Österreich. Das bürgerliche Wohnhaus in Stadt und Land.
DAS BÜRGERLICHE WOHNHAUS IN ÖSTERREICH
VON HARTWIG FISCHEL – WIEN
MANCHE Grenzgebiete national verschiedener Ansiedlungsbereiche sind für das Studium des Bauwesens von großem Interesse. Die scharfen Gegensätze ausgeprägter Bautypen, welche in nationalen Traditionen, in klimatischen Verhältnissen wie in in der Beschaffenheit unserer Erdoberfläche beründet liegen, erfahren in den Grenzgebieten häufig eine Annäherung, eine Vermischung und Abschleifung, die in ihrer Besonderheit wieder ganz eigenartige, künstlerisch reizvolle Bildungen zeitigen können. Wie verschiedene Blütengattungen von besonderem Reiz durch Kreuzung entstehen, so bilden sich auch mitunter Bautypen sehr charakteristischer Färbung durch die Wechselwirkung nationaler Gegensätze.
Die österreichisch-ungarische Monarchie bietet für solche Studien reiche Gelegenheiten. Unsere Alpenländer bilden große Ländergebiete, in denen vom Norden her germanische, vom Süden romanische Einflüsse lebendig wirken. Diese dauernden lokalen Erscheinungen sind in früheren Jahrhunderten noch wesentlich verstärkt und weitergetragen worden durch die große Vorliebe der höheren germanischen Gesellschaftsschichten für romanische Kultur, durch Pilgerzüge, Romfahrten und Handelsbeziehungen. Große Heerstraßen, die vom Herzen Deutschlands nach Italien führten, durchziehen ein beträchtliches Stück der westlichen Provinzen Österreichs. Andrerseits bilden die slawischen und magyarischen Länder wichtige Gebiete besonderer Kulturentwicklung, in denen der Einfluß der älteren westlichen auf die jüngere östliche Kultur beobachtet werden kann. Der Zug der Völker vom fernen Osten nach dem Westen hat aber schon sehr häufig auch orientalische Einflüsse nach Österreich getragen, die in manchen Kronländern in Bauwerken bleibenden Ausdruck fanden.
Während nun naturgemäß das Wohnhaus der ländlichen Bevölkerung, das Bauernhaus, eine ausgeprägtere nationale Färbung behält, dem konservativen Sinn der Bewohner eine lange Konservierung einfacher alter Baugedanken verdankt, bleibt das vornehme Haus der obersten Gesellschaftsklassen am wenigsten unbeeinflußt, es nimmt zu gewissen Zeiten geradezu einen internationalen Charakter an, der zeitweilig einem verhältnismäßig raschen Wechsel ausgesetzt ist.
Zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich der Bautypus des bürgerlichen Wohnhauses, dem wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden wollen. Er besitzt durch seine Abstammung vom Bauernhaus öfter jenen Gehalt an Bodenständigkeit und Erbgesessenheit, der ihm ein typisches Gepräge verleiht, vermochte aber auch häufig fremde Einflüsse so weit zu assimilieren, daß die äußeren Einwirkungen fühlbar bleiben, aber nicht störend wirken.
Häuser in Marling, Tirol.
Und gerade diese Verarbeitung verschieden gearteter äußerer Einflüsse zu einem organischen Ganzen macht alte bürgerliche Bauwerke oft so interessant und lehrreich und fordert zur sorgfältigen Betrachtung heraus.
Sie zeigen darin den schärfsten Gegensatz zu den anspruchsvollen Bauwerken unserer Zeit, von denen sie überall verdrängt werden.
Während im XIX. Jahrhundert die Genauigkeit der Nachbildungen und damit die Unselbständigkeit der Erfindung ein Programmpunkt der Bautätigkeit wird und die Stilkopie zur Regel macht, wirkt in jenen älteren Zeiten der Einfluß fremder Bautraditionen ungleich schwächer und wächst selten über eine Anregung hinaus. Es wurden einst nur freie Bearbeitungen und selbständige Umdichtungen geboten, in Fällen, wo unsere Zeit eine wortgetreue Übersetzung verlangt.
Wenn wir die Grundmotive auf ihrer Wanderung durch die Monarchie verfolgen, so werden wir deutlich gewahr, wie sehr sich ihre Ausdrucksformen ändern, je weiter wir uns vom Ursprungsland fortbewegen. Wie endlich nur mehr Spuren vorhanden sind, die so schwach anklingen, wie Stimmen aus weiter Ferne.
Solche Erscheinungen fallen uns besonders auf, wenn wir von Trient über Bozen nordwärts ziehen bis zum Inn und dann zur Donau ostwärts wandern.
Platz in Kaltern, Tirol.
Folgen wir dabei den alten Handelsstraßen, so können wir zahlreiche Städte und Städtchen finden, die uns ein lebhaftes Bild vergangener Kulturperioden geben und das künstlerische Niveau des Haus- und Städtebaues jener Zeiten in sehr vorteilhaftem Licht erscheinen lassen. Nicht nur die größeren, an der Heerstraße gelegenen Hauptorte der Provinzen wie Bozen, Innsbruck, Salzburg, Linz kennzeichnen grundverschiedene Formen eigenartiger Städtebilder, guter Hausbauten, in noch höherem Maß weisen viele kleinere, etwas abseits gelegene, aber doch als Stätten alten Gewerbefleißes oder als Knotenpunkte des Handels und Verkehres einst wichtige Orte ein wohl erhaltenes, reizvolles Gepräge auf. Sterzing, Brixen, Hall, Schwaz in Tirol oder Waidhofen, Wels, Steyr in Oberösterreich und noch viele andere Städte und Städtchen, unter denen manche noch ihrer „Entdeckung“ harren, überraschen durch die Geschlossenheit und Eigenart ihrer Bauweise und verdanken besonders dem bürgerlichen Haus einen hohen Reiz. Mit der Verschiebung der Verkehrswege, mit der Änderung der Produktionsmittel haben sich die sozialen Bedingungen oft so umgestaltet, daß wir heute nur mehr durch die Tradition von dem einstigen Leben Kenntnis erhalten, wir finden sehr oft Epigonen, denen auch das Verständnis für den künstlerischen Wert ihres ererbten Besitzes gänzlich fehlt.
Darum kann nicht oft genug auf den Wert und die Bedeutung dieser Kunst- und Kulturdokumente hingewiesen werden, deren rapides Schwinden einen so großen Verlust bedeutet, für deren Erhaltung und Würdigung eine lebhafte Agitation nötig ist. In allen größeren Städten ist an monumentalen Werken für profane und kirchliche Zwecke sehr leicht der auswärtige Einfluß nachzuweisen.
Platz in Kaltern, Tirol.
Kirchliche und weltliche Machthaber beriefen in früheren Zeiten ihre Baukünstler sehr häufig aus fremden Ländern; zuerst war Deutschland, später Italien in der Regel die Bezugsquelle dieser Schützlinge. Da auch in kleineren Orten sehr häufig ein Schloß, ein Kloster oder ein Kirchenbau den Kern der Anlage bildete, sind solche fremde Einflüsse begreiflicherweise mitunter tief in die Provinzen eingedrungen.
Wo aber der Bürgerstand deutlich zum Worte kam, hat er sein Selbstbewusstsein kräftig betont und neben die vornehmen Äußerungen raffinierter Lebensbedürfnisse und gewählten Geschmackes seine einfacheren Wohnstätten unbekümmert und mit kluger Beschränkung auf seine eigenen Mittel hingestellt. Die Eitelkeit unserer Zeit, die den Bürger so oft zur Nachahmung höherer Gesellschaftsklassen antreibt, wenn auch die Mittel nicht reichen, ist eine der vielen Triebkräfte, die zur Charakterlosigkeit im Bauwesen geführt haben, die das Surrogat an die Stelle echten Baumaterials, die Imitation an die Stelle eigener Empfindung gedrängt haben.
Wohltuend und überzeugend wirken dagegen die Zeugen alter bürgerlicher Baukunst, in derem anspruchslosen Gepräge so viel weise Beschränkung und selbstbewußte Kraft liegt, so viel Zusammengehörigkeitsgefühl und Zielbewusstheit, daß die Gesamterscheinung fesselnd und die Einzelleistung abwechslungsreich bleibt.
Straße in Kaltern, Tirol.
Daß trotz der zahlreichen lokalen Unterströmungen, nationalen Traditionen und Pressionen von oben, die Eigenart sich auswachsen und entwickeln kann, zu geschlossenen Charakteren gesteigert wird, ist eine sehr beachtenswerte Erscheinung. Betrachten wir die Zustände des bürgerlichen Bauwesens im Süden Tirols, so bieten sich vielfach die Beweise für das oben Gesagte. Als typisch mag hier die Bozener Gegend hervorgehoben werden.
Es ist ein fruchtbares Weinland, dessen Bewirtschaftung einst großen Wohlstand erzeugte. Die Nähe Italiens und das südliche Klima des weit geöffneten Talkessels sind dem Einfluß welscher Baukunst entgegengekommen. Der durchziehende lebhafte Handelsverkehr hat die Gelegenheiten gemehrt. Hat aber noch Trient einen ganz ausgesprochenen italienischen Charakter, so tritt in Bozen und seiner Umgebung sichtbar eine Umwandlung auf. In der Grundrissbildung herrscht wohl der umbaute Hof vor, der schon im antiken niedrigen Hause Italiens und Griechenlands zur Kunstform entwickelt war und von den Baukünstlern der Renaissance für die mehrstöckigen Palastbauten ausgebildet wurde. Dieser Hof erfährt aber eine eigenartige Umbildung zu geschlossenen, mit Lichthauben von oben beleuchteten Binnenräumen, die in kleineren Häusern ganz die Aufgaben der nordischen Diele erfüllen.
Auch in der Bildung der Wohnräume äußern sich nordische Sitten und Bedürfnisse, indem Erker und hölzernes Wandgetäfel die Wohnlichkeit und Intimität steigern; diese Freude an der Ausbildung des behaglichen Innenraumes charakterisiert das südliche Tirol sehr vorteilhaft; zahlreiche Wirtstuben und Wohnräume geben ein höchst abwechslungsreiches Bild intimer Dekorationskunst und viele Bauern wohnen heute dort in Räumen, deren sich auch ein Vornehmer unserer Großstadt erfreuen würde. Der große Wohlstand, durch den Handelsverkehr und den Weinbau hervorgerufen, drückt sich in einer ganz lokalen, heiteren und dabei künstlerisch eigenartigen Weise aus. Nach außen wirken natürlich diese Grundrissbildungen lebhaft nach.
Straße in Sterzing, Tirol.
Die Erker, oft an die Ecke gesetzt und übereinander gereiht, geben zu schlanken Türmchen oder vorwiegend zur Belebung der großen ruhigen Putzflächen Veranlassung und eine steilere Dachneigung begünstigte bewegtere Dachformen. Auch die Laube oder Arkade, der nordische Bruder der Loggia, fehlt nicht bei der Belebung des Straßenbildes, sie hat ja auch für Handel und Verkehr ihre große Bedeutung, erfährt aber eine charakteristische Vereinfachung. Eine besonders lebendige Ausbildung erhielten viele Häuser in den Ortschaften St. Michael und St. Paul, zusammen Eppan genannt. Hier hat sich das Motiv der Loggia in Verbindung mit Erkern sehr verbreitet und in freistehenden Bauten von südlich lebhaftem Gepräge den Ausdruck des wohnlichen Behagens geschaffen, der einer lebensfreudigen Zeit entsprang.
Die sehr zahlreichen Reste von starken Burgen, die überall dort zerstreut sind, erinnern an die harten Fehden des Rittertums im Mittelalter, sie bilden einen sprechenden Gegensatz zur offenen Bauweise der späteren Tage, in denen das Bürgertum immer mehr zur Selbständigkeit heranwuchs.
Sehr interessant ist es auch, zu sehen, wie die formalen Elemente der italienischen Renaissance durch Säulen und Bogenfenster mitsprechen. Sie vermählen sich in sehr naiver Weise mit dem mittelalterlichen geschlossenen Erker, mit Vorkragungen und Giebeln. Sie vertragen die Nachbarschaft von Zinnen und einfachen Spitzdächern oder Walmen und machen nirgends den Eindruck von fremden Elementen, sondern den organischer, mit Bedürfnissen übereinstimmender Bauformen. Ihre Formgebung ist so einfach, die Verwendung als eine nicht ornamental, sondern konstruktiv begründete Form stets so richtig, daß sie aus dem allgemeinen Charakter entsprungen erscheinen.
Straße in Sterzing, Tirol.
Wie ganz anders wirkt es, wenn wir bei einer modernen „Villa“ Renaissanceformen „angewendet“ sehen. Man empfindet, daß der Grundrissbildung, dem Aufbau, den baulichen Hilfsmitteln Gewalt angetan werden muß, damit dieses oder jenes Motiv Platz findet, damit die Ähnlichkeit mit gewissen „Vorbildern“ erreicht wird. Und oft ist reiches ornamentales Detail zu finden, das in einer Surrogattechnik „nach berühmten Mustern“ äußerlich angefügt ist, wo im Grunde jedes Ornament überflüssig und störend wirkt. Für den gewöhnlichen Bau waren die reichsten und höchsten Beispiele alter Kunstfertigkeit gerade gut genug und die reinsten und edelsten Bildungen der bedeutenden Künstler gerade passend, um mit ganz unzulänglichen Mitteln zum Aufputz ausgebeutet zu werden.
Wir fühlen die fremden Federn im modernen Baugewand sofort. Bei jenen naiveren, aber auch natürlicheren alten Bauten in und um Bozen denkt man nicht an fremden Ursprung von Formen, man hat nur das beruhigende und befriedigende Gefühl geschmackvoll erfüllter Bedürfnisse und schöner Zweckmäßigkeiten.
Straße in Klausen, Tirol.
Die kleineren Städtchen, wie Sterzing, haben noch den mittelalterlichen Geist deutlicher erhalten und die Straßenbilder mit den dicht gereihten Erkerbauten, den weitvorragenden Innungszeichen in der prächtigsten Schmiedearbeit, den Torbauten, die das Straßenbild schließen, machen einen ungemein fesselnden Eindruck.
Das blendende Weiß der Putzfläche, zarte Steintöne, stellenweise eingeritztes Sgraffitto oder auch kecke bunte Bemalung charakteristischer Bauteile kennzeichnen die südliche Art, und die Geschlossenheit und Enge des Straßenzuges weisen auf das Bedürfnis des Zusammenschließens, der Abwehr nach außen hin, wie es unruhige Zeiten hervorrufen.
Je weiter wir nach dem Norden ziehen, desto seltener wird der reine Steinbau und desto häufiger tritt das Holz auf, das dem bewaldeten Gebirge entstammt. Aber gerade dieser Mischung von weißem Putzbau und dunklem Holzbau entstammen oft besonders glückliche Wirkungen.
Stets ist auch der Gebirgscharakter der Umgebung in der Straßenführung berücksichtigt, auf den formalen Schmuck von Einfluß. Mit Recht berühmt ist die Maria Theresien-Straße in Innsbruck durch die glänzende Art, in der ein Ausblick auf die herrlichen Bergrücken im Straßenbild zur Geltung gebracht ist. Es ist kein vereinzeltes Beispiel. Hier ist auch der italienische Einfluß noch mehr verdrängt, der Putzbau in noch freierer Weise ausgebildet. Den Silhouetten sind sehr bewegte Turmhelme geschickt eingefügt. Welche Bedeutung gute Turmbildungen für das kleinere Stadtbild haben, zeigt unter anderem auch das altertümliche Hall.
Häuser in Eppan, Tirol.
Sehr alte Türme sind oft in späteren Zeiten neu bedacht worden, ohne daß stilistisch historische Grundsätze in den Vordergrund traten. Künstlerisches Empfinden im Geiste der eigenen Zeit hat einst viel besser das Richtige gefunden.
Steilere Dächer, Giebelbauten werden im Osten und Norden häufiger und entfernen den baulichen Ausdruck immer mehr vom südlichen Charakter.
Österreich besitzt noch einen zweiten wichtigen Verbindungsweg mit dem Süden, der von der Adria über Laibach und Graz nach Wien führt. Wenn auch die Karstländer zumeist keine so dichtgereihten alten und ehemals wohlhabenden Stätten bürgerlicher Kultur besitzen, so ist wohl andrerseits gerade einer gewissen Abgeschlossenheit gegen den Norden der ausgesprochen südliche Baucharakter vom Küstenland, von Istrien und Dalmatien zuzuschreiben.
„Zinnenburg“ in Eppan, Tirol.
Ragusa (das heutige Dubrovnik) hat als aristokratisch republikanische Stadt eine Sonderstellung. Zara, Sebenico, Spalato haben mehr bürgerliches Gepräge. Der reizvolle Charakter der einfachen Hausbauten an den nördlichen Ufern der Adria, an denen der Weinbau vorherrscht und der vielfach vorhandene Stein ein ausgezeichnetes Material selbst den einfachsten Bauten zur Verfügung stellt, soll hier hervorgehoben werden. Wer jemals die so charakteristischen Straßen und Plätze von Lovrana, Ika, Volosca, gewisser alter Teile von Fiume, Triest und Görz gesehen hat, weiß, daß man nicht bis an die südlichsten Grenzen der Monarchie zu wandern braucht, um typisch südliche Eindrücke zu empfangen.
Besonders für die Anpassung an stark bewegtes Terrain, für das Benutzen von Terrassenbauten zu reizvollen strengen Gartenanlagen, für die einfachsten Anwendungsformen von Stein und Holz zur Vigna und Pergola ist hier viel Liebe und Geschmack aufgewendet worden. Auch hier brennt südliche Sonne, auch hier walten südliche Lebensformen und italienischer Einfluß, aber auch slawische Elemente geben ihren Einschlag, in Dalmatien treten sichtlich türkisch-orientalische dazu und so haben wir es wieder mit
einer ganz eigenartigen Bautätigkeit zu tun, die von der Südtiroler sehr weit entfernt ist. Was aber der wachsende Verkehr an Proben unseres modernen städtischen Bauverstandes hinuntergetragen hat, das wirkt dort wie hier zumeist als Barbarei neben der eingeborenen, alten Kunstempfindung.
Der Karst hat ein stärkeres Bollwerk gebildet als die Tiroler Alpen. Längs Eisak und Etsch sind südliche Einflüsse weiter nordwärts gedrungen wie längs der Drau und Mur. Aber auch Steiermark, Kärnten und Krain weisen vielfach Zeugen dafür auf, daß im Bauwesen viele Wege nach Rom führen und von dort zurück.
Haus bei Bozen, Tirol.
Die Säulenhöfe von Spital an der Drau und Millstatt sind Beispiele alter und ältester südlicher Einflüsse; wir können die Freude an solchen Bildungen bis nach Wien verfolgen, wo Arkadenhöfe von ganz italienischem Aussehen bis vor kurzem keine Seltenheit waren. Auf diesen Wegen begegnen wir neben dem fremden so manchem heimischen baulichen Element, das für die bürgerliche Baukunst wichtig ist. Sind wir einmal im Bereich des steilen Daches angelangt, so werden wir seine Herrschaft weit verbreitet sehen.
Während in Tirol und Salzburg der flache Holzgiebel mit oft sehr reizvollem Schnitzwerk an den vorkragenden Konstruktionsteilen vom Bauernhaus übernommen wird, um dem Bürgerhaus einen schützenden Aufbau zu geben, spielt das steilere Giebeldach des steirischen und kärntnerischen Hauses bis nach Nieder- und Oberösterreich eine ähnliche Rolle. Manchmal zeigt sich wohl auch ein Bemühen, die Herkunft vom Bauernhaus zu verbergen und dem städtischen Marktplatz oder der Hauptstraße ein stattlicheres Gepräge zu geben.
- Hof in Spitz a. D.
- Platz in Waidhofen an der Ybbs.
- Platz in Teltsch.
- Wien, Hof in der Ottakringerstraße.
Dies führte namentlich im 17. und im 18. Jahrhundert zu einem naiven Auskunftsmittel. Man führte die Frontmauern unbekümmert um das dahinterliegende steile Satteldach bis nahe zum First in der ganzen Breite der Hausfront blind weiter, gab ihr einen horizontalen, oft sehr lebendig gegliederten Abschluss und nur der hie und da unvermeidliche seitliche Einblick zwischen zwei Häusern enthüllt den Umstand, daß das letzte Geschoss ein blindes ist. Auch große Öffnungen für die Dachrinnen verraten indiskret den unkonstruktiven Vorgang; daneben stehen oft unvermittelt prächtige alte Giebelhäuser, wie in Steyr, die den konstruktiven Ernst des mittelalterlichen Hausbaues zur Schau tragen.
Straße in Ötz, Tirol.
Gerade die zuletzt erwähnten Bauwerke, es sind wohl nicht mehr viele solche erhalten, verkörpern so recht eine sehr weit zurückreichende Bautradition, die sich bis in unsere Zeit festgesetzt hat. Es sei hier gestattet, an die Giebelhäuser zu erinnern, die erst kürzlich in einer Besprechung des deutschen Fachwerkhauses gezeigt wurden. Wie groß ist der Unterschied in der Behandlung derselben Aufgabe südlich und nördlich der Donau!
Und doch wie deutlich zeigen die so sehr verschiedenen Baucharaktere das Walten einer gesunden konstruktiven und ästhetischen Tradition. Dort hat das Holz in Verbindung mit spärlichem Mauerwerk, hier der Haustein in Verbindung mit größeren Putzflächen und wenig Holz so charakteristische Formen angenommen, daß auf dem kleinen Raum einer schmalen Giebelfront der volle Ausdruck handwerklicher Tüchtigkeit und liebenswürdigen lokalen Kunstempfindens erreicht werden konnte.
Die schmalen Säulenhöfe in Steyr, die trotz der Enge des Bauplatzes die Liebe zu luftigen Lauben betätigen, zeigen nicht geringere Vorzüge, wie die durch Vorkragungen und Erker belebten Fronten. Wir sehen die Freude am Bilden und Schaffen am Werk, das jedes von auswärts übernommene Motiv veränderten Lebensbedingungen und Raumverhältnissen anpaßt und echt handwerklich mit den Mitteln des vorhandenen Baumaterials, hier des Steines und Putzes, abwechslungsreich ausdrückt.
Nirgends akademische Strenge, nirgends störender Einfluß von Lehrbüchern oder bindenden Vorbildern. Jede Säule erhält ihren besonderen materialgerechten Schmuck, jede Konsole den strengen einfachen Schnitt, der dem speziellen Zweck entspricht. Und die einfache oder reichere Fassadengliederung trägt immer den von innen nach außen wirkenden Bedürfnissen ohne Tyrannei der Symmetrie Rechnung. Der große, einfache, umrissene, steile Giebel mit dem hohen „Schopf“ ,der Abwalmung des Daches, wirkt in der Nebeneinanderreihung so lebendig wie stattlich im Einzelbild.
Wohnhaus am Stadtplatz in Steyr.
Sehr eigenartig ist oft dem Bedürfnis Rechnung getragen, dem Innenraum auch seitliche Ausblicke auf die Straße zu gestatten. Man benutzte dazu kleine Vorsprünge in der Straßenflucht, die durch Abschrägung oft gemildert wurden. Das pedantische Einhalten geradliniger Baufluchten ist dem alten Hausbau fremd und zahlreiche reizvolle Zufälligkeiten verdanken diesem Umstand ihr Entstehen.
Es trägt immer viel zur packenden Wirkung eines Baues bei, wenn wir seine Gestaltung aus den ganz speziellen Bedingungen der Örtlichkeit hervorgehen sehen und so den Eindruck des an Ort und Stelle Gewachsenen empfangen. Dadurch, daß gewaltsame Niveauregulierungen früher selten waren, daß die Ausführung nicht nach so detaillierten Baurissen erfolgte wie heute, sondern dem Bilden im großen durch den Einfall an Ort und Stelle mehr Spielraum gelassen wurde, daß das entwickelte Handwerk dem Ausführenden eine gewisse Selbständigkeit einräumte, durch alle diese Umstände entstand eine Beweglichkeit der Ausdrucksformen, selbst bei aller einfachsten Ausdrucksmitteln, der wir den malerischen Reiz alter Städtchen und ihre Individualität verdanken. Bis in die Nähe der Großstadt sind diese Grundsätze noch vor kurzem wirksam gewesen und ein Streifzug. durch die nähere und weitere Umgebung Wiens bietet noch immer, aber leider nicht mehr lange, reiche Gelegenheit zum Studium.
Mesnerhaus am Körnermarkt in Krems.
benso wie wir die früher oft so verächtlich von oben herab angesehene kleine Provinzstadt in künstlerischen Dingen immer mehr mit Respekt behandeln lernen, verdienen die alten Vororte und Vorstädte Wiens eine ganz andere Wertschätzung als ihnen bisher zu teil wurde.
Auf zweien von den vielen zur Residenz führenden Verkehrslinien läßt sich die Erhaltung alter Bautypen und Stadtbilder bis in das Weichbild Wiens besonders deutlich verfolgen. Die oberösterreichische Tradition zeigt sich auch längs der Donau lebendig, an deren Ufern im Weinland der Wachau sich besonders reizvolle und individuell belebte Städtchen und Ortschaften in dichter Folge entwickelt haben.
Von Linz bis Krems ist eine Fülle anregender malerisch reizvoller aber auch konstruktiv interessanter Hausbauten, Platz- und Straßenbilder zu finden; sie setzen sich, wenn auch nicht immer ganz unberührt, über Klosterneuburg bis Nußdorf fort, wo die bodenständigen Zeugen heimischen Hausbaues gerade jetzt von den Vorposten hauptstädtischer Bauspekulation verdrängt werden.
Nicht selten sind an den alten Bauten mittelalterliche Anklänge zu finden, besonders wo sich eine konstruktive Behandlung des Steines vorfindet; das Vorkragen von Stockwerken, das zur Schonung der Straßenbreite oft geübt wird, der steile Giebel mit bäuerlich einfacher Holzverkleidung bleiben überall eingebürgert. Daneben zeigen Höfe mit Lauben, Dielen mit gut eingebauten Stiegenanlagen das Bestreben, einer Abgeschlossenheit nach außen – Gemütlichkeit im Innern entgegenzusetzen.
Die Weinlauben, die offenen Treppen und Gänge geben den Anlagen nicht selten ein südliches Gepräge, das in den sonnigen Jahreszeiten die heiterste Stimmung hervorruft. Hat sich doch auch in Wien noch das Recht des Ausschankes von Wein den Besitzern von Grundstücken erhalten, die im ererbten alten Hause in gemütlichen, von den Vorfahren mit Geschmack und Geschick angelegten Höfen und Gärtchen zeitweilig ihre Gäste mit Eigenbauwein bewirten.
Wien, Wohnhaus in der Badgasse.
Ebenso unter dem Zeichen des Weinbaues stehend, sind, längs der Straßenverbindung mit Triest bis nahe an Wien anziehende alte Stadtbilder erhalten; Gumpoldskirchen, Mödling, Perchtolsdorf sind die bekanntesten unter den nächsten; sie haben besonders in Höfen mit Arkadenanlagen typische Bilder von sehr charakteristischer Färbung aufzuweisen. Im Äußeren hat häufig die Barockzeit eine gewisse Uniformierung hervorgerufen, die weit entfernt davon, unkünstlerisch zu sein, doch beträchtlich abweicht von der unbekümmerten konstruktiven Ehrlichkeit älterer Perioden. Dem XVIII. Jahrhundert ist ja hauptsächlich jene Fälschung des Frontbildes zuzuschreiben, die mit blinden Aufbauten wirkt. Der Putzbau und seine freie Ornamentik entschädigen oft durch frische Einfälle für das, was an der organischen Berechtigung gesündigt wurde. Er gestattet auch hie und da durch Färbelung in hellen aber mannigfaltigen Tönen größeren Fronten und Platzbildern Leben zu geben.
Verfolgen wir diese Erscheinungen bis in die slawischen Gebiete nördlich und östlich von der Residenz, so sehen wir die Neigung zur Farbe immer stärker hervortreten; es ist dies wohl auch ein Vermächtnis des Bauernhauses und seiner bunten Einrichtung, deren charakteristische althergebrachte Ornamentik noch für das Bürgerhaus wertvoll bleibt.
Es würde uns hier aber zu weit vom Thema abführen, wenn wir weiter nach Norden und Osten vordringen wollten. Diese großen und alten östlichen Kulturgebiete haben vielfach ihre eigene Sprache im Bauwesen geführt. Doch so nahe sie auch geographisch an die Residenz heranrücken, für die bauliche Äußerung des Bürgerhauses derselben besitzen sie nicht die maßgebende Bedeutung der südlichen Traditionen und tatsächlich zieht auch hier die Donau eine deutliche Grenze.
- Wien, Hof am Ulrichsplatz.
- Wien, Gartenseite des „Bäckenhäusels“ in der Waisenhausgasse.
- Wien, Hof in der Matzleinsdorferstraße.
- Wien, Gartenfassade in der Nikolsdorferstraße.
Es soll vielmehr noch Aufgabe dieser Zeilen sein, an der Hand der beigegebenen Abbildungen jene reizvollen Bildungen näher zu beleuchten, die in den alten Vorstädten Wiens ihrer raschen Zerstörung entgegengehen. Wir befinden uns dabei im natürlichen Anschluß an die Bautätigkeit der südlichen und westlichen Provinzen, so sehr auch der Großstadtehrgeiz diese Verwandtschaft zu ignorieren trachtet. Gar mancher Bau, der in unseren Vorstädten ein vereinsamtes Dasein fristet, läßt heute noch erkennen, wie nahe verwandt der alte Baucharakter Wiens mit dem heute noch erhaltenen Typus der Provinzstädte war. Im großen und ganzen lassen sich jene zwei Hauptströmungen auch in Wien nachweisen, die wir bereits gekennzeichnet haben.
Wien, Haus zum Elephanten (ehemals Kärntnerstraße 47).
Die mittelalterliche Zeit steht mehr mit dem germanischen Norden, die Renaissance- und Barockzeit mehr mit dem romanischen Süden in Kontakt; das gilt vor allem von der monumentalen Bautätigkeit; es hat aber in beschränkterem Sinne auch von der bürgerlichen Hausbaukunst zu gelten, in der zeitweilig diese Strömungen miteinander oder nebeneinander einhergingen.
Wir besitzen alte Darstellungen, wie eine Ansicht Wiens vom Jahre 1483 auf dem Babenberger Stammbaum in Klosterneuburg, den Wolmuetschen Plan von 1547, den Hufnagelschen Vogelperspektivplan von 1609, durch die sehr interessante Einblicke in das alte bürgerliche Bauwesen möglich sind.
Auch beschreibende Darstellungen von Zeitgenossen, wie die Schilderung von Aeneas Sylvius Piccolomini (dem späteren Papst Pius II.) aus der Mitte des XV. Jahrhunderts (1451) oder der Lobspruch des Schulmeisters Wolfgang Schmelzel von 1548 haben sich erhalten.
Aus ihnen erfahren wir, daß das Bürgerhaus auch in Wien zumeist nur über schmale und tiefe Bauplätze verfügte, wie das deutsche, daß nicht mehr als zwei Stockwerke (Gaden) üblich waren und steile Dächer, die vielfach nur mit Holz und seltener mit Ziegeln eingedeckt waren, ihre hohe Giebelseite nach der Straße zukehrten. Die Fenster waren nicht regelmäßig, sondern nach dem Bedürfnis verteilt und machten oft Erkern Platz. Die innere Ausstattung war vielfach reich und kostbar, war doch Wien ein durch zahlreiche Handelsprivilegien geschützter Stapelplatz orientalischer sowie occidentaler Waren. Beide genannten Erzähler berichten, daß die Häuser von innen und außen bemalt waren und einen prächtigen Eindruck machten. Weite Kellerräume trugen der damals sehr großen Bedeutung des Weinhandels Rechnung; aber auch Wirtschaftshöfe sind noch ein häufiges Requisit der Anlagen und Gärten keine Seltenheit. Laubengänge an Plätzen und Hauptstraßen, denen auch ein sehr bewegtes Volksleben eigen war, belebten das Stadtbild.
Wien, Wohnhaus auf der Mölkerbastei.
Der Steinbau gab das Gepräge. Wir wissen, daß Wien eine der bedeutendsten Bauhütten des Mittelalters besaß und der häufige Zuzug deutscher Steinmetze und Maurer wird auf den Baucharakter des Bürgerhauses nicht ohne Einfluß geblieben sein.
Charakteristisch für das Wiener Bauwesen ist das fast gänzliche Fehlen sichtbarer Äußerungen der Renaissancezeit, die ja in Wien unter dem Zeichen der Türkenfurcht, großer Befestigungsbauten und wirtschaftlicher Einschränkungen stand. Auch die Anlage der Stadt, des engen befestigten inneren Kernes und der konzentrisch gelagerten dorfartigen Vororte ist hier von Bedeutung gewesen. Die wiederholte Zerstörung dieser äußeren Wohnstätten durch Feindeshand ließ dort nur sehr wenig an ältesten Urkunden übrig.
Nach dem Verschwinden der äußeren Gefahren folgte eine Blütezeit des Bauwesens, aber ihre treibende Kraft liegt später in den höheren Gesellschaftsklassen. Wien wurde Residenzstadt, Sitz des Adels und der Geistlichkeit und erhält seine innere Umgestaltung namentlich unter der Herrschaft monumentaler Ambitionen. Es kam die Zeit der italienischen Einflüsse, der Romfahrten aller Baukünstler heimischer Abstammung, der Einwanderung italienischer Künstler.
Aber auch diese Zeit war dem Bürgerhaus günstig. Der heimische Baukünstler setzte die traditionelle Form des Giebelhauses, den Erker in freierer Gestalt in sein Recht und verstand durch beweglichen Putzbau eine Anpassung an das monumentalere Stadtbild zu erzielen; viele Reminiszenzen an mittelalterliche Gesellschaftseinrichtungen, an das zünftige Handwerk, an die Handelsinteressen und religiösen Übungen finden sich im barocken Wohnhaus erhalten und dem Rahmen des dekorativen Schmuckes glücklich eingefügt.
Wien, Hofansicht aus der Neubaugasse.
Erst das XIX. Jahrhundert hat dieser Fortsetzung der alten Überlieferungen ein Ende bereitet. Sein Beginn war für das Bürgerhaus wertvoll; sein Verlauf allen eingebornen Traditionen tödtlich. Der internationale theoretisch wissenschaftliche Zug der Zeit war bemüht, einen künstlerisch befriedigenden Ausdruck der gesteigerten Ansprüche zu finden. Das rapide Wachsen des Verkehrs, die rasche und einschneidende Änderung der Bedürfnisse verhinderte aber eine stetige und ruhige Weiterentwicklung. Konsortien traten an die Stelle des Einzelbürgers, das Zinshaus mit Palastfassade verdrängte das Wohnhaus.
Große Flächen gelangten mit einem Schlag zur Verbauung, Straßen- und Niveauregulierung gründlicher Art kamen an die Tagesordnung. Die Surrogattechnik und maschinelle Erzeugung der Hilfsmittel gelangte zur Herrschaft. Die ehrlichen Bestrebungen hervorragender Künstler, einsichtiger Kunstfreunde, dem bürgerlichen Wohnhaus seinen Boden zu retten, sind fast gänzlich wirkungslos geblieben; erst in allerjüngster Zeit hat die Ausdehnung entwickelter Verkehrsmittel bis an die Peripherie der Stadt das Interesse wohlhabender Kreise vom Zinshaus wieder etwas abzulenken und dem Einzelwohnhaus zuzuwenden begonnen. In dieser Zeit ist das Wiener Vorstadthaus wieder entdeckt worden.
Wien, Fechtergasse.
Ermüdet von dem falschen Prunk, den unwohnlichen Grundlagen der Mietskasernen, hat man dem bescheidenen, wenig beachteten kleineren Haus wieder Beachtung geschenkt, das für sehr einfache Lebensbedingungen doch einen künstlerisch entwickelten Ausdruck fand, dem eine lokale Färbung innewohnt. Man ist, abgestoßen vom internationalen Treiben der Bauspekulation, welche die Baubestrebungen der ganzen Welt und aller vergangenen Kunstepochen ausbeuten wollte, um immer neue Sensationen bereiten zu können, endlich wieder zur Wertschätzung einer natürlichen Einfachheit gelangt, die Spielraum für individuelle Färbung in engeren Grenzen bietet.
Die eigentümliche Anlage Wiens, in der eine deutliche räumliche Trennung und ein ausgesprochen ländlicher Charakter der Vorstädte noch in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts begründet war, hat diesen Stadtteilen ein individuelles Leben bewahrt. Es finden sich neben regelrechten Sommersitzen sehr zahlreiche Wohnhäuser, die der aufblühenden Industrie einer Zeit, in der das Handwerk noch seinen goldenen Boden hatte und der Großbetrieb noch keine Bedingung der Lebensfähigkeit industrieller Unternehmungen bildete, ihr Leben verdanken. Da war eine Liebe zum Heim noch tätig, ein Stolz auf den häuslichen Besitz, der Wohnlichkeit und Behagen hochhielt, und eine lokale Tradition weiter pflegte.
Allmählich gingen die Formen der Barockzeit in die klassizistischen der Kongresszeit über. Die alten Motive des Hofhauses blieben lebendig und erhielten eine typische Ausbildung. Die meist ein- bis zweistöckigen Bauten, die der Straße zu häufig im Dachgeschoß einen mittleren Aufbau tragen, zeigen Architekturformen, di immer einfacher und ruhiger werden, aber doch einer sinnvollen Plastik, einem Schmuck durch Gitterwerk, Hauszeichen, geneigt bleiben.
Der Grundriss besteht in der Regel aus einem schmalen, doppelten Gassentrakt und einem oder zwei nach der Tiefe gehenden einfachen Hoftrakten, in denen häufig noch Arkaden, freie Gänge, offene Stiegenhäuser lebendig wirken. Der schmale, aber tiefe Hofraum, der nicht selten durch den Hausbrunnen ein Schmuckstück erhielt, ist gegen einen kleinen Garten zu durch ein Gitter oder durch Mauerwerk mit Gittertor abgeschlossen; der Ausblick in das Gärtchen, gewöhnlich eine rechteckige Verlängerung des Hofgrundstückes, bildet eine Zierde der Anlage.
- Wien, Hof am Ulrichsplatz.
- Wien, Hof mit Laubengängen am alten Fleischmarkt.
- Wien, Hof aus der Pfarrgasse.
- Wien, Hof aus der Stiftgasse (Amerlings Geburtshaus).
Meist liegt auch das Haustor so, daß man nach dem Durchschreiten des gewölbten Hausflurs den schönsten Durchblick genießt. Die offene Hofbildung ist oft dem Pflanzenwuchs günstig, der mit dichtem Grün die sonnseitigen Mauern, die freien mit zierlichem Schmiedewerk gestützten Gänge umspinnt. Man kann wahre Gartenhöfe finden, die den Eintretenden ganz dem städtischen Leben entrücken. Blumen am Fenster sind eine ständige Ergänzung des Bildes und gerade die ruhige Putzfläche, die einfache Wandbildung bringen jeden Farbenfleck erst recht zur Geltung.
Wien, Hof aus der Piaristengasse.
Der Hausgarten aber, gewöhnlich über einige Stufen zugänglich, ist ebenso Gegenstand liebevoller Pflege innerhalb typischer Anordnung; ein gerader Mittelweg, manchmal von einer Weinlaube überdeckt, führt auf ein Lusthäuschen zu, das den Abschluss des Grundstückes betont und einen Point de vue (Blickpunkt) dem Eintretenden bietet. Die kreisförmigen Beete und rechteckigen Rasenflächen mit Buchsbaumhecken oder auch gemauerten Einfassungen sind nach einem einfachen, strengen Grundriss gebildet. Es herrscht jener Sinn für Ordnung und Ebenmaß vor, der auch dem Wohnraum jener Tage das Gepräge gibt, der dem kleinsten Raum Reize abzugewinnen versteht. Es zeigt sich das Bestreben, dem Innern des Hauses, dem Hof, dem Garten jenes Maß von Schmuck zuzuwenden, dessen man zur Verschönerung des Lebens bedurfte, während man der Straßenseite nur die sparsame Betonung der Notwendigkeiten gönnte. Es war kein Grund vorhanden, über die Dürftigkeit und Kulturlosigkeit der inneren Nüchternheit hinwegzutäuschen, wie es im Zinshausbau späterer Tage zur Regel wurde, man stellte im Gegenteil geflissentlich nach außen nur einfache Mittel zur Schau, die man nach innen steigern konnte; dabei war augenscheinlich noch jene Liebe zur Natur lebendig, die später die Großstadt so gründlich abzutöten vermochte.
Wien, Garteneingang, Piaristengasse.
Was aus den reizvollen Bildern, die der photographische Apparat noch immer aus den alten Stadtteilen zu holen vermag, so eindringlich zu uns spricht, ist viel mehr eine Gesinnung, als ein Vorbild, das nachgeahmt werden könnte. Es ist das Walten natürlicher Empfindung für die Benützung des einfachsten Werkzeugs, um der Freude am Leben, an Licht und Farbe, an Ruhe und Behagen Ausdruck zu geben.
Wenn Morris mit Recht oft betont hat, daß es die Freude am Schaffen ist, die das Menschenwerk zum Kunstwerk erhebt, so müssen wir auch diese anspruchslosen Äußerungen heimatlicher Lebenslust zu den Schöpfungen zählen, für die man das Wort Heimatkunst geprägt hat.
Die Spuren südlicher oder nördlicher Einflüsse, die Abhängigkeit von eingebornen ältesten Überlieferungen und Abstammungsmerkmalen sind fast verwischt. Sie sind aufgelöst und aufgebraucht in mannigfaltigsten Formen, die aus allen möglichen Reminiszenzen das für jeden Einzelfall Brauchbarste verwerteten. Und doch waltet auch hier jene Einheit in der Vielheit, der überzeugende und fesselnde Wirkung innewohnt.
Und so hat sich der Kreis unserer Betrachtungen wieder geschlossen; wir müssen den Bauwerken der Heimat aus einer verhältnismäßig kurzen Vergangenheit dieselben Vorzüge zusprechen, die wir viel älteren und ferner gelegenen Leistungen beigemessen haben und die den Arbeiten der nächsten Zukunft zurückerobert werden sollen.
Vielen wird der bloße Anblick der Lichtbilder genügen, um diese Gedanken und Empfindungen zu erwecken. Andere mögen der Wanderung durch vergangene Zeiten und getrennte Gebiete nicht ungern gefolgt sein, durch die manche Fäden aufgedeckt wurden, die vom Zentrum einer großen Monarchie in ihre entlegenen Grenzgebiete und bis in die Nachbarländer reichen. Manchmal wurzeln diese Fäden tief im Boden, manchmal schweben sie hoch über weite Gebiete hinweg. Jede Kunsttätigkeit besitzt solche Zusammenhangszeichen; immer wieder werden alte Verbindungen gelöst und neue geknüpft. Darum ist es sehr anregend, die abseits liegenden oder verschmähten Zeugen jener Kulturperioden aufzusuchen, welche den uns verloren gegangenen Zusammenhang zwischen Kunst und Leben besessen haben.
Quelle:
- Kunst und Kunsthandwerk; Monatsschrift herausgegeben vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie von Arthur von Scala und Franz Ritter. Österreichisches Museum für Angewandte Kunst. Wien, Artaria and Co, 1898.
- Tyrol von William A. Baillie-Grohman Illustration von E. Harrison Compton. London: A. and C. Black 1908.
Über den Autor:
Hartwig Fischel. Jüdisch-österreichischer Architekt und Kunstschriftsteller
Geboren 1861 in Wien, Österreich, gestorben 1942 in London, Großbritannien.
Er ist vor allem als Architektur- und Kunsthistoriker international bekannt. Er studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Von 1887 bis 1888 arbeitete er im bedeutenden Atelier von Fellner und Helmer, dann als Architekt sowie Ingenieur der Kaiser Ferdinands-Nordbahn und wurde einer der führenden Experten für den Eisenbahnbau in der Monarchie. Der Architekt floh hochbetagt vor den Nazis nach London, wo er wenig später starb.
Weiterführend:
Ursula Prokop
ZUM JÜDISCHEN ERBE IN DER WIENER ARCHITEKTUR
Der Beitrag jüdischer ArchitektInnen am Wiener Baugeschehen 1868 – 1938
On the Jewish Legacy in Viennese Architecture
The contribution of Jewish architects to building in Vienna 1868–1938
Ähnlich
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!