Chewsuren. Trachten des Kaukasus.
ZENTRALKAUKASUS.
Chewsuren Bluse und Hose.
Hergestellt aus schwarz-blauem, starkem Wollstoff mit Stoffbesatz, Litze und kleinen weißen Porzellanknöpfen. Die dekorierte Öffnung für den Hals ist wie bei den persisch-indischen Hemden seitlich geknöpft.
Die Chewsuren bevorzugen, wie der alte Retennus, der im Nahen Osten lebte, das Kreuz (Malteserkreuz) als Dekoration für ihre Kleidung. Die Bluse ist seitlich geschlitzt, und es gibt eine Öffnung in altpersischer Manier unter den Achseln. Chewsuren Wollhose mit farbigen Stoffbesätzen (vgl. von Radde „Die Chewsuren und ihr Land“, Kassel 1878). Orig. im Kaukasus Museum Tiflis, v. Radde Coll.
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Die Chewsuren (georgisch: ხევსურები) sind eine ethnische Gruppe von Georgiern, die hauptsächlich in Khevsureti, auf beiden Seiten der Kaukasus-Bergkette in den Einzugsgebieten der Flüsse Aragvi und Argun leben. Die Chewsuren sprechen die georgische Sprache mit chewsurischem Dialekt.
Die ersten Chewsuren werden in den Manuskripten des 10. Jahrhunderts erwähnt. Im Jahre 1745 wurden sie von Vakhushti Bagrationi in seiner Arbeit Beschreibung des Königreichs Georgien beschrieben.
Der russische Ethnograph Arnold Esserman ging davon aus, dass die Chewsuren Nachkommen westeuropäischer Kreuzritter waren, die sich hier niederließen und starken georgischen Einflüssen ausgesetzt waren. Es gibt viele Hinweise, die auf Kontakte zwischen Georgiern und Kreuzrittern im 12. und 13. Jahrhundert hinweisen. Ihre materielle, soziale und religiöse Kultur ist der des mittelalterlichen Westeuropas sehr ähnlich: Noch im 20. Jahrhundert trugen der männliche Chewsur Kettenhemden und lange Schwerter, ihre Kleidung und Fahnen waren mit Kreuzen geschmückt und sie fühlten sich der heiligen Armee der georgischen Herrscher gegenüber loyal. Sie sehen sich noch immer als Nachkommen von Kreuzrittern. Es ist jedoch nicht möglich, aus Quellen nachzuweisen, ob dies tatsächlich der Fall ist.
In den Bergen des Kaukasus, hörte der amerikanische Reisende Richard Halliburton 1935 eine seltsame Geschichte, als er die Stadt Tiflis in der damaligen Sowjetrepublik Georgien besuchte.
1915, ein Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wachten die Bürger von Tblisi (Tiflis) auf und beobachteten, wie eine Truppe von berittenen Kriegern die gepflasterten Straßen hinunter geritten kamen. Sie waren mit rostigen Kettenrüstungen, Schwertern und Schildern bewaffnet und trugen Waffen aus der Zeit des Altertums. Sie nannten sich selbst die Khevsoor. Als sie erfuhren, dass sich ihr Zar im Krieg befand, wollten sie ihm ihre Schwerter zur Verfügung stellen. Diese Männer kamen aus der abgelegenen Region des Kaukasus – einem Gebiet, das von der Außenwelt durch Eis und Schnee für volle neun Monate im Jahr von der Aussenwelt abgeschnitten war.
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Die Chewsuren betrachteten sich als die direkten Nachkommen einer Gruppe von Kreuzrittern, die sich von einer größeren Armee trennten und in diesem abgelegenen Gebiet festsaßen. Tatsächlich glaubte Halliburton, französische und deutsche Fragmente in deren Dialekt erkannt zu haben.
Auszug aus: Zwölf Geheimnisse im Kaukasus von Essad Bey.
Unten im chewsurischen Tal herrscht ewige Rube, tagelang kann man durch Chewsurien wandern, ohne einen Menschen zu treffen. In dem ganzen Lande, das räumlich keinesfalls zu den kleinsten Landschaften gehört, stehen voneinander weit entfernt Burgen, und um jede Burg sind einige viereckige, steinerne Türme gebaut. Das ist alles. Mehr ist dort nicht gebaut worden. In diesen dreißig Burgen wohnt das Volk der Chewsuren, ein merkwürdiges, geheimnisvolles Volk der Berge. Wer die Chewsuren sind und woher sie stammen, ist unbekannt. Ein Geheimnis umgibt sie, es zu lütten, ist beute noch unmöglich. Zu wenig erforscht ist das Volk, das in seiner Lebensart, in seinen Sitten und Gebräuchen so gänzlich anders ist als seine Nachbarn.
Zuerst das Äußere: Nur selten, wenn fremde Gäste ihre Dörfer besuchen, ziehen die Chewsuren ihren Tscherkessenanzug an, die übliche Tracht des Kaukasus. Sonst tragen sie merkwürdige Gewänder: über einem kurzen, ausgeschnittenen Hemd wird ein, langes, geschlossenes Überkleid angezogen, auf dessen Vorderseite mitten auf der Brust ein großes, gelbes maltesisches Kreuz aus gelben Bändern eingenäht ist. Zum Unterschied von allen Völkern des Ostens tragen die Cbewsuren Männer und Frauen keine breiten Seidenhosen, sondern enge Strümpfe, die bis über das Kniegelenk reichen, und als Kopfbedeckung viereckige Mützen, um die ein buntes Tuch gewickelt wird. Kopf und Barthaar werden glatt rasiert, der Schnurrbart dagegen bleibt stehen. Das gelbe maltesische Kreuz wird nicht nur auf das Hemd genäht, sondern in verkleinerter Form überall, wo es sich nur anbringen läßt, getragen.
Das ist der Friedensanzug des Chewsuren. Ganz anders sieht er im Kriege aus. Seine durch Generationen vererbte Rüstung ist weder europäisch noch asiatisch. Sie ist mittelalterlich. Ein Helm bedeckt den Kopf. Ein Stahlhemd liegt auf Schultern und Rumpf.
Arme und Beine sind mit schweren Messingschienen geschützt. In der linken Hand hält der Chewsure einen runden Schild mit dem Malteserkreuz und in der Rechten eine Lanze, neuerdings auch ein Gewehr. Am Gurt hängt ein gerades Schwert. Der ganze Anblick erinnert mehr an einen Kreuzritter, als an einen wilden Bergmann. Der Eindruck wird noch verstärkt, wenn man die Schwerter und Schilder genauer betrachtet. Ritter, Adler und alte Wappen sind im Stahl eingraviert und mit lateinischen Inschriften versehen. Die Inschriften lauten: „Genua, Vivat Stephan“, „Vivat Husar, Souvenir“ und sogar „Solingen“; auf einem alten Schild kann man auch die Buchstaben A. M. D. entziffern, also den Spruch der Kreuzritter: „Ave Mater Dei“.
Mit dieser Rüstung ziehen die Chewsuren in den Kampf, meistens in den Zweikampf, der sich in folgender Weise abspielt: Die Gegner knien auf dem rechten Knie, ziehen ihre Degen heraus und beginnen ein richtiges Duell. Bald springen sie auf, singen ein regelrechtes Kampflied, schlagen wild aufeinander los, bald decken sie sich wieder in der Hockstellung. Den Kampf zu unterbrechen ist unmöglich. Jeder, der dazwischentritt, wird erschlagen. Nur ein Mittel gibt es. Eine Frau, am besten ein junges Mädchen, kann ihr Tuch zwischen die Kämpfenden werfen. Dann müssen die Gegner sofort ihre Schwerter in die Scheide stecken, vor der Frau das rechte Knie beugen und sich vom Feld der Ehre zurückziehen. Manchmal reißen die beiden Kämpfer das Tuch in zwei Teile und befestigen jeder den seinen als Zeichen des durch ein Mädchen beendeten Kampfes an ihrem Schilde.
Die Inschriften, die Rüstung und die Art des Zweikampfes sind merkwürdig genug, um die seltsamsten Vermutungen aufkommen zu Jassen. Was sind nun die Chewsuren, die stolzen Träger des Malteserkreuzes, die in Stahl gekleideten Kavaliere? In die Berge verdrängte, verwilderte Kreuzritter, die aus Palästina vertrieben wurden, wovon die kaukasischen Legenden hartnäckig zu berichten wissen? Oder ein unbekannter Stamm, der irgendwann einmal unter den Einfluß Europas geriet und fliehende oder aus der Heimat vertriebene Ritter des Mittelalters als Träger einer höheren Kultur bei sieb aufnahm? Eine Antwort hierauf ist, wie gesagt, heute noch unmöglich. Die Forscher und die Wissenschaft haben ihr letztes Wort über die Chewsuren noch nicht gesprochen. Zu wenig beobachtet, zu wenig besucht wurde das Chewsurenland. Nur die verfolgten Bolschewisten, die Emigranten und die fliehenden Weißgardisten, die oft Monate unter den Chewsuren verbrachten, könnten Wesentliches über die Leute berichten. Sie tun es aber nicht, sie sind verschwiegen wie alle Politiker. Sie haben kein Interesse an der Erforschung der Reste der Kreuzritter.
Die Anklänge an das Kreuzrittertum sind aber lange nicht das einzig Interessante, was über die Chewsuren zu berichten ist; nicht minder seltsam und grotesk ist die Religion dieser freien Einsiedler, eine Religion, die jeden gelehrten Theologen verwirren und auf den Kopf stellen kann.
Die Chewsuren sind, wenn man will, Christen. Sie verehren das Kreuz, die Mutter Gottes und vor allem auch den Heiligen Georg und die Apostel Peter und Paul, Bei vorgeschriebenen Gelegenheiten schlagen sie fromm ein Kreuz und vergessen nie, wenn ein Schaf geschlachtet ist, den Finger in das Blut zu tauchen und sich ein Kreuz auf die Stirn zu zeichnen. Außer diesem Zeichen wissen sie vom Christentum nichts. Jesus ist ihnen unbekannt, ebenso wie alle charakteristischen Anschauungen und Gebote des Chrirstentums. Sie feiern zwar den Sonntag; doch nicht ihn allein, sondern auch Freitag, Sonnabend und Montag sind ihre offiziellen Feiertage. Und wenn man nach dem Grund dieser Feiertage fragt, so erfährt man, daß Sonntag der Georgier wegen gefeiert wird, die bekanntlich Christen sind, Freitag, weil die mohammedanischen Nachbarn in den Bergen diesen Tag heiligen, Sonnabend aber wegen der Bergjuden und Montag zum Zeichen, daß die Chewsuren ein freies Volk sind, die tun können, was sie wollen, und die also, um sich von allen anderen Religionen zu unterscheiden, auch am Montag feiern dürfen. Die Sonntagsruhe kann als ein Beweis ihrer Christenfrömmigkeit natürlich nicht gelten. Sie essen übrigens auch kein Schweinefleisch, haben Vielweiberei und Leviratsehe und übernachten, um sich von allen zu unterscheiden, nie mit der Frau in einem Zimmer, besuchen überhaupt nur selten ihre Frauen und lassen sich scheiden, wenn die Frau innerhalb der drei ersten Ehejahre schwanger wird, denn das gilt dann als Schande.
Quelle:
- Oriental costumes, their designs and colors by Max Tilke, L. Hamilton. New York, Brentano 1922.
- The People of the Caucasus. Max Tilke, 1915.
- Asia by Elisée Reclus, Ernest George Ravenstein, Augustus Henry Keane. New York, N.Y.: Appleton, 1891.
- Zwölf Geheimnisse im Kaukasus von Essad Bey. Deutsch-Schweizerische Verlagsanstalt, Berlin 1930.
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