Marie Marquise de Sévigné, französische Briefeschreiberin im 17. Jh.
Geb. 5. Februar 1626; gest. 17. April 1696.
Marie de Rabutin-Chantal, Marquise de Sévigné war eine französische Aristokratin, die für ihre Briefwechsel bekannt ist. Die meisten ihrer Briefe, die für ihren Witz und ihre Lebendigkeit gefeiert wurden, richteten sich an ihre Tochter. Sie wird in Frankreich als eine der großen Ikonen der französischen Literatur des 17. Jahrhunderts verehrt.
Marie de Rabutin-Chantal, die spätere Marquise de Sevigne, wurde nach den Kirchenbüchern des Sprengels von St. Paul zu Paris im Jahre 1626 zu Paris, im Hotel Coulanges am la place Royale Nr. 1, dem Zuhause ihrer Großeltern mütterlicherseits, Philippe I. de Coulanges (1565-1636) und Marie geb. de Bèze (1576-1634), geboren. Am nächsten Tag, dem 6. Februar, in der Pariser Kirche Saint-Paul getauft, enthüllte ihre Geburtsurkunde, dass ihr Patenonkel Charles Le Normand, Lord of Beaumont, „Lagermeister eines alten Regiments, Gouverneur von La Fère und erster Oberkellner des Königs“ und ihre Großmutter „Lady Marie de Bèze, Ehefrau des Messiers Philippe de Coulanges, Berater des Königs in seinem Staat und privaten Räten war. „Das Kind erhält den Vornamen seiner Großmutter (und Patin), Mary.
Ihr Vater Celse-Benigne de Rabutin, Baron de Chantal, war der Sohn der Heiligen Jane Frances de Chantal, einer Freundin und Schülerin des Heiligen Francis de Salesein. Er war angeblich ein tollkühner und heftiger Raufbold und fiel im Kampf gegen ein englisches Korps im Juli 1627, das den in La Rochelle belagerten Hugenotten zu Hilfe eilte, im Alter von erst 30 Jahren. Seine Frau Marie de Coulanges überlebte ihn nur um wenige Jahre, und Marie wurde im Alter von sieben Jahren als Waise zurückgelassen und ging in die Obhut ihrer Großeltern mütterlicherseits.
Marie de Rabutin de Chantal lebte dennoch eine verwöhnte und glückliche Jugend, zuerst bei ihren Großeltern mütterlicherseits, die sie bis zu ihrem elften Lebensjahr aufzogen, dann, nach dem Tod von Philippe de Coulanges, 1636, beim ältesten ihrer mütterlichen Onkel Philippe II de Coulanges (1595-1659). Er ist der Vater von Philippe-Emmanuel Coulanges (1633-1716), dem zukünftigen „Chansonnier“, dem jungen ersten Cousin von Marie de Rabutin. 1659 heiratete er Marie-Angelique du Gué de Bagnols (1641-1723), auch bekannt als Marie-Angelique de Coulanges, eine berühmte Briefeschreiberin.
Ihr Onkel Christophe de Coulanges zählte zu ihren eifrigsten Förderern, der ihr sein Leben lang verbunden blieb. In ihrer Korrespondenz bezeichnete sie ihn oft als „le Bien Bon“ (das sehr Gute). Er lebte als Abbé in Livry, einem mitten im Wald, vier Meilen nordöstlich von Paris gelegenen kleinen Ort. Hierhin brachte er seine Nichte und ließ sie nicht, wie es Sitte war, in einem Klosterpensionat erziehen, sondern von vorzüglichen Privatlehrern unterrichten. Von Menage und Chapelain, zwei hervorragenden Gelehrten, wurde sie mit dem französischen Stil und mit der französischen Literatur bekannt gemacht. Daneben lernte sie lateinisch, italienisch und spanisch. Wir hören ferner, daß sie eine schöne Stimme besaß, daß sie sang und tanzte und sich als ausgezeichnete Reiterin hervortat.
Diese glänzenden Eigenschaften mußten ihr bei ihrem Eintritt in die Kreise der vornehmen Pariser Gesellschaft von vornherein die Wege ebnen. Sie sah sich bald viel umworben, zumal sie über ein bedeutendes Vermögen zu verfügen hatte. Marie de Rabutin-Chantal heiratete Henri, Marquis de Sévigné, einen Adligen aus der Bretagne, Abkömmling eines der angesehendsten Adelsfamilien der Bretagne, aber keinen großen Besitz besaß. Die Ehe fand am 4. August 1644 statt, und das Paar ging fast sofort in das Herrenhaus Sévigné von Les Rochers, in der Nähe von Vitré, einem Ort, den sie später verewigen sollte. Sie gebar am 10. Oktober 1646 eine Tochter, Françoise, (ob in Les Rochers oder in Paris ist nicht sicher), und am 12. März 1648 einen Sohn, Charles, in Les Rochers. In der ersten Zeit ihrer Ehe lebte das junge Paar abwechselnd in Paris und auf dem Schlosse des Marquis, das durch Frau von Sévigné wesentlich verschönert wurde.
Wie sich bald zeigte war Henri ein notorischer Schürzenjäger und leichtsinniger Lebemann, der rücksichtslos Geld ausgab, aber durch die sorgfältige Finanzaufsicht ihres Onkels konnte Marie einen Großteil ihres Vermögens getrennt halten. Am 4. Februar 1651 wurde Henri de Sévigné nach einem Streit um seine Geliebte, Frau de Gondran, im Duell mit dem Chevalier d’Albret tödlich verletzt und starb zwei Tage später. Obwohl nur vierundzwanzig, als ihr Mann starb, heiratete Frau de Sévigné nie wieder. Sie war mit 25 Jahren Witwe geworden, blieb aber ihren beiden Kindern zuliebe unverheiratet. Sie verbrachte den größten Teil von 1651 im Ruhestand in Les Rochers, kehrte aber im November dieses Jahres nach Paris zurück. Danach teilte sie ihre Zeit zwischen Stadt und Land auf. In Paris besuchte sie Salons, insbesondere den von Nicolas Fouquet, dem Finanzchef von König Ludwig XIV. Die amüsanteste Korrespondenz von Frau de Sévigné vor der Hochzeit ihrer Tochter wurde an ihren Cousin und Freund Roger de Bussy-Rabutin gerichtet. Doch 1658 stritt sie sich mit ihm.
Am 29. Januar 1669 heiratete ihre Tochter Françoise François Adhémar de Monteil, Comte de Grignan, einen Adligen aus der Provence, der zuvor zweimal verheiratet war, wobei Frau de Sévigné die Hoffnung hegte, daß dieser ein Hofamt von Ludwig XIV. in Paris erhalten werde. Das Paar wollte in Paris leben, aber Grignan wurde bald zum Gouverneurleutnant der Provence ernannt, was voraussetzte, dass sie dort leben. Sie war sehr betrübt zu erfahren, dass sich das Paar auf das Schloß Grignan an der Rhône zwischen Valence und Avignon zurückziehen mußte und schickte ihr am 6. Februar 1671 den ersten ihrer berühmten Briefe. Ihre Korrespondenz dauerte bis zum Tod von Frau de Sévigné. Bis 1673 wurden die Briefe von Frau de Sévigné kopiert und verteilt. Deshalb wusste sie, dass es sich bei ihren Briefen um halböffentliche Dokumente handelte und erstellte sie entsprechend.
Auch mit ihrem Sohn, dem Baron Charles de Sévigné, unterhielt sie eine lebhafte Korrespondenz. Da er aber wie der Vater leichtsinnig war und in seiner Jugend einen tollen Streich über den andern verübte, so machte er seiner Mutter vielen Kummer.
Im Jahr 1676 gab es mehrere wichtige Ereignisse im Leben von Frau de Sévigné. Zum ersten Mal war sie schwer krank und erholte sich nicht ganz, bis sie zur Genesung das Kurbad Vichy besucht hatte. Die Briefe, die das Leben in diesem Kurort aus dem 17. Jahrhundert darstellen, gehören zu ihren besten. Der Prozess und die Hinrichtung von Madame de Brinvilliers fanden im selben Jahr statt. Im folgenden Jahr, 1677, zog sie in das Hôtel Carnavalet und empfing dort die ganze Familie Grignan. Im Oktober 1678 kehrte sie in die Provence zurück. Am 17. März 1680 betrauerte sie François VI, Duc de La Rochefoucauld, Prince de Marcillac, der berühmteste und einer ihrer engsten Freunde. Der Anteil ihrer Notizen den wir für das Jahrzehnt 1677-1687 haben, ist viel kleiner als derjenige, der das Jahrzehnt vor ihm repräsentiert. Im Februar 1684 heiratete ihr Sohn Charles Jeanne Marguerite de Mauron aus der Bretagne. In den Vereinbarungen für diese Ehe teilte Frau de Sévigné ihr ganzes Vermögen unter ihren Kindern auf und reservierte für sich selbst nur einen Teil des täglichen Interesses.
1688 war die ganze Familie sehr aufgeregt über den ersten Feldzug des jungen Marquis de Grignan, des einzigen Sohnes von Frau de Grignan, der hervorragend ausgerüstet zur Belagerung von Philippsburg geschickt wurde. Im selben Jahr nahm Frau de Sévigné an der Saint-Cyr-Aufführung von Racine’s Esther teil, und einige ihrer amüsantesten Beschreibungen von Hofzeremonien und Erfahrungen stammen aus dieser Zeit. 1689 schrieb sie positiv über den Prediger Antoine Anselme.
Im Jahr 1693 gingen zwei ihrer ältesten Freunde verloren: ihr Cousin Roger de Bussy-Rabutin und Madame de La Fayette. Zwischen diesen beiden großen Autorinnen bestand nebst einer lebenslangen Rivalität auch eine familiäre Verbindung: 1650 heiratete die Mutter von Frau de La Fayette, damals verwitwet, Renaud de Sévigné, Bruder ihres Schwiegervaters. Eine weitere, fast ebenso intime Freundin, Frau de Lavardin, folgte 1694.
Im Jahre 1689 reiste sie zum letzen mal nach Les Rochers, um den folgenden, gesamten Winter auf ihrem Gut zu bleiben. Die Beschwerlichkeit der Reise dorthin, verhinderte, dass sie nochmals in die Bretagne zurückkehrte. Dagegen unternahm sie im Jahre 1694 trotz ihres Alters eine Reise in die Provence zu ihrer Tochter, deren Gesundheit sehr geschwächt war. Die trüben Verhältnisse des Hauses Grignan, dessen Vermögenslage die denkbar ungünstigste geworden war, brachten ihr jedoch nur Aufregung und Sorge, die ihr Dasein untergruben. Sie erkrankte an möglicherweise an einer Grippe oder Lungenentzündung und starb am 17. April in Grignan und wurde dort begraben. Ihre Tochter war während ihrer Krankheit nicht anwesend.
Frau de Sévigné korrespondierte fast dreißig Jahre lang mit ihrer Tochter. Eine geheime Ausgabe, die 28 Briefe oder Teile von Briefen enthielt, erschien 1725, gefolgt von zwei weiteren im nächsten Jahr. Pauline de Simiane, die Enkelin von Frau de Sévigné, beschloss, den Schriftverkehr ihrer Großmutter offiziell zu veröffentlichen. In Zusammenarbeit mit dem Herausgeber Denis-Marius Perrin von Aix-en-Provence veröffentlichte sie 1734-1737 614 Briefe, 1754 dann 772 Briefe die zu den wertvollsten Schätzen der französischen Nationalliteratur zählen. Außer an ihre Kinder schrieb sie an viele Freunde und Bekannte, z. B. an Bussy-Rabutin, der schon in den Jahren 1696 und 1697 seine Korrespondenz mit ihr veröffentlichte, obwohl die Schreiberin ihre Briefe keineswegs für die Öffentlichkeit bestimmt hatte.
Die Briefe wurden nach den Anweisungen von Frau de Simiane ausgewählt: Sie lehnte diejenigen ab, die sich zu sehr mit Familienangelegenheiten beschäftigten, oder solche, die schlecht geschrieben schienen. Die restlichen Briefe wurden oft dem Stil des Tages entsprechend umgeschrieben. Dies wirft die Frage nach der Authentizität der Schriftstücke auf.
Von den 1.120 bekannten Briefen sind nur 15 Prozent signiert, die anderen sind kurz nach dem Lesen zerstört worden. 1873 wurden jedoch einige frühe Manuskriptkopien der Briefe, die direkt auf den Originalen von Frau de Sévigné basieren, in einem Antiquariat gefunden. Diese machten etwa die Hälfte der Briefe an Frau de Grignan aus.
Die Briefe von Frau de Sévigné spielen eine wichtige Rolle im Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, von Marcel Proust, wo sie als Lieblingslektüre der Großmutter des Erzählers und nach ihrem Tod seiner Mutter gelten.
Der Reiz, den die Lektüre dieser Briefe gewährt, beruht zum guten Teil auf der originellen Persönlichkeit ihrer Verfasserin, die reich begabt und vielseitig gebildet, lebhaften Anteil an allem nahm, was sie umgab. Heiter, lebenslustig, eine glänzende Erscheinung, ihrer vornehmen Stellung bewußt und voll Selbstgefühl, dabei verständig, praktischen Sinnes und reich an Menschenkenntnis, erscheint sie als die beste Vertreterin der gebildeten Damenwelt im 17. Jahrhunderte. Der historische Wert der Briefe beruht jedoch vor allem auf dem Umstand, daß sie uns einen tiefen Einblick in das gesellschaftliche Leben und die geistige Bewegung jener Zeit gewähren. Namentlich fällt aus ihnen ein helles Licht auf die Geschichte der Bretagne im 17. Jahrhundert, das uns kein andres historisches Dokument ersetzen könnte.
Es ist daher erklärlich, daß die Franzosen mit wahrer Begeisterung von den Briefen der Marquise sprechen. So bemerkt Lamartine in seiner Schrift über die Sevigne: „On peut affirmer que cette bonne fortune d’avoir eu pour annalistes involontaires, une mère aussi émue que Mme de Sévigné et un satiriste aussi passionne que Saint-Simon a beaucoup contribue à l’intérêt et au retentissement de cette grande époque. La correspondance privée de Mme de Sévigné devient donc tout à coup une chronique de France. On y voit pass er en quelques lignes, en impressions successives, en anecdotes, en portraits, en confidences, en demi-mots, en reticences, en applaudissements et en murmures, mais on y voit passer tout vivant les évènements, les hommes, les femmes, les gloires, les hontes, les douleurs du siècle … c’est le tableau de farnille du 17me siècle.“
(Man kann sagen, dass eine so bewegte Mutter wie Madame de Sévigné …, wesentlich zum Interesse und zur Wirkung dieser großen Ära beigetragen hat. Die private Korrespondenz von Frau de Sévigné wurde plötzlich zu einer Chronik Frankreichs. Wir sehen, wie sie in wenigen Zeilen, in aufeinanderfolgenden Eindrücken, in Anekdoten, in Porträts, im Vertrauen, in halben Worten, in Zurückhaltung, in Beifall und Gemurmel durchläuft, aber wir sehen die Ereignisse, Männer, Frauen, Herrlichkeiten, Scham, Schmerz des Jahrhunderts…. es ist das Farinelli Gemälde des 17. Jahrhunderts.
Das Carnavalet-Museum bewahrt viele Gegenstände, die mit Frau de Sévigné, ihrer Familie und ihrer Zeit zu tun haben: Porträts, Autogramme, Möbel, wobei das wichtigste Stück ein lackierter Sekretär aus China ist, der zum Château des Rochers gehörte und die sogenannten „Bündniswaffen“ der Familien Sévigné und Rabutin trägt.
Gemälde von R. Nanteuil.
Quelle: Das Zeitalter des Dreissigjährigen Krieges (1600-1670). Allgemeines historisches Portraitwerk. München 1895. Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft vormals Friedrich Bruckmann. Nach den besten gleichzeitigen Originalen nach Auswahl von Dr. Woldemar von Seidlitz mit biografischen Daten von Dr. H. Tillmann und Dr. H. A. Lier.
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