Das französische Königtum im 18. Jahrhundert.
Dühren, Studien I. Der Marquis de Sade.
3. Das französische Königtum im 18. Jahrhundert.
Die Jugend des Marquis de Sade gehört der Regierungszeit Ludwigs XV. an, sein Mannesalter der Zeit Ludwigs XVI. Er war 34 Jahre alt, als der verderbteste König, der Frankreich je regiert hat, Ludwig XV., starb (1774). Die politische Misswirtschaft der französischen Herrscher des 18. Jahrhunderts, welche mit dem grossen Staatskrach Laws unter dem Regenten ihren Anfang nahm, unter Ludwig XV. zum Verlust der wichtigsten Kolonien und unter Ludwig XVI. zur Revolution führte, die einseitige Begünstigung des Adels und des Klerus, übergehen wir als zu bekannte Tatsachen, welche unser Thema nicht näher berühren.
Die Genusssucht und die geschlechtlichen Ausschweifungen des Königtums werden besonders von Sade gebrandmarkt. Auch hier hatte er die Vorbilder in der Wirklichkeit. „Wenn ein Prinz von Geblüt den Weg der Wollust betritt, betritt ihn die ganze Umgebung und Gesellschaft“ sagt Moreau mit Recht. Das von den französischen Herrschern des 18. Jahrhunderts gegebene Beispiel musste die verderblichste Wirkung auf die ohnehin durch und durch materialistisch gesinnte Gesellschaft des Ancien Régime ausüben. Die Zeit der Regentschaft schuf Namen und Typus des „Roué“, der eine für das ganze Jahrhundert charakteristische Erscheinung wurde. Der Roué par excellence war König Ludwig XV., berühmt durch die Zahl seiner Maitressen und durch seinen Hirschpark. Die Mätressenwirtschaft Ludwigs XV. hat unübertroffene Schilderer gefunden in den beiden Goncourts, auf deren Werke wir verweisen *). Sein Leben war, wie Moreau sagt, „eine „beständige Unzucht.“
*) E. u. J. Goncourt „Les mmaîtresses de Louis XV“. Paris 1860. 2 Bde. — „La duchesse de Châteauroux et ses soeurs“. Paris 1878 – Neuerdings erschien Comte Fleury „Louis XV intime et ses petites maîtresses. Paris 1899.
So konnten ihm bald seine Geliebten trotz ihrer grossen Zahl und des häufigen Wechsels nicht mehr genügen. Er schuf sich in seinem berühmten Hirschpark das Vorbild aller geheimen Bordelle, die auch in den Werken des Marquis de S a d e eine grosse Rolle spielen. Man denke sich: ein König unterhält ein eigenes Bordell für seinen Privatgebrauch! Erscheint dann nicht alles, was S a d e in seinen Werken gegen das Königtum sagt, in einem ganz anderen, milderen Lichte? — Über den Hirschpark existiert ein Werk, welches uns leider nicht zugänglich war. *)
*) „Le Parc au Cerf, ou l’Origine de l’affreux Deficit.“ Paris 1798 (von Francois Mayeur de Saint Paul). Vgl. ferner Faverolle „Le Parc aux cerfs, Histoire secrète des jeunes demoiselles qui y ont été renfermées.“ Paris 1808, 4 Bde.
Der Hirschpark wurde um 1750 in der Eremitage zu Versailles in dem Parc-aux-Cerfs genannten Stadtviertel von der Marquise de Pompadour für den König eingerichtet, dem sie, um sich am Ruder zu erhalten, diese neue Art von Vergnügungen verschaffte. Die Vorsteherin des Bordells war eine gewisse Bertrand, der Lieferant von jungen Mädchen hiess Lebel.
Anfangs befanden sich nur zwei oder drei Insassinnen in dem Hause. Hach dem Tode der Pompadour wurde es sehr bevölkert (très peuplée *). Nach einer anderen Darstellung musste schon die Pompadour, da „sie Oberaufseherin seiner (des Königs) Belustigungen geworden war, unaufhörlich im ganzen Lande neue und unbekannte Schönheiten anwerben lassen, um das Serail, worüber sie unumschränkt gebot, zu besetzen, dazu entstand der sogenannte Hirschgarten (Parc-aux-Cerf), diese Fallgrube der Unschuld und Aufrichtigkeit, der diese Menge von Opfern einschlang, die, wenn sie der menschlichen Gesellschaft wieder zurückgegeben wurden, Sittenverderbnis, Geschmack an Ausschweifungen und alle Laster in dieselbe zurückbrachten, womit sie notwendig durch den Umgang mit den infamen Unterhändlern dieses Aufenthaltes angesteckt werden mussten.
*) J. A. Dulaure „Histoire physique, civile et morale de Paris. Bd. V. Paris 1821. S. 367—369.
Wenn man auch den Schaden bei Seite setzt, den dieses abscheuliche Institut den Sitten getan hat, so ist es schon schrecklich genug, wenn man das ungeheure Geld berechnet, das es dem Staate gekostet hat. Und wer kann sie berechnen, die Unkosten dieser Legion von Ober- und Unterkupplern, die in beständiger Bewegung waren, um an den entferntesten Grenzen des Reiches die Gegenstände ihrer Nachforschungen aufzuspüren und herbei zu holen, sie an den Ort ihrer Bestimmung zu bringen, ihnen daselbst die nötige Politur zu geben, sie auszustaffieren und zu räuchern und sie durch alle Mittel der Kunst reizend zu machen. *) Es wird ausgeführt, dass jede Einzelne dem öffentlichen Schatz eine Million Livres gekostet habe.
*) „Geschichte des Privatlebens Ludwig’s XV.“ Teil III. Berlin 1781. S. 17—18.
Über die im Hirschpark veranstalteten Orgien schwirrten zahlreiche Gerüchte umher, die jedenfalls nichts übertrieben haben. 1) Nach einem deutschen, allerdings weniger glaubwürdigen Autor 2) waren „selbst die Saturnalien der Römer zur Zeit der Cäsarenherrschaft, die schauderhaften Luperealien eines Tiberius, Caligula, Nero, einer Agrippina, Messalina, Locusta und anderer menschlichen Ungeheuer nur blosse Vorbilder solcher Auftritte, die im Hirschpark ausgeführt wurden“.
„Der Rausch war hier ein vielfältiger, durch Spiel, durch Gewürze, Wein oder andere Getränke, durch Wohlgerüche, durch Visionen aus Zauberlaternen, durch Musik und jede Gattung tierischer Genüsse hervorgebracht.“ Der Verfasser lässt sogar den Marquis d e S a d e an diesen Ausschweifungen teilnehmen! 3)
1) Casanova erzählt in seinen Memoiren (ed. Alvensleben-Schmidt, Bd. V, S. 126), dass der Hirschpark von Niemandem besucht werden durfte, ausser von den bei Hofe vorgestellten Damen.
2) „Justine und Juilette oder die Gefahren der Tugend und die Wonne des Lasters“. Leipzig 1874. S. 31 ff.
3) In neuerer Zeit hat Louis Lacour, zuerst in der „Revue française“ Jahrg. 1858, Bd. XIV S. 546 ff., später in einer selbständigen Schrift „Le Parc-aux-cerfs du roi Louis XV“ (Paris 1859) sehr interessante kritische Untersuchungen über den Hirschpark veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass die Ausgaben über den kolossalen Luxus in diesem königlichen Bordelle sehr übertrieben waren. In Wirklichkeit war der „Hirschpark“ nach L a c o u r ein sehr versteckt gelegenes Haus in der Rue Saint-Méderic, welches höchst einfach, ohne jeden Luxus eingerichtet war. — Der Inhalt eines ein Jahr später veröffentlichten Werkes von Albert Blanquet „Le Parc-aux-cerfs“ (Paris, 1860, 5 Bände) ist mir nicht bekannt. Nach dem Umfang vermute ich in demselben einen Roman. — Ein sehr merkwürdiges, den verschiedensten Quellen entnommenes Kapitel über den Hirschpark findet sich bei Th. F. Debray „Histoire de la Prostitution et de la débauche“ Paris o. J. S. 686—698.
Authentisch ist, was Moreau nach dem „Journal de Barbier“, nach Sismondi u. a. über jene eigentümliche Verknüpfung von Religion und Wollust berichtet, welche Ludwig XV. selbst im Hirschpark vornahm. *)
*) Moreau a. a. O. S. 59—60.
„Jedesmal, wenn Ludwig XV. eine Nacht im Hirschpark zubringen wollte, erfüllte er nicht nur mit Eifer seine religiösen Pflichten, sondern litt auch nicht, dass die jungen Priesterinnen eines anderen Kultus es an den Betätigungen ihres christlichen Glaubens fehlen liessen. Sobald er sich mit einer seiner Odalisken eingeschlossen hatte, befahl er ihr, sich hinter einem Vorhang zu entkleiden, während er selbst das gleiche tat. Sodann knieten beide in Adams Kostüm auf dem Teppich und verrichteten die Tagesgebete, indem sie sich die Stirn mit Weihwasser benetzten, welches sich in einem Kristallgefäss am Kopfende des Bettes befand. Nach beendetem Gebet und nach geschehener Bekreuzigung, streichelte der König den nackten Busen der Kleinen mit seinem frommen Finger. Man erhob sich, stieg ins Bett, zog die Vorhänge zu, und die Namen des Herrn, der Jungfrau Maria und der Heiligen wurden solange geflüstert, bis der Ritus der Liebe ein anderes Vokabular zum Ausdruck brachte“.*)
*) Ähnliche fromme Ausrufe bei gleicher Gelegenheit in Mirabeau, „Ma conversion„. London 1783 S. 12.
Ludwig XV. besass auch, was ebenfalls wohl einzig in seiner Art dasteht, einen eigenen Beamten für das Arrangement seiner Orgien in der Person des „Intendant des Menus-Plaisirs“, La F e r t é (Denis Pierre Jean Papillon de La Ferté 1727-1794). Dieses ungeheuerliche Institut wurde dann auch sofort unter Ludwig XVI abgeschafft.
Am Donnerstag, 19. Mai 1774, als Ludwig XVI, 9 Tage nach dem Tode seines Vorgängers, mit der Königin und mit den Prinzen im Bois de la Boulogne lustwandelte, stellte sich Herr La F e r t é vor. Der König betrachtete ihn blinzelnd von oben bis unten und fragte dann: „Wer sind Sie?“ — „Sire, ich heisse L a F e r t é.“ — „Was wollen Sie von mir?“ — „Sire, ich komme, die Befehle Eurer Majestät entgegen zu nehmen.“ — „Weshalb“ – „Weil – weil ich der Intendant – der Menus -“ „Was heisst Menus?“ – „Sire, es sind die Menus-Plaisirs Eurer Majestät“. — „Meine Menus-Plaisirs bestehen darin, zu Fuss im Parke zu promenieren. Ich brauche Sie nicht. Darauf drehte ihm der König den Rücken zu und ging. *)
*) „Chronique sécrète de Paris sous le règne de Louis XVI. (1774)“ in „Revue rétrospective. Bd. III. Paris 1834. S. 46.
Ludwig XV. hatte aber an seinen eigenen Ausschweifungen noch nicht genug, er musste auch die seiner Untertanen kennen lernen. So liess er sich von der Pariser Polizei regelmässig alle obszönen Vorkommnisse, alle pikanten Einzelheiten über die Skandalaffären der Hauptstadt berichten *)
*) P. Manuel „La police de Paris dévoilée“. Bd. II. Paris L’an II. S. 86 u. 200.
Ludwig XVI. und seine Gemahlin Marie Antoinette sind persönlich vom Vorwurf der Sittenlosigkeit freizusprechen. Doch da unter ihrer Regierung das Genussleben am Hof fortdauerte und der Bruder des Königs, der Graf von Artois in der Tat ein berüchtigter Wüstling war, so konnte es nicht ausbleiben, dass auch das Privatleben des Königs und besonders der Königin, welche sich als österreichische Prinzessin geringer Sympathien erfreute, verdächtigt wurde.
Die bekannte Halsbandgeschichte (Halsbandaffäre, l’affaire du collier de la reine, 1785 und 1786) wurde weidlich zur Verleumdung der Königin ausgebeutet. „Geheime und unversöhnliche Feinde machten aus einigen Leichtfertigkeiten und Unklugheiten Marie Antoinettes verdächtige und verabscheuenswerte Handlungen.“ 1) Schon 5 Jahre nach dem Regierungsantritt Ludwigs XVI. erschien ein obszönes Gedicht, welches später in zahlreichen Nachdrucken verbreitet wurde, dessen erste Ausgabe zu einer Rarität geworden ist. 2) Das Gedicht behandelt die angebliche Liebschaft zwischen Marie Antoinette und ihrem Schwager d’A r t o i s (späteren König Karl X.). Die Königin wird hier in den obszönsten Versen als eine wahre Messalina geschildert, welche der impotente König nicht befriedigen kann.
1) Paul Lacroix, „XVIIIme Siecle. Institutions, Usages et Costumes“ Paris 1875. S. 35.
2) „Les amours de Charlot et Toinete“. Paris (Londres) 1779.
„Charlot“, der Graf d’A r t o i s war allerdings ein Hauptteilnehmer an den von dem höfischen Adel in der Residenz veranstalteten Orgien, ebenso wie der Herzog von Orleans, Philippe Egalité. Auf den berüchtigten nächtlichen Promenaden im Palais Royal war der Graf von Artois eine gewöhnliche Erscheinung. „Der Herr Graf von Artois, der an diesen modernen Saturnalien Vergnügen findet, trägt viel zur Vermehrung des Vergnügens und des Zulaufes bei. Er begibt sich fast jeden Abend dorthin.“ *)
*) „L’espion Anglais ou Correspondance secrète entre Milord All‘ eye et Milord All’ ear. London 1784. Bd. II, S. 82 (von Mathieu François Pidanzat de Mairobert; das wertvollste, durchweg authentische Werk über die Sittenlosigkeit Frankreichs im 18. Jahrhundert).
In den „Nuits de Paris“ (Band XVI, S. 529) erzählt Rétif de la Bretonne, dass im Faubourg Saint-Antoine ein Bordell existierte, welches der Herzog von Orleans, der Graf von Artois und andere häufig besuchten. „Dort gab man sich allen Infamien hin, welche nachher von de Sade in seinem schrecklichen Roman „Justine ou les Malheurs de la vertu“ beschrieben wurden.“ Dort wurden jene Bestialitäten begangen, welche Sade schildert *).
*) „Bibliographie et Iconographie de tous les ouvrages de Réstif de la Bretonne“ par P. L. Jacob Bibliophile. Paris 1875. S. 422.
Als die Gemahlin des Grafen d’Artois 1775 in Paris einzog, wurde sie von den Fischweibern (poissardes) auf offener Strasse mit folgendem durchsichtigen Liede begrüsst, das ebenfalls ein charakteristischer Beweis dafür ist, wie sehr die Unzucht bereits eine öffentliche geworden war:
Célébrons tous à Paris
Un vaillant enfant de France;
Au moment qu’il entre en danse —
Zeste, il vous a fait un Flls!
C’est un vi … c’est un vi …
C’est un vigoureux mari!
La moitié que nous voyons,
On dirait qu’elle n’y touche,
Mais en nuptiale couche
A des talents non moins bons.
Le beau con . . . . le beau con . . .
Ah! le beau comcert, dit-on.
Pour chanter les deux époux
En riant Bacchus s’avance;
Déjà dans la cuve immense,
S’entassent ses raisins doux.
Allons fou …. allons fou . . .
Allons, allons fouler tous. *)
*) L’espion anglais II. 8. 117.
Sade nennt (Juliette IV, 16) Marie Antoinette „la première putain de France“, er lässt keine Gelegenheit vorübergehen, ohne sie zu beschimpfen (Juliette V, 252, 235 u. s. w., Phil, dans le Boud. I, 82), wie er überhaupt gegen die ganze „morgue allemande“ einen wütenden Hass hegt (Jul. IV, 16), insbesondere gegen das Haus Österreich (Juliette V, 340).
Dühren, Studien I. Der Marquis de Sade.
Quelle: Der Marquis de Sade und seine Zeit. Ein Beitrag zur Kultur- und Sittengeschichte des 18. Jahrhunderts. Mit besonderer Beziehung auf die Lehre von der Psychopathia sexualis, von Iwan Bloch als Eugen Dühren. 1. Aufl. Barsdorf, Berlin 1900; Max von Harrwitz, Berlin 1904; 5. Aufl. Barsdorf, Berlin 1915; in Reihe: Studien zur Geschichte des menschlichen Geschlechtslebens, Bd. 1. Inges. 7 Aufl. zu Lebzeiten.
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