Griselda. Aus dem Decamerone des Giovanni di Boccaccio.
Auszug aus dem Bild: La novella di Griselda von Apollonio di Giovanni (1415/17 Florenz – 1465) um 1440. Modena, Galleria Estense, Saal 4.
Aus dem Decameron des Boccaccio.
GIOVANNI DI BOCCACCIO: GRISELDA.
Griselda ist eine Figur in der europäischen Folklore, die für ihre Geduld und ihren Gehorsam bekannt ist. Die berühmteste Version der Griselda-Erzählung wurde von Giovanni Boccaccio um 1350 geschrieben.
ES ist schon lange her, daß das Haupt des Hauses der Markgrafen von Saluzzo ein junger Mann war, Gualtieri geheißen, der, ohne Weib und Kind hausend, seine Zeit mit nichts anderm verbrachte als mit der Vogelbeize und der Jagd; ein Weib zu nehmen und Kinder zu zeugen, hatte er keinen Gedanken, was nicht so unvernünftig war. Seine Leute, denen das nicht recht war, baten ihn zu often Malen, ein Weib zu nehmen, damit nicht er ohne Erben bleibe und sie ohne Herrn; sie erboten sich auch, ihm ein solches und von solchen Eltern abstammendes Fräulein ausfindig zu machen, daß er alle Zuversicht haben und sich wohl zufrieden geben könne.
Gualtieri antwortete ihnen: „Meine lieben Freunde, ihr nötigt mich zu etwas, was ich nie und nimmer zu tun entschlossen war in der Überlegung, was für ein schweres Ding es ist, eine ausfindig zu machen, die sich ganz zum eigenen Wesen schickt, und wie häufig das Gegenteil ist und wie hart das Leben dessen ist, der an eine gerät, die sich nicht zu ihm schickt. Und daß ihr sagt, ihr glaubtet, aus der Art der Eltern die der Töchter zu erkennen, woraus ihr ableitet, ihr würdet mir eine solche geben, daß sie mir gefällt, das ist eine Torheit: denn ich wüßte nicht, woher ihr die Väter oder wie ihr die Heimlichkeiten der Mütter kennen könntet; und wenn ihr sie schon kenntet, so sind doch die Töchter gar häufig den Eltern unähnlich.
Weil es euch aber beliebt, mich mit diesen Ketten zu fesseln, so schicke ich mich meinetwegen drein; und damit ich mich, wenn es schlimm ausgeht, über niemand sonst zu beklagen habe als über mich, so will ich mir sie selber aussuchen, sage euch aber das eine: Wenn ihr die, die ich nehme, nicht als Herrin ehren werdet, so werdet ihrs zu euerm großen Schaden erfahren, wie schwer es mir ist, gegen meinen Willen auf euere Bitten ein Weib genommen zu haben.“
Die wackern Leute antworteten, sie seien es zufrieden, nur möge er sich entschließen, ein Weib zu nehmen. Seit langem hatte Gualtieri sein Wohlgefallen an dem Gehaben eines armen jungen Mädchens, die aus einem Dorfe nahe bei seinem Hause war, und da sie ihn auch sehr schön däuchte, glaubte er, mit ihr recht glücklich leben zu können; ohne daher weiter zu suchen, nahm er sich vor, diese zu heiraten: er ließ ihren Vater rufen und kam mit ihm, der ein ganz armer Mann war, überein, sie zum Weibe zu nehmen.
Hierauf versammelte er alle seine Freunde aus der Landschaft um sich und sagte zu ihnen: „Meine lieben Freunde, euer Wille war und ist es, daß ich mich entschlösse, ein Weib zu nehmen, und ich habe mich dazu entschlossen, mehr euch zuliebe, als daß ich ein Verlangen nach einem Weibe gehabt hätte.
Ihr wißt, was ihr mir versprochen habt, nämlich mit jeder, wer immer die sei, die ich nähme, zufrieden zu sein und sie als Herrin zu ehren; jetzt ist die Zeit da, wo ich im Begriffe bin, euch mein Versprechen zu halten, und wünsche, daß ihr mir das eurige haltet. Ich habe, hier ganz in der Nähe, ein junges Mädchen nach meinem Herzen gefunden, die beabsichtige ich, zum Weibe zu nehmen und binnen wenigen Tagen heimzuführen; denkt also daran, wie das Hochzeitsfest prächtig zu rüsten sei und wie ihr sie ehrenvoll empfangen kennet, damit ich mich wegen euers Versprechens ebenso zufrieden geben kann, wie ihr euch wegen des meinigen.“
Die guten Leute antworteten alle voller Freude, das sei ihr Wunsch und sie würden sie, sei sie, wer sie wolle, als Herrin hinnehmen und in allen Stücken als Herrin ehren. Hierauf trafen sie allesamt alle Anstalten, das Fest schön und groß und fröhlich zu machen, und dasselbe tat Gualtieri.
Er ließ die Hochzeit gar groß und schön ausrichten und viele Freunde und Verwandte und vornehme Edelleute und andere aus der Umgegend einladen. Und er ließ auch mehrere schöne und reiche Kleider zuschneiden und anfertigen nach dem Maße eines jungen Mädchens, die ihn den Wuchs der Jungfrau zu haben däuchte, die er sich zu freien vorgenommen hatte; und überdies beschaffte er Gürtel, Ringe und eine köstliche Krone und alles, was eine Braut braucht.
Und als der Tag gekommen war, den er für die Hochzeit bestimmt hatte, stieg Gualtieri etwa anderthalb Stunden nach Sonnenaufgang zu Pferde und mit ihm alle, die ihn zu ehren gekommen waren; und nachdem er alles Nötige angeordnet hatte, sagte er: „Ihr Herren, es ist Zeit, die Braut einzuholen.“ Und er machte sich mit seinem ganzen Geleite auf den Weg, und sie ritten in das Dörfchen.
Und als sie zu dem Hause ihres Vaters gekommen waren, trafen sie das Mädchen, wie sie eben mit Wasser vom Brunnen zurückkam; sie war in großer Hast, weil sie nachher mit andern Frauenzimmern gehen wollte, um die Braut Gualtieris kommen zu sehn.
Kaum ersah Gualtieri sie, so rief er sie bei ihrem Namen Griselda und fragte sie, wo der Vater sei; sie antwortete verschämt: „Herr, er ist im Hause.“ Nun saß Gualtieri ab, befahl allen, ihn zu erwarten, und trat allein in das armselige Häuschen; dort fand er ihren Vater, der Giannucolo hieß, und zu dem sagte er: „Ich bin gekommen, um Griselda zu freien; vorher möchte ich aber noch von ihr einiges in deiner Gegenwart hören.“
Und er fragte sie, ob sie sich, wenn er sie zum Weibe nehme, immerdar befleißigen wolle, ihm willfährig zu sein und sich nichts, was er tun oder sagen werde, verdrießen zu lassen, und ob sie gehorsam sein werde, und um viel andere derlei Dinge; sie antwortete immer mit Ja.
Nun nahm sie Gualtieri bei der Hand, führte sie hinaus und ließ sie vor seiner Begleitung und, wer sonst noch da war, nackt auskleiden; und nachdem er die auf seinen Befehl angefertigten Kleidungsstücke hatte bringen lassen, ließ er sie alsbald bekleiden und beschuhen und auf ihr Haar, so wirr wie es war, eine Krone setzen.
Darob verwunderte sich jedermann und er sagte: „Ihr Herren, das ist die, die mein Weib sein soll, wenn sie mich zum Manne haben will.“ Dann wandte er sich zu ihr, die, über sich selber verschämt, nicht wußte, wie ihr geschah, und sagte: „Griselda, willst du mich zum Manne?“ Sie antwortete: ,Ja, mein Herr“, und er sagte·; „Und ich will dich zum Weibe.“
Und er verlobte sich vor allen Leuten mit ihr. Und er ließ sie einen Zelter besteigen und führte sie mit ehrenvollem Geleite heim. Dort wurde mit großem Gepränge das Beilager gehalten, und die Festlichkeiten waren nicht anders, als wenn er die Tochter des Königs von Frankreich genommen hätte.
Die junge Frau schien mit den Kleidern zugleich auch Sinn und Wesen gewechselt zu haben. Sie war, wie wir gesagt haben, schön an Gestalt und Antlitz, und so schön, wie sie war, so einnehmend, so liebenswürdig und gewandt wurde sie jetzt in ihrem Benehmen, daß sie nicht die Tochter Giannucolos und einer Schafhirtin , sondern die eines edeln Herrn zu sein schien; das nahm alle wunder, die sie vorher gekannt hatten.
Und zudem war sie ihrem Manne so gehorsam und zuvorkommend, daß er sich für den glücklichsten und zufriedensten Menschen auf der Welt hielt; und mit seinen Untertanen war sie so freundlich und leutselig, daß es niemand gab, der sie nicht mehr als sich selbst geliebt und ihr nicht willig alle Ehrerbietung erwiesen hätte; alle beteten für ihr Wohl und ihr Glück und ihre Erhebung, und die, die stets gesagt hatten, Gualtieri habe nicht weise gehandelt, daß er sie zum Weibe genommen habe, sagten nun, daß er der weiseste und scharfsichtigste Mensch der Welt gewesen sei, weil es niemand sonst als er vermocht hätte, die hohen Tugenden unter der dürftigen Hülle und der bäuerischen Tracht zu erkennen.
Und sie verstand sich so zu benehmen, daß nicht nur in ganz kurzer Frist in ihrer Markgrafschaft, sondern auch, ehe viel Zeit verstrichen war, allenthalben von ihrer Vortrefflichkeit und ihrer Zucht gesprochen wurde, und was etwa gegen ihren Gatten gesagt worden war, als er sie gefreit hatte, das wandte sich nun ins Gegenteil.
Sie war noch nicht lange in Gualtieris Hause, als sie schwanger wurde; und zu der Zeit gebar sie eine Tochter, und darüber war Gualtieri ganz glücklich. Bald darauf aber kam ihm ein seltsamer Gedanke in den Sinn, nämlich der, ihre Willfährigkeit mit langer Erprobung und harten Prüfungen versuchen zu wollen.
Er fing damit an, sie mit Worten zu kränken, indem er in gespielter Erregung zu ihr sagte, seine Leute seien schlecht zufrieden mit ihr wegen ihrer niedrigen Abstammung, und besonders jetzt, wo sie sähen, daß sie ihm Kinder bringe; und wegen der Tochter, die sie geboren habe, täten sie mißvergnügt nichts sonst als murren.
Auf diese Worte hin sagte die Frau, ohne ihr Gesicht oder ihre guten Vorsätze irgendwie zu ändern: „Mein liebster Herr, tu mit mir, wie du glaubst, daß es deiner Ehre und deiner Ruhe förderlich ist; ich werde mit allem zufrieden sein, weil ich erkenne, wie gering ich gegen sie bin und daß ich der Ehre nicht wert war, zu der du mich in deiner Gnade erhoben hast.“
Diese Antwort freute Gualtieri ungemein, weil er daraus erkannte, daß sie keineswegs stolz geworden war über die Ehre, die er oder andere ihr erwiesen hatten.
Kurze Zeit darauf schickte er, nachdem er ihr mit allgemeinen Worten mitgeteilt hatte, seine Untertanen könnten ihr Mägdlein nicht leiden, einen Diener, dem er seine Weisungen erteilt hatte, zu ihr, und der sagte ihr mit gar betrübtem Gesichte: „Madonna, wenn ich nicht sterben will, muß ich tun, was mir mein Herr befiehlt. Er hat mir befohlen, Euer Töchterchen zu nehmen und … „; und mehr sagte er nicht.
Als die Frau diese Worte hörte, das Gesicht des Dieners sah und sich der gesagten Worte erinnerte, begriff sie, daß er den Auftrag hatte, das Kind zu töten; und so nahm sie es aus der Wiege und küßte und segnete es und legte es, ohne trotz ihrer Herzenspein das Gesicht zu verändern, dem Diener in den Arm und sagte: „Nimm sie und tu pünktlich, was dir dein und mein Herr aufgetragen hat; laß sie aber nicht so, daß sie die Tiere und die Vögel fressen, es sei denn, er hätte dir das befohlen.“
Der Diener nahm das Mägdlein und meldete Gualtieri, was die Frau gesagt hatte; staunend über ihre Standfestigkeit schickte ihn Gualrieri mit der Kleinen zu einer Muhme von ihm nach Bologna und ließ sie bitten, sie mit aller Sorgfalt warten und erziehen zu lassen, ohne jemals zu sagen, wessen Tochter sie sei.
Darauf geschah es, daß die Frau von neuem schwanger wurde, und zur gehörigen Zeit genas sie eines Knaben, dessen Gualtieri herzlich froh war. Weil ihm aber das, was er getan hatte, nicht genügte, so verwundete er die Frau mit größerer Kränkung und sagte eines Tages erregten Angesichts zu ihr: „Frau, seit du diesen Knaben geboren hast, kann ich mit meinen Leuten gar nicht mehr auskommen, so bitter beschweren sie sich darüber, daß nach mir ein Enkel Giannucolos ihr Herr sein soll; darum fürchte ich, daß mir, wenn ich nicht des Landes vertrieben werden will, nichts übrig bleibt, als dasselbe zu tun, was ich das andere Mal getan habe, und schließlich noch dich zu lassen und ein andres Weib zu nehmen.“
Geduldigen Mutes hörte ihn die Frau an und erwiderte nichts als: „Mein liebster Herr, sorge deine Ruhe zu gewinnen und deiner Wohlmeinung zu genügen, um mich kümmere dich in keiner Weise, weil mir ja doch nichts teuer ist, außer soweit ich sehe, daß es dir recht ist.“
Nach wenigen Tagen schickte Gualtieri in derselben Art, wie um die Tochter, um den Sohn, und schickte ihn, indem er vorgab, er habe ihn in gleicher Weise töten lassen, ebenso wie das Mägdlein zur Erziehung nach Bologna; dazu machte die Frau weder ein anderes Gesicht, noch andere Worte, als wegen des Mägdleins, so daß sich Gualtieri baß verwunderte und sich selber gestand, daß kein anderes Weib so handeln könnte wie sie: und hätte er nicht gesehn gehabt, wie zärtlich sie mit den Kindern gewesen war, solange ihm das recht war, so hätte er, anstatt die Weisheit ihres Handels zu erkennen, wie er jetzt tat, geglaubt, sie handelte so aus Gleichgültigkeit.
Seine Untertanen, die wirklich glaubten, er habe die Kinder töten lassen, tadelten ihn bitter und schalten ihn einen Unmenschen und hatten mit der Frau das größte Mitleid; die aber sagte zu den Frauen, die mit ihr über die also getöteten Kinder wehklagten, nichts sonst, als daß ihr alles recht sei, was dem beliebe, der sie gezeugt habe.
Als aber nach der Geburt des Mägdleins mehrere Jahre verstrichen waren, däuchte es Gualcieri an der Zeit, mit ihrer Duldsamkeit die letzte Probe anzustellen; und so sagte er gesprächsweise zu vielen von seinen Leuten, er könne es auf keine Weise mehr ertragen, Griselda zur Frau zu haben, und er sehe es ein, was für eine Jugendtorheit er begangen habe, sie zu nehmen, und er wolle es daher beim Papste nach seinen Kräften betreiben, daß ihm der erlaube, ein andres Weib zu nehmen und Griselda zu lassen.
Darob wurde er von manchem ehrlichen Manne hart getadelt; er aber antwortete nur, es müsse so sein. Als die Frau davon vernahm, däuchte es sie, sie müsse darauf gefaßt sein, in das Haus des Vaters zurückzukehren und vielleicht wie einst die Schafe zu hüten und den Mann, dem sie nur sein Bestes wünschte, in den Armen einer andern zu sehn: und deshalb härmte sie sich innerlich; so wie sie aber die andern Unbilden des Schicksals ertragen hatte, so beschloß sie, auch diese mit fester Stirn zu ertragen.
Nicht lange darauf ließ Gualtieri seine gefälschten Briefe aus Rom kommen und redete seinen Untertanen ein, darin habe ihm der Papst erlaubt, ein andres Weib zu nehmen und Griselda zu lassen.
Er ließ sie also vor ihn kommen und sagte in Gegenwart einer großen Versammlung zu ihr: „Frau, durch eine Vergünstigung, die mir der Papst gewährt hat, darf ich eine andere Frau nehmen und dich lassen; und weil alle meine Vorfahren große Edelleute und Herren in diesem Lande waren, während die deinigen immer Bauern waren, so will ich, daß du nicht mehr mein Weib seist, sondern in das Haus Giannucolos zurückkehrst mit dem Heiratsgute, das du mir zugebracht hast, und ich werde eine andere heimführen, die ich zu mir passend gefunden habe.“
Als die Frau diese Worte hörte, hielt sie nicht ohne die größte Anstrengung, über die Art der Weiber, die Tränen zurück und antwortete: „Herr, ich habe immer erkannt, daß sich mein niedriger Stand in keiner Weise zu Euerm Adel schickt, und das, was ich mit Euch gewesen bin, das habe ich als Euere und Gottes Gabe erkannt, habe es auch nicht wie ein Geschenk mir zu eigen gemacht oder so betrachtet, sondern es stets für etwas mir Geliehenes gehalten; es gefällt Euch, es zurückzufordern, und so muß es mir gefallen und gefällt mir, es Euch zurückzugeben: hier ist Euer Ring, womit Ihr Euch mir vermählt habt; nehmt ihn. Ihr befehlt mir, das Heiratsgut, das ich Euch zugebracht habe, mitzunehmen: dazu braucht Ihr keinen Zahlmeister und ich weder einen Beutel noch ein Tragtier; es ist meinem Gedächtnis nicht entfallen, daß Ihr mich nackt genommen habt. Und dünkt es Euch ehrbar, daß der Leib, der die von Euch gezeugten Kinder getragen hat, von allen gesehn werde, so will ich nackt von hinnen gehn; doch ich bitte Euch, laßt es Euch zum Lohne für meine Jungfrauschaft, die ich Euch zugebracht habe und nicht wegtrage, gefallen, daß ich ein einziges Hemde über mein Heiratsgut mitnehmen darf.“ Gualtieri, dem das Weinen näher war als sonst‘ etwas, behielt trotzdem sein finstres Gesicht bei und sagte: „So nimm denn ein Hemd mit.“
Alle, so viele ihrer da waren, baten ihn, ihr ein Kleid zu schenken, damit man nicht die, die dreizehn Jahre und noch länger sein Weib gewesen sei, so armselig und so schmählich aus seinem Hause fortgehn sehe, wie es zutreffe, wenn sie im Hemde fortgehe; aber ihre Bitten waren eitel: im Hemde, barfuß und barhäuptig ging Griselda, nachdem sie alle Gott befohlen hatte, aus dem Hause fort und kehrte unter den Tränen und Klagen aller, die sie sahen, zum Vater zurück. Giannucolo, der es nie hatte glauben können, Gualtieri werde seine Tochter in Wahrheit als Weib behalten, und dieses Ende tagtäglich erwartet hatte, hatte ihr die Kleider aufbewahrt, die sie an dem Morgen ihrer Vermählung mit Gualtieri abgelegt hatte; die brachte er ihr, und sie zog sie wieder an und machte sich, wie sie gewohnt gewesen war, an die geringen Arbeiten im väterlichen Hause; tapfern Mutes ertrug sie den wuchtigen Ansturm des feindlichen Geschickes.
So, wie Gualtieri dies durchgeführt hatte, also redete er auch seinen Leuten ein, er habe eine Tochter eines Grafen von Panago genommen; und während er mit großem Gefolge zur Hochzeit rüsten ließ, schickte er um Griselda.
Sie kam, und er sagte zu ihr: „Ich führe nun die Frau heim, die ich neuerdings genommen habe, und gedenke, sie bei ihrer Ankunft zu ehren. Du weißt, daß ich keine Frauen im Hause habe, die die Zimmer auszuschmücken und die vielen Dinge, die ein derartiges Fest erfordert, zu besorgen verstünden: und weil du besser als jede andere Bescheid im Hause weißt, richte du alles her, wie es sich gehört, laß die Damen einladen, die du meinst, und empfange sie, als ob du hier die Frau wärest; nach der Hochzeit kannst du dann wieder heimgehn.“
Obwohl diese Worte Messerstiche waren für das Herz Griseldas, die ja der Liebe, die sie zu ihm trug, nicht so hatte entsagen können wie ihrem Glücke, antwortete sie: „Herr, ich bin willig und bereit.“
Und sie trat in ihrer schlechten, groben Kleidung in das Haus, aus dem sie vor kurzem im Hemde fortgegangen war, und begann die Zimmer zu säubern und in Ordnung zu bringen, ließ in den Sälen Wandteppiche befestigen und Decken auflegen, ließ die Küche bestellen und legte überall Hand an, als ob sie eine geringe Hausmagd gewesen wäre; und sie rastete nicht eher, als bis alles schmuck und in Ordnung war, wie es sich gehörte. Dann ließ sie im Namen Gualtieris alle Damen der Gegend einladen und traf die Anstalten zum Feste.
Und als der Tag der Hochzeit gekommen war, empfing sie alle Damen, die dazu kamen, trotz ihrer armseligen Kleidung mit dem Mute und mit dem Anstande einer vornehmen Dame und mit heiteren Gesichte. Die Kinder Gualtieris waren in seinem Auftrage bei einer Muhme von ihm, die ins Haus der Grafen von Panago verheiratet war, sorgfältig auferzogen worden; das Mädchen, das schönste Wesen, das man je gesehn hatte, war jetzt zwölf Jahre alt, der Knabe sechs.
Nun hatte Gualtieri zu seinem Vetter nach Bologna geschickt und ihn gebeten, es möge ihm belieben, mit seiner Tochter und dem Sohne nach Saluzzo zu kommen und dafür zu sorgen, daß er ein schönes und ehrenvolles Geleite mitbringe, dabei aber allen zu sagen, er führe sie ihm als Gattin zu, ohne gegen irgend jemand etwas verlauten zu lassen, wer sie sonst sei.
Der Edelmann tat, wie ihn der Markgraf gebeten hatte, machte sich auf den Weg und kam nach einigen Tagen mit dem Mädchen und dem Brüderchen und einem edeln Geleite zur Essenszeit nach Saluzzo, wo er alle Einwohner und viele Leute aus der Nachbarschaft versammelt fand, um die neue Gemahlin Gualtieris zu erwarten.
Als die nach ihrem Empfange durch die Damen in den Saal, wo die Tische aufgestellt waren, getreten war, ging ihr Griselda so, wie sie war, heiter entgegen und sagte: „Willkommen, meine Herrin!“ Die Damen, die Gualtieri gar oft, aber umsonst gebeten hatten, er möge Griselda in einer Kammer bleiben lassen oder ihr eins von ihren frühern Kleidern leihen, damit sie nicht in einem solchen Aufzuge vor seinen Gästen erscheine, wurden zu Tische geführt, und man fing an, sie zu bedienen.
Das Fräulein wurde von jedermann betrachtet, und alle sagten, Gualtieri habe einen guten Tausch getan; besonders aber lobte Griselda sie, sie und ihr Brüderchen. Nun hielt Gualtieri dafür, er habe von der Duldsamkeit seiner Frau so viel gesehn, wie er begehrt habe, weil er sah, daß die Wendung der Dinge sie nicht im geringsten veränderte, wobei er sicher war, daß das nicht von Beschränktheit herstammte, da er sie als sehr klug kannte; es schien ihm daher an der Zeit, all die Bitterkeit, die sie nach seiner Meinung unter der tapfern Miene verbarg, von ihr zu nehmen.
Darum ließ er sie kommen und sagte vor der ganzen Gesellschaft lächelnd zu ihr: „Was dünkt dich von Unserer Braut?“ „Herr,“ antwortete Griselda, „mich dünkt viel Gutes; und wenn sie, wie ich glaube, so klug ist wie schön, so zweifle ich nicht, daß Ihr mit ihr als der glückseligste Herr dieser Welt leben werdet. Aber ich bitte Euch, was ich nur kann, die Kränkungen, die Ihr der andern, die früher die Euere war, angetan habt, die tut dieser nicht an; denn ich glaube kaum, daß sie sie ertragen könnte, einmal weil sie jünger ist, und dann weil sie in Zärtlichkeit auferzogen ist, während die andere von klein auf in beständiger Mühsal gewesen ist.“
Als Gualtieri sah, daß sie fest glaubte, das Fräulein solle sein Weib sein, und daß sie trotzdem nichts sonst als Gutes von ihr sprach, ließ er sie an seiner Seite niedersitzen und sagte zu ihr: „Griselda, jetzt ist es Zeit, daß du die Frucht deiner langen Duldsamkeit verkostest und daß die, die mich für grausam und ungerecht und töricht gehalten haben, erkennen, daß ich alles, was ich getan habe, zu einem wohl bedachten Zwecke ins Werk gesetzt habe: dich wollte ich lehren, wie ein Weib sein soll, und die andern, wie man ein Weib nehmen und halten soll; und mir wollte ich eine beständige Ruhe schaffen, dieweil ich mit dir zu leben haben würde.
Und darüber, ob mir das gelingen werde, war ich, als ich daran ging, zu heiraten, in großer Furcht und deswegen habe ich dich, um eine Probe anzustellen, so, wie du weißt, gekränkt und verletzt. Und weil ich nie bemerkt habe, daß du in Worten oder in Werken von meinen Wünschen abgewichen wärest, und weil ich glaube, bei dir all den Trost zu finden, den ich ersehnt habe, so will ich dir auf einmal wiedergeben, was ich dir auf mehrere Male genommen habe, und will die Kränkungen, die ich dir angetan habe, durch die größte Zärtlichkeit heilen.
Und so nimm denn die, die du für meine Braut hältst, und ihr Brüderchen als deine und meine Kinder hin; sie sind die, von denen du und viele Leute lange Zeit geglaubt habt, ich hätte sie grausam töten lassen, und ich bin dein Gatte, der dich über alles in der Welt liebt und der Meinung ist, sich rühmen zu können, daß es niemand gebe, der mit seiner Frau in gleicher Weise zufrieden· sein könnte.“
Und nach diesen Worten fiel er ihr um den Hals und küßte sie, die vor Freuden weinte, und sie standen auf und gingen zu ihrer Tochter, die ganz erstaunt über das, was sie vernahm, dasaß, und umarmten sie und ihr Brüderchen zärtlich; und so wurden nicht nur die Kinder, sondern auch viele Anwesenden ihres Wahnes entledigt.
Die Damen standen froh vom Tische auf, gingen mit Griselda in eine Kammer, zogen ihr ihre Kleider mit besserer Vorbedeutung aus, legten ihr ein vornehmes Gewand von den ihrigen an und führten sie, die auch in Lumpen einer Dame geglichen hatte, als Dame in den Saal zurück. Da gabs denn ein wundersames Herzen mit den Kindern, und männiglich war dessen froh; der Jubel verdoppelte sich, und sie dehnten das Fest auf mehrere Tage aus. Gualtieris hohe Klugheit wurde anerkannt, wenn man auch die Proben, denen er seine Frau unterworfen hatte, für hart und unerträglich hielt; über alle aber wurde Griselda als ungemein klug gepriesen.
Der Graf von Panago kehrte nach einigen Tagen nach Bologna zurück. Gualtieri enthob Giannucolo seiner Arbeit und setzte ihn als seinen Schwäher in einen solchen Stand, daß er sein Greisenalter ehrenvoll und friedlich verlebte bis zu seinem Ende.
Und nachdem Gualtieri seine Tochter an einen hohen Herrn vermählt hatte, lebte er mit Griselda, die er immerdar nach Kräften ehrte, lange und glücklich. Was könnte man hier nun anders sagen, als daß sich der göttliche Geist vom Himmel ebenso in die Hütten der Armen nieder senkt, wie in die Paläste der Großen, die es oft mehr verdienen würden, Schweine zu hüten, als die Herrschaft über die Menschen innezuhaben? Wer hätte noch außer Griselda nicht nur trockenen, sondern auch heitern Auges die harten und unerhörten Prüfungen Gualtieris ertragen können? Dem wäre es vielleicht nicht unrecht geschehn, wenn er an eine geraten wäre, die sich, wenn er sie im Hemde aus dem Hause gejagt hätte, von einem andern das Pelzchen hätte so striegeln lassen, daß das Hemd zu einem hübschen Kleide geworden wäre.
Aus dem Decameron des Boccaccio.
Das Decameron (it. auch Decamerone), mit dem Untertitel Prencipe Galeotto sowie auch „die menschliche Komödie“ bezeichnet, ist eine Sammlung von Novellen des italienischen Schriftstellers Giovanni Boccaccio (1313-1375) aus dem 14. Jahrhundert.
Das Buch ist als Rahmenhandlung aufgebaut und enthält 100 Geschichten, die von einer Gruppe von sieben jungen Frauen und drei jungen Männern erzählt werden, die sich in einer abgelegenen Villa in der Nähe von Florenz versteckt hielten (im Vorort Fiesole), um dem Schwarzen Tod zu entgehen, der die Stadt heimsuchte. Boccaccio konzipierte den Decameron wahrscheinlich nach der Epidemie von 1348 und vollendete ihn bis 1353. Die verschiedenen Liebesgeschichten im Decameron reichen von erotisch bis tragisch. Geschichten mit Humor, praktische Späße und Lebenslektionen tragen zum Mosaik bei. Zusätzlich zu seinem literarischen Wert und seinem weit verbreiteten Einfluss (z.B. auf Chaucers Canterbury-Erzählungen) stellt es ein autentisches Dokument des damaligen Lebens dar. In der florentinischen Volkssprache geschrieben, gilt es als ein Meisterwerk der klassischen frühitalienischen Prosa.
Griselda erscheint in Erzählungen von Petrarca (1374 gestorben, Historia Griseldis 100 Jahre später veröffentlicht) und von Chaucer (The Clerk’s Tale in The Canterbury Tales, Ende 1300). Sie wird auch in Christine de Pizans „Le Livre de la Cité des Dames“ (Das Buch von der Stadt der Frauen) zitiert. Die geduldige Griselda ist eine Erzählung von Charles Perrault (1691). John Phillips Stück „The Commodye of Pacient and Meeke Grissill“ (auch bekannt als The Plaie of Grissill) stammt aus dem Jahr 1565. Henry Chettle, Thomas Dekker und William Haughton arbeiteten gemeinsam an einer weiteren dramatischen Fassung, Die geduldige Grissill, die 1599 uraufgeführt wurde. Es gibt Opern mit dem Namen Griselda von Antonio Maria Bononcini (Griselda, 1718), Alessandro Scarlatti (La Griselda, 1721), Giovanni Bononcini (Griselda, 1722) und Antonio Vivaldi (Griselda, 1735). Auch Jules Massenets Grisélidis (1901) wurde durch die Erzählung von Griselda inspiriert.
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