Tempi Madonna von Raffaello Santi, 16. Jh.
Raffaello Santi (1483—1520) Tempi Madonna.
Holz, 77 X 53 cm
Das Bild entstand in der Zeit der Wirksamkeit von Raffaello Santi in Florenz, 1500-1509, und ist nächst der Madonna del Granduca wohl die schönste unter den Halbfiguren-Madonnen des jungen Meisters. Über das, was er von seinem Lehrmeister Perugino gelernt hat und lernen konnte, geht er hier, von seinem Schülerverhältnis gelöst, schon ziemlich weit hinaus, namentlich von dem Traditionellen und Schematischen der umbrischen Schule sich befreiend. Erscheint es doch überraschend, daß er schon damals bei den häufigen Madonnenaufträgen sich nie wiederholt, sondern stets von einer neuen Komposition ausgeht, ohne doch bei bleibender idealer Auffassung zu eigentlichen Modellstudien zu greifen. Der zarte Reiz der jugendlichen Mutter, die das Kind mit beiden Händen innig an sich drückt, die göttliche Hoheit des ernst aus dem Bilde blickenden Kindes, all den drallen Kinderköpfen des florentinischen Quattrocento von Filippo Lippi bis Ghirlandajo weit überlegen, das anspruchslose Kolorit, die klare einfache Landschaft erheben das Werk zu den Perlen des ersten Jahrzehnts des Cinquecento. Das Werk wird im Allgemeinen auf das Ende der florentinischen Periode Raffaels datiert.
Die beiden Figuren sind als eine einzige Gruppe konzipiert, und diese Tatsache dominiert die visuelle Wirkung der Szene. Die einzigen natürlichen Elemente sind ein Streifen Landschaft und der klare blaue Himmel im Hintergrund. Der bauschige Mantel der Jungfrau soll Bewegung andeuten. Die extreme Synthese der Farbfelder verweist auf Raffaels Idealisierung des Motivs.
Die Madonna ist in halblanger Pose mit dem Kind auf dem Arm dargestellt, vor dem Hintergrund einer knapp umrissenen Landschaft, die im Gegensatz dazu die Monumentalität der Figuren hervorhebt. Die beiden Protagonisten neigen ihre Gesichter einander zu und zitieren Donatellos Pazzi-Madonna, vor allem aber den kleinen Tondo, den der Künstler in den Hintergrund des Wunders des sprechenden Säuglings im Altar des Heiligen Antonius von Padua eingefügt hat. Die gesamte Gruppe wird von einer einzigen, leicht spiralförmigen Bewegungsempfindung durchzogen, von der weiten Drehung des Mantels am Boden bis zur Umarmung und zärtlichen Geste der Gesichter, die so innig und vertraut sind. Das erreichte Gleichgewicht zwischen dem Ideal der künstlerischen Perfektion und der Natürlichkeit der Figuren ist außergewöhnlich. Das Bedürfnis des Malers nach formaler Schönheit und emotionaler Realität des Themas wird vor allem durch die zärtliche Beziehung zwischen Mutter und Sohn in Einklang gebracht.
Das Bild scheint frühzeitig in den Besitz der Familie Tempi in Florenz gelangt zu sein, in welchem es auch bis 1829 verblieb. Es hatte den König Ludwig I. von Bayern ein langes Werben gekostet, das Kleinod sich eigen zu machen. Denn sein erstes Begehren (Brief an Dillis vom 21. Sept. 1808) geht um nicht weniger als 20 Jahre zurück, von diesem Tage an wandern wenige Briefe des enthusiastischen Kunstfreundes nach Italien, ohne die Erwerbung zu betreiben, wobei die sich ergebenden Schwierigkeiten, ja zeitweise sogar die Hoffnungslosigkeit der Agenten des Prinzen dessen Verlangen nur steigerten.
Er wendet sich in persönlichen Briefen an den Großherzog von Baden, um die Pension seines Agenten, des Kupferstechers Metzger, zu verlängern und dadurch diesen in Florenz zu halten, schreckt selbst vor angeratenen Bestechungen nicht zurück, und steigert schließlich sein Angebot von 6000 auf 16000 Scudi romani. Am 9. Februar 1829 wurde endlich der Kauf abgeschlossen. (Reber, Jahrbuch für Münchener Geschichte III. 1889). Der glückliche Erwerber behielt dann das Bild bis 1835 bei sich in der Cäcilienkapelle der k. Residenz, wie es auch nach der Ausstellung in der Pinakothek königliches Privateigentum verblieb.
Der Karton zu dem Bild, in Kohle auf grauem Papier gezeichnet und weiß gehöht, befindet sich im Musée Fabre zu Montpellier.
Quelle: Album der Alten Pinakothek zu München von Franz Reber. Leipzig: E.A. Seemann, 1908.
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