Bäuerin aus Dachau bei München, Oberbayern, von Carl Rickelt.
Bäuerin in der Tracht von Dachau bei München, Oberbayern, von Carl Rickelt.
Blatt 204.
BÄUERIN AUS DACHAU BEI MÜNCHEN.
VON CARL RICKELT.
Die Figur, die wir hier vorführen, zeigt uns das Kostüm einer Bäuerin aus Dachau, dem im Regierungs-Bezirk Oberbayern etwa drei Stunden nordwestlich von München auf einer nicht unbeträchtlichen Bodenerhöhung an der Amper gelegenen Marktflecken. Die Zinnen des halbverfallenen Schlosses schauen weit in die Sumpfebene des „Dachauer Mooses“, das sich bis zu dem ehemaligen alten Bischofssitz Freising und bis an die Ufer der Isar in einer Längen-Ausdehnung von siebenunddreissig, und in einer Breite von sieben Kilometern. mit wenigen Ansiedelungen, auf dem rechten Ufer der Amper, erstreckt; es ist grösstenteils nur mit Riedgras bewachsen und durch Torfstiche koupiert.
Ursprünglich dem Hause Scheyern gehörig und im Mittelalter Stammsitz dieses Grafengeschlechtes, kam nach dem Aussterben desselben das Dachauer Moos im Jahre 1175 durch Kauf an das Haus Wittelsbach. Dachau hat sich den Charakter eines echt oberbayerischen Dorfes bis in die gegenwärtige Zeit bewahrt, was um so merkwürdiger ist, als es stets in der besten und unmittelbarsten Verbindung mit der nahegelegenen bairischen Hauptstadt stand. Dem bäuerlich, konservativen Geist, der mit so grosser Entschiedenheit an seinen veralteten Formen festhält, verdanken wir es, dass sich hier ein Kostüm erhalten konnte, das uns weniger wegen seiner Schönheit, als wegen seiner Originalität beachtenswert erscheint.
Ein kurzer, schwerer aus lodenartigem Gewebe bestehender, dicker, schwarzer Rock, Bollenrock genannt, dessen Faltenreichtum mit der Wohlhabenheit der Bäuerin im Verhältnis steht, fällt, knapp unter der Brust ansetzend und von einem starken Ledergurt zusammengehalten, über diesen in herausfordernd kühnen Bogen nach vorn und hinten auf die keineswegs stattlichen Waden hernieder. Das Dachauer Kostüm nämlich steht im üblen Ruf, eine normale Ausbildung der unteren Extremitäten bedeutend zu beeinträchtigen, was man begreiflich finden wird, wenn man erwägt, dass dieselben von Jugend auf bei jedem Schritt das Anprallen eines schweren Stoffes zu ertragen haben, der in einer Faltenlegung von mindestens fünfzehn Zentimeter Dicke den Körper umgibt. Den unteren Saum dieses Rockes ziert ein roter oder gelber Besatz.
Ein anderer, aber ungleich schwerer wiegender Übelstand besteht in dem Jahrhunderte lang gepflegten traurigen Gebrauch, die Brust mit einem im Mieder befestigten Pappendeckel fest einzudrücken, ein Gebrauch, der bereits die nachtheiligsten Folgen auf den Volksstamm ausgeübt hat. (Derselbe Missbrauch besteht bei der Tracht der Montafunerinnen. Zu vergl. die Beschreibung zu Blatt 88.) Das durch dieses eindrücken der Brust auffallend glatt anliegende, kurze Mieder, das nicht selten auf farbigem Seidengrund reiche Goldstickereien trägt, wird durch bunte Bänder vom kreuzweise geschnürt.
Über dem Mieder wird ein kurzes Jäckchen aus buntem Seidenstoff, Spenzer geheissen, getragen, welches, vorn auseinander gehend, hinten kaum über die Schulterblätter hinabreicht. Silberne Knöpfe, aus alten Münzen bestehend, prangen vorn an den Rändern des Spenzers, an welchem wir auch noch oft stark gebauschte Ärmel treffen.
Eine breite, ebenfalls aus Seide bestehende, farbige Schürze reicht weit um die Hüften herum. Vorn gewahren wir ein breites, rotes Band, das, ebenfalls um die Hüfte geschlungen, von mächtiger Schleife aus in zwei langen Enden herabfällt. Den Hals umschliesst eine schwarzseidene Binde (Halsriegel), zusammengehalten von einer reichen Filigran-Schliesse. Ein schwarzer, kurzer, bis über Schlafe und Ohren reichender, in Falten gelegter Schleier lässt ein rotes Kopftuch durchschimmern, während der ganze übrige Hinterkopf von einer schwarzen seidenen Haube bedeckt ist, sodass man den natürlichen Schmuck des Haares vollständig vermisst.
Haben wir bei dieser Musterung unserer Dachauerin nur wenig gefunden, was uns sympathisch berühren könnte, so weilt doch unser Auge mit Vergnügen auf den reich gemusterten, farbig gestrickten Strümpfen, die den in einem weit ausgeschnittenen, schwarzen Lederschuh steckenden Fuss bekleiden. Der Vollständigkeit halber sei noch das ansehnliche Paradachl erwähnt, wie die Dachauerin ihren knallroten, baumwollenen Familien-Regenschirm nennt. der die Behäbigkeit der ganzen, entschieden komisch wirkenden Erscheinung noch erhöht.
Carl Rickelt.
Blätter für Kostümkunde. 204. Blatt. Verlag von Franz Lipperheide in Berlin.
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