Mittelalter. Großer Saal eines Schlosses.
MITTELALTER. 14. UND 15. JAHRHUNDERT.
TEIL DES GROSSEN SAALES EINES SCHLOSSES. – SITTEN DES ADELS. – DAS FUHRWESEN.
I. Häusliche Szene.
Diese Abbildung ist dem Manuscript des Froissart *) entlehnt. Sie stellt die Gefangennahme des Königs von Navarra und anderer Fürsten und Edlen durch Johann II., den Guten, König von Frankreich, im Schloss von Rouen am 5. April 1356 dar. Die Herren haben soeben an der einen Seite der schmalen Tafel Platz genommen und erwarten das Auftragen der Speisen von der andern freien Langseite her. Sie sitzen auf der in einzelne Sitze geteilten Ehrenbank mit Rücklehne und Fusstritt. Die Speisen stehen nicht auf dem Tisch, sondern werden in einzelnen Schüsseln zerlegt aufgetragen. Das untere Tischtuch aus Damastlinnen fällt bisweilen bis auf den Boden herab; das obere bedeckt nur die aus mehreren Einsätzen bestehende Platte. Der Wandteppich hinter den versammelten Edlen zeigt ein orientalisches Muster und scheint die Tür zu einem kleineren Kabinett für vertrauliche Unterredungen zu verdecken.
*) Jean Froissart (Altfranzösisch, Mittelfranzösisch Jehan, um 1337 – um 1405) war ein französischsprachiger mittelalterlicher Schriftsteller und Hofhistoriker aus den Niederlanden, der mehrere Werke schrieb, darunter Chroniken und Meliador, eine lange Arthurianische Romanze und einen umfangreichen Gedichtband, sowohl kurze lyrische Formen als auch längere narrative Gedichte. Seit Jahrhunderten gelten Froissarts Chroniken als der wichtigste Teil der ritterlichen Erneuerung der Königreiche England, Frankreich und Schottland im 14. Jahrhundert. Seine Geschichte ist auch eine wichtige Quelle für die erste Hälfte des Hundertjährigen Krieges.
Die Balkenlage der Decke ist sichtbar, der Fussboden aus emaillierten Fliesen zusammengesetzt. Die Kleidung ist die der Zeit des Malers, ungefähr während der Regierung Karls VII. 1)
Die Zeit des Mahles wurde durch Hornstösse angezeigt; man nannte das corner l’eau, weil man vor dem Niedersitzen Wasser zum Waschen der Hände herumreichte. Nach dem Essen spielte man Schach, Trictrac oder Würfel; dazu wurden Näschereien herumgereicht. Die Tafel wurde auseinandergenommen und fortgetragen, da der grosse Saal gleichzeitig als Festraum und Empfangssaal diente.
II. Das Fuhrwesen im Mittelalter.
Das Fuhrwesen des Mittelalters nimmt einen sehr langsamen Entwicklungsgang, da die schlechte Beschaffenheit der Wege dem Wagenverkehr entgegenstand. Es scheint weniger an antike, als an rein nationale Traditionen anzuknüpfen.
Nach den Kreuzzügen verbreitete sich der Gebrauch der Kutschen so schnell, dass Philipp der Schöne 1294 ein Edikt erliess, welches den Bürgerfrauen verbot, sich derselben zu bedienen. Unter Karl V. waren die Wagen für den Personentransport sehr selten, während die Karren in grosser Zahl verbreitet waren. Die erste Kutsche mit eingehängtem Wagenkasten scheint die der Königin Isabeau de Bavière (Isabella von Bayern 1370-1435) gewesen zu sein, die sich seit ihrem Einzug in Paris 1389 einer solchen bediente. Heinrich IV. hatte für sich und die Königin einen einzigen Wagen. Der Holländer Wilhem Boonen hatte den Gebrauch der hängenden Wagenkasten 1564 aus England importiert.
Der Karren der unteren Abbildung unserer Tafel, in welchem eine vornehme Dame sitzt, ist aus vergoldetem Holz; er ruht direct auf der Achse der Räder und ist durch ein rotes, lose über ein halbrundes Gestell geschlagenes Tuch gegen die Sonne geschützt. Das Gespann ist an eine Deichsel geschirrt und wird von einem reitenden Postillion gelenkt.
Die obere Abbildung zeigt gewisse Verbesserungen des Wagens. Der Wagenkasten ist von einem Bogengerippe mit Querstäben überspannt, das, an der Seite unterbrochen, durch eine Tür das Einsteigen gestattet. Der Wagentritt fehlt noch; er wurde erst im 16. Jahrhundert eingeführt. Die über das Bogengerippe gespannte rote Schutzdecke ist reich mit Gold gestickt. Die Scene ist dem Livius entnommen; sie stellt dar, wie Tullia über den Leichnam ihres Vaters fortfährt.
Abbildungen nach Miniaturen in den Chroniques von Froissart; in der Nationalbibliothek zu Paris und nach Tite-Live, 297-A in der Bibliothek der Sorbonne.
Vgl. Montfaucon, les Monuments de la monarchie française. – Viollet-le-Duc, Dictionnaire du mobilier. – Histoire des chars et carrosses, Paris.
Quelle: Geschichte des Kostüms in chronologischer Entwicklung von Albert Charles Auguste Racinet. Bearbeitet von Adolf Rosenberg. Berlin 1888.
1) Karl VII. (22. Februar 1403 – 22. Juli 1461), genannt der Sieger (französisch: le Victorieux) oder der Wohlhabende (französisch: le Bien-Servi), war von 1422 bis zu seinem Tod 1461 König von Frankreich, der fünfte aus dem Hause Valois.
Geboren im Hôtel Saint-Pol, der königlichen Residenz in Paris, erhielt Charles bei seiner Geburt 1403 den Titel comte de Ponthieu. Er war das elfte Kind und der fünfte Sohn von Karl VI. von Frankreich und Isabell von Bayern. Seine vier älteren Brüder, Charles (1386), Charles (1392-1401), Louis (1397-1415) und John (1398-1417), hatten jeweils den Titel des Dauphin von Frankreich (Thronfolger Frankreichs) erhalten. Alle starben kinderlos und hinterließen Charles ein reiches Erbe an Besitzrechten.
Mitten im Hundertjährigen Krieg erbte Karl VII. den Thron Frankreichs unter verheerenden Umständen. Die Truppen des Königreichs England und des Herzogtums Burgund besetzten Guyenne und Nordfrankreich, darunter Paris, die bevölkerungsreichste Stadt, und Reims, die Stadt, in der die französischen Könige traditionell gekrönt wurden. Darüber hinaus hatte ihn sein Vater Karl VI. 1420 enterbt und stattdessen Heinrich V. von England und seine Erben als legitime Nachfolger der französischen Krone anerkannt. Gleichzeitig tobte in Frankreich ein Bürgerkrieg zwischen den Armagnacs (Anhänger des Hauses Valois) und der burgundischen Partei (Anhänger des Hauses Valois-Burgund im Bündnis mit den Engländern).
Als sein Hof nach Bourges, südlich der Loire, verlegt wurde, wurde Karl abschätzig als „König der Bourges“ bezeichnet, da die Gegend um diese Stadt eine der wenigen ihm verbliebenen Regionen war. Seine politische und militärische Position verbesserte sich jedoch dramatisch mit dem Auftauchen von Johanna von Orleans (Jeanne d’Arc) die als spirituelle Führerin in Frankreich angesehen wurde.
Johanna von Orleans und andere charismatische Persönlichkeiten führten die französischen Truppen dazu, die Belagerung von Orléans sowie anderer strategischer Städte an der Loire aufzuheben und die Engländer in der Schlacht von Patay zu zerschlagen.
Nach der Zerstreuung der lokalen englischen Truppen wechselten die Einwohner von Reims die Loyalität und öffneten ihre Tore, was die Krönung Karls VII. im Jahr 1429 in der Kathedrale zu Reims ermöglichte.
Dieses lang erwartete Ereignis stärkte die französische Moral, als die Auseinandersetzungen mit England wieder aufgenommen wurden. Nach der Schlacht von Castillon 1453 hatten die Franzosen die Engländer aus all ihren kontinentalen Besitztümern vertrieben, mit Ausnahme der Pale of Calais.
Die letzten Jahre Karls VII. waren geprägt von Konflikten mit seinem temperamentvollen Sohn, dem zukünftigen König Ludwig XI. von Frankreich.
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