WIEN ALS KUNSTSTADT IM 18. JAHRHUNDERT.
Wien als Kunststadt im 18. Jahrhundert
von Ludwig W. Abels.
DIE politische Konstellation war, wie gesagt, zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Österreich eine für Entwicklung der Künste überaus günstige. Nicht nur die überwiegende Macht der Habsburger in Mitteleuropa, als der einzigen Dynastie, welche mit der Glorie Ludwigs XIV. wetteifern konnte, sondern speziell die Beziehungen zu anderen kunstreichen Ländern, zu den Niederlanden, zu Spanien und vor allem zu Italien hatten den Sinn für Prachtentfaltung und Kunstpflege in Österreich erweckt. Früh hatte hier eine imponierende Sammeltätigkeit begonnen, welche auf Gemälde berühmter Meister, auf Prunkwaffen und Geräte, auf Münzen und Medaillen, sowie auf kostbare Bücher ihr Augenmerk richtete. Nun kam dazu, daß infolge des spanischen Erbfolgekrieges Österreich zur Vormacht in Oberitalien gelangte, nachdem in Venedig, Mailand, Genua usw. die anderen Einflüsse zurückgedrängt waren.
Nebenlinien des Hauses Habsburg hatten in den wichtigsten alten Kunststätten die Herrschaft inne. Noch heute sind die ererbten Titel der Großherzoge von Modena und Toskana, der Parma und Este im Brauch; noch heute sind die Namen alter italienischer Geschlechter in Armee und Kirche Österreichs vielfach vertreten: die Orsini, Colloredo, Montecuccoli. Dazu kam die Übereinstimmung der religiösen Gesinnung, der gottesdienstlichen Formen.
Zunächst kam dieser lebhafte Austausch hoher Kulturwerte in der Baukunst zum Ausdruck. In Wien und Umgebung, besonders am Donaustrom, entstanden herrliche Kirchen, Klöster und Schlösser, entfaltete sich ein Zusammenwirken von Baumeistern, Steinmetzen, Tischlern, Malern, Goldschmieden usw., von dessen Intensität und Gewissenhaftigkeit man gerade in jüngster Zeit durch Publikation von zahlreichen in Archiven verborgen gewesenen Dokumenten überzeugende Kunde erhielt.
Auch deutsche Historiker beginnen sich neuerlich für diese Kunstepoche zu interessieren. Cornelius Gurlitt (1850-1938), der vorzügliche Kenner baukünstlerischer Werte, hat sich mit viel Geist und Temperament für ihre Größe eingesetzt. Er hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die Wiener Barocke viel höher steht und viel kraftvoller ist, als die italienische und französische, daß sie vielmehr eine aus deutscher Volkskraft geborene Fortführung der mächtigsten Renaissance-Züge sei, entstanden im Kampfe gegen die Barockkünstler der Bologneser Schule, gegen die Galli-Bibiena und Pozzo. „Alle Stilbegriffe sind relativ,“ sagt Gurlitt, „so auch der Klassizismus der Wiener Hauptmeister, der Fischer, Gran, Donner. Er ist eine Absage gegen das Weitergehen ins Land barocker Übertreibung, er ist eine Umkehr nach der Richtung der Einfachheit!“
Wohl hatte man anfangs auch italienische Meister herbeigerufen, wie jenen Burnacini, von dessen phantastischem Geist alle die vielen im Wiener städtischen Museum aufbewahrten überladenen Entwürfe für Triumphpforten, Bühnenprospekte, Denkmäler Kunde geben, und von dem auch der Entwurf der später von Fischer, Strudl und anderen ausgeführten Pestsäule am Graben herrührt. Aber die österreichischen Meister, die Fischer von Erlach, Prandauer, Lucas von Hildebrandt, übertrugen das in ihre eigene Sprache. In der ganz selbständigen Profilierung, in der derberen, mit kräftigem Materialempfinden durchgeführten Massenentfaltung zeigten sie eigenartige Gedanken und eine schöpferische Formsicherheit. „Es ist der neuen Kulturgeschichte – welche den geistigen Inhalt einer Zeit nur nach der wissenschaftlichen Leistung mißt – entgangen, daß hier aus der Schlichtheit eines heiteren, von Zweifeln freien Glaubens wieder eine künstlerische Blüte erwuchs. Ein zum alten Glauben zurückgeführtes und in ihm sich sicher geborgen fühlendes Volk brachte hier wieder das Beste, was es besaß, seine Kunstliebe, der Kirche in überreichem Maße dar; und zwar in einem Schallen, das unmittelbar aus dem Volke hervorging, ihm eigen war, und seine Art in vollkommener Selbständigkeit darlegte.“ – Gegenüber dem häufig wiederholten Vorwurf, diese ganze Kunst sei nur von Adel und Geistlichkeit dem Lande aufgedrungen worden, ist eine solche Äußerung eines unparteiischen, fremden Sachverständigen, wie Gurlitt, von besonderem Wert. „Die Klärung nach der klassischen Seite,“ fährt er fort, „vollzog sich in allen Gebieten der Wiener Kunst. Ihr Grund liegt nicht nur in den äußeren Verhältnissen, sondern in dem gemeinsamen Wirken so großer Meister, wie es Fischer von Erlach, Donner und Gran waren, in der verständnisvollen Lehre der Wiener Kunstschule. Sie hat in literarischer Beziehung wenig Ausdruck gefunden und ist daher in einem literarischen Zeitalter wie dem 19. Jahrhundert fast ganz übersehen worden; außer für die Schwesterkunst, für die Musik.“
Also ein Gesamtkunstwerk, ein Zusammenwirken aller sinnlich-künstlerischen Triebe stellt die Kultur jener Alt-Wiener Epoche dar, und sie ist in dieser Beziehung wert, neben den großen Kunstepochen aller Zeiten, neben der Renaissance in Italien, der niederländischen, besonders neben der französischen Kunstblüte des 18. Jahrhunderts ihren gebührenden Rang zu erhalten. Auch in der Renaissance ist ja der Auftrag für den Künstler meist aus dem Prunkbedürfnis des weltlichen oder kirchlichen Machthabers entstanden, ohne daß die Eigenheit und Kraft des Künstlers darunter gelitten hätte. Übrigens ist im späteren 18. Jahrhundert, unter Maria Theresia und Josef II. die Teilnahme der bürgerlichen Kreise an der künstlerischen und kunstgewerblichen Tätigkeit eine immer breitere geworden. Hausrat und Mobiliar, Zierstück und Körperschmuck wurden nach Qualität verstanden und erstanden; und auch das Porträt, das freilich nur von den reicheren Familien bei bedeutenden Malern bestellt werden konnte, wurde bald zu einem Gebiet allgemein bürgerlicher Kunstpflege, als sich eine Schule vorzüglicher Miniaturmaler herausbildete, und es Sitte wurde, von Eltern, Geschwistern, Gatten, Kindern das fein und zierlich auf Elfenbein hingehauchte Konterfei im Portefeuille bei sich zu tragen oder auf dem Schreibtisch aufzustellen. Wie dem einzelnen Bürger allmählich auch Gelegenheit ward, an dem gesamten Geistesleben der Zeit, an Theater- und Musikaufführungen, an Literatur und Kunst teilzunehmen, das sol1 späterhin an einzelnen Beispielen erörtert werden.
Zunächst freilich waren der Hof und der Adel, sowie die Geistlichkeit in der Bewegung führend. Sie zogen mit großer Weltkenntnis ihre Künstler aus allen Ländern heran. Von Italienern waren der bereits genannte Burnacini, dann Carlo Fontana in Rom, welcher dem Fürsten Hans Adam von Liechtenstein 1696 die Pläne für sein Gartenschloss in der Rossau (in welchem sich noch heute die berühmte Liechtensteinsche Galerie befindet) entwarf, Domenico Martinelli (geb. zu Lucca um 1650, gestorben 1718), welcher das Majoratshaus dieses fürstlichen Geschlechtes in der Stadt (heute Bankgasse 9) baute, Donato Felice Allio, der Erbauer der Salesianerinnenkirche (Kirche und Kloster der Heimsuchung Mariens, Wien) und des Stiftes Klosterneuburg, ferner die Bildhauer Artaria, (Stammvater des Wiener Geschlechtes), Lorenzo Mattielli (geb. 1688 zu Vicenza, gestorben zu Dresden am 28. April 1748), dann zahlreiche Maler aus Bologna und Venedig, unter anderen der gefeierte Francesco Solimena, genannt L’abate Ciccio, für Wien tätig. Daneben wirkten die Pariser: Louis Dorigny (geb. 1654-1742) als Freskomaler am Palast des Prinzen Eugen von Savoyen, Jean Trechet (seit 1688 in Wien) als Gartenbaumeister in Schönbrunn, andere Franzosen als Gobelinweber usw. Auch aus Antwerpen und Brüssel wurden Porträtmaler und Kupferstecher berufen, so die in Paris ausgebildeten Jakob und Balthasar van Schuppen, Martin Meytens, wie vorher schon Suttermans und andere.
Bald aber kamen die Kinder des Landes zu Worte und in den Vordergrund. Unter den Baukünstlern ist seit längerer Zeit, besonders seit den verdienstvollen, wenn auch noch schwankenden Forschungen Ilgs (Albert Ilg, Kunsthistoriker 1847–1896), Johann Bernhard Fischer von Erlach als der bedeutendste bekannt. Er wurde 1656 in Graz, der ehrenfesten Hauptstadt der Steiermark, geboren, bildete sich in Rom unter Schor und Fontana, namentlich an Bauten, wie der Palazzo Colonna, kam dann mit fünfundzwanzig Jahren nach Wien, wo er, zunächst noch unter der Leitung Burnacinis, an der prächtigen Pestsäule (auch Dreifaltigkeitssäule genannt) mitarbeitete; man erkennt seine Art an dem strengen, maßvollen Unterbau, während in der kulissenartigen Behandlung des oberen Teiles noch die üppige Phantasie des ersten Leiters zu spüren ist.
1695 begann Kaiser Josef I. den Bau eines Lustschlosses – Schönbrunn -, in dem er mit Versailles rivalisieren wollte, und zog Fischer für diese Aufgabe heran. Dieses große Projekt wurde freilich erst durch Maria Theresia weitergeführt. (S. Abbildung.) Aber eine Reihe anderer Palastbauten gaben den Künstlern, vor allem Fischer von Erlach, ausgiebige Gelegenheit zur Betätigung ihrer Talente.
1697 wurde der Grundstein zu dem prächtigen Gartenpalais des Fürsten Fondi gelegt, das später in den Besitz des Fürsten Schwarzenberg überging; es ist jedem Wien er und Besucher Wiens wohlbekannt. Von der Ringstraße aus gesehen, den schönen Schwarzenbergplatz dominierend, bietet es an klaren Tagen, besonders im Frühjahr im Schmuck des umrahmenden Grüns, einen wundervollen Anblick.
Auf Fernwirkung, schöne Platzanlage, Silhouette und Gruppierung wurden bei allen Bau-Unternehmungen jener Epoche, in deren Schilderung wir weiter unten fortfahren, in großzügiger Weise hingearbeitet. Das ist eben einer der Hauptvorzüge des alten im 18. Jahrhundert geschaffenen Wiener Stadtbildes, daß Künstler und Kunstfreunde jener Zeit sich mit dem Eifer, der damals zur vorgeschriebenen Bildung gehörte, dem Studium der besten Vorbilder widmeten und die schönsten Platzanlagen Roms genau kannten.
Um die großartige Leistung ganz zu verstehen, muß man betrachten, was die Künstler jener Zeit in Wien vorfanden. Wenn man das damalige Stadtbild – vor den zahlreichen Neubauten – überschaut, findet man eine festungsartig zwischen Mauern eingezwängte kleine Ortschaft mit einigen wenigen imponierenden gotischen Bauwerken und geringen Spuren der deutschen Renaissancebauweise. Von den Kirchenbauten der gotischen Epoche sind ja einige der markantesten als ewiges Wahrzeichen stehen geblieben. Vor allem im Zentrum der Stadt der Stephansdom, der – wie so viele Kolossalbauten jener über ihre materiellen Mittel hinaus himmelstürmenden Epoche – unvollendet, mit dem einen aufgebauten Turm, das berühmte, weithin sichtbare Wahrzeichen Wiens bildet; die Kirche Maria am Gestade mit ihrer schönen gewölbten Turmendigung. Die alte gotische Peterskirche brannte ab und wurde eben in der Barockzeit neu errichtet. Von den bürgerlichen Wohnhäusern jener Jahrhunderte ist nichts erhalten geblieben. Eine einzige Stadtansicht von der Donauseite aus gibt einen Begriff von dem Aussehen jenes älteren Bezirks mit dem roten Turm, den Zinnen und Erkern der alten Häuser.
Eine andere Quelle, die eines genaueren Studiums bedürfte, und auf die ich bereits vor mehreren Jahren die Öffentlichkeit aufmerksam gemacht habe, ist ein Zyklus von Gemälden eines Meisters um 1500, der das Leben Mariä und Christi auf Wiener Schauplätzen sich abspielen läßt. Diese Bilderfolge befindet sich in der hochinteressanten, dem Publikum sowie dem Baedeker unbekannten Gemäldegalerie des uralten Schottenstiftes am Hof. – Aus der nachfolgenden Zeit gibt es mehrere Abbildungen; die Straßen und Plätze hatten im 16. und 17. Jahrhundert ein ähnliches Aussehen wie diejenigen mitteldeutscher Städte. Als vor etwa 20 Jahren in Wien eine große „Theater- und Musikausstellung“ abgehalten wurde, hatte das Komitee den hübschen Einfall, eine getreue Kopie des Hohen Marktes mit dem Gerichts- und Schrannengebäude, den hübschen Giebelhäusern und Lauben errichten zu lassen und auf diesem stimmungsvollen Platze ein kleines Hanswursttheater zu inszenieren, auf welchem Schwänke von Hans Sachs, Kasperliaden, Werke der Wiener Possendichter Stranitzky und Prehauser im Freien zur Aufführung gelangten.
Auch literarische Zeugnisse, Beschreibungen der Stadt aus der Feder bedeutender Autoren, geben Kunde davon, daß schon das enge, mauerumgürtete Wien des Mittelalters und des 15. Jahrhunderts schöne Bauten und malerische Plätze hatte. Eine der ausführlichsten und klügsten Schilderungen ist die des berühmten, später zum Papst Pius II. gewählten Enea Silvio Piccolomini, aus den Jahre 1451. Er erzählt, daß die Häuser der Bürger hoch und geräumig, wohl geziert, gut und fest gebaut seien, mit hübschen, zum Aufenthalt geeigneten Hofräumen und großen heizbaren Stuben; er rühmt also der Wiener Bauweise ähnliche Vorzüge nach, wie sie von den Nürnbergern berichtet werden. „Die Häuser weisen hohe Giebel auf, sind zumeist von außen und innen bemalt, durchwegs von Stein, die Dächer meist aus Schindeln, seltener aus Ziegeln. Die Fenster sind fast überall aus Glas, Tore und Gitter mit schmiedeeiserner Arbeit, in den Wohnräumen findet man reiches und kunstvolles Gerät; Vögel singen in den Käfigen.“ – Ein anmutendes Bild! Leider ist von den Bauten jener Tage so gut wie nichts erhalten geblieben; und nur das Portal der Salvatorkapelle, einige Teile der Hofburg, Reste des „Neugebäudes“ und wenige kleinere Objekte geben davon Kunde, daß auch in Wien der Renaissancestil Pflege fand.
So bedauerlich diese Lücke im Interesse eines reichhaltigen Stadtbildes sein mag, so war doch gerade durch die freiere Dispositionsmöglichkeit den Bauherren und Baukünstlern Gelegenheit zu einer großzügigen Anlage gegeben, bei welcher das wellige ländliche Terrain und besonders der gegen Süden und Westen ansteigende Boden Wiens in kluger Weise ausgenützt wurde. Es muß hier auf eine Eigenheit des Wiener Stadtbildes hingewiesen werden: Für das ganze 18. Jahrhundert und bis herauf zur Mitte des folgenden Säkulums (Zeitraum von hundert Jahren) behielt die Unterscheidung von Stadt und Umgebung größte Wichtigkeit. Es war schon früher davon die Rede, daß Stadt- und Sommerpaläste angelegt wurden – beides im Rahmen des heutigen Wien. Das ist eine Erscheinung, die einer Erklärung bedarf und die viele Eigenheiten in der Lebensweise der Wiener bedingt. Noch in dem Leben und Schaffen eines Grillparzer, Schwind, Beethoven spielt diese Zweiteilung eine wichtige Rolle. Nicht nur Hof und Adel, auch die vermögenden Bürgerfamilien hatten ihre Wohnung im Winter innerhalb, im Sommer außerhalb der Stadtmauern. Während die Basteien und Wälle den festungsähnlichen Stadtteil, der heute noch „Innere Stadt“ heißt, zu einem eng begrenzten Schauplatz der politischen und geschäftlichen Tätigkeit machten, war außerhalb der weitläufigen „Glacis“ ringsum ländliches Terrain, wie die Namen „Heugasse“ „Alleegasse“ noch heute bezeugen. Weite Felder, bewaldete Hügel, Weingärten breiteten sich dort aus, und erst vor neun Jahren wurde bei Errichtung des Kreuzherrenhofes nächst der Karlskirche das kleine altersgraue Häuschen abgerissen, in dem vor drei- bis vierhundert Jahren die Bauern und Weinhüter gezecht hatten. Ich will späterhin, bei der Schilderung der Biedermeierepoche und ihrer künstlerischen Betätigung auf dieses Thema noch zu sprechen kommen und auf charakteristische Stellen in den Biographien großer Meister hinweisen.
(Bild oben als Gemälde)
Damals nun wurden mit großem Blick dominierende Punkte zur Anlage von Kirchen und Palästen ausgesucht, welche auch die Ausgestaltung eines wirkungsvollen Vorplatzes, einer Zufahrt und die Angliederung schöner, nach italienischem und französischem Muster kultivierter Parks gestattete. Diese alten Gärten, die heute noch bestehen, bilden eine ganz besondere Spezialität der Wiener-Stadt und haben sicher auf die Vertiefung des seelischen Lebens und auf die Heranbildung künstlerischen Empfindens mächtig eingewirkt. Architektonisch gegliederte Partien mit glatt geschorenen Laubwänden, in deren Nischen „antikisch“ nackte Gottheiten und Heroen posierten – Paris und Helena, Apollo und Daphne, der Raub der Sabinerinnen bildeten die Lieblingsthemen, auch die Pomona, die neun Musen (im Belvedere-Park), spielende Putten als Jahreszeiten oder Monate – wechselten in diesen ausgedehnten Parks mit natürlichen Gruppen dicht belaubter Kastanien, mit ansteigenden Rasenplätzen, über die eine „Gloriette“, oder eine Drachenhöhle herabsah. Teiche für Schwäne, Enten, Karpfen, Goldfische, prächtige Brunnen mit Ungeheuern, Meergottheiten, Wasserspeiern wurden angelegt.
Man begreift, welchen Eindruck solche Herrlichkeiten auf das Gemüt schlichter Bürgerskinder, die eben aus einer dumpfen Schulstube, aus einem finstern Wohnraum entflohen sind, machen müssen. Anfangs war wohl ein Teil dieser Gärten nur dem Genuss der adligen Besitzer und ihrer Freunde gewidmet; aber Kaiser Josef II. öffnete Volksgarten, Prater und Augarten und gab damit das Zeichen zur Erschließung all dieser Parks. Damit war auch eine Annäherung und genaueres Studium der umgitterten Palast bauten ermöglicht. Außer dem kaiserlichen Lustschloss Schönbrunn. dem Augarten in der Leopoldstadt, dem Volksgarten nächst der Hofburg, dem Belvedere-Schloß des Prinzen Eugen seien der Park des fürstlich Schwarzenbergischen und des Liechtensteinischen Sommerpalais, sowie der Eszterhazypark hier angeführt. In den berühmten Gemälden des Bernardo Belotto, gen. Canaletto, sind diese Lokalitäten noch mit dem ganzen Reiz der Staffage erhalten.
Um diese Schlösser und Parks entstanden rings neue Ansiedlungen von Bürgern, so in Liechtenthal, wo Fürst Adam Liechtenstein den ihm gehörigen Grund in Bauplätze aufteilte und gegen billigen Zins verlieh. Und die Bauweise der kleineren Bürgerhäuser richtete sich nach den willkommenen vornehmen Mustern, ohne dabei die praktischen Bedürfnisse zu verkennen. Ja, es wurde sogar (unter Maria Theresia) eine Verordnung erlassen, daß die Fassadenentwürfe aller Neubauten der Regierung vorzulegen seien! Gerade eine solche Vorschrift ist heute, wo jeder Bauspekulant das Straßenbild ruinieren darf, nicht durchzusetzen – -!
Daß solche Prinzipien der leitenden Kreise auch der Bevölkerung nahelegten, die Schönheit zu suchen und zu pflegen, ist klar. Auch manche Folgeerscheinungen wären hier zu erörtern. So hatte die Sitte der Grandseigneurs, einen Teil des Jahres auf dem Lande zu verbringen, auch auf den Bürger, der in anderen Städten zwischen öden Häuserzeilen zu verkümmern pflegte, günstig eingewirkt. Durch die engen Tore hinaus ins Freie zu pilgern, am „Tivoli“, in der Brigitten-Au, welche viele Belustigungen bot, im Prater, auch auf dem Kobenzl (der damals noch Reisenberg hieß), auf dem Kahlenberg, im Krapfenwaldl oder im Holländerdörfel sich zu erlustieren, im Zeiserlwagen auf’s Land hinaus zu fahren, ward zum Lebensbedürfnis. Und daß diese Gewohnheit den Blick weitete und die Grundlage zum intimen Naturstudium bot, aber auch den Zusammenhang mit der ländlichen Bevölkerung und ihren Sitten herstellte, wie er sich in den trefflichen Leistungen der Alt-Wiener Landschafterschule und den treu beobachteten Bauernbildern Waldmüllers und anderer offenbarte, darf in einem historischen Überblick über Alt-Wien nicht vergessen werden. Die Wiener Malerei hatte dadurch einen Vorsprung vor der deutschen und französischen, ebenso wie die englische.
Dann aber brachte die starke Bautätigkeit auch eine direkte Beeinflussung der graphischen Kunsttätigkeit. Pläne, Fassaden, Prospekte wurden von tüchtigen Meistern in Stichen festgehalten; so die Werke Fischers von Erlach durch den vortrefflichen Salomon Kleiner. Auch Pfeffel und Delsenbach waren auf diesem Gebiete eifrig tätig. Holländische und italienische Stecher wurden herangezogen und übertrugen ihr Können auf Einheimische. Die Baumeister sind auf alten Porträten nicht nur mit Zirkel und ReiBbrett dargestellt; viele waren auch tüchtige Maler. – Es war, wie gesagt, eine Kunstepoche von abgeschlossenem, einheitlichem Charakter. Man arbeitete voll Energie, dabei aber ohne Überhastung, mit starkem, durch die politischen Erfolge gehobenen Selbstgefühl, aber ohne leeren Pomp -, den der Wiener mit dem drastischen Worte „Pflanz“ bezeichnet. So kam man nicht in das bedauerliche Missverhältnis zwischen Wollen und Können, wie es so oft die Durchführung gigantischer Aufgaben im Mittelalter beeinträchtigt hatte.
Es soll nun – nach so vielen Exkursen – die Schilderung der kraftvollen schöpferischen Tätigkeit zu Beginn des 18. Jahrhunderts fortgesetzt werden. Ich will nur kurz, um nicht mit längst Bekanntem den Leser zu ermüden, die vornehmsten Werke hier anführen. Vor der südlichen Anhöhe liegt, das Palais Schwarzenberg überragend, das imposante und doch infolge der glücklichen Fassadengliederung so graziöse Belvedere, das Prinz Eugen von Savoyen durch Johann Lukas von Hildebrand (geb. zu Genua 1668, aber deutscher Abstammung) erbauen ließ. Derselbe Meister hatte vorher (1709-13) den schönen Palast des Fürsten Daun geschaffen, der später in den Besitz der Fürsten Kinsky überging und noch heute von ihnen bewohnt wird. In der schönen, genial gelösten Treppe dieses Hauses gibt sich der Schöpfer des Salzburger Mirabellschlosses zu erkennen. Es folgten, zum größten Teil nach Entwürfen Fischers von Erlach, das Palais des Grafen Batthyány, 1715 vollendet, jetzt im Besitze der Grafen Schönborn (Renngasse), und das für den Fürsten Trautson (jetzt kgl. ungarisches Gardepalais, nächst der Neustiftgasse). Ein Hauptwerk Fischers ist das Winterpalais des Prinzen Eugen (jetzt Finanzministerium, Himmelpfortgasse), ein imposanter Bau mit prächtiger, statuen- und reliefgeschmückter Fassade, schönen Torwölbungen und Höfen, einer reichen Prunkstiege; die Ausschmückung der Repräsentationssäle vereinigte an Behandlung der Boiserien, Verwendung von Bronzen und Vergoldungen, aller Arten von Dekorationsmalerei usw. sämtliche damals in Flor stehenden Künste. Leider konnte der kunstliebende Prinz immer nur wenige Monate, in den kurzen Pausen zwischen seinen großen Feldzügen, seine Schätze genießen, in die er alle Geldmittel steckte, die er als Lohn für seine Kriegstaten einheimste, und mehr noch als diese: oft mußte er Schulden machen, um seinen Passionen nachgehen zu können.
Die Leistungen, welche Fischer am populärsten machten, waren: die Karlskirche und die Zubauten zur kaiserlichen Burg. An die erstere knüpft sich viel Kampfgeschrei der jüngsten Tage. Dieser imposante, in seinen Maßen so wohl abgewogene Bau mit der ovalen, laternengekrönten Kuppel, der vorgestellten, mit antikem Giebel abgeschlossenen Säulenhalle und den beiden kolossalen, nach dem Muster der Marc Anton-Säule behandelten Säulen zu beiden Seiten ist ja natürlich auf Fernwirkung berechnet und als Mittelpunkt einer grandiosen Platzanlage gedacht. Nun ist den Baumeistern der letztvergangenen Epoche, die an dem Ausbau der neuen Ringstraße (an Stelle der aufgelassenen Glacis und Wälle) mitzuwirken hatten, das Malheur passiert, daß sie im Eifer der Arbeit diesen Prachtbau aussperrten, den Anblick von der Stadtseite aus durch eine Zeile von Wohnhäusern verbauten. – Und nun wird seit Jahren an dieser kranken Affäre herumgedoktert, ohne daß man zu einem vernünftigen Resultat kommen kann. – Das einzige Mittel, das freilich als zu radikal und kostspielig niemals zur Ausführung kommen dürfte, wäre, die paar Häuser wieder wegzureißen. – Während an diesem großen Werk Fischers von Erlach, an dem von 1716-1737 gearbeitet wurde, sich die Nachwelt bös versündigt hat, wurde das andere genannte Werk, die Hofburg, erst in jüngster Zeit in pietätvoller Weise getreu nach den Plänen ausgebaut und so statt des „Graffelwerks“, statt der schmutzigen Ruinen, welche dort die Passage versperrten, ein mächtiges, von einer Kuppel überwölbtes, Tor geschaffen, welches dem Prospekte vom Graben aus, über den Kohlmarkt weg, einen famosen Abschluss gibt. Der südliche, vom Meister selbst noch vollendete Bau, die an Stelle eines kleinen überflüssig gewordenen Lustgartens und Theaters errichtete Hofbibliothek ist mit ihrem wundervollen Saal (den wir hier in der guten Darstellung eines neueren Künstlers wiedergeben) der Typus der damaligen, auch für Pflege der Wissenschaft prunkvolle Formen fordernden Weltauffassung. Die Fassade bildet einen Teil des vielgerühmten Josefsplatzes.
In all diesen Bauwerken – an welche in den nachfolgenden Jahrzehnten noch eine lange Reihe: die „Böhmische Hofkanzlei“ (Wipplinger Straße) und das gegenüberliegende alte Rathaus (mit dem schönen Brunnen im Hofe, von Raffael Donner), das Savoyische Damenstift, die Palais Schönburg-Hartenstein, Lobkowitz, Roffrano (später Auersperg), die alte Universität, jetzt Akademie der Wissenschaften, Theresianum, Alserkaserne, mehrere Kirchen usw. anzureihen wären-, bekundet sich trotz aller Anklänge an die römische Schule eine ganz selbständige, dem Charakter des Wiener Hofes und der Stadt, sowie den speziellen Erfordernissen angepaßte Formensprache. Eine so weise und wirkungsvolle Ausbildung des Putzbaues ist in der ganzen Welt ohnegleichen. Dabei ist überall auf ein Zusammenklingen des einzelnen Baues mit der Platzanlage Rücksicht genommen; so auf dem Mehlmarkt, am Hof, auf der Freyung, in den verschiedenen Vororte-Anlagen.
So ist in der Wiener Bevölkerung der Sinn für Perspektiven, für die hübsche Vedute großgezogen worden; wie der aus Venedig herbeigerufene Canaletto im großen Ölbild, so haben zahllose Wiener Künstler im kleineren und kleinsten Format, in Öl, Aquarell und Gouache, auf Pergament, Elfenbein, Perlmutter und Horn, für Kassetten, Dosen, Uhren die Vedutenmalerei gepflegt. Von einem der besten, dem in der jüngsten Zeit besonders geschätzten Meister Wigand, dessen mit der Lupe ausgeführte Miniaturprospekte heute mit Gold aufgewogen werden, soll noch später die Rede sein. Und bis in die neueste Zeit herauf haben viele Maler, unter denen der kürzlich als hochbetagter Greis verstorbene Rudolf von Alt die erste Stelle einnimmt, diese Seite der Wiener Kunstbegabung gepflegt. Nicht nur in Wiens alten, schönen Plätzen hat er Hunderte von köstlichen Motiven festgehalten. Vor allem der Stephanskirche von allen Seiten jeden Reiz abgelauscht (vgl. die hübschen Abbildungen, welche den Stephansplatz mit der Kirche und den historisch denkwürdigen Platz „Am Hof“ darstellen, beide in großzügiger, echt malerischer Weise aufgefaßt, und mit reicher charakteristischer Staffage versehen), sondern er hat seine Kunst als Wandervogel durch die Welt getragen nach Prag, Graz, Trient, Innsbruck, nach Italien und noch weiter. Die Geschmacksrichtung des Publikums hat ihn dabei gefördert. Seine Blätter wurden stets sehr begehrt, wenn auch nicht gerade hoch bezahlt, und es war Sitte in Adels- und Patrizierkreisen, die einzelnen schönen Interieurs oder einen Durchblick durch die stattlichen Säle von Rudolf Alt malen zu lassen. – Ich greife da um hundert Jahre vor; aber es ist mein Bestreben, zu zeigen, wie diese ganze Alt-Wiener Kultur ein Kunstwerk aus einem Guss ist, wie die Quellen für die Begabung der heute höchst geschätzten Meister in jener Vergangenheit fließen.
Quelle: Alt-Wien; die Geschichte seiner Kunst von Ludwig W. Abels. MARQUARDT & CO.VERLAGSANSTALT G.M.B.H. BERLIN, 1909.
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