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Das Brauchtum der bayerischen und österreichischen Alpentäler.

Brauchtum, Tiermasken, Trudenstein, Maibaum, Schutzmittel, Schädelreliquie,
Brauchtum der mittleren Alpenvölker.

Brauchtum der mittleren Alpenvölker.

1. Steinwälle der Wallfahrer am Fürberg. 2. Trudenstein am Fenster eines Pferdestalles in Wals bei Salzburg. 3. Schutzmedizin an einer Haustür im Salzachtal. 4. u. 6. Wachsvotive aus Tirol. 5. Silber-„Feige“, Schutzmittel gegen den bösen Blick. 7. Pinzgauer Perchten, dabei der Hanswurst mit dem wurstförmigen Schlaggerät. 8. Perchtenmaske, Gastein. 9. Pongauer Perchten. 10.-12. 16. 21. Teufels- und Tiermasken der Salzburger Alpen. 13. Mit Maske, Rauschgold, Seidenbändern geschmückte Kuh beim Almabtrieb. 14. Maibaum aus Alling in Bayern. 15. Heilig-Geist-Taube aus Holz, oberösterreichischer Deckenschmuck. 17. Wachsvotiv, Bayern. 18. Klapper. 19. Holzvotiv (Geburtskugel), Tirol. 20. Schädelreliquie des heiligen Sebastian zu Ebersberg, mit Silberblech überzogene Schädelkalotte als Trinkschale benutzt. 22. Gebildbrot, Schildkröte, Oberbayern. 23. „Fraisbeten“ aus Oberbayern. 24. Rasselstock. 25. Bemalter Schädel aus Oberösterreich, 26. „Unruhe“, Deckengehänge einer bayerischen Bauernstube, aus Stroh.

Die bayrischen und österreichischen Alpentäler haben unter dem Kultritus der katholischen Kirche außerordentlich viele Reste eines vorchristlichen, von geistigen Wesen und Wirkungen in der Natur wissenden Bewusstseins erhalten. Dieses Wissen ist der Zeitepoche der Menschheitsentwicklung entsprechend abgeschwächt und unsicher und klammert sich an grob materialisierte Formen, aber es wirft in den gegenständlichen Sitten und Bräuchen immerhin noch die Schatten einer vergangenen, mit starken Empfindungen im Geistigen lebenden Volksseele.

Die Art der Bräuche klingt an das an, was die Völkerkunde überall auf der Welt für die Bewusstseinsstufe der frühen Völker festgestellt hat, und ist deshalb für die psychologische Entwicklung des Menschen von groBer Wichtigkeit.

Bild 1 stellt eine Kapelle dar, zu der Wallfahrer Steine von ApfelgröBe bis Halbzentnerschwere hinauftragen, um das Gedächtnismal immer höher und würdiger zu gestalten. Die Obos Mittelasiens, Steinwälle im islamischen Orient und sonst sind die Parallelen.

Der „Trudenstein“ in Bild 2, ein natürlich, d. h. durch Herausfallen oder Auswaschung durchlochter Stein; das K + M + B + (Kaspar, Melchior, Balthasar, die heiligen drei Könige), alljährlich mit geweihter Kreide neu angeschrieben, die Monogramme Jesu und Marias, das Kränzchen von Johanniskraut in Bild 3; „das Fraisbeten“ in Bild 23, ein Gehänge mit 19 verschiedenen Schutzmedizinen, darunter Schreckstein aus dunklem Glas, Gicht- oder Krampfring aus Kupfer, Schneckendeckel, Kapseln mit Zetteln. Reliquien, Bildern; die „Feige“ in Bild 5, die bekannte Gebärde gegen den bösen Blick und sonstiges Unheil; die Heilig-Geist-Taube, die in Schweden und Finnland, die Unruhe, in Sachsen „Brummwespe“, die in norddeutschen, schwedischen, estnischen Bauernhäusern ebenso vorkommt; der Schädelbecher des heiligen Sebastian und die bemalten Schädel oberösterreichischer und bayrischer Beinhäuser; der Maibaum in Bild 14; der Schmuck der von der Alm heimgetriebenen Kühe, der dem „Pfingstochsen“ in Norddeutschland entspricht, in Bild 13; sie alle sind Ausdrucksformen der magischen Ausnutzung der emanistisch wirksamen, geistigen Kräfte in der Natur, deren Kraft ein naturverbundenes Bewusstsein entgegenkommt.

Die Verbindung von uraltem Wissen und magischem Wollen schafft ebenso die Unzahl von Votiven und Weihgaben, in die man im südlichen Europa die katholische Bevölkerung ihr Wünschen, Bitten und Danken hineintragen sieht, und in denen sich der Wandel der Zeit wie ein aufgeschlagenes Bilderbuch lesen lässt: neben Röntgenaufnahmen gebrochener Glieder sieht man in Imaginationen geschaute innere Organe, sieht man Tiergestalten (Bild 11) und in krankhaften Visionen verzerrte Gebilde (Bild 16) als die plastischen Wiedergaben der an den Organen aufbauend beteiligten Krafte.

Eine besondere, formal über den eigentlichen Gebrauch hinaus erhaltene Art der Votive und Opfer sind die Gebäckformen, die sich bestimmten Festen und Feiern anschließen (Bild 17). Vergleichend ethnologisch und psychologisch wichtig sind die Masken der Salzburger Perchtenumzüge: am 6. Januar und den beiden ihm folgenden Sonntagen veranstalten die Gebirgler Umzüge und Tänze, wobei sie Masken und Kopfaufsätze tragen: die sog. schönen und die schiachen, häBlichen Perchten. Jene (Bild 9) sind 40-50 Pfund schwere, 1-3 m hohe, stoffüberzogene Rahmenwerke mit Bändern, Blumen, Gold- und Silberfiligran, Hahnen- und Pfauenfedern, Sonnen, Sternen und Kronen aus Messing, Geweihen, Vogelbälgern verziert. Die häßlichen Perchten sind aus Holz oder Leinwand, zum Teil mit Gipspaste überzogen, hinten mit einem Schaffell behängt und stellen gehörnte Teufelsköpfe, dämonische Fratzen und Tierköpfe vor.

Die Zeit dieser Umzüge, die „hellen Tage“, die Zeit der zwölf heiligen Nächte erklärt die Herkunft der Masken, von denen trotz ihrer groBen, bekannten Anzahl nicht zwei Exemplare einander gleichen. Es ist die Zeit der hellsehenden Schau, die Zeit, in der die elementaren Wesenheiten in der Natur gesehen wurden und die Seelen einer alten Geist verbundenen Entwicklungsepoche des menschlichen Bewusstseins sich zur Schau der Sternenwelten, Geisteswelten, Seelenwelten erlebend erheben konnten.

Die Erinnerung an diese Vergangenheit, die in Einzelvorkommnissen bis in unsere Zeit hineinragt, die aber einst eine Zeit der Mysterienschulen und der Mysterienspiele war, hat sich dann lange erhalten und die Festumzüge, die Verkleidungen, die Masken bewahrt. In den dämonischen, verzerrten, grotesken, tierischen Formen der „schiachen“ Perchten drückt sich das eigene Erlebnis der tierverwandten, menschlichen Stammesvergangenheit und ihrer Überbleibsel im Seelenleben aus. Erkennendes Erlebnis der geistigen Bedingtheit und Wirksamkeit in der äuBeren Natur, sittlich umwandelndes Erlebnis der Triebe in der inneren Natur, das ist die Bedeutung der von diesen Erlebnissen plastisch herausgestellten Masken.

Literatur u. a.
Andree, „Menschenschädel als Trinkgefässe“, in Zeitschrift des Vereins fur Volkskunde, Bd.22. Marie Andree-Eysn, „Volkskundliches aus dem bayerisch-österreichischen Alpengebiet“. Höfler, „Gebildbrote“. (Bericht) Bemalte Totenschädel aus Oberösterreich im Globus, Bd. 68.

Quelle: Die Völker Europas von Richard Karutz. Atlas der Völkerkunde. Herausgegeben von Prof. Dr. R. Karutz, 1926.

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