Dühren, Studien I. Der Marquis de Sade.

9. Die Frau im 18. Jahrhundert.

Das 18. Jahrhundert ist wenigstens in Frankreich das Jahrhundert der Frau. Mit Recht meint Georg Brandes *), dass die Goncourts, diese so fein empfindenden Verehrer weiblichen Wesens sich deshalb gerade von der Geschichte des 18. Jahrhunderts angezogen gefühlt hätten, weil der „Einfluss der Frauen damals am grössten war.“ Das Buch der Goncourts über die „Frau im 18. Jahrhundert“ gehört zu den anziehendsten kulturhistorischen Werken, wenn es auch als ein Werk der Galanterie mehr die Licht- als die Schattenseiten seines Gegenstandes hervorhebt.

*) G. Brandes „Essays“. 2. Band. 2. Auflage Leipzig, Verlag von H. Barsdorf 1897. S. 278.

Der allmächtige Einfluss der Frau hat im Kapitel „Die Herrschaft und Intelligenz der Frau“ dieses Buches eine bisher unübertroffene Schilderung gefunden *). „Die Seele dieser Zeit, das Zentrum dieser Welt, der Punkt, von dem alles ausstrahlt, der Gipfel, von dem alles herabsteigt, das Bild, nach dem alles sich gestaltet, ist die Frau.“ Vom Anfang bis zum Ende des Jahrhunderts war die Regierung der Frau die allein sichtbare, die Regierung der Mesdames de Prie, de Mailly, de Châteauroux, de Pompadour, du Barry, de Polignac. Im Staat, in der Politik, in der Gesellschaft herrschte die Frau, ihr Einfluss machte sich auf allen Gebieten des Lebens geltend. Über Krieg und Frieden wurde nach dem Willen einer Frau entschieden, nicht immer zum Heil Frankreichs.

*) Edmond et Jules Concourt. „La femme au dix-huitième siècle.“ Paris 1898. S. 471.

Und in den berühmten „Salons“ des 18. Jahrhunderts, einer Du Deffand, Necker, Lespinasse, Geoffrin, im Salon des Grandval, gaben Frauen als die Schöpferinnen dieser Einrichtungen den Ton an bei der Erörterung der Tagesfragen und der wissenschaftlichen Probleme. Hier wurde die moderne „gebildete Gesellschaft“ geschaffen. *)

*) Eine ausgezeichnete Schilderung dieser Salons entwirft Karl Frenzel „Renaissance und Rococo.“ Berlin 1876 in dem Aufsatz „Pariser Gesellschaftsleben im achtzehnten Jahrhundert“ S. 298—331. — Vergl. auh E. du Bois-Reymond „Darwin versus Galiani“ in „Reden“. Bd. I. Leipzig 1886. 8. 211 ff. – Den Einfluss der Salons kann man deutlich bei Sade im Bedürfnis der zahllosen „philosophischen Diskussionen“ erkennen.

Das Frankreich des 18. Jahrhunderts liefert aber auch den Beweis dafür, dass dort, wo der Einfluss der Frauen zu gross wird, die Bande der Familie, dieses Fundamentes jeder Gesellschaft, sich lockern, dass die Liebe unsittliche Formen annimmt, und dass neben diesem allmächtigen Einfluss der Frauen ganz gut eine Verachtung des weiblichen Geschlechts bestehen kann, wie dies im 18. Jahrhundert der Fall ist.

Die Liebe des 18. Jahrhunderts war durchweg sinnlich. Sie war Wollust geworden. Die Leidenschaft wurde durch die Begierde ersetzt und der Ehemann brachte seiner Gattin alle Liebeskünste einer Maitresse bei. (Goncourts a. a. O. S. 158.) Die Philosophie diente dazu, die Wollust zu rechtfertigen, sie war eine Apologie der Schande.

„Bei einem Souper im Hause einer, berühmten Schauspielerin, an der Tafel einer Quinault, unter den unzüchtigen Reden eines Duclos und Saint-Lambert, berauscht von den Paradoxen des Champagners, hörte die Frau in süsser Geistestrunkenheit von der Scham sagen: Schöne Tugend! die man mit Nadeln an sich befestigen muss.“ *) Bequeme Sophismen verwirrten alle sittlichen Begriffe der Frau.

*) Mémoires de Mme. d’Epinay“ Bd. I cit. nach E. u. J. de Concourt a. a. O. S. 159.

Die rein physische Liebe, welche von dem Naturalismus und Materialismus als das Ideal verkündet worden war, welche von Helvetius u. a. vor ihrer Heirat praktisch ausgeübt und von Buffon in der berühmten Phrase: Nur das Sinnliche ist gut in der Liebe, verherrlicht wurde, erschien endlich bei der Frau „in all ihrer Brutalität“ *).

*) E. u. J. de Concourt a. a. O. S. 175.

Die Geschlechtsverbindungen erhielten ganz sinnliche Zwecke, und diejenigen, welche die Liebe zu verschönern suchten, beschränkten sich darauf, die gröbsten Begierden durch kurze Hindernisse und Beimischung solcher Verzierungen, woran der Verstand mehr Anteil hatte als das Herz, schmackhafter und dauernder zu machen.

Das Wort „Galanterie“ erhielt eine ganz neue Bedeutung. Es bezeichnete sittenlose Aufführung, die sich nur von der Ausgelassenheit gemeiner Dirnen durch Beobachtung solcher Formen unterschied, welche zur Erhöhung des Vergnügens und zur Bewahrung des Scheins der Achtung vor dem Publikum dienten. Bernards berühmte Nachäffung des Ovid, die „l’art d’aimer“ predigte konventionelles Benehmen in der grössten Unzucht.

Nicht viel besser waren die „amours platoniques“, die „Intérêts oder Liaisons de Société“, die „Commerces d’habitude“ jener Zeit. Der Abbé Galiani sagt: „Die Frauen dieser Zeit lieben nicht mit dem Herzen, sie lieben mit dem Kopfe“. *)

*) E. u. J. Goncourt a. a. O. S. 181.

Die Liebe ist eine „libertinage de lapensée“ (Freiheit des Denkens). Man verwirklichte in ihr die schmutzigen Träume einer künstlich erregten Einbildungskraft, die Versuchungen der geistigen Korruption, die sonderbarsten Einfälle einer unersättlichen Wollust. Die Liebe wurde zu einem aufregenden Spiel, bei dem alles Raffinement der geistigen Unzucht aufgeboten wurde, um den Genuss zu erhöhen. *)

*) Casanova erzählt in seinen Memoiren, dass ein gewisser Blondel seine eigene Frau nicht bei sich, sondern getrennt in einer „petite maison“ wohnen liess, damit sie ihm als Maitresse erschiene und so der Umgang mit ihr ihm mehr Genuss verschaffte. („Jacob Casanova von Seingalt’s Memoiren.“ Deutsch von L. v. Alvensleben u. C. F. Schmidt. Bd. XIII, 8. 97.),

Man bereitete sich durch die obszönste Unterhaltung auf die Genüsse vor. Immer wieder wird von Sade in seinen Romanen betont, wie sehr durch die wollüstige Unterhaltung, durch das Aussprechen drastischer und gemeiner Worte der Liebesgenuss gesteigert werde. Er hatte diese Erfahrung aus der Wirklichkeit entnommen.

Mercier erzählt 1), dass die grosse Zahl der öffentlichen Dirnen den jungen Männern einen sehr freien Ton gegeben habe, dessen sie sich auch gegenüber den ehrbarsten Frauen bedienen, so dass man in diesem so höflichen Jahrhundert „grob in der liebe sei“. Die Konversation mit den am meisten geachteten Frauen sei selten zartfühlend, sondern überreich an schlechten Scherzen, Zweideutigkeiten und Skandal-Geschichten, „Schmutzige, ungezogene Scherze, die sogar die Würze der Zweideutigkeit verschmähten: Stellungen und Gebärden, welche die ekelhaftesten Ideen erweckten und überhaupt ein Ton von offenbarer Vertraulichkeit, der die geheimere ahnen liess, die kurz vorher eingetreten war, oder gleich darauf eintreten sollte“, das waren gewöhnliche Reizmittel der Liebe in jener Zeit. 2)

1) L. S. Mercier „Tableau de Paris“. Hamburg 1781. Bd. II. S. 6—
2) Friedr. „Wilh. Basil. Ramdohr „Venus Urania“ Leipzig 1798. Bd. III, Abt. 2, S. 288.

Daraus resultierte eine unerhörte Schamlosigkeit der Frauen. Mit 30 Jahren hatte die Frau den letzten Rest von Schamgefühl verloren. Es blieb nur noch die „Eleganz in der Unzucht“ übrig, die Grazie in der Wollust. Die Frau nahm alle Gewohnheiten des männlichen Wüstlings an; ihr grösstes Vergnügen war, „den Verlust ihres guten Rufes zu geniessen.“ *) So jauchzen und freuen sich auch die Frauen in S a d e s Romanen, dass sie Dirnen sind, dass sie aller Welt angehören und den Ehrennamen der „putain“ (Hure) tragen dürfen! Selbst ein so frommes Gemüt, eine so zart empfindende Seele wie Madame Roland kennt kein Gefühl der Zurückhaltung.

*) E. u. J. Goncourt a. a. O. S. 173.

Sie beschreibt in ihren Denkwürdigkeiten sich selbst und ihre Körperbildung aufs Genaueste; sie berichtet von ihrer Brust, ihren Hüften, ihren Beinen so kaltblütig, als gelte ihre Kritik einer Marmorbildsäule. *) Dürfen wir uns dann wundern, wenn z. B. bei S a d e (Juliette IV, 103) Juliette mit grenzenlosem Zynismus ihre eigenen Reize beschreibt?

*) F. Lotheisen „Literatur und Gesellschaft in Frankreich zur Zeit der Revolution 1789—94.“ Wien 1872. S. 56.

Vornehme Frauen trieben die Schamlosigkeit so weit, dass sie gleich männlichen Wüstlingen sogenannte „petites maisons“ ähnlich den petites maisons der Roués mieteten, um wie die Goncourts sich ausdrücken, „die Wollust einzuquartieren“ Ja, es kam vor, dass Aristokratinnen in Bordellen ihr Vergnügen suchten. Rétif de la Bretonne glaubte die Gräfin d’Egmont in einem Freudenhaus als Dirne gesehen zu haben. *)

*) Rétif de la Bretonne „La fille entretenue et vertueuse, ou les progrès de la vertu“. Paris 1774. S. 176 ff.

Umgekehrt war es keine Seltenheit, dass Bordellmädchen in vornehme Kreise hinein heirateten. In den „Contemporaines“ heisst es *): „Ich habe wohl noch etwas Ärgeres gesehen, nämlich, dass die Tochter einer Salzhökerin, nachdem sie schon durch die Hände der Weiber gegangen war, ein Kind gehabt, in der Strasse Saint-Honore als öffentliche Hure gelebt hatte, und in der neuen Halle nochmals war erwischt worden u. s. f., dass diese, sage ich, doch noch einem reichen Manne gefiel, ihn heiratete und ihm Kinder brachte.“

*) Rétif de la Bretonne. „Die Zeitgenossinnen.“ Berlin 1781. Bd. VI, S. 9—10.

Wir brauchen nur noch ein weiteres Beispiel zu nennen: die Du Barry! 1) Tochter eines niedrigen Steuerbeamten, war sie zuerst Modistin in Paris und kam dann in das Freudenhaus der Madame Gourdan, von dem später noch die Rede sein wird. Hier, also im Bordell, lernte sie Graf Jean Du Barry kennen, an dessen Bruder sie später bei ihrem Avancement zur Maitresse Ludwigs XV. verheiratet wurde. Kein Wunder, dass die hohe Aristokratie solchem Beispiel mit Begierde nacheiferte und eine wahre Jagd auf die „beautés populaires“veranstaltete. So entstand ein neues Modewort, das Wort „s’encanailler“. 2)

du Barry, Rokoko, Mätresse, Frankreich, Porträt,
Comtesse du Barry im Jagdkostüm. Beauvarlet, Jacques-François nach Drouais.
  1. Jeanne Vaubernier, die spätere Gräfin Du Barry, ist vielleicht die bekannteste Kurtisane der Geschichte. Als sie 1769 König Ludwig XV. zum ersten Mal vorgestellt wurde, war er ein Mann von fast sechzig Jahren, alt in Laster und Zügellosigkeit. Er war schon von vielen Mätressen beherrscht worden, aber von keiner so umfassend wie von dieser Frau. Jeanne hielt ihn durch ihren Witz und ihre groben Scherze ebenso in ihrem Bann wie durch ihre Schönheit. Als Ludwig XV. 1774 an den Pocken starb, wurde seine Mätresse umgehend vom Hof entlassen. Einige Freunde hielten jedoch weiterhin zu ihr, und sie lebte bis zur Französischen Revolution, ein Vierteljahrhundert später, in Komfort und sogar in vergleichbarem Wohlstand. Dann wurde sie des Verrats angeklagt, vor allem weil sie versucht hatte, ihre prächtigen Juwelen zu verkaufen, die einst ein Geschenk des Königs waren. Diese wurden nun zum Eigentum des Staates erklärt, und sie wurde noch im selben Jahr zusammen mit dem König Ludwig XVI. und der Königin Marie Antoinette, die sie von ihrem Hof vertrieben hatten, verurteilt und guillotiniert. (Quelle: Autobiography at the opening of the Revolutionary Age (1750-1790). New York, F.T. Daniels, 1918.)

2) Cénac Moneaut. „Histoire de l’amour dam les temps modernes“. Paris 1863. S. 393.

So ergriff, je mehr man sich den Zeiten der Revolution näherte, die sittliche Korruption auch die Frauen des Volkes. Vorbereitet und genährt wurde sie durch die berühmten „Convulsionen“, jene merkwürdigen hysterischen Krampfepidemien, welche fast 40 Jahre lang (von 1727 bis 1762) besonders in den niedrigeren Volksschichten herrschten. Sie hatten den St. Medarduskirchhof mit der Grabstätte des einst durch seine Askese so berühmten Abbé Paris zum Mittelpunkt. „Von allen Vierteln der Stadt bewegten sich die Massen zum St. Medarduskirchhof hin, um Anteil zu nehmen an den Verkrümmungen und Verzückungen. Der ganze Kirchhof mit den angrenzenden Strassen war dicht gefüllt mit Mädchen, Frauen, Kranken jeden Alters, die gewissermassen mit einander um die Wette convulsionierten.“ *)

*) W. von Bechterew „Suggestion und ihre soziale Bedeutung.“ Leipzig 1899. S. 29—30.

Frauen luden, hingestreckt in ganzer Länge, die Zuschauer ein, auf ihren Bauch zu schlagen und beruhigten sich nicht eher, als bis die Last von 10 oder 12 Männern sich mit voller Gewalt über ihnen aufgetürmt hatte. Leidenschaftliche Tänze, wie der berühmte, von Abbé Becherand ausgeführte „saut de carpe“ gaben bald diesen „Convulsionen“ eine erotische Färbung. Dulaure hat beschrieben, welche Rolle zuletzt die Wollust bei dieser merkwürdigen Form von Hysterie gespielt hat, und wie diese Convulsionen nicht wenig dazu beigetragen haben, die sexuelle Zügellosigkeit zu verbreiten *).

*) J. A. Dulaure. „Histoire physique, civile et morale de Paris“. Paris 1821. Bd. V, S. 145—147.

Man konnte den Erotismus in diesen Konvulsionen daran erkennen, dass die jungen Mädchen bei ihren Anfällen „niemals Frauen zur Hilfeleistung verlangten, sondern stets Männer, und zwar junge und kräftige Männer.“ Dazu kleideten sie sich höchst indecent, zeigten stets Neigung zur adamitischen Entblössung, nahmen laszive Stellungen an, warfen verlangende Blicke auf die ihnen zu Hilfe eilenden jungen Männer. Ja, einige riefen mit lauter Stimme: Da liberos, alioquin moriar! So liessen Unzucht und Ausschweifungen nicht auf sich warten, und wenn die Frauen in ihrem Orgasmus die Männer eingeladen hatten, ihren „Bauch, Busen und ihre Schenkel zu Promenaden zu benutzen“, mit ihnen zu „kämpfen“, konnten die in der Folge „zahlreichen Entbindungen“ von Convulsionärinnen auf die natürlichste Weise erklärt werden.

Die Hysterie („vapeurs“) war im 18. Jahrhundert unter den französischen Frauen ungemein verbreitet, wie das Buch der Madame Abricossoff
zeigt. 1) Sauvages hielt nicht mit Unrecht für die Ursachen dieser Hysterie den krassen Egoismus (amour excessif de soi-même), das weichliche, wollüstige Leben der Damen jener Zeit. 2) Die „Hysteria libidinosa“ zeitigte denn auch merkwürdige Exzentrizitäten.

1) Mad. G. Abricossoff ,“L’hystérie au XVTIe et XVIIIe sièle“ Paris 1897.
2) Abricossoff a. a. O. S. 73—74.

Die Frauen Laben im 18. Jahrhundert das geschaffen, was die neuere Zeit im engeren Sinne als „Sadismus“ bezeichnet, was wir aber später in einem bedeutend erweiterten Sinne definieren werden. Die „méchanceté“, die Schlechtigkeit, und die „noirceurs“, die heimtückischen Streiche werden Mode in der Liebe, die verbrecherische Gesinnung („scélératesse“) wird ein notwendiger Bestandteil des Liebesgenusses. *) Die Wollust wird eine Kunst der Grausamkeit, der Treulosigkeit, des Verrats und der Tyrannei. Der Macchiavellismus beherrscht die Liebe.

*) E. u. J. de Goncourt a. a. O. S. 194.

Kurz vor der Revolution treten nach den „petits maîtres“ der Liebe die „grands maîtres“ der Perversität auf, die herzlosen Verteidiger der theoretischen und praktischen Immoralität. Menschen ohne Gewissen, freche Heuchler, die jede Gelegenheit zu ihren Untaten benutzen, die mit kaltem Blute überlegen, welche „horreurs“ sie begehen wollen, die vor nichts zurückschrecken, und nur verführen, um zuverderben. Die Typen der Gestalten Sades lebten! Darüber kann kein Zweifel bestehen. Und sie fanden in den entarteten Frauen bei ihren Schandtaten Helferinnen, die noch schlimmer waren als sie selbst. „Das Rouétum steigerte sich in einigen fürchterlichen Frauen bis zum Satanismus.“

*) E. u. J. de Goncourt a. a. O. S. 196.

Diese Scheusale marterten die anständige Frau, deren Tugend ihnen zuwider war, sie Hessen meuchelmörderisch und in boshafter Freude die Gegenstände ihres Hasses, aber auch ihrer — Liebe aus dem Wege räumen. Sie verkörperten die Wollust des Bösetuns, die „libertinage des passions méchantes.“ *)

*) E. u. J. de Goncourt a. a. O. S. 198.

Man glaube nicht, sagen die sonst so schönmalenden Goncourts, dass diese Typen Gebilde der Phantasie seien. Es sind wirkliche Menschen, die dieser Gesellschaft das Gepräge geben, deren Existenz durch zahlreiche Persönlichkeiten bezeugt wird. Die Goncourts nennen den Herzog von Choiseul, den Marquis de Louvois, den seine Geliebte, Madame de Blot, folternden Grafen de Frise als solche männliche Wollust-Teufel. Und eine vornehme Dame von Grenoble, die Marquise L. T. D. P. M., war das weibliche Gegenstück dieser Helden, vielleicht ein Vorbild für Sades Juliette. *)

*) E. u. J. de Goncourt a. a. O. S. 199. — Ein Teil der „Justine“ spielt in Grenoble.

Die Schreckenszeit war für die Liebe schon vor der Schreckensherrschaft der grossen Revolution angebrochen, noch bevor S a d e, berauscht von dem in Strömen fliessenden Blute auf den Guillotinen, in den merkwürdigsten literarischen Dokumenten das ausmalte, was jener mordsüchtigen Zeit nicht fremd war: la Terreur dans l’Amour! Und als in der Schreckenszeit unter Chaumettes Leitung die „theosophischen Orgien der Wollust“ gefeiert wurden, als die „Göttinnen der Vernunft“ wie die Maillard, die Moncoro, die Aubry auf sehr irdische Weise verehrt wurden, da erschienen auch urplötzlich die „tricoteuses de Robespierre“, die „flagelleuses“ und die schrecklichen „furies de guillotine“.

Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz;
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreissen sie des Feindes Herz.

wie (unser) Schiller mit unverkennbarer Andeutung diese entfesselten Geschöpfe, diese in Blut getauchten Gestalten der Hölle charakterisiert, wie sie auch in einet französischen Gedichtsammlung jener Zeit, „La République ou le livre de sang“ geschildert werden, wo es heisst:

De ces effrayantes femelles
Les intarissables mamelles
Comme de publiques gamelles,
Offrent à boire à tout passant;
Et la liqueur qui toujours coule,
Et dont l'abominable foule
Avec avidité se saoule,
Ce n'est pas du lait, mais du sang *)

Von diesen furchterregenden Weibern
Die unerschöpflichen Brüste
Wie öffentliche Schüsseln,
Bieten jedem, der vorbeikommt, etwas zu trinken an;
Und das Getränk, das immer fließt,
Und die abscheuliche Menge
Mit Gier sich betrinkt,
Es ist nicht Milch, sondern Blut

*) Vergl. das Kapitel „Les furies de guilotine“ bei E. Lairtullier, „Les femmes célèbres de 1789 à 1795“. Paris 1840. Bd. II, S. 199—207.

(Nachfolgende Absätze geben das bürgerliche Weltbild eines Intellektuellen (Iwan Bloch) seiner Zeit (um 1900) zur Rolle der Frau in der Gesellschaft wieder und sind der Vollständigkeit des Aufsatzes geschuldet. Der pejorative Terminus „Weib“ wurde durch den der „Frau“ ersetzt).

Wir haben gesehen, wie im 18. Jahrhundert in Frankreich die Frauen bestrebt waren, sich zum Teil wenigstens in Männer zu verwandeln, wie sie in der Politik, in der Liebe und in der Wissenschaft den grössten Einfluss ausübten, wie zwar eine Emanzipation de jure nicht bestand, de facto aber sich geltend machte. Und doch war die Missachtung der Frau nie so gross gewesen wie in diesem Jahrhundert. Was nützten alle geistreichen Einfälle, alles wissenschaftliche Streben der Frau, das z. B. die junge Gräfin Crigny zur Teilnahme an Sektionen trieb *), wenn dabei sichtlich das Familienleben zerstört wurde, wenn der Schwerpunkt des weiblichen Wirkens ausserhalb des eigenen Hauses fiel. Wir fürchten beinahe, dass wir im Frankreich des 18. Jahrhunderts das Spiegelbild einer nahen Zukunft vor uns haben, und es wäre eine dankbare Aufgabe, zu untersuchen, wovon die wahre Schätzung der Frau als solches abhängig ist, und wirklich die sogenannte Frauenemanzipation die Würde der Frau für alle Zeit sichern wird.

*) Lady Blennerhassett, „Frau von Staël“ Berlin 1887. Bd. 1. S. 63.

Die vier grössten Denker Frankreichs im 18. Jahrhundert: Montesquieu, Bousseau, Voltaire und Diderot haben die Verachtung der Frau gepredigt. Man denke nur an Voltaires bitter-sarkastische Äusserungen über seine treue Freundin Madame Du Châtelet.

Die Frau ist nach Rousseau nur zum Vergnügen des Mannes geschaffen worden. Nach Montesquieu hat der Mann die Kraft und Vernunft, die Frau nur Anmut, und Diderot sah in der Frau einzig und allein ein Objekt der Sinnenlust. „So ist die Frau nach Diderot eine Kurtisane, nach Montesquieu ein anmutiges Kind, nach Rousseau ein Gegenstand des Vergnügens, nach Voltaire — Nichts.“ *) Als in der Revolution Condorcet und Siéyès für die häusliche und politische Emanzipation der Frauen eintraten, da „wurden ihre Proteste erstickt durch die mächtigen Stimmen der drei grossen Fortsetzer (continuateurs) des 18. Jahrhunderts, durch Mirabeau, Danton und Robespierre.“ Und für Napoléon I. gab es eins in der Welt, das nicht französisch sei: eine Frau tun zu lassen, was ihr gefällt. Einer der besten Kenner der Frau im 18. Jahrhundert, Rétif de la Bretonne (fr. Romancier, 1734-1806), äussert oft in starken Worten seine Geringschätzung der Frau. *)

*) Das unglaublichste Beispiel der Verachtung der Frau findet sich bei Buckle a. a. O. I. S. 219—20, wo erzählt wird, dass die Schauspielerin Chantilly, die eben den Dichter Favart geheiratet hatte, von der französischen Regierung gezwungen wurde, gleichzeitig die Maitresse des Marschalls Moritz von Sachsen zu werden.

Die Ursache dieser Verachtung ist klar. Die Ehe ist, wie Westermarck in seinem klassischen Werk zur Evidenz nachgewiesen hat, dasjenige Institut, dem die Menschheit ihre sittliche Vervollkommnung verdankt, sie ist das absolut sittliche Institut. In der Ehe ist die Frau dem Mann ebenbürtig, weil es ihn ergänzt. Ausserhalb der Ehe kann die Frau den Mann nicht ersetzen, wird folglich alsbald minderwertig erscheinen. Eine vollständige Emanzipation muss an den unleugbaren Verschiedenheiten zwischen männlichem und weiblichem Wesen scheitern. Eine Gefährdung der Ehe ist gleichbedeutend mit der Verringerung der sittlichen Achtung, die der Mann der Frau entgegenbringt. Dies zu sagen, klingt heute noch spiessbürgerlich, wird aber nach vollendeter Emanzipation der Frau bestätigt werden.

Quelle:

  • Der Marquis de Sade und seine Zeit. Ein Beitrag zur Kultur- und Sittengeschichte des 18. Jahrhunderts. Mit besonderer Beziehung auf die Lehre von der Psychopathia sexualis, von Iwan Bloch als Eugen Dühren. 1. Aufl. Barsdorf, Berlin 1900; Max von Harrwitz, Berlin 1904; 5. Aufl. Barsdorf, Berlin 1915; in Reihe: Studien zur Geschichte des menschlichen Geschlechtslebens, Bd. 1. Inges. 7 Aufl. zu Lebzeiten.
  • Memoirs of Madame Du Barri. Lamothe-Langon, Etienne Leon, baron de 1786-1864. Printed and published by H. S. Nichols, London.
Illustration, Ornament
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