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Burgscheidungen, die Hofburg der Thüringer Könige.

Das alte Thüringer Königreich, das bis zum Jahre 531 bestand, reichte im Norden an die Elbe, bis ans heutige Mecklenburg, und im Süden bis zur Donau. Die Grenze liegt auf einer Linie, die um folgende Orte herumläuft: Altenburg, Greiz, Hirschberg, Koburg, Mellrichstadt, Tann, Berka, Treffurt, Bleicherode, Helmetal, Unstruttal, Naumburg, Zeitz. Erdkundlich gehören zu dem Gebiete der Thüringer Wald, das Thüringer Hügelland mit dem Kyffhäuser, das Saaletal und das Thüringer Vogtland um Greiz. Es wird im Osten begrenzt vom Freistaat Sachsen, im Süden vom bayerischen Franken, im Westen von der Provinz Hessen und im Norden von den Harzlanden.

Eine Fahrt mit dem alten Jahn.

Von Wilhelm Künstler.

Inhalt: Scheidungen, die Hofburg der Thüringer Könige, mit Ansicht der alten Burg. – Die Neuenburg und ihre lebendige Mauer. – Der Edelacker. – Schomburgk’s Geburtsstätte. – Weiberlist und Weibertreue. – Burgscheidungen, die Hofburg der thüringer Könige. – Der halbe König und sein Untergang. – Jahn’s Urteil über das Thüringer Königreich. – Ein Königshaus, nicht angefüllt mit Haß, Blut und Mord, sondern mit Wohlwollen, Treue und Liebe. – Graf von Schulenburg. – Jahn’s Abschied.

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Schönburg an der Saale.

Burgscheidungen, die Hofburg der thüringer Könige

an der Straße der Romanik.

Nachdem wir auf der herrlichen „Umschau“ in Jahn’s Garten den Kaffee eingenommen, führte uns der Besitzer desselben nach dem Schlosse, d. h. nach der von Ludwig dem Salier oder, wie er später genannt wurde, von Ludwig dem Springer im Jahre 1062 erbauten so sagenreichen Neuenburg 1). Dieses Schloß besteht aus mehreren zu verschiedenen Zeiten aufgeführten Gebäuden, von denen nur noch die westlichen Eingänge dem 11. Jahrhundert angehören. Der Brunnen hat eine Tiefe von 400 Fuß. Die Schlosskapelle, bei der eine jener so äußerst seltenen Doppelkapellen, hat zwei Geschosse übereinander, von denen namentlich das obere wegen seiner schönen Säulenknäufe und Verzierungen der Bogengurte besondere Beachtung verdient. Der Schlossturm, 147 Fuß hoch, gewährt eine schöne und ausgebreitete Aussicht. Im Fremdenbuch sagt Jahn am 5. Oktober 1828 hierüber Folgendes:

„Bei günstiger Witterung erkenne ich als Fünfzigjähriger, mit bloßem Auge, vom Schlossturm in der Rundsicht: den Petersberg, die Türme von Halle, Landsberg, Merseburg, die Sternwarte von Leipzig, Lützen, Weißenfels, Hohen-Mölsen, die Gleitsburg, den Landgrafen und den Fuchsturm bei Jena, den Ettersberg, Ausläufer der Finne, Burkertsrode – einen der hochliegendsten Orte im ebenen Thüringen – den Kyffhäuser und den Brocken.“

Die Neuenburg ist auch das bekannte Schloß, dessen Besitzer bei Anwesenheit des Kaisers Barbarossa (Kaiser Friedrich I. genannt Barbarossa 1122-1190), der den Mangel einer Mauer bedauerte, in einer Nacht die Burg durch seine Grafen, Edelleute und Knechte umstellen und so eine bewaffnete Mauer herstellen ließ, wie sie selbst der Kaiser nicht schöner und fester besaß.

Von dem Schloss begaben wir uns nach dem berühmten Edelacker. Derselbe liegt nördlich von der Neuenburg, unweit der sogenannten Frankenstraße, und ist fünf Magdeburger Morgen und 38 Quadratruten groß. Seinen Namen verdankt er folgender Begebenheit.

Als Ludwig der Eiserne (1128-1172, Familie der Ludowinger, Landgraf von Thüringen.) durch die bekannten Mahnworte des rühlaer Schmieds: „Landgraf werde hart! Du unseliger Herr, was taugst Du den armen Leuten zu leben? Siehst Du nicht, wie Deine Räte und Edelleute das Volk plagen und mähren Dir im Munde? Werde hart – werde hart“, wirklich ein strenger Herr geworden war und die gegen ihn empörten Edelleute bei Freiburg geschlagen hatte, bestrafte er sie folgendermaßen:

„Er nahm sie und führte sie zu Felde, und fand auf dem Acker einen Pflug; darin spannte er die ungehorsamen Edelleute je vier, riß mit ihnen eine Furche und die Diener hielten den Pflug. Er aber trieb mit der Geißel und hieb, daß sie sich beugten und oft auf die Erde fielen. Wann dann eine Furche geahren war, sandte er vier andere ein und ahrete also einen ganzen Acker, gleich als mit Pferden; und ließ darnach den Acker mit großen Steinen zeichnen zu einem ewigen Gedächtniss. Und den Acker machte er frei, dergestalt, daß ein jeder Übeltäter, wie groß er auch wäre, wenn er darauf käme, daselbst solle frei 2) sein, und wer diese Freiheit brechen würde, sollte den Hals verloren haben.“

Den Füllmund der Mauer, mit der der Edelacker einst umgeben gewesen, kann man noch heutigen Tages sehen.

Ludwig der Eiserne ist auch auf der Neuenburg gestorben (1172). Kurz vor seinem Tode entbot er seine gedemütigten Vasallen zu sich und befahl ihnen, daß sie seinen Leichnam „mit aller Ehrwürdigkeit“ begraben und auf ihren „Hälsen“ von hier bis gen Reinhartsbrunn tragen sollten. Und als er gestorben war, erfüllten sie dies sein letztes Gebot wirklich; denn „sy sorchtin en mer, danne den tufil, – unde warin allis in den furchtin, ob her noch lebinde wäre.

Von den Sehenswürdigkeiten, welche wir nun in der Stadt Freiburg selbst in Augenschein nahmen, nimmt die Annenkirche die erste Stelle ein. Sie stammt ans dem 12. Jahrhundert, hat die Form eines Kreuzes und ist mit drei Türmen geschmückt. Auf der Ostseite befindet sich eine gewölbte doppelte Vorhalle. Nur der Chor ist im gotischen Stile gehalten; die übrigen Partien gehören der romanischen Bauschule an.

Die auf dem regelmäßigen und ziemlich geräumigen Marktplatz aufgestellte Bildsäule des Herzogs Christian von Sachsen-Weißenfels und Querfurt hat nicht den geringsten künstlerischen Wert. Sie ist früher auf dem Schlosshof, dann in einem Jagdschlößchen aufgestellt gewesen und schließlich von dem freiburger Stadtrat um zwei Taler und zwanzig Silbergroschen angekauft worden.

Herzog Christian hat noch bei seinen Lebzeiten diese seine Statue aufrichten lassen; sie ist eine der „Zierden,“ welcher eine im großen Saale der Neuenburg angebrachte Inschrift in folgender Weise gedenkt:

„Was die hohen Ahnen bauten,
Liebte Herzog Christian
Als ein Zweig der Sachsen-Rauten,
Dem dies Land ist unterthan.
D’rum hat er, was ihn ergötzet,
Hier zur Zierde hergesetzet. MDCCXIX.“

Nachdem wir hierauf den nahegelegenen dieckertschen Weinberg besucht, jenen überaus freundlichen Rebenhügel, von wo man vortreffliche – von Westen aus vielleicht die schönste Aussicht auf Naumburg hat, kehrten wir wieder nach der Stadt zurück, deren alte Ringmauern und Ecktürme ihr immer noch ein mittelalterliches Kolorit verleihen. Jahn zeigte uns hier das Haus, in welchem einer der edelsten Söhne Thüringens – Johann Friedrich Ludwig Schomburgk – dieser würdige Schüler Alexanders von Humboldt, das Licht der Welt erblickt hat.

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Schloss Giebichenstein (Burg Giebichenstein) ist ein Schloss in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt. Sie ist Teil der Romanischen Straße (Strasse der Romanik). Es ist einer der beiden Campusse der Burg Giebichenstein Kunstschule. Heute wird es von der Kunsthochschule Halle genutzt.

Als jener berühmte Reisende und Naturforscher, Sir Robert Hermann Schomburgk (1804-1865), im Jahre 1845 3) – er war kurz zuvor von der Königin von England zum Baronet ernannt worden – seine Vaterstadt Freiburg besuchte, überreichte man ihm unter würdigen Feierlichkeiten das Diplom eines Ehrenbürgers. Ich war bei dem darauffolgenden Festmahl Tischnachbar von Jahn und notierte mir mit seiner Genehmigung die von ihm ausgebrachten Trinksprüche. Einer derselben lautete folgendermaßen:

Die Schöpfung ist die älteste Offenbarung des Allwaltenden, eine Sternen-, Sonnen- und Weltenschrift. Darum Ehre der Naturwissenschaft! Ehre den Naturforschern, so uns vor Aberglauben und Unglauben schirmen! Die Naturforscher hoch!

Nach Tische brachen wir von Freiburg auf und erreichten, geführt von unserm ortskundigen Wirt, am linken Unstrutufer in etwa einer Stunde den der ehemaligen kaiserlichen Domaine Balgstedt (auch Balgstädt, uradliges, thüringisches Adelsgeschlecht) gegenüber liegenden Rittersitz Zscheiplitz. Derselbe hieß in frühem Zeiten Weißenburg und war unter anderem die Residenz des sächsischen Pfalzgrafen Friedrich III.*, zu dessen schöner Gemahlin Adelheid, eine geborene Markgräfin von Stade und Salzwedel 4), der bekannte Landgraf von Thüringen, Ludwig der Salier  (Ludwig der Springer, eigentl. Salicus oder Graf Ludwig von Schauenburg 1042-1123 aus dem Adelsgeschlecht der Ludowinger), eine eben so heftige als strafbare Liebe gefaßt hatte.

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Schloss Zscheiplitz a.d. Unstrut

* Friedrich III. von Goseck, Graf zu Putelendorf, geboren um 1065, ermordet 5.2.1085 bei Zscheiplitz an der Unstrut, war der einzige Sohn des Pfalzgrafen von Sachsen Friedrich II. und seiner Frau Hedwig von Bayern. Im Jahre 1081 heiratete er Adelheid, die Tochter des Grafen Lothar Udo II. von Stade, Markgraf der Nordmark. 1085 wurde er von Dietrich und Ulrich von Deutleben und Reinhard von Reinstedt auf einer Jagd beim Hof von Zscheiplitz an der Unstrut ermordet.

Er fand bald Gehör, und die treulose Frau gab nun den Rat, ihr Buhle sollte am bestimmten Tage in dem dem Pfalzgrafen gehörigen Gehölz, genannt die „Reißen“ (unterm mönchenroder Felde), eine Jagd anstellen, unbegrüßt und unbefragt; sie wollte ihren Herrn reizen und bewegen, ihm die Jagd zu wehren; dann möchte er seines Vorteils ersehen. Ludwig ließ sich vom Teufel und der Frauen Schöne blenden und sagte zu.

Als nun der mordliche Tag vorhanden war, richtete die Pfalzgräfin ein Bad zu, ließ ihren Herrn darin wohl pflegen und warten. Unterdessen kam Ludwig, ließ sein Horn schallen und seine Hunde bellen und jagte dem Pfalzgraf in dem Seinen, bis hart vor die Tür. Da lief Frau Adelheid heftig in das Bad zu Friedrichen, sprach: es jagen Dir ander Leut’ freventlich auf dem Deinen; das darfst Du nimmer gestatten, sondern mußt ernstlich halten über Deiner Herrschaft Freiheit.  Der Pfalzgraf fuhr auf aus dem Bad, fiel ungewappnet und ungerüstet, nur einen Mantel umgeworfen, auf seinen Hengst und da er den Landgrafen ersah, strafte er ihn mit harten Worten; doch der wandte sich und stach ihn mit einem Schweinspieß durch seinen Leib, daß er tot vom Pferde sank. – Frau Adelheid „rang“ – wie es in einem Volksliede aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts heißt: –

„ihre weißen Hände,
Rauft ans ihr gelbweiß Haar,“

und gebärdete sich gar kläglich. Dem ungeachtet führte sie Ludwig – noch ehe das Jahr um war – auf sein Schloß Schauenburg und nahm sie „zu einem ehelich Weib.“ Ein steinernes Kreuz mit der Inschrift: „Hic comes cecidit Palatinus. Hunc prostavit comes Ludovicus.“ bezeichnet noch jetzt die Mordstätte. 5)

Die Freunde des Pfalzgrafen brachten über Ludwig bald nach seiner blutigen Tat die Reichsacht 6), nahmen ihn dann auf einer Reise nach Magdeburg gefangen und setzten ihn bei Halle auf die Burg Giebichenstein an der Saale unter strenge Obhut mehrer Wächter. Hier wurde er über zwei Jahre festgehalten, bis wo es ihm endlich gelang, mit seinen Getreuen in Verbindung zu treten. Diese sollten an einem bestimmten Tage mit Kähnen unter dem Giebichenstein erscheinen und am andern Ufer, im Dorfe Kröllwitz, sein Pferd bereit halten. Zur verabredeten Zeit wagte er denn den gewaltigen Sprung aus dem Fenster der hohen Felsenburg hinab in die Saale.

Ludwig der Springer, Ludowinger, Landgraf, Thüringen
Landgraf Ludwig der Springer (1042-1123) bei seinem kühnen Sprung in die Saale. Stammvater der Ludowinger.

Und der gelang ihm: Ludwig entkam glücklich nach Sangerhausen und erhielt nun den Beinamen der Springer. Dr. Martin Luther erzählt diese Sage folgendermaßen: „Ludwig Springer, Landgraf zu Hessen und Thüringen, ist ein zorniger, heftiger Herr gewesen, der ward vom Bischofs zu Hall gesengklich auf dem Giebichensteine enthalten, daselbst ist er zum Fenster zum Schloß hinaus in die Sala gesprungen, Einen hohen Fels hinab, durchs Wasser geschwummen, und auf seinem Klöpper Schwan (sein schneeweißes Lieblingspferd „Schwan“) davon kommen und entronnen.

Schloß Weißenburg wurde später von seiner Frau Adelheid von Stade, als sie lebensmüde und bußfertig geworden, in ein Nonnenkloster umgewandelt. Sie nannte es „Supplicium“, d. i. Sühne. Aus Supplicium ist nun im Laufe der Zeit der Name Zscheiplitz (Benediktinerinnenkloster St. Bonifacius) entstanden. Von Zscheiplitz erreichten wir über Laucha (Laucha an der Unstrut), ein Städtchen mit alten Ringmauern und einer sehenswerten Kirche, in etwa einer Stunde.

Burgscheidungen, an dessen Stelle einst die stolze Hofburg der thüringischen Könige von der lebensvollen Stadt „Schidingi“ („Scithing“, dem heutigen Burgscheidungen) in mächtigen Reihen umlagert ward. Hier war es auch, wo die Edelinge Thüringens in Scharen zusammenströmten, um ihren geliebten König Herminafried (vor 485-534) beglückwünschend zu begrüßen, als er an der Seite seiner jugendlichen Gemahlin Amalberga (noch im Kindesalter) von seiner Brautfahrt wieder heimkehrte. Und weshalb hätten die Thüringer sich dieser Vermählung nicht freuen sollen? Ausgestattet mit allen Reizen, die nur ein Weib schmücken, war ja ihre Herrscherin auch die Nichte des Ostgotenkönigs Theodorich des Großen, und im Bündnis mit diesem so gewaltigen Fürsten glaubten sie sich fortan geschützt gegen die Macht der Franken und anderer feindlichen Nachbarn.

Statt des erhofften Glücks aber brachte Amalberga, wie damalige Geschichtschreiben der Franken berichten – nur Unheil und Verderben – sowohl ihrem Eheherrn als auch dem ganzen Volke. So schön sie war, so stolz und herrschsüchtig zeigte sie sich bald. Sie konnte es nicht ertragen, daß ihr Gatte nur den dritten Teil des thüringischen Reiches besaß; denn das übrige Land gehörte seinen Brüdern Berthar und Balderich. Laut der unglaubwürdigen Darstellung des Gregor von Tours wird berichtet das nun einst Herminafried aus einer Volksversammlung in seine Burg trat und sich zu Tische setzen wollte, doch hatte sie die Tafel nur halb decken lassen und ihm auf die Frage: was dies bedeute? geantwortet: „Einem nur halben Könige geziemt nicht, an einer ganz gedeckten Tafel zu speisen!“

Auf diese und ähnliche Weise reizte sie ihn so lange, bis er seinen Bruder Berthar erschlug und mit dem älteren, Balderich, um die Alleinherrschaft kämpfte, in welchem Kriege er von dem fränkischen Könige Theuderich von Austrasien,*  gegen das Versprechen unterstützt ward, ihm die Hälfte der zu erobernden Länder zu überlassen. Als jedoch Balderich im Kampfe gefallen war (520), betrog Herminafried seinen Bundesgenossen um seinen Lohn, so daß er nun das ganze Königreich seines verstorbenen Vaters (Basinus gilt als erster gesicherter Thüringerkönig) besaß. Dieses aber erstreckte sich von der Donau bis weit über den Harz, ja früher bis an das baltische Meer, und von der Elbe bis zum westlichen Main und der Lahn.

* Theuderich I. geboren vor 484-533, ältester Sohn des Merowingerkönigs Chlodwig I. (fr. Clovis), herrschte über das Reich von Metz, ab 584 setzte sich der Name Austrasien durch, Land im Osten, das von 511 bis 751 bestand.

Theuderich I. wartete mit seiner Rache, bis der gefürchtete Ostgotenkönig Theodorich starb (528); dann aber brach er in Verbindung mit seinem Bruder, dem König Chlothar I., mit gewaltigen Heeresmassen über den Rhein nach Thüringen auf. Herminafried lagerte mit seinen Scharen an den Ronnebergen, in der Gegend vom heutigen Weißensee, als die Franken den Angriff begannen (Jahr 531). Die Schlacht, bald in ein gegenseitiges Gemetzel übergehend, wütete drei Tage lang, und die Leichen von Freund und Feind füllten das Bett der Unstrut, daß sie den Fluß dämmten und die Franken nun wie auf einer Brücke hinübergehen konnten.

Herminafried hatte ungeheure Verluste erlitten; aber erst am Abend des dritten Tages, als er noch einmal, zwischen Liederstedt und Reinsdorf (dem Städtchen Nebra gegenüber), dem Feind die Stirn geboten und immer neue Frankenscharen heranzogen, zog er sich in seine Hofburg zurück. Die Waffen, namentlich die gewichtigen Streitäxte 7) seiner Thüringer, hatten unter den Feinden so gewütet, daß diese, obgleich Sieger, sich genötigt sahen, die Sachsen um Beistand zu rufen. Bald rückten denn auch 9000 Mann dieser verbündeten Hilfsvölker (Alemannen und Sachsen?) heran, geführt von Herzog Bärnward dem Askanier (Albrecht der Bär). Ihr Haar reichte bis auf den Schwertgriff herab und sie waren so große und stammhafte Leute, daß selbst ihren Bundesgenossen vor ihnen bange ward. Die Sachsen waren es denn auch, welche endlich* Schidingi (evtl. Burgscheidungen), Stadt und Burg, erstürmten. Nachdem sie ihre ungeheure Beute in Sicherheit gebracht, zündeten sie den Ort an. Die Einwohner waren bereits größtenteils niedergeschlachtet. Damit endete die Dynastie der Thüringer.

*Im Originaltext wird an dieser Stelle fälschlich Oktober 528 angegeben.

Befand sich das thüringische Königspaar auch unter den Ermordeten? Amalberga war mit dreien ihrer Kinder entflohen und erreichte glücklich Italien, wo sie ihr Bruder Theodat, König der Ostgothen, in Schutz nahm. Ihr Sohn Amelfried kämpfte später als Reiteranführer des oströmischen Kaisers Justinian mit Auszeichnung gegen die Gepiden und starb dann als der letzte männliche Thronerbe eines erlauchten Geschlechts der königlichen Thüringischen Herrscher im fernen Osten. Seine Schwester Rotelinde wurde mit dem Langobardenkönig Audoin und seine andere Schwester Ranekunde mit dem langobardischen König Walcho vermählt

Herminafried entkam ebenfalls. Als er jedoch auf eine „freundschaftliche Einladung“ Theuderich’s des Franken (im Jahre 531) nach Zülpich am Rhein ging, ließ ihn dieser dort bei einem Gange aus den Befestigungswerken der Stadt in den Wallgraben stürzen, so daß er elendiglich ertrinken mußte. Eine andere Sage, der auch Jahn Glauben schenkte, berichtet hingegen, daß der letzte Thüringerkönig nach dem Falle Schidingis im nahen Eichenhain bei der Mündung der Hassel in die Unstrut auf sein Bitten von dem ihn begleitenden Waffenträger erstochen worden sei.

Mit der Schlacht an der Unstrut endigte das thüringische Königreich nach einer Dauer von hundert Jahren. Die Sachsen erhielten die Gebiete zwischen der Unstrut und dem Harzgebirge (Nord-Thüringen), das eigentliche Thüringen wurde fränkische Provinz, und in die noch wenig angebauten Lande zwischen der Saale und Elbe wanderten slavische Stämme ein. Die zerstörte Hauptstadt aber fiel an Bärnward den Askanier (Albrecht der Bär).

Als wir so die historischen Vorfälle durchsprachen, sagte Jahn unter Anderm – und der Ton seiner Stimme zeugte dabei von einer bei ihm seltenen, innigen Wehmut: – „Ich liebe es sonst nicht, in fremden Zungen zu reden; aber so oft ich nach Burgscheidungen gekommen, so oft ist mir auch der Ausspruch entfahren: „Sic transit gloria mundi!“ („So vergeht der Ruhm der Welt„, historisches Zitat von Patricius 1516.) Und nach einer Pause fuhr er fort: „Herminafried mag den einen seiner Brüder erschlagen und gegen den andern in offner Feldschlacht gekämpft haben; aber die Beweggründe hiervon sind jedenfalls anderer Natur, als sie uns von seinen Widersachern, den fränkischen Geschichtsschreibern, namentlich von dem listigen Bischof von Tours, Gregorius, geschildert werden. Die Thüringer waren so recht geeignet, ein Dauer-Volk zu werden – und dazu wollte sie ihr unglücklicher König machen.

Fränkische Federn haben ihn und die Seinen mit Unrecht angeschwärzt und mein Freund Luden spricht wahr, wenn er in seiner Geschichte des deutschen Volkes von dem thüringischen Königshause sagt: Es ist nicht angefüllt mit Haß, Blut und Mord, sondern mit Wohlwollen, Treue und Liebe. – Und nun erst die hochsinnige Amalberga! Wohl lebe ich des Glaubens, daß alles Böse, so in die Welt gekommen, entweder einen Pfaffen oder aber ein Weib zum Ursprunge gehabt; aber dieses Weib hat man verleumdet.

Amalberga, unter den Augen ihres großen Ohms, Theodorich, herangewachsen, gebildet von dessen Geheimschreiher, dem vortrefflichen Cassiodor, sie, die Herzensfreundin der edlen und geistreichen ostgothischen Königstochter Amalasuntha – wie hätte sie hier in unserm traulichen Thüringen mit einem Male so umschlagen und Brudermord anstiften sollen?! – Ihr großer Ohm schreibt in einem Briefe an Herminafried über sie unter Anderm Folgendes: „Wir senden sie Dir als eine Zierde Deines Hofes, als eine Vermehrerin Deines Geschlechts, als eine treue Gehilfin Deiner Ratschläge, als eine liebliche Süßigkeit der Ehe, welche nicht nur die Last der Herrschaft mit Dir teilen, sondern auch Dein Volk durch bessern Unterricht bilden wird. Das glückliche Thüringen wird nun besitzen, was Italien gepflegt hat; denn gebildet in den Wissenschaften, und der feinen Sitten kundig, ist sie nicht allein durch ihre Abkunft eine Zierde, sondern auch durch ihre weibliche Würde: so daß Dein Vaterland nicht weniger hervorleuchten wird durch ihre edle Sitte, als durch seine Triumphe.“

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Schloss Burgscheidungen.

Gegenwärtig ist Burgscheidungen nur ein mäßiges Dorf; doch hat es noch immer ein recht stattliches Schloß. Dasselbe liegt auf einem isolierten Berge hoch über der Unstrut und soll sein südlicher Teil, wie Jahn behauptete, ein Fragment der alten Königsburg sein. In der Tat zeugt dieser Teil, namentlich die steinerne Wendeltreppe, von einem alten Ursprung und kontrastiert in seiner Bauart gewaltig mit den übrigen Partien, die erst in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und zwar von dem Reichsgrafen Johann Mathias von der Schulenburg im  Rokokostil erbaut worden sind. Ein äußerst geräumiger Saal wird außer vielen andern wertvollen Ölgemälden auch von dem Bilde dieses berühmten Feldherrn geziert. Als General-Feldzeugmeister der „erlauchten“ Republik Venedig kämpfte er auf der Insel Corfu gegen die Türken so glücklich, daß ihm noch bei seinen Lebzeiten dort zum Dank der Senat ein Standbild errichten ließ, das die Inschrift enthielt: „Christianae reipublicae fortissimo assertori.“ Auch war er es, der im Jahre 1704 durch die Art und Weise, wie er die sächsische Armee rettete, selbst dem so kriegskundigen Schwedenkönig Karl XII. Achtung abzwang, indem dieser gestand: „Heute hat mich der Schulenburg besiegt.

Das Schloß ist mit herrlichen Parkanlagen umgeben und gewährt wundervolle Aussicht; denn die hier in mäandrischen Krümmungen sich hinschlängelnde Unstrut mit ihren schmucken Schiffen, die stattlichen Berge mit waldigem Haupt und Rebengewand, die üppigen Wiesen, geziert durch Gruppen schöner Obsthaine, die reichen Saatfelder und die unzähligen freundlichen Dörfer: – Alles dies macht diese Landschaft zu einer der schönsten in Thüringen.

Burgscheidungen, noch jetzt der gräflichen Familie Schulenburg gehörend, wurde im Jahre 952 von Kaiser Otto dem Großen, dem bekannten ritterlichen Herzog Hermann Billung als ein „Mark“ überlassen. Im Jahre 1320 kam es an einen gewissen Beringer, der sich von der Zeit an von Scheidingen nannte. Spätere Besitzer waren: die Herren von Wiehe, die Grafen von Hoym und der Feldmarschall von Flemming, von dem es dann in den Besitz der Familie Schulenburg überging. Derselben gehört auch das in der Nähe gelegene so freundliche Dorf Kirch-Scheidungen, woselbst im Jahre 1784 der bekannte Philolog und Griechenfreund Friedrich Wilhelm Thiersch geboren wurde.

„Nun aber müssen wir Sie Ihrem Schicksale überlassen“ – sagte Jahn zu meinem Berliner Reisegefährten – „denn die Abenddämmerung tritt bereits ein. Wenn Sie nach Ihrem Sand-Jerusalem, Berlin, zurückgekehrt sein werden, können Sie bei Ihrem Hausnachbar nach rechts als mein außerordentlicher Botschafter auftreten. Dieser vornehme Bummler hat nämlich unter die Leute gebracht, ich läge immer während auf der Bärenhaut, weil mich das Zipperlein plage. Sagen Sie ihm, er solle sich um seine Vatermörder und nicht um mich bekümmern. Wie die Verfassung meiner paar Untertanen beschaffen, das haben Sie die beiden Tage erfahren, namentlich heute, wo Sie mehr als ein Mal über meinen Turnerschritt geseufzet. Und nun wenden Sie sich dort süd-westlich nach dem Saubach-Thale: in ¾ Stunden können Sie – am Wasser aufwärts – ihr heutiges Ziel, Bibra, erreichen. Morgen besuchen Sie dann die Steinklebe, jenen hohen und schön bewaldeten Berg unterhalb Wendelstein, auf dem im Jahre 640 der Thüringer Herzog Rudolf die Franken bis zur Vernichtung geschlagen. Möge unser herrliches Thüringen denn auch Ihre Seele erfrischen und der güldene Mund seiner Sagen Sie erquicken!

Auszug aus: Die Gartenlaube . Eine Fahrt mit dem alten Jahn. Von Wilhelm Künstler. Verlag von Ernst Keil. Leipzig 1856. (Der Text wurde z.T. der heutigen Syntax angepasst.)

1) Schloss Neuenburg ist eine Höhenschloss mit Blick auf Freyburg, eine Stadt in Sachsen-Anhalt, Deutschland. Sie liegt an der Straße der Romanik die wiederum einen Teil der Transromanica bildet. Die Burg wurde um 1090 vom thüringischen Grafen Ludwig der Springer erbaut und sicherte sein Territorium im Osten, ebenso wie seine Schwesterburg Wartburg im Westen. Der Name Neuenburg leitet sich vom Deutschen für „Neues Schloss“ ab. Von 1656 bis 1746 war es eine Nebenresidenz des Herzogtums Sachsen-Weißenfels.

2) Es kann nachgewiesen werden, daß dieser Acker noch lange Zeit nachher die Vorrechte einer „Freistatt“ genoss.

3) Johann Friedrich Ludwig Schomburgk. Im Originaltext wird das Datum 1815 angegeben. Das Datum 1845 beruht auf der Tatsache das er 1844 von Königin Victoria zum Ritter geschlagen wurde.

4) Adelheid von Stade, Gräfin von Goseck, Gräfin in Thüringen, geb. um 1065-1110, Tochter des Grafen Lothar-Udo II. von Stade, Markgraf der sächsischen Nordmark und der Oda von Werl, Tochter von Graf Hermann III . Oda von Werl gilt als Stammmutter der Grafen von Stade.

5) Diese Überlieferung oder Sage erschien ursprünglich unter dem Titel Das Jagen im fremden Walde, Deutsche Sagen, Band 2, S. 326–328, Brüder Grimm, 1818.
Deutsche Sagen von Jacob Grimm, Wilhelm Grimm, Herman Friedrich Grimm, 1818.

6) Die Reichsacht oder Reichsbann war eine Form der Ächtung im Heiligen Römischen Reich. Zu verschiedenen Zeiten konnte es vom Heiligen Römischen Kaiser, vom Reichstag oder von Gerichten wie dem Fehmgericht oder dem Reichskammergericht erklärt werden. Menschen unter kaiserlicher Acht, bekannt als Geächtete (ab etwa dem 17. Jahrhundert, umgangssprachlich auch als Vogelfrei, lit. „frei wie ein Vogel“), verlor all ihre Rechte (Rechtsfähigkeit) und Besitztümer. Sie galten rechtlich als tot, und jeder durfte sie ohne rechtliche Konsequenzen ausrauben, verletzen oder töten. Der Reichsbann folgte automatisch der Exkommunikation (Kirchenbann) einer Person und erstreckte sich auch auf jeden, der einer Person unter Reichsacht Hilfe gewährte. Die Geächteten könnten das Verbot aufheben, indem sie sich der Justizbehörde unterwerfen. Die Aberacht (damnatio, proscriptio superior), eine stärkere Version des imperialen Verbots, konnte nicht rückgängig gemacht werden.

Die Reichsacht wurde manchmal für ganze kaiserliche Stände verhängt. In diesem Fall konnten andere Ländereien angreifen und versuchen, sie zu erobern. Die Reichsacht einer Stadt oder eines anderen Gutes hatte zur Folge, dass sie ihre kaiserliche Unmittelbarkeit verlor und in Zukunft neben dem Kaiser einen zweiten Oberherrn haben würde.

7) Solcher Streitäxte hat man erst neuerdings wieder bei Burgscheidungen aufgefunden. Sie sind schwerer als die der anderen deutschen Stämmen in Gebrauch gewesenen und unterscheiden sich außerdem auch durch ihre eigentümliche Form. Man kann an ihnen nicht gut herausfinden, wie der Schaft befestigt gewesen sein mag.

Literatur:

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