Dokumente der Befreiungskriege. Weimarer Ostertage 1813.
Dokumente der Befreiungskriege.
WEIMARER OSTERTAGE 1813.
Knebel an Charlotte Schiller, Anfang April 1813.
ICH glaube nicht, daß wir die Russen hierher bekommen werden, noch daß sie sich so weit vorwagen sollten ohne einen bestimmten Zweck. Wie ich höre, so marschieren bereits durch Gotha Franzosen zu Tausenden ihnen entgegen. Ich glaube schwerlich, daß sie sie weiter vorrücken lassen, denn noch ist Napoleon nicht ganz begraben. Einem etwas hitzigen Jahre sehen wir freilich entgegen; doch wie ich hoffe, nicht in unsern Gegenden, und vielleicht kommt nachher der erwünschte Friede …
Knebel an Charlotte Schiller, Freitag, den 9. April 1813
Gestern hatten wir einen Trupp Kosaken hier. Sie sehen ganz asiatisch aus; übrigens gefallen mir die Kerls ganz gut, sie sind so richtig in ihrem Dasein beschränkt. Mehrere hatten lange Bärte, andere runde, glatte, mongolische Köpfe und Gesichter, auch die chinesischen Augen. Sie haben was Freies und Gutherziges, ohne Prahlerei und Prätention. Sie liegen wie ein Haufen Hummeln zusammen. Mann und Pferd haben fast eine Gestalt; die Kerls kurze untersetzte Gestalten. Sie lieben auch, wie es scheint, den Putz, und haben sich mit mancherlei Zieraten und Fetzen ihrer Beute behangen: doch alles in einer gewissen Bestimmtheit und Ordnung.
Reiten hab ich sie nicht gesehen, doch sagt man, sie ritten sehr schnell; auch habe ich sie nicht singen gehört. Man sagt, sie sängen hübsch. Nachmittags sind sie wieder nach Naumburg zurückgekehrt, versprachen aber wiederzukommen. Sie rauchen keinen Tabak, auch keiner war betrunken – dahingegen unsere Leute mehr besoffen waren. Es ist wohl das erste mal, daß man asiatische Völker in Jena gesehen hat.
(Carl Ludwig von Knebel (1744 – 1834), deutscher Lyriker und Übersetzer. Charlotte Luise Antoinette von Schiller 1766-1826, geborene von Lengefeld, deutsche Schriftstellerin, war die Ehefrau des Dichters Friedrich von Schiller, Schwester der Schriftstellerin Caroline von Wolzogen.)
Goethe an Voigt, den 16. April 1813.
Christian Gottlob von Voigt 1743-1819, war deutscher Dichter, großherzoglich Sachsen-Weimar-Eisenachischer Wirklicher Geheimer Rat und Präsident des Staatsministeriums sowie Ministerkollege von Johann Wolfgang von Goethe in Weimar.
Nach vielfältiger Betrachtung meiner körperlichen und geistigen Zustände habe ich mich entschlossen, morgen die Reise nach Töplitz anzutreten, zuletzt mehr auf Anregung der Meinigen, als auf persönlichen Antrieb. Ew. Exzellenz verzeihen, wenn ich nicht persönlich aufwarte, aber ein Abschied in dieser Zeit ist schon peinigend im Begriff, geschweige in der Gegenwart.
Mein Sohn wird meine wiederholten Abschiedsgrüße bringen. Mit welchen Wünschen und Hoffnungen ich scheide, bedarf keiner Wort!
Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832, war ein deutscher Schriftsteller und Staatsmann. Er gilt als die größte deutsche Literaturgestalt der Moderne.
Christian Gottlob von Voigt 1743-1819, war deutscher Dichter, großherzoglich Sachsen-Weimar-Eisenachischer Wirklicher Geheimer Rat und Präsident des Staatsministeriums sowie Ministerkollege von Johann Wolfgang von Goethe in Weimar.
Ankunft des Blücherschen Streifkorps in Weimar am 16. April (von Goelze).
Freitag Morgen vor dem Osterheiligenabend, da die Stadt gänzlich von französischen Truppen entblößt war und nur der französische Stadtkommandant und einige Gendarmen sich hier noch befanden und die Bürger wie früher im Jahre r806 die Wacht versehen mußten, erschien plötzlich ein Kommando von ungefähr 50 Mann preußischer Husaren und freiwilliger reitender Jäger von dem Streifkorps des Major von Blücher, nahmen den französischen Kommandanten, der im Fürstenhaus logierte, sowie die Gendarmen und einige sich hier ebenfalls befindliche französische Militärpersonen gefangen und führten sie mit sich fort. Sie verließen uns nach eingenommener Realisation unter dem Versprechen, bald stark und als Retter des Vaterlandes wieder zu erscheinen, und ritten mit den Gefangenen nach Jena.
Wenig Stunden darauf erschienen von Erfurt aus französische Kavalleriepatrouillen, die mit gezogenem Säbel und gespannter Pistole langsamen Schrittes die Stadt durchritten, spähend, ob sich irgendwo Preußen daselbst verhielten. Da sie aber nichts vorfanden, verließen sie uns bald wieder. So verging der übrige Tag und die Nacht ruhig, nur die Bewohner der Stadt befanden sich immer in bangevoller Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Man träumte sich im allgemeinen hier durch die Nähe der Preußen, die schon viele Vorteile über die Franzosen errungen hatten, und ihren Versprechungen zufolge eine gänzliche Erlösung vom französischen Joche.
Den darauffolgenden Morgen, als den Osterheiligenabend, früh 10 Uhr erschienen unverhofft der Major von Blücher, von Jena herüberkommend, mit 500 Husaren und freiwilligen reitenden Jägern, besetzte die Tore der Stadt und sendete nach Erfurt zu Posten aus. Weimars Bewohner bewillkommneten die angekommenen Gäste als gute Herzensfreunde und Erlöser aus aller Not, sie wurden aufs beste und nach allen Kräften bewirtet, und den Nachmittag und Abend hindurch bis spät in die Nacht hinein wurde in dem Rundteile der Wilhelmsallee wacker getanzt und gezecht.
Blücher selbst hatte indessen mit dem größten Teil seines Kommandos einen Streifzug, bei dem er Erfurt umgangen hatte, nach Gotha und bis in die Gegend von Suhl unternommen. Am ersteren Orte hatte er das dortige Zeughaus ausgeräumt und dem französischen Gesandten am weimarischen Hofe, Baron von Saint Aignan, der geflüchtet war, seine sich noch daselbst befindliche Equipage weggenommen.
In der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag, als den ersten Osterfeiertag. kam Blücher mit seinem Kommando und seiner Beute wohlbehalten zurück und unternahm den Sonntag früh einen Streifzug vom Fuße des Ettersberges bis an die Hottelstedter Ecke, von wo aus er mit einem guten Fernrohr Erfurt und die umliegende Gegend besehen konnte und den Mittag wohlbehalten zurückkehrte.
Rückzug der braunen Husaren am 18. April 1813 (von Adam Henss).
Wir hatten das Glück, Kosaken zu sehen, und als im Jahre 1813 zum ersten mal eine Eskadron brauner Husaren unter dem Kommando des jungen Blüchers in Weimar einrückte, war der Jubel groß.
Unbegreiflich aber war die Sorglosigkeit dieses Krieges. Am Ostersonnabend verbreitete sich das allgemeine Gerücht, die Franzosen seien im Anmarsch; die Hälfte der Eskadron lag zerstreut auf dem Lande, die Pferde der Anwesenden standen abgesattelt in der Baracke, und die Husaren selbst ließen sich zum ersten Feiertage hier und da in der Stadt sehen; immer lauter wurde das Gerücht des Anmarsches der Franzosen, aber man glaubte es nicht, denn die Reiter selbst waren gar zu unbesorgt; da machten sich Plänklerschüsse auf der Erfurterstraße hörbar, und die Franzosen, voran eine Eskadron Badener Dragoner, waren kaum eine Viertelstunde von Weimar. Dreimal sprengten mit flüchtig aufgeworfenem Sattel die Husaren den Dragonern entgegen, und ebenso oft wurde das kleine Häuflein von der überlegenen Macht zurückgeworfen. Der letzte Kampf erstreckte sich bis auf den Karlsplatz, da stürzte eine Reihe der Preußen mit den Pferden, die Badener hielten ihre Pferde an und hieben nicht, ob aus Besorgnis, mit in den verwirrten Knaul zu stürzen, oder aus einem andern Grund, das weiß ich nicht; genug, es gelang den Preußen zu entkommen.
Der Rittmeister Blücher, Sohn des Generals, stets der letzte bei der Retirade, ward von seinen Leuten abgeschnitten, er ritt links ab, von einem Dragoner auf eine halbe Pferdelänge lebhaft verfolgt, und sich mit dem Säbel rückwärts deckend, schwenkte er bei der Ziegelei plötzlich rechts ab, während das schwerfällige Dragonerpferd in grader Linie fortschoss, worauf sein Reiter die Verfolgung aufgab. Die Badener wagten es nicht, die Preußen sogleich weiter zu verfolgen, weil sie einen Hinterhalt besorgten und nicht für möglich hielten, daß diese Handvoll Husaren sie, die von einer französischen Division unterstützt waren, angreifen würden, wenn sie nicht einen Hinterhalt hätten. Einige der gestürzten Husaren wußten sich zu verstecken und endlich zu entkommen, wozu ich mit andern Freunden treulich half.
Adam Henss (1780–1856), Weimarer Buchbinder und preußischer Landtagsabgeordneter.
Goethe im Kornerschen Hause in Dresden, 21. April 1813 (von E. M. Arndt)
Goethe kam nach Dresden auf seiner gewöhnlichen Badereise nach Karlsbad und Töplitz; sein Anblick und seine Rede waren gleich unerfreulich; der erste sprach aufgestörte Unruhe, die zweite ungläubige Hoffnungslosigkeit. Da rief er einmal aus, indem Körner über seinen Sohn sprach und auf dessen an der Wand hängenden Säbel wies: „0 ihr Guten, schüttelt immer an euren Ketten, ihr werdet sie nicht zerbrechen, der Mann ist euch zu groß.“
Ernst Moritz Arndt, 1769-1860, war ein deutscher nationalistischer und demokratischer Schriftsteller, Historiker und Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung.
Napoleon an St. Aignan, Mainz, 20. April 1813, abends
Ich empfange den Brief, den Sie am 19. an den Herzog von Bassano schrieben. Begeben Sie sich unverzüglich nach Gotha, sobald Sie können, nach Weimar. Verpflichten Sie sich nicht hinsichtlich des Verhaltens, das ich diesen Regierungen zeigen will. Ich bin überrascht, daß sie sich ihr Kontingent nehmen ließen und daß sie im Lande geblieben sind, während es im Besitz der Russen war. Halten Sie also mit Ihrer Meinung zurück. Schicken Sie Spione nach allen Seiten und suchen Sie zu erfahren, wo der Feind steht.
St. Aignans Bericht für Napoleon ‚vom 24. April 1813
Der Herzog von Weimar hat sich stark und in mehr als einer Art kompromittiert. Vergebens habe ich ihm gegenüber Freimütigkeit an den Tag gelegt, ich habe sie niemals an ihm gefunden, und ich sage es mit Bedauern, weil Weimar in vieler Hinsicht der kaiserlichen Milde würdig ist, und weil die Herzogin und sogar die Großfürstin, obwohl Russin, immer in ihren Worten wie in ihren Taten so aufrichtig gewesen sind, daß ich sie für unfähig halte, Freund oder Feind zu täuschen. Was den Herzog anlangt, so versucht er gegenwärtig, nachdem er während der letzten Ereignisse seine Vorliebe für Preußen und seine Abneigung gegen Frankreich bekundet hat, diese Eindrücke durch verspätete Ergebenheitsbezeigungen zu verwischen. Er schickt seinen Kanzler Herrn von Wolfskehl und Herrn von Müller mit einem Brief an den Kaiser, in dem er sich wegen des Unrechts, das man ihm zur Last legt, schwach zu entschuldigen sucht, indem er im Gegenteil seine Zuneigung für Seine Majestät beteuert.
Herr von Müller hat mich gefragt, ob dieser Schritt passend wäre, ich habe ihn im ungewissen gelassen, da ich die Entschließungen seines Herrn nicht beeinflussen wollte. Ich habe beharrlich diese Haltung gezeigt, weil Ew. Exzellenz mir in diesem Punkt keine Weisung gegeben hatte, und außerdem weil ich nicht sah, welcher größere Vorteil darin gelegen hätte, diese Fürsten zu zwingen, sich zu den französischen Heeren zurückzuziehen. Ich glaubte, daß, da es so geringe Gefahr mit sich brachte, es besser wäre, sie nach Gefallen gehen und sich der Notwendigkeit aussetzen zu lassen, sei es die Milde Seiner Majestät zu erproben oder aber eine Strenge, deren gerechte Beweggründe sie selbst nicht leugnen konnten. Jedoch wollen Ew. Exzellenz in diesem letzten Falle wohl bedenken, daß die sächsischen Herzogtümer besonderes Anrecht auf den Schutz Seiner Majestät haben, daß die meisten berühmten Männer, die den Wissenschaften und Künsten in Deutschland Glanz verliehen haben und noch verleihen, in Weimar und Gotha gelebt haben und daß diese beiden kleinen Städte selbst jetzt noch eine Bedeutung und einen Einfluß bewahrt haben, die ihre Wichtigkeit in anderer Beziehung weit übersteigt.
Bericht St. Aignans, Weimar, 30. April 1813.
Der Herzog von Weimar hat mir von der Unterredung erzählt, die er mit Seiner Majestät gehabt, hat mir gesagt, daß er nach Ihren Befehlen dem König von Sachsen schreiben würde, daß er ihm berichten müßte, der Kaiser sei über seine Gefühle im ungewissen und bäte ihn, sich offen zu erklären, da es Seiner Majestät peinlich wäre, über einen Verbündeten Zweifel zu hegen, auf den sie ebenso sehr rechnen müßte. Er hat hinzugesetzt: „Indem mir der Kaiser (sein) Missvergnügen mit der Haltung des Königs von Sachsen bewies, glaubte er vielleicht, daß ich ihm sagen würde: Ich stehe zu Eurer Verfügung, Sire, wenn ich Euch mehr zusage. Es hat so viel Feiglinge in Deutschland gegeben, die es so gemacht haben, aber ich bin nicht wie diese Leute.“ Und als ich ihm sagte, der Kurfürst Moritz wäre nicht so zartfühlend gewesen wie er und hätte die Staaten seines Vetters, des Kurfürsten Johann Friedrich, den Karl der Fünfte seiner Besitzungen beraubt hatte, gern genommen, hat er mir geantwortet, der Kaiser habe ihm in Bezug darauf gesagt, daß er an Stelle Karls des Fünften sich zum Protestanten erklärt und den Papst vertrieben hätte.
Der Herzog war außerordentlich geschmeichelt von der Gnade, mit der Seine Majestät zu ihm zu sprechen geruhte, und über Ihre vertrauende und einfache Art, in der Sie mit ihm über verschiedene Gegenstände von größtem Interesse sprach. Ich sagte ihm dann, er dürfe zufrieden sein, worauf er entgegnete: „Zufrieden ist nicht der rechte Ausdruck, das ist vielmehr erstaunt, denn er ist ein wahrhaft außergewöhnliches Wesen. Das ist kein europäischer Geist, es ist ein orientalisches Genie, er kam mir vor wie ein von Gott Erfüllter. Ich bilde mir ein, daß Mohammed so sein müßte.“
Quelle:
- Insel-Almanach. Leipzig: Insel-Verlag 1906
- The life of Napoleon Bonaparte by William Milligan Sloane. New York: The Century Co., 1906.
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