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Ludwig van Beethoven. Deutscher Komponist.

Ludwig van Beethoven, Komponist,
Ludwig van Beethoven (1770-1827).

Beethoven ist nach wie vor einer der am meisten bewunderten Komponisten in der Geschichte der abendländischen Musik; seine Werke gehören zu den meistgespielten des klassischen Musikrepertoires und umspannen den Übergang von der Klassik zur Romantik innerhalb der klassischen Musik. Er gilt als einer der bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte und sein Vermächtnis hat die weitere Entwicklung dieser Kunstform entscheidend beeinflusst.

Als der letzte große Vertreter der Wiener Klassik (nach Christoph Willibald Gluck, Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart), bereitete er die Entwicklung zur Romantik in der Musik vor und beeinflusste die westliche Musik für einen Großteil des neunzehnten Jahrhunderts.

„Sie machen auf mich den Eindruck eines Mannes mit vielen Köpfen, vielen Herzen, vielen Seelen“, sagte Haydn um 1793 zu ihm und obwohl die Sinfonien die Hauptquelle seiner internationalen Popularität waren, erwies sich sein Einfluss vor allem in seinen Werken für Klavier und Kammermusik als bedeutend.

Sein Schaffen umfasst Klaviermusik (zweiunddreißig Klaviersonaten), Kammermusik (darunter zahlreiche Werke für zwei- bis achtköpfige Instrumentalensembles), konzertante Musik (Klavier-, Violin- und Diskantkonzerte), geistliche Musik (zwei Messen, ein Oratorium), Lieder, Bühnenmusik (die Oper Fidelio, ein Ballett, Musik für Theaterstücke) und Orchestermusik, wobei die Neun Sinfonien eine herausragende Stellung einnehmen.

Die Melodie ist durch Beethoven vom Einfluss der Mode und des wechselnden Geschmacks befreit und zu einem immer gültigen, rein menschlichen Typus erhoben worden. Beethovens Musik wird für alle Zeiten verstanden werden, während die seiner Vorgänger uns größtenteils nur durch die Reflexion über die Kunstgeschichte verständlich bleiben wird. – Richard Wagner

Little journeys to the homes of great musicians by Elbert Hubbard. New York: W.H. Wise, 1916.
Ludwig, Beethoven, Komponist, Kloeber
Beethoven 1818, von August Kloeber

Ludwig van Beethoven.

Geb. 16. Dezember 1770; gest. 26. März 1827.

Beethoven wurde wahrscheinlich am 16. Dezember 1770 zu Bonn geboren, doch findet sich sein Geburtstag nirgends verzeichnet, während es urkundlich feststeht, daß er am 17. Dezember getauft worden ist. Infolge unglücklicher Familienverhältnisse verlebte er eine ziemlich freudlose Jugend. Sein Vater, Johann van Beethoven, war in seinen Lebensgewohnheiten unordentlich und liebte den Trunk, die Mutter aber war zur Schwermut geneigt und kränkelte beständig.

Siehe: Ludwig van Beethoven – (Brief) an die Unsterbliche Geliebte.

Da der Vater aus seinem Sohn ein Virtuosenkind machen wollte, hielt er ihn mit großer Strenge zur Beschäftigung mit der Musik an. Vermutlich erteilte er ihm selbst den ersten regellosen Unterricht, bis er ihn in seinem neunten Jahre dem Tenoristen und Klavierspieler Tobias Friedrich Pfeiffer zur Ausbildung im Klavier- und dem Hoforganisten van den Eeden zur Erlernung des Orgelspiels übergab.

Als Christian Gottlob Neefe im Jahre 1779 an Eedens Stelle nach Bonn berufen worden war, wurde Beethoven von diesem gründlichen Musiker in das Studium des Generalbasses und der Komposition eingeführt. Unter seiner Leitung machte er so große Fortschritte, daß er schon 1782 sein Gehilfe im Orgelspiel wurde und im Frühjahr 1784 die Anstellung als zweiter Hoforganist mit 150 fl. Gehalt empfing. Nebenbei fand er Gelegenheit, beim Musikdirektor Franz Ries sich im Violinspiel zu vervollkommnen und als Cembalist in der kurfürstlichen Kapelle mitzuwirken.

Um sich bei Mozart weiter auszubilden, begab er sich gleich nach Ostern 1787 nach Wien, kehrte aber schon im Juli nach Bonn zurück, wo er gerade noch zurecht kam, um seiner Mutter die Augen zuzudrücken. Obwohl sich seit ihrem Tode die Lage der Familie noch trauriger als während ihres Lebens gestaltete und Beethoven gegen den Vater die Rechte derselben beim Kurfürsten vertreten mußte, indem er um Überlassung der Hälfte des väterlichen Gehaltes einkam, knüpfte er doch in jener Zeit eine Reihe von Verbindungen an, die sein Dasein erfreulicher machten. Er gewann an dem Deutsch-Ordensritter Grafen Waldstein einen warmen Freund und Beschützer und trat zu der Familie von Breuning in die intimsten Beziehungen.

Im Jahre 1739 wurde er Bratschist im Orchester des damals vorzüglichen Nationaltheaters zu Bonn und lernte auf diese Weise praktisch die Instrumentalmusik kennen. Inzwischen hatte er sich auch unter dem Beifall der Kollegen als Komponist versucht, ja selbst Haydn, der auf seiner Rückreise von England im Jahre 1792 Bonn berührte, spendete einer ihm vorgelegten Kantate Beethovens Lob und Anerkennung.

Durch diese Aufmunterung ermutigt, entschloß sich Beethoven noch im November desselben Jahres nach Wien überzusiedeln, um dort unter Haydns Leitung das Studium der Komposition weiter zu betreiben. Indessen entsprach der Unterricht des viel beschäftigten Meisters seinen Erwartungen keineswegs; er zog es daher vor, sich dem in dem Rufe eines hervorragenden Theoretikers stehenden Hoforganisten Albrechtsberger anzuschließen und bei Salieri Unterweisung in der dramatischen Komposition zu suchen.

Im Jahre 1794 brach Beethoven, der hinter dem Rücken von Haydn noch bei Schenk und Albrechtsberger Musikstudien machte, den Unterricht bei Haydn ab und zwar, als Haydn seine zweite Reise nach England antrat. (Moritz von Schwind, der tief musikalische Meister, der selbst die Violine sehr hervorragend spielte und in seiner Jugend mit Schubert in Wien innig befreundet war, erzählte gern von jenen schönen Tagen. Er selbst hat Beethoven noch dirigieren sehen und aus guter Quelle damals folgende kleine Geschichte gehört: Bekanntlich war Beethoven bei Haydn als Schüler eingetreten, aber ihm auch sehr bald wieder aus der Lehre gelaufen. Das wurmte den alten Herrn, und als ihm noch zum Überfluss ziemlich respektlose Äusserungen des jungen Feuerkopfes berichtet wurden, steigerte er sich in einen seiner Herzensgüte sonst fremden Ärger hinein. Besonders ein Ausdruck stiess dem Fasse den Boden aus; es hiess, Beethoven habe ihn einen »alten Perückenstock« genannt. Darüber sehr ergrimmt, rief Haydn aus: »Der junge Mensch! Was untersteht sich der, mich zu tadeln? Was hat er denn bis jetzt gemacht, dass er sich so aufspielt?! — Die paar Sonaten — na, sie sind soweit nicht übel, wenn auch nichts besonderes d’ran ist. Die Quartetten? — Ja, die sind gut! Wirklich gut! — Und das Septett?! Ach, das ist wunderschön!« Sein Angesicht verklärt von edelster Mitfreude, hatte er den Anfang seiner Rede gänzlich vergessen.)

Die Vorliebe für Musik, welche in Wien sowohl von der kaiserlichen Familie, als von zahlreichen Persönlichkeiten des hohen Adels gehegt wurde, kam auch Beethovens persönlichem Verhältnis wesentlich zu statten. Als vorzüglicher Klavierspieler in allen Kreisen der Gesellschaft gefeiert und begehrt, wurde er bald in den Häusern der Lichnowsky, Kinsky, Esterhazy, Lichtenstein und zahlreicher anderer Aristokraten ein gern gesehener Gast,- während unter den Mitgliedern des Kaiserhauses der Erzherzog Rudolf, später Erzbischof von Olmütz, sich seiner besonders helfend annahm. Die Unterstützung dieser Kreise entledigte ihn jeglicher Unterhaltssorgen, obwohl er stets ein unordentlicher Wirt blieb und durch eigenes Verschulden gelegentlich in Geldverlegenheiten geriet.

Galt Beethoven schon bald nach seiner Ankunft in Wien als ein Mozart ebenbürtiger Klavierspieler, so währte es gleichfalls nicht lange, bis es sich herausstellte, daß er auch als Komponist der Mann sei, den Verlust Mozarts zu ersetzen. Seitdem er im Mai 1795 mit drei als op. gedruckten Trios debütiert hatte, erschienen bis zum Jahre 1798 fünf Klaviersonaten, darunter die »Pathétique«, ferner die »Adelaide«, zwei Quintette, die Szene und Arie »Ah perfido«, zwei Sonaten für Klavier und Violoncello, drei Sonaten für Klavier und Violine, und das B-dur Konzert, dem bald darauf das am 2. April 1800 zuerst aufgeführte Septett folgte.

Noch vor Ende des Jahrhunderts trat jedoch ein Ereignis ein, welches Beethovens ganze Zukunft in entscheidender Weise beeinflussen sollte. Sein Gehör fing um diese Zeit an immer schwächer zu werden. Alle gegen das Leiden in Anwendung gebrachten Mittel versagten, und schließlich kam es bis zur völligen Taubheit. Beethoven ertrug diesen Schicksalsschlag unter Aufbietung aller Kraft, aber es wurde für ihn die Quelle tiefster Seelenleiden, die ihre Spuren naturgemäß auch in seinen Kompositionen hinterlassen haben.

Gleichwohl zeigte sich diese Wirkung erst allmählich, und gerade das erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erscheint als diejenige Periode, in welcher Beethovens Schaffenskraft die meisten und besten Früchte gezeitigt hat. In die Jahre von 1800 bis 1812/13 fällt nicht nur die Entstehung seiner schönsten Sonaten für das Klavier, sondern Beethoven hat auch innerhalb derselben seine ersten acht Symphonien, das Oratorium »Christus am Ölberg«, die Oper »Fidelio«, die Musik zu Goethes »Egmont«, die Festspiele »die Ruinen von Athen« und »König Stephan« geschaffen. Dazu kommt noch eine Reihe von Klavierkonzerten, von Quartetten und Quintetten für Streichmusik, Variationen und Liedern, sowie die dem Fürsten Kinsky gewidmete C-dur-Messe.

Es war zu erwarten, daß der Ruhm, den sich Beethoven durch diese seine Werke erwarb, weit über Wien hinaus dringen werde, und natürlich, daß man auch außerhalb der österreichischen Hauptstadt sich seiner Dienste zu versichern suchte. In der Tat bot ihm im Jahre 1809 der König Jerôme von Westfalen *) den Posten eines Kapellmeisters unter den vorteilhaftesten Bedingungen an. Da man es aber nicht für ehrenvoll hielt, den Meister ziehen zu lassen, setzte ihm der Erzherzog Rudolf in Verbindung mit dem Fürsten Lobkowitz und Kinsky ein Jahresgehalt von 4000 fl. aus, wobei sie nur die Bedingung stellten, daß er in Österreich bleiben sollte. Beethoven ging auf dieselbe ein, und ist über Wien und seine nächste Umgebung nicht mehr hinausgekommen, obwohl er in den letzten Lebensjahren eifrig eine Reise nach England geplant hat.

*) Jérôme-Napoléon Bonaparte (geboren als Girolamo Buonaparte; 15. November 1784 – 24. Juni 1860) war der jüngste Bruder von Napoleon I. und regierte als Hieronymus Napoleon I., König von Westfalen, zwischen 1807 und 1813.

Beethoven und Goethe lernten sich in Karlsbad und Teplitz im August des Jahres 1812 kennen und zwar war ihre Begegnung durch Bettina von Arnim herbeigeführt. (Bettina von Arnim, geb. am 4. April 1785 in Frankfurt a. M., war eine geborene Brentano und als solche Schwester von Clemens Brentano; sie verheiratete sich 1811 mit Achim von Arnim in Berlin und starb am 20, Januar 1859.) Bekannt von ihr ist »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde«, in dem sie Goethe der Musik nahe bringen möchte und ihm vor allem ein Verständnis für Beethoven beizubringen versucht.

Die Worte, welche Beethoven zu Bettina von Arnim spricht: »Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie«. Für Beethoven war die Musik nicht nur des sinnlich schönen Klangreizes wegen da, sondern für ihn war sie eine ethische Macht.

Beethoven schreibt am 12. August 1812 an den Erzherzog Rudolf: »Mit Goethe war ich viel zusammen. — In seinen autobiographischen Aufzeichnungen hat Goethe keine Notiz von dieser Begegnung genommen; jedoch nach seiner Rückkehr aus Teplitz nach Karlsbad schreibt Goethe am 2. September 1812 an Zelter: Beethoven habe ich in Teplitz kennen gelernt. Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt; allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andere genussreicher macht. Sehr zu entschuldigen ist er hingegen und sehr zu bedauern, da ihn sein Gehör verlässt, das vielleicht dem musikalischen Teil seines Wesens weniger als dem geselligen schadet. Er, der ohnehin lakonischer Natur ist, wird es nun doppelt durch diesen Mangel.«

Das Jahrzehnt von 1792—1802 bezeichnet die Höhe der Meisterschaft Beethovens auf dem Klavier. Allmählich begann die Schwerhörigkeit des Meisters seine Virtuosität zu beeinträchtigen, und mit dem Jahre 1814 nahm er vom Publikum für immer Abschied als Klavierspieler. (Das letzte von Beethoven öffentlich vorgetragene Tonstück war das Trio Op. 97).

Der Wiener Kongress im Jahre 1814 führte Beethoven auf den Gipfel seines Ruhmes. Alles drängte sich, um ihn zu sehen und die zahlreichen in Wien anwesenden Fürsten wetteiferten miteinander in Ehrenbezeugungen für den Meister.

Er hat in der Zeit von 1815-1818 von größeren Arbeiten nur die Ouvertüre »Meeresstille und glückliche Fährte«, die A-dur-Sonate op. 101 für Klavier, zwei Sonaten für Klavier und Violoncello und den herrlichen Liederzyklus: »an die ferne Geliebte« vollendet. Während des Winters von 1818 auf 1819 begann er die Komposition einer D-dur-Messe (Missa solemnis), und noch ehe er dieselbe zum Abschluss gebracht hatte, machte er sich an die Ausführung der neunten Symphonie mit dem Schlußchor: »Freude, schöner Götterfunken«. Er zeigte in dieser seiner großartigsten Schöpfung, namentlich in dem Adagio, daß auch die Instrumentalmusik der gewaltigsten Wirkungen fähig sei, bekannte aber gleichzeitig die Überlegenheit der menschlichen Stimme über jene, indem er ihre Hilfe zum Ausdruck der höchsten Freude in Anspruch nahm. Es folgten noch fünf Klaviersonaten und fünf im Auftrag des Fürsten Galitzin komponierte Quartette, deren Verständnis nur allmählich sich den Kunstfreunden erschlossen hat, da sie sowohl wegen ihrer Form als wegen ihres Inhaltes ein längeres Studium voraussetzen. Als dieselben am Ende des Jahres 1826 abgeschlossen waren, trug sich Beethoven noch immer mit verschiedenen Plänen; doch brachte er keinen derselben mehr zur Ausführung.

Diese Werke, die das subjektive und persönliche Wesen Beethovens, der in völliger Abgeschlossenheit gegen die Aussenweit lebte, mehr als die früheren hervortreten lassen, sind, obwohl nicht so harmonisch-einheitlich in Bezug auf Form, das echte Spiegelbild der Seele dieses genialen, großen Komponisten.

Ludwig van Beethoven starb am 26. März 1827 in Wien. (Er hinterließ 10232 Gulden; hiervon gingen indessen für Krankheits- und Beerdigungskosten, sowie für gerichtliche Gebühren 1213 Gulden ab, so dass der Nachlass 9019 Gulden betrug.)

Das Heiligenstädter Testament lautet wörtlich: Für meine Brüder Karl und Johann Beethoven. — O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet oder erkläret, wie unrecht tut ihr mir, ihr wisst nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet, mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens; selbst große Handlungen zu verrichten, dazu war ich immer aufgelegt, aber bedenket nur, dass seit 6 Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hoffnung, gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem Überblick eines dauernden Übels (dessen Heilung vielleicht Jahre dauern oder ganz unmöglich ist) gezwungen, mit einem feurigen, lebhaften Temperament geboren, selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, musste ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen, wollte ich auch zuweilen mich einmal über alles das hinaussetzen, o wie hart wurde ich über die verdoppelte traurige Gefahr meines schlechten Gehöres dann zurückgestossen, und doch war’s mir nicht möglich, den Menschen zu sagen: sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub; ach, wie wäre es möglich, dass ich dann die Schwäche eines Sinnes zugeben sollte, der bei mir in einem vollkommneren Grad als bei anderen sein sollte, einen Sinn, den ich einst in der grössten Vollkommenheit besass, in einer Vollkommenheit, wie ihn wenige von meinem Fache gewiss haben, noch gehabt haben — o ich kann es nicht; drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte, doppelt wehe tut mir mein Unglück, indem ich dabei verkannt werden muss, für mich darf Erholung in menschlicher Gesellschaft, feinere Unterredungen, wechselseitige Ergiessungen nicht statthaben, ganz allein fast nur so viel, als es die höchste Notwendigkeit fordert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen, wie ein Verbannter muss ich leben; nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heisse Ängstlichkeit, indem ich befürchte, in Gefahr gesetzt zu werden, meinen Zustand merken zu lassen — so war es denn auch dieses halbe Jahr, was ich auf dem Lande zubrachte, von meinem vernünftigen Arzt aufgefordert, so viel als möglich mein Gehör zu schonen, kam er fast meiner jetzigen natürlichen Disposition entgegen, obschon vom Trieb zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich mich dazu verleiten lies: aber welche Demütigung, wenn jemand neben mir stand und von weitem eine Flöte hörte, und ich nichts hörte, oder jemand den Hirten singen hörte, und ich auch nichts hörte, solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben — nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück; ach, es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete ich dieses elende Leben — wahrhaft elend, einen so reizbaren Körper, dafs eine etwas schnelle Veränderung mich aus dem besten Zustand in den schlechtesten versetzen kann. — Geduld — so heisst es, sie muss ich nun zur Führerin wählen, ich habe es — dauernd hoffe ich, soll mein Entschluss sein, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen, vielleicht geht’s besser, vielleicht nicht, ich bin gefasst — schon in meinem 28. Jahre gezwungen, Philosoph zu werden, es ist nicht leicht, für den Künstler, schwerer als für irgend jemand. — Gottheit, du siehst herab auf mein Inneres, du kennst es, du weisst, dass Menschenliebe und Neigung zum Wohlthun drin hausen. O Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so denkt, dass ihr mir Unrecht getan, und der Unglückliche, er tröste sich, einen Seinesgleichen zu finden, der, trotz aller Hindernisse der Natur, doch noch alles getan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden. — Ihr, meine Brüder Karl und Johann, sobald ich tot bin und Professor Schmid lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, dass er meine Krankheit beschreibe, und dieses hier geschriebene Blatt fügt Ihr dieser meiner Krankheitsgeschichte bei, damit wenigstens soviel als möglich die Welt nach meinem Tode mit mir versöhnt werde — zugleich erkläre ich Euch beide für die Erben des kleinen Vermögens (wenn ich es so nennen kann) von mir, teilt es redlich und vertragt und helft einander; was Ihr mir zuwider getan, das wisst Ihr, war Euch schon längst verziehen, Dir Bruder Karl, danke ich noch insbesondere für Deine in dieser letztern späten Zeit mir bewiesene Anhänglichkeit. Mein Wunsch ist, dass Euch ein besseres sorgenloseres Leben als mir werde, empfehlt Euren Kindern Tugend, sie nur allein kann glücklich machen, nicht Geld, ich spreche aus Erfahrung, sie war es, die mich im Elende gehoben, ihr danke ich neben meiner Kunst, dass ich durch keinen Selbstmord mein Leben endigte. – Lebt wohl und liebt Euch! — Allen Freunden danke ich, besonders Fürst Lichnowsky und Professor Schmid. — Die Instrumente von Fürst Lichnowsky wünsche ich, dass sie doch mögen aufbewahrt werden bei einem von Euch; doch entstehe deswegen kein Streit unter Euch. Sobald sie Euch aber zu etwas Nützlicherem dienen können, so verkauft sie nur. Wie froh bin ich, wenn ich auch noch im Grabe Euch nützen kann. So wär’s geschehen, — Mit Freuden eile ich dem Tode entgegen. Kommt er früher, als ich Gelegenheit gehabt habe, noch alle meine Kunstfähigkeiten zu entfalten, so wird er mir, trotz meinem harten Schicksale, doch noch zu früh kommen, und ich würde ihn wohl später wünschen; — doch auch dann bin ich zufrieden; befreit er mich nicht von einem endlosen leidenden Zustande? — Komm‘ wann du willst, ich gehe dir mutig entgegen. Lebt wohl und vergesst mich nicht ganz im Tode, ich habe es um Euch verdient, indem ich in meinem Leben oft an Euch gedacht, Euch glücklich zu machen; seid es! Heiligenstadt, am 6. Oktober 1802. Ludwig van Beethoven (m, p.).

(Von aussen). Für meine Brüder Karl und Johann, nach meinem Tode zu lesen und zu vollziehen. — Heiligenstadt, am 10. Oktober 1802. — So nehme ich denn Abschied von Dir — und zwar traurig. — Ja, die geliebte Hoffnung, die ich mit hierher nahm, wenigstens bis zu einem gewissen Punkte geheilet zu sein, sie muss mich nun gänzlich verlassen. Wie die Blätter des Herbstes herabfallen, gewelkt sind, so ist auch sie für mich dürre geworden. Fast wie ich hierher kam, gehe ich fort; selbst der hohe Mut, der mich oft in den schönen Sommertagen beseelte, er ist verschwunden. O Vorsehung, lass einmal einen reinen Tag der Freude mir erscheinen! So lange schon ist der wahren Freude inniger Widerhall mir fremd. Wann, o wann, o Gottheit! kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wieder fühlen? — Nie? — Nein, es wäre zu hart!

F. Schiman pinx, E. Eichen sc.
(Der Stich ist aus dem Verlag: der Aschendorffschen Buchhandlung in Münster i/W.).

Quelle:

  • Historisches Porträtwerk. Das Zeitalter der Befreiungskriege (1810-1845). Nach Auswahl von Dr. Woldemar von Seudlitz. Mit biographischen Daten von Dr. H. Tillmann und Dr. H. A. Lier. München 1897. Verlagsanstalt Friedrich Bruckmann A.-G.
  • Allgemeine illustrierte Encyklopädie der Musikgeschichte von Hermann Ritter (1849-1926). Leipzig: M. Schmitz 1901.
Illustration Musikerin

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