verklebt diese und hängt sie dann um den Hals. Auch das Fieber kann auf diese Weise vertrieben werden. Um letzteres zu tun, nimmt man im Staate Indiana ein Spinngewebe, rollt es zu einem Kügelchen zusammen, wirft es in ein mit Whisky gefülltes Glas und leert dies auf einen Zug. Auch Amerika hat seine kleine Glücksspinne, money Spinner genannt; war eine solche irgendwie belästigt, wird es nie zur vollen Börse bringen.

Zeigt sich in Kanada eine Spinne auf dem Kleid einer Jungfrau, so stößt diese durchaus keinen nervösen Angstlaut aus, sondern läßt sie ungestört weiter kriechen, weil ihr durch diesen Besuch angedeutet wird, daß sie bald ein neues Kleid erhält. Läßt sich dort eine Spinne auf das Brautkleid während der Trauung nieder, so ist dies das zuverlässigste Zeichen, daß die Ehe glücklich wird.
Spinngewebe im Stalle verscheuchen die Hexen und machen jede schädliche Einwirkung auf das Vieh unmöglich.

Große Spinnen sieht man nicht gerne, da sie meist Zank und Streit im Gefolge haben. Läuft eine solche über das Bett eines Kranken, so ist das Todesurteil desselben gesprochen.

Wenn ein Junge eine langbeinige Mauerspinne auf sein Knie setzt und dieselbe kriecht ohne mit den Fingern geführt zu werden, um es herum, so steht demselben großes Glück und langes Leben in Aussicht.

In Frankreich, wo der Talisman zu den Notwendigkeiten des Lebens gehört, ist die in Gold gefaßte Bohne, der Kaninchenfuß und die Truthahnklaue, ja sogar die am kleinen Kettchen getragene kleine Schildkröte, deren Panzer mit kostbaren Steinen inkrustiert wurde, längst verächtlich bei Seite gelegt worden — wofür letztere jedenfalls sehr dankbar sein wird.

Doch sollte man es wohl für möglich halten, daß die armen, winzigen Schildkröten jetzt durch recht ansehnliche Spinnen ersetzt werden? Es ist in der Tat so. Allerdings läßt man das den meisten Leuten Schauder einflössende Insekt nicht lebend umherkrabbeln wie seine Vorgängerin, aber es ist unbedingt notwendig, daß es die Person, die es als Amulett tragen will, eigenhändig lebend einfängt und dann ebenfalls lebendig unter das Glas einer eleganten, goldenen Kapsel setzt, die an die Uhrkette, das Armband oder die Brosche gehängt wird. Auch kann die bedauernswerte, dem Hungertode geweihte Spinne in das zu öffnende Mittelstück eines direkt zu diesem Zwecke gefertigten Armbandes oder einer Vorstecknadel eingeschlossen werden. Nur muß man darauf achten, daß man das Spinnjuwel stets bei sich trägt; hat man das Amulet ein einziges Mal vergessen, dann verliert das Insekt sofort seine glückbringende Eigenschaft und muß durch ein neues, lebend eingefangenes ersetzt werden.

In Tyrol glaubt man, die Kreuzspinne könne die Nummer des großen Loses verraten. Man legt in ein Trinkglas zusammengerollte Papierstreifen, wovon jeder eine Nummer enthält, und läßt dann die Spinne in das Glas kriechen; auf dem Streifen, welchen sie umspinnt, befindet sich die Glücksnummer. Auch in Westfalen gilt die Kreuzspinne, da sie der Luft alle Giftstoffe entzieht, als als ein heiliges Insekt. Das Haus, worin sie sich aufhält, bleibt vom Blitzschlag verschont; deshalb läßt man sie auch ungestört. Wer sie umbringt, begeht eine Todsünde.

In den Fabeln der Südafrikanischer spielt die Spinne die Kolle des schlauen Reineke oder Däumerlings; sie überlistet alle Tiere, mit denen sie in Berührung kommt und geht aus allen Gefahren siegreich hervor.

Ein Märchen des Volkes der Aknapem in Afrika lautet: Yankompon hatte eine sehr schöne Tochter. Wenn sie jemand heiraten wollte, sagte er immer Nein. Die Spinne und die Katze überlegten, sie seien des Vaters Kammerdiener und wollten ihn deshalb fragen, ob er nicht einem von ihnen seine Tochter zur Frau geben wolle. Er entgegnete ihnen: „Ihr seht, daß ich euch beide liebe, und ihr habt mich um eine Sache gefragt, die ich nur einem von euch geben kann. Deshalb werde ich etwas an den Eingang des Dorfes setzen und euch um die Wette rennen lassen. Wer zuerst dort anlangt, soll meine Tochter erhalten.“ Er tat so und ließ sie Wettrennen, und die Katze langte zuerst dort an. Daraufhin gab er seine schöne Tochter der Katze. Und als dies geschah, wurde das Auge der Spinne rot vor Neid und sie ward der Katze spinnefeind.

Aber Gott hatte auch einen Widder und zwar einen sehr großen. Mit diesem, sagte er, wollte er etwas Besonderes vornehmen und zwar an einem Sonnabend. Als das die Spinne hörte, ging sie am Freitag in Gottes Schafhof, um jenen Widder zu fangen, schlachtete und aß ihn, streute die Gebeine umher und die Suppe goß sie ins Kleid der Katze.

Am Morgen sagte Gott, man solle den Widder holen. Man ging und fand ihn nicht und berichtete es wieder. Nun ließ Gott ausschellen, es habe jemand ein Tier genommen. Es wurde genauer nachgesehen und in der Wohnung der Katze ein Gerippe gefunden. Gott sprach: „Geh, rufe sie!“ Man tat so und fragte sie: „Woher kommen die vielen Gebeine in deinem Gehöfte?“ Sie sagte: „Ich weiß nicht.“ Sodann fragte man sie weiter: „Woher diese Suppe in deinem Kleid?“ Sie hatte kein Wort der Entgegnung. Deshalb erklärte nan ihr, sie sei es, die den Widder gestohlen habe. Gott aber nahm ihr seine Tochter wieder. Von der Zeit an schreit die Katze: „M’aniawu!“ (mein Auge ist gestorben; das bedeutet: ich schäme mich).

Nach einem Märchen lernte ein Volksstamm in Westafrika die Kunst, Fischnetze zu flechten, von den Spinnen. Mehrere amerikanische Indianervölker haben ähnliche Erzählungen, ohne daß man deshalb, da das geistige Leben der Naturmenschen überall von denselben Ideen geleitet wird, an einen gemeinsamen Ursprung dieser naiven Produkte zu denken braucht.

Im Mond erblickt man so ziemlich alles, was man sich durch die Phantasie vorgaukeln läßt. So sehen auch einige Märchenerzählerinnen eine Jungfrau mit einem Spinnrad darin, die auf Wunsch ihrer Mutter deshalb zum ewigen Spinnen verurteilt ist, weil sie sich in später Nacht, nachdem die anderen Mädchen längst mit ihren Spinnrädern nach Hause geeilt waren, noch mit lustigen Gesellen herumgetrieben und sogar auf dem Kirchhof getanzt hatte. Es ist dies dieselbe, welche die zarten Altweibersommer genannten Herbstfäden spinnt.

Der Spinnrocken galt früher als das Symbol des häuslichen Fleißes. Selbst die Königinnen vergangener Zeiten sahen eine Ehre darin, sich am Spinnrad oder Webstuhl zu beschäftigen; ja sogar Eva soll nach einem alten Reim im Paradies gesponnen haben.

Die Kunst des Spinnens soll den altdeutschen Frauen durch die Göttin Berta, die auch unter den Namen Hulda, Holle, Frigga und Gode erscheint, gelehrt worden sein. Sie zieht heute noch der Sage nach zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag nächtlich von Haus zu Haus, um die fleißigen Spinnerinnen zu belohnen und die faulen zu bestrafen.

Die Zeit, „da Berta spann“, galt als Glückszeit. Non e piu il tempo che Berta filava, sagen die Italiener. Der nervenerschütternde Maschinenlärm hat das anheimelnde Schnurren des Spinnrads längst übertönt; es ist in die Rumpelkammer gewandert und dient dort fleißigen Spinnen zum Webstuhl. Damit ist nun leider auch die Spinnstube, diese altehrwürdige Erhalterin des Volksliedes und Märchens, aus dem deutschen Leben verschwunden.

Frau Berta oder Holle ist zugleich auch eine Himmelsgöttin; die lichtweißen Wolken sind ihre Schafe, die Sonnenstrahlen ihre goldenen Locken. Wenn es schneit, so pflückt sie ihre Gans, macht ihr Bett oder schlägt ihr weißes Gewand auseinander. Wenn es regnet, wäscht sie ihren Schleier. Sie ist es, welche die Kinder aus ihrem Brunnen holt und sie auch wieder zu sich ruft. Sie ist Herrin über Leben und Tod. In den Schlössern, in welchen sie als weinende Frau erscheint, erwartet man bald einen Sterbefall. Dadurch, daß man ihr ein Spinnwebgesicht mit langen Zähnen andichtet, ist sie in einigen Gegenden Deutschlands, besonders in Pommern, zur Schreckensgestalt für die Kinder geworden. Luther nennt sie wegwerfend „Frau Hule mit der Potznasen“.

Verschiedenes:

  • Nach Laubender über die Heilkräfte der Spinnen (in den allgem. med. Annal. Altenb. 1801. Mai) heilen veraltete Geschwüre schnell, wenn man mehrere Kreuzspinnen in einer Quantität Öl an der Sonne digerirt, und diese Salbe einreibt.
  • Wenn man eine Kreuzspinne tötet, bringt es dem Hause Unglück. Die Bäuerin wirft die grossen Spinnen zum Fenster hinaus, aber sie sagt: „Den nächsten Morgen sind sie wieder in ihrem Eck. Sie müssen ihre Hoamit (Heimat) kennen! (Wendisches Volkstum)
  • Gegen die Gelbsucht soll man eine Kreuzspinne in eine hohle welsche Nuss (Walnuss) einschliessen, mit Wachs verkleben und mit einem Faden dick umsponnen drei Tage am Halse tragen.
  • Manche rühmen, drei lebende Läuse oder Kreuzspinnen mit Gewebe in einer Zwetschke oder auf Butterbrot zu essen, oder auch den Genuss von Maikäfern und faulen Eiern gegen das Wechselfieber (Malaria, Sumpffieber).
  • Wenn man will, das ein Bursche und ein Mädchen, die sich lieben aus einanderkommen, so soll man, wenn sie spinnen eine Kreuzspinne zwischen sie durchwerfen, dann hassen sie sich.
  • Wenn ein Mann seine Frau los sein will, so soll er eine grosse Kreuzspinne fangen und sie ihr eingeben, dann stirbt sie bald; ebenso die Frau dem Mann.
  • In der Nähe von Vöslau ist eine große, in die Tiefe reichende Erdhöhle. Dort suchten im Jahre der großen Türkennot 1683 Flüchtlinge Schutz und wurden nicht entdeckt, weil eine Kreuzspinne den Eingang mit einem dichten Gespinst bedeckt hatte. In Österreich gilt der Glaube: Katzen und Kreuzspinnen soll man nicht töten, denn sie bedeuten Glück. (Zschr. f. Volksk. 3, 102.)
  • Die Kreuzspinne heißt in Tirol Muttergottestierlein; sie bringt Glück. (J. V. Zingerle, Sitten, Gebräuche u. Meinungen des Tiroler Volkes, S. 89.).
  • Im Altenburgischen wird die Kreuzspinne als glückbringendes Tier betrachtet. (Zschr. f. Volksk. 2, 358.)
  • Die Spinne wird deshalb so geachtet, weil sie einem Menschen das Leben gerettet hat. Es war mal jemand, dem es so oder so recht schlecht ging, und nun traf es sich noch, daß er verraten werden sollte. In seiner Herzensangst kroch er in einen Ofen und blieb da versteckt. Und wie er so krumm lag und auf jedes Geräusch horchte, kam ein Spinnchen herbei und webte vor das Ofenloch ein langes Gewebe. Während der Zeit untersuchten die Verfolger jedes Winkelchen und durchstöberten auch das Zimmer. Zuletzt machte einer von ihnen die Ofentür auf, um in den Ofen zu sehen, aber schlug die Tür gleich wieder zu und sagte: „Hier ist er gewiß nicht hineingekrochen, denn hier hängt alles voll Spinnweben, und die hätte er doch zerreißen müssen.“ So wurde der Verfolgte gerettet, denn seine Feinde gingen nun einen andern Weg. (Lemke, Volkstüml. in Ostpreuß. 2, 22, Nr. 41.)

Quelle:

  • Amerikanische Redensarten und Volksgebräuche. Mit dem Anhang: Folkloristisches in Longfellow’s „Evangeline“ von Karl Knortz (1841-1918). Leipzig, Teutonia Verlage, 1907.
  • Kunstformen der Natur von Ernst Heinrich Philipp August Haeckel (1834-1919). Leipzig und Wien: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1904.
  • Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in Bayern und den angrenzenden Bezirken, begründet auf die Geschichte der Medizin und Cultur von Gottfried Lammert. Würzburg, F.A. Julien, 1869.
  • Wendisches Volksthum in Sage, Brauch und Sitte von Wilibald von Schulenburg. Nicolaische Verlags-buchhandlung, 1882.
  • Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. Herausgegeben von Karl Weinhold.. Band 10.Berlin, Verlag von A Asher & Co. 1910.
  • Natursagen: eine Sammlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden von Oskar Dähnhardt und V. Armhaus. Leipzig; Berlin: B. G. Teubner, 1907.
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