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Über Masken und Maskenbräuche im Lötschental, Oberwallis.

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Masken der Roitscheggeten aus Blatten und Kippel im Lötschental.

Über Masken und Maskenbräuche im Lötschental (Kanton Wallis).

Von L. Rütimeyer. Basel.

Im schweizerischen Landesmuseum in Zürich befinden sich seit einigen Jahren drei Holzmasken von so groteskem und wildem Aussehen, daß wohl manchem Beschauer, der zufällig auf sie stößt, unwillkürlich derGedanke aufgestiegen sein dürfte, ob wir es hier nicht mit Erzeugnissen von Maskenschnitzern zu tun haben, die wilden Naturvölkern angehören, und die sich etwa hierher verirrt hätten. Ich wunderte mich denn auch nicht wenig, daß, als mir diese Masken zufällig zu Gesicht kamen, mir auf mein Befragen mitgeteilt wurde, sie entstammten in der Tat unserem Lande, und zwar dem Lötschental, wo sie von Herrn Dr. Stehler in Zürich gesammelt wurden. Zwei ähnliche Masken, doch von weit milderem Aussehen, kamen dann in der Folge als Geschenk von Herrn Prof. Hoffmann, der sie von Herrn Dr. Stehler erhalten hatte, auch nach Basel. Die letzteren sind im Schweiz. Archiv für Volkskunde 1) abgebildet, eine kurze Notiz über sie 2) findet sich aus der Feder des Herrn Dr. Stehler ebenda. Die erstgenannten Stehlerschen Masken aus dem Lötschental finden sich ebenfalls photographiert in einem Aufsatz von Herrn Prof. Hoffmann-Krayer in der Zeitschrift „Die Schweiz“ 1897 3).

Da mir nun der Gebrauch solcher Masken im Lötschental als ein Vorkommnis erschien, das wohl als Zeuge weit zurückliegender Kulturzustände, als eine Art ethnographischer „Species relicta“, die in weiterem Zusammenhang zu deuten wäre, aufgefaßt werden muß , beschloß ich, sobald dies möglich sei, mich selbst an Ort und Stelle über diese Dinge zu orientieren, zumal aus der Literatur außer der eben erwähnten kurzen Notiz darüber nichts weiter zu ersehen war. Eine baldige Fixierung dieser jedenfalls sehr altertümlichen Maskenbräuche erschien um so notwendiger, als leider mit Sicherheit vorauszusehen war, daß dieses vom Strome der Touristen abgelegene, von drei Seiten nur über Gletscherpässe zugängliche stille Hochalpental, das in Sitten und Geräten der Bewohner auch sonst noch sehr viel Originelles zeigt, mit dem drohenden Bau der Lötschtalbahn wie leider so manche andere ethnographisch originelle Provinzen mit Vermehrung des Verkehrs nach dieser Richtung hin rasch verflachen werde.

1) Schweiz. Archiv f. Volkskunde, Bd. I, S. 257.
2) a. a. 0., S. 178.
3) Hoffmann-Krayer, Einige schweizerische Masken und Maskenbräuche. Die Schweiz, Jahrg. 1, 1897, S. 506.

Bei einem Besuche im Lötschental im Sommer 1905 hatte ich nun, obwohl fast die ganze männliche Bewohnerschaft des Tales auf den Alpen sich befand, im hintersten Dörfchen des Tales, in Blatten, doch das Glück, J. Tanast, den Sohn des Hauptmaskenschnitzers für den oberen Teil des Tales, zu treffen, einen jungen Mann, der früher selbst oft an den Maskentänzen teilgenommen hatte und mir über alles, was er hiervon wußte, bereitwillig Auskunft gab, an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln kein Grund vorliegt. Die Aussagen, die ich in den anderen Dörfern des Tales, in Ayler und Kippel, erhielt, stimmten denn auch mit den von Blatten erhaltenen in allem Wesentlichen durchaus überein.

Die Maskenbräuche, soweit sie so direkt mündlich zu eruieren waren, sind folgende.

Die Masken werden nur einmal im Jahre angewandt, und zwar drei Tage lang zur Fastnachtszeit. Nur junge ledige Burschen tragen sie mit den dazu gehörigen Kostümen, verheiratete Männer nie. Dieses zugehörige Kostüm besteht, wenn es vollständig ist, aus zwei schwarzen Schaffellen, die je eins hinten und eins vorn umgehängt und mit einem Gurt um die Taille zusammengehalten werden. Von letzterem werden 3 bis 4 Kuhglocken (Treicheln) befestigt, die durch ihr Geschell schon von weitem das Nahen der Maskenläufer anzeigen. Unter diesen Schaffellen werden die schlechtesten Kleider, die man hat, verkehrt, mit der Innenseite nach außen angezogen, dazu kommen wollene farbige Handschuhe von eigentümlich zottiger Anfertigung und ein Stock.

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Tschäggättä Maske und Kostüm aus dem Lötschental.

Ein solches vollständiges Kostüm, das ich vom Träger desselben selbst erwerben konnte, befindet sich in der ethnographischen Sammlung in Basel, und wenn jemand damit bekleidet wird und eine der dazu gehörigen Masken aufsetzt, so sieht die Sache allerdings höchst wild und primitiv aus, so daß man begreifen kann, wie ein in ethnographischen Dingen sonst gut erfahrener und weit gereister Herr, dem ich einmal zu raten gab, woher diese Objekte wohl stammten, auf Indianer von Oregon oder Alaska riet! (Abb. 1).

Angetan mit den weiter unten zu beschreibenden Masken und diesem Kostüm springen nun die Burschen bei Tag auf den Straßen ohne besonderen eigentlichen Tanz herum; gesprochen wird dabei nicht, sondern nur gebrüllt wie der „Teufel“ oder ein „Muni“ (Stier). Wenn die Maskenläufer nahen, so hört man sie schon von weitem am Geschell der Glocken, sowie am Gebrüll, und Kinder und Frauen stieben erschreckt auseinander und retten sich in die Häuser.

Die jungen Mädchen werden auch von den Burschen, speziell von den Liebhabern, bis in die Häuser verfolgt und zum Spaß erschreckt. Das Ganze heißt oder hieß früher „Tscheggete“ (Tschäggättä) und stammt nach Ansicht der Leute noch aus der Heidenzeit. Wie mir berichtet wurde, wurde es vor mehreren Jahren von der Geistlichkeit verboten, bei welchem Anlasse eben viele Masken, wohl auch die von Dr. Stehler, verkauft wurden, seit zwei Jahren sei es nun aber wieder gestattet.

Die Masken scheinen am sorgfältigsten in Blatten gemacht zu werden , wo, wie erwähnt, ein eigener, jetzt etwa 67 jähriger Maskenschnitzer lebt. Andere, roher ausgeführte allerdings, werden von den Burschen selbst gemacht, so eine von mir vom Schnitzer derselben, einem Viehknecht, getragene und erworbene (Abb. 4). Sie werden im allgemeinen aus Arvenholz geschnitzt, und zwar frei aus der Hand, höchstens werden die Konturen der individuell sehr variierenden Fratzen vorher in flüchtigen Umrissen auf das Holz gezeichnet.

Jede Maske hat ihr besonderes Gesicht, bestimmte Typen scheinen nicht vorzukommen. In Blatten speziell sollen alle mit Ziegenpelz verziert sein, mit welchem Haare, Bart und Augenbrauen und sonstige Gehänge dargestellt werden. Die Masken werden fast immer bemalt, beliebt sind Rot, Schwarz und Blau, hier und da wird eine heraushängende Zunge aus rotem Stoffbeigefügt. Der Mund wird in vielen Fällen mit eingesetzten Kuhzähnen besetzt, oder es sind auch Zähne aus dem Holz der Maske selbst ausgeschnitzt oder Holzzähne eingesetzt. Ich sah eine einzige höchst primitive Maske von sehr altertümlichem Aussehen, die nicht aus Holz war, sondern aus einem einfachen Stück Leder bestand, mit Ausschnitten für Augen und Mund, bei letzterem waren auch die Zähne aus Leder geschnitten.

Die Masken sind sämtlich Vorlegmasken. Zur Befestigung dienen entweder sackartige Zeuglappen aus grobem Stoff, die, hinten an der Maske befestigt, über den Hinterkopf des Trägers gestülpt werden, oder auch nur Bänder.

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Holzmasken aus dem Lötschental. Kanton Wallis Schweiz.

Erklärung der Abbildungen 2 bis 13.

  • Abb. 2. Maske von Blatten aus Arvenholz, rot bemalt, Teile der Stirn, Nase und Wangen fleckenweise unbemalt gelassen. Augenbrauen schwarz bemalt, ebenso ein schwarzer Streifen am oberen und unteren Rande der sonst roten Oberlippe. Augenöffnungen röhrenförmig etwa 1cm hoch, Zähne weiß, aus dem Holz der Maske geschnitzt. Statt der Haare schwarz und weißer Ziegenpelz, an dem die Beine noch vorhanden sind, und de hinten 48 cm weit über den Hinterkopf herabhängt. Unter demselben eine Art Sack von grobem Sacktuch, in dem der Kopf hereingesteckt wird. Höhe 43 cm, Breite 30 cm.
  • Abb. 3. Maske von Blatten aus Arvenholz, Gesicht rot bemalt, Wangen und ein Teil der Stirn gelblich in gelblicher Naturfarbe. Zähne aus dem Holze der Maske geschnitzt, rot und weiß, Haare aus schwarzem Lammfell, Bart aus weiß und schwarzem Ziegenfell. Hinten hängt unter dem Lammfell noch 45 cm weit ein Stück Hundefell herunter, wie der große Sack aus Sacktuch, der wie bei Nr. 2 über den Kopf des Trägers gestülpt wird. Höhe 35 cm (ohne Bart), Breite 25 cm.

Diese zwei Masken wurden vor etwa 15 Jahren vom Maskenschnitzer von Blatten angefertigt.

Abb. 4. Maske aus Kippel, Arvenholz, meist rot bemalt, Augenhöhlen schwarz umrandet. Als Haare und Sack,in den der Kopf gestülpt ist, dient ein Kalbfell, das nur die seitlichen Partien umrahmt. Unter der Unterlippe einige Büschel Kuhhaare als Bart befestigt. In das Maul sechs Kuhzähne eingesetzt. Höhe 45 cm, Breite 30 cm.

Vom Verkäufer, einem Alpknecht, selbst geschnitzt.

  • Abb. 5. Maske aus Kippel, aus einem Stück Leder geschnitten mit Öffnungen für Augen und Mund. Für letzteren einige Zähne aus dem Leder geschnitten. Unten an der Maske ein Streifen Sacktuchstoff. Wird mit Bändern befestigt. Höhe 40 cm, Breite 35 cm.
  • Abb. 6. Maske aus Wyler, Arvenholz, Wangen und Lippen rot und schwarz, Nase schwarz, rot und blau bemalt, Augenlider blau umrandet. Zähne aus Holz eingesetzt. In die Augenhöhlen zwei Scheibchen Fensterglas eingesetzt. Statt der Augenbrauen die Vorderfüße des weißen, das Gesicht umrahmenden Ziegenfelles. Die Maske wird umgebunden. Höhe 28 cm, Breite 30 cm.
  • Abb. 7. Maske aus Wyler, Arvenholz, rot, blau und schwarz bemalt. Augenlöcher blau und schwarz umrandet. Zähne aus Holz, eingesetzt. Statt des „Kopfsackes“ zwei seitliche Lappen aus weißem Ziegenfell. Höhe 37 cm, Breite 27 cm.
  • Abb. 8. Maske aus Arvenholz, rotbraun bemalt, Haare aus einer Kuhschwanzquaste, ebenso der Schnurrbart. Zähne aus dem Holz der Maske ausgeschnitzt, weiß. Unten kleiner Kopfsack aus braunem Stoff. Höhe 40cm, Breite 25cm.
  • Abb. 9. Maske aus Arvenholz, rotbraun bemalt, Augenbrauen und Umrandung der Augenhöhlen schwarz. Haare und Schnurrbart, aus Kuhschwanzhaaren, auf den Kopf ein Kalbsohr aufgesetzt (das andere defekt). Hinten kleiner Kopfsack aus einem Stück Fell. Höhe 28 cm, Breite 21 cm.
  • Abb. 10. Maske aus massivem Holz geschnitzt, schwarz bemalt, Wangen rot. Im Maul einige Kuhzähne eingesetzt. Als Schnurrbart dienen Kuhhaare, als Kinnbart ein Stück Fell. Die auf der rechten Schläfe eingeschnittene Jahreszahl 1614 ist offenbar erst neuerdings angebracht worden. Höhe 37 cm, Breite 30 cm.
  • Abb. 11. Maske aus Holz, rot bemalt mit leichter schwarzer Schattierung. Im Maul eingesetzte Kuhzähne. Auf dem Kopf ein schwarzes Schaffell (Behaarung meist verschwunden). Höhe 35 cm.
  • Abb. 12. Maske aus Holz, schwarz und rot bemalt, Zähne und Umrandung der Augenlöcher weiß. Zähne aus dem Holze der Maske geschnitzt, weiß. Höhe 40 cm.
  • Abb. 13. Maske aus Holz, schwarz. An Stelle der Zunge ein Lappen aus rotem Flanell. Keine Zähne. Auf dem Kopfe ein defektes schwarzes Schaffell. Höhe 31 cm.
  • Nr. 1 bis 10 gehören der ethnographischen Sammlung in Basel an, Nr. 11 bis 13 dem Landesmuseum Zürich, dessen Direktor, Herrn Dr. Lehmann, für die freundliche Gestattung der Reproduktion hier bestens gedankt sei.

Worin besteht nun die Bedeutung dieser Masken bzw. der Maskentänze? Daß ihnen ein tieferer, wenn vielleicht auch von den jetzigen Maskenträgern nicht mehr verstandener Sinn innewohnt, ist ja zum voraus klar. Um die Bedeutung dieser Gebräuche, deren Wurzeln ja auf Jahrtausende zurückgehen können — wie die jetzige Generation noch instinktiv fühlen mag, wenn sie sagt, sie stammen aus der Heidenzeit —, zu erforschen, haben wir zwei Wege, erstens die lokale Tradition über sie und dann die Untersuchungen paralleler Erscheinungen, sei es im eigenen Land oder in näherer oder weiterer Ferne.

Wir dürfen uns auch durchaus nicht scheuen, unsere Blicke sehr weit schweifen zu lassen; ethnographische Parallelen finden sich bekanntlich oft in den verschiedensten Teilen der Erde, und speziell der Gebrauch von Masken und die ihnen zugrunde liegenden Anschauungen sind so ziemlich global verbreitet.

Was zunächst das Vorkommen ähnlicher Gebräuche im Wallis außerhalb des Lötschentals betrifft, so darf man wohl mit Sicherheit sagen, daß sie sonst nirgendwo mehr vorhanden sind. Auch eine Erinnerung an solche scheint anderwärts, wie ich mich z. B. im vorigen Jahre in verschiedenen Dörfern des Einfischtales zu überzeugen Gelegenheit hatte, zur Zeit nicht zu bestehen.

Als lokale Tradition des Ursprungs dieser Maskenbräuche wurde mir von meinem Gewährsmann nachträglich, nachdem er sich hierüber noch anderweitig in den Dörfern erkundigt hatte, brieflich noch folgendes mitgeteilt: In vorgeschichtlicher Zeit hielt sich in den dichten Waldungen auf der Südseite des Lötschentals eine Räuberbande auf, die als die „geschulten Diebe“ bekannt wurde, und zwar deshalb, weil die Mitglieder sich üben mußten, mit schwerer Beute an einer Stelle, die heute noch gezeigt wird, über die Lonza (den wilden Gletscherbach des Tales) zu springen. Nur unter Erfüllung dieser Bedingung wurden sie aufgenommen. Diese Räuber machten sich ein Spiel daraus, die Dörfchen der Talbewohner zu überfallen. Sie traten dabei schreckhaft auf; in garstigen Fetzen, in Schaffellen, scheußlichen Masken mit dröhnenden Treicheln (Kuhglocken) und mit schweren Keulen bewaffnet, überfielen die Scheusale im Dunkel der Nacht die zitternden Bewohner. Daher stammen die vielen Geschichten von waghalsigen Einbrüchen, deren Spuren man noch heute aufweist. Aus den Bernerkriegen im 15. Jahrhundert soll ein von diesen Schelmen an den Dorfbewohnern verübter Verrat geschichtlich beglaubigt sein.

Die gleiche Tradition wird auch durch die Auskunft auf eine diesbezügliche Anfrage an Herrn Kaplan Brantschen in Kippel, einen sehr kompetenten Kenner der Talschaft, durchaus bestätigt. Derselbe schreibt mir: „Man gebrauchte diese Masken einige Jahrhunderte, um sich unkenntlich zu machen,wozu man sich noch mit Schafpelzen bekleidete. Es bildete sich eine Räuberbande, die sich so maskierte und die Nachbarn erschreckte und beraubte. Im 17. Jahrhundert haben diese Raubzüge aufgehört. Man benutzt jetzt die Masken nur noch am fetten Donnerstag und Fasching-Montag und -Dienstag, um damit die Leute zu erschrecken.“

Eine Beziehung dieser Masken zu Zwergensagen (im Wallis Gottwergini genannt) wurde ausdrücklich negiert, auch verlautete nichts von solchen zur Beförderung der Fruchtbarkeit der Felder.

In der Literatur findet sich meines Wissens über diese Lötschentaler Maskenbräuche, wie schon erwähnt, nur jene kurze Notiz von Stebler, sowie eine auf die Steblerschen Masken, die auch abgebildet sind, sich beziehende kurze Erwähnung der Lötschentaler Bräuche, die als merkwürdig intakte, primitive Fastnachtsbräuche von Hoffmann-Krayer erwähnt werden 4).

Diese Maskenläufe waren also, wie aus der Angabe von Stebler hervorgeht, vor 30 Jahren noch gestattet, jetzt nicht mehr (gegenwärtig allerdings wären sie laut Angabe meines Gewährsmannes, 1905, etwa seit 1902 wieder erlaubt, nachdem sie von der Geistlichkeit einige Zeit als heidnische Gebräuche verboten gewesen waren). Der Tag des Umlaufens war der Sonntag vor der alten Fastnacht. An diesem Tage mußten die Rauchfänge gereinigt werden. Die Vermummten nannten sich „Rauchtscheggeten“, weil sie nach dem Kinderglauben aus dem Rauchfang kamen und scheckige, schwarze und weiße Pelze trugen. Sie waren ein Schreckgespenst, mit dem man die Kinder schreckte: „Sei ruhig oder ich rufe den Roitscheggetu“.

An diesem Tage wurden um ein Uhr die Häuser geschlossen, keine Frauen und Kinder, auch nicht Burschen vor dem 20. Jahre durften auf die Straße, sonst wurde ihnen ein Aschensack, den die Maskierten am Ende eines langen Stockes trugen, um die Köpfe geschlagen. Es sei, so wird weiter geschildert, etwas Grauen erregendes gewesen, wenn solche Masken, wie Stiere brüllend, daher stürmten.

Wie man sieht, stimmt die Beschreibung von Stebler, die offenbar also den Gebräuchen entspricht, wie sie am Ende der 1860er Jahre existierten, im ganzen mit der jetzigen, nur fehlt bei letzteren die Erwähnung des Aschensackes, von dem mir nichts gemeldet wurde, der
also obsolet zu sein scheint.

Sehen wir uns um nach parallelen ethnographischen Vorkommnissen zunächst in der Schweiz, so sind neben zahlreichen Fastnachtsbräuchen mit Herumziehen der jungen Burschen mit Schellen, Peitschen usw., worin zweifellos eine Fruchtbarkeitssymbolik zu erblicken ist (Verscheuchung von Dämonen), Vorkommnisse von gleich ursprünglicher Art wie im Lötschental wohl kaum mehr zurzeit lebend vorhanden.

Immerhin verdanke ich Herrn Prof. Hoffmann-Krayer den Hinweis auf einen bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts erhalten gebliebenen Brauch in Wil, Kanton St.Gallen, der noch einige, wie wir sehen werden, alte Züge aufweist. Es ist dies der Mittelpunkt der alten Wiler Fastnacht, das Auftreten der „Tüfel“ 5). Es waren dies junge Männer, vielfach den angesehensten Familien angehörend, angetan mit Holzmasken mit grotesk realistischer Schnitzerei, einer Mütze mit Fuchsohren oder Hörnern und bekleidet mit oft kostbaren, kunstvoll bemalten Röcken und weißen Hosen.

4) Hoffmann-Krayer, Einige schweizerische Masken und Maskenbräuche. Die Schweiz. Jahrg. 1897, S. 504.
5) H. Baumberger, St.Galler Land — St. Galler Volk, Einsiedeln 1903, S. 109.

Die Schilderung geht weiter wie folgt: „War das Tüflen losgegangen, so galt Putzenrecht (die Masken hießen „Putzen“). Wer nicht auswich, wurde von ihnen unter Gaudium und Halloh der nächsten Menge in den nächsten Brunnen gestellt. Die Metzger aber schlossen ihre Fleischläden und die Wirte ihre Küchen, um die Tüfel nicht als unwillkommene Gäste, deren Putzenrecht sich in diesem Falle zu einem Beuterecht an Wurst und Schinken erweitert, zu erhalten. Sie wurden sogar amtlich zu rechtzeitigem Schluß der betreffenden Läden aufgefordert.“ Auf dieses interessante Putzenrecht, also ein Recht der Masken auf Raub und Plünderung, sei hier ausdrücklich aufmerksam gemacht.

In diesem Zusammenhang möge auch noch ein in derselben Publikation S. 98 erwähnter Brauch erwähnt werden, der in ziemlich reiner Weise die Fruchtbarkeitssymbolik illustriert; es ist dies das „Klausen“ in Murg am Walensee am Sonntag vor Aschermittwoch. Die männliche Schuljugend schellt dort die Bauerngehöfte ab, manche Bauern verlangten sogar, daß jeder einzelne Baum abgeschellt werde, damit das Obst besser gedeihe. Die Knaben erhalten dafür reichlich Obst aller Art. Auf die zahlreichen weiteren, meist mehr oder weniger verblaßten Fastnachtsbräuche in der Schweiz kann hier nicht weiter eingegangen werden.

Wohl aber sind als Parallele zu unseren Lötschentaler Bräuchen heranzuziehen die Perchtentänze in Salzburg und Tirol, die neuerdings durch Frau M.Andree-Eysn 6) eine vortreffliche zusammenfassende Beschreibung erfahren haben; eine weitere Abhandlung über Perchtenlauf und Tanz findet sich in den Verhandlungen der Anthropologen in Salzburg 7).

Die Perchtenumläufe, um das hier möglichst kurz auf Grund obiger Publikationen zusammenzufassen, bestehen aus den „schönen Perchten“, die am Sonntag nach dem Perchtentag (6. Januar) jetzt noch alle 4 bis 7 Jahre im Pongau und dem Pinzgau herumziehen.

6) M. Andree-Eysn, Die Perchten im Salzburgischen. Archiv f. Anthropologie, N. F., Bd. III, Heft 2, S. 122.
7) K. Adrian, Salzburger Volksspiele, Aufzüge und Tänze. Verhandlungen der Versammlung der deutschen und österreichischen Anthropologen in Salzburg 1905, S. 48.

Es sind einige Paare Bauern in alter Nationaltracht, jeder begleitet von seiner „Gsellin“, einem in Frauenkleidern steckenden Mann, und auf dem Kopf die 40 bis 50 Pfund schwere, oft doppelt mannsgroße „Perchtenkappe“ tragend, ein mit rotem Stoff überzogenes Rahmenwerk, an dem eine Menge von Silberschmuck, Uhren, Münzen aufgehängt sind.

Perchten, Teufelsmasken, Tiermasken,
Perchtenmasken. Nach Originalen im Salzburger Städtischen Museum.

Etwas abweichend ist die Tracht der schönen Perchten im Pinzgau, wo statt jenes Kopfaufputzes mit seinem oft zusammengeborgten Silberkram Strohhütcben getragen werden, an denen lange Hahnenfedern befestigt sind, und über das Gesicht statt Masken lange, breite Seidenbänder herunterhängen.

In den Dörfern angekommen, wird ein langsamer Tanz aufgeführt. Umgeben sind diese schönen Perchten von verschiedenen Vermummten mit Teufels- und Tiermasken und 1 bis 2 Hanswursten, die mit einem Kuhschwanz oder einer wurstartigen Leinwandhülle den zusehenden Mädchen und Frauen leichte Schläge versetzen.

Viel wichtiger sind für unsere Betrachtung aber die seit Mitte des letzten Jahrhunderts mit ihren Umzügen verbotenen „schiachen Perchten“, von denen sich indessen noch einzelne Vertreter als Begleiter der Umzüge der „schönen Perchten“ erhalten haben.

Der Perchtenlauf dieser „schiachen Perchten“ fand nachts am dritten Donnerstag der Adventszeit statt. Die Bande bestand aus 50 bis 60 Burschen, von denen 12 8), die eigentlichen Perchten, in schwarze Schaffelle gehüllt waren; auf den Köpfen trugen sie Hauben aus Dachsfell und vor dem Gesicht holzgeschnitzte Masken mit langen Zähnen, Hörnern, auch Masken von Tieren mit Schnäbeln und beweglichen Unterkiefern. Um den Leib hatten sie lederne Gürtel und kleinere und größere Schellen.

Dabei wurde mit Peitschen geknallt und mit Kuhhörnern geblasen. So zog die Schar unter Höllenlärm nachts durch das Tal, vor gewissen Häusern wurde Halt gemacht und herumgesprungen, wobei die Perchten mit Schnaps, Käse und Brot bewirtet wurden. Um Mitternacht löste sich die Schar, der noch andere Vermummte, Burschen in Frauenkleidern usw., angehörten, auf.

8) Vgl. Andree, a. a. O., S. 127.

Teil 2

Über Masken und Maskenbräuche im Lötschental (Kanton Wallis).


Von L. Rütimeyer. Basel.

Andree führt auch Umzüge verwandter Masken an aus anderen Gegenden der mitteleuropäischen Alpenländer und deren weiterer Umgehung 9), wobei darauf hingewiesen wird, daß sie in einen größeren Kreis von germanischen Maskenumzügen hineingehören, die, aus heidnischer Zeit stammend, schon durch Predigten christlicher Geistlicher aus dem 6. und 7. Jahrhundert verboten wurden. Es wird eine solche Predigt zitiert, in der es heißt, daß die Heiden an den drei Kalenden des Januars monströse Gesichter vornehmen, den Hirsch spielen, in Tierfelle sich kleiden und Tierhäupter sich aufsetzen.

In den Alpenländern speziell werden als Verwandte der Perchtenläufe aufgeführt die maskierten Umzüge der Glöckler in Oberösterreich, Tirol, Salzburg, Steiermark, Kärnten, auch Faschingsgebräuche in den bayerischen Alpen, wo vermummte Burschen kupferne Schellen an Riemen tragen. Für alles Nähere muß hier auf die interessante mehrfach erwähnte Arbeit und deren Tafeln hingewiesen werden. Es sei nur noch zum Schluß eine von Andrian zitierte Darstellung in der Salzburger Zeitung von 1861 hier angeführt, die ebenfalls viel Ähnliches mit unseren Lötschentaler Gebräuchen zeigt und dabei den Namen „Schemenlaufen“ hat. Diese Zeitungsnotiz sagt 10):
„Am unsinnigen Donnerstag (d. i. der Donnerstag vor dem Faschingssonntag) ist es an manchen Orten Salzburgs Sitte, in Fastnacht Schemen zu laufen. Burschen ziehen sich über dunkle Beinkleider Hemden an, schwärzen sich das Gesicht mit Ruß und vermummen es mit einem schwarzen Tuch oder durch Larven. Von einem Riemen, den sie um die Mitte des Leibes tragen, hängt ein Zaungeläute oder eine Kuhschelle hinab, die bei jeder Bewegung anschlägt und Lärm macht. In einer Hand führen die Schemen einen Besen, mit der anderen tragen sie Säcke, mit Kohlenstaub gefüllt. Diese schlagen sie den Begegnenden ins Gesicht, damit sie schwarz werden.“

Also ganz ähnlich wie früher im Lötschental, wobei an die früher üblichen Aschensäcke erinnert sei. Auch sei hier der Ledermaske (Abb. 5) gedacht, die der Gesichtsvermummung mit einem schwarzen Tuch entsprechen würde.

Auch Mannhardt 11) erwähnt aus der Gegend von Hall, Innsbruck usw. das sog. Hutlerlaufen mit Besen und Peitschen versehener Jungen, die das Fastnachtsrößlein, ein künstliches Roß, und seinen Reiter begleiten und die Zuschauer mit ihren Besen abkehren. Der Umlauf gilt als unerläßlich, damit Flachs und Mais gedeihen, je mehr Hutler gehen, desto besser die Ernte. Er führt weiter aus, wie durch ganz Deutschland und Skandinavien der Umlauf Vermummter zu Weihnacht und Neujahr oder zur Fastnacht gebräuchlich war und überall wesentlich denselben Charakter trug.

9) a. a. 0., S. 135.
10) Adrian, a. a. 0., S. 62.
11) Mannhardt, Der Baumkultus der Germanen und ihrer Nachbarstämme 1875, 8. 541 u. 543.

Es ist wohl überflüssig, auf die große Übereinstimmung trotz einzelner Abweichungen in der äußeren Erscheinung dieser Maskengebräuche in Salzburg und Tirol mit denen des Lötschentales hinzuweisen. Es sind diese alle, um ein geologisches Bild zu gebrauchen, im mitteleuropäischen Alpenland stehen gebliebene isolierte Fetzen einer früher weithin verbreiteten Kulturschicht, die nun infolge der erodierenden Wirkung neuer, nivellierender Anschauungen, Sitten und Gebräuche großenteils verschwunden ist, einer Kulturschicht, deren ethnographische Leitfossilien eben die Masken sind.

Gehen wir zur Bedeutung dieser Perchtenumläufe über, so scheint diese nach den Ausführungen von M. Andree allerdings klarer zu liegen als bei unseren Lötschtaler Masken. Über die Bedeutung dqs Wortes Percht, ob es von Perchta, der auch als Frau Holle fortlebenden Freya, der Gattin Wodans, stammt, oder, wie M. Andree annimmt, überhaupt nur ein elbisches Wesen bezeichnet, herrschen Divergenzen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Für die Perchta in Salzburg und Tirol ist nach der genannten, in dieser Materie sehr erfahrenen Verfasserin aus gemeinsamen Zügen nachweisbar 12), daß die Umzüge im Sinne der Dämonenvertreibung abgehalten werden; es sind Abwehrmittel gegen schlimme Mächte, und es besteht der Volksglaube, daß, je mehr Perchten laufen, um so besser das Jahr mit seiner Ernte werde.

Wie Richard Andree 13), sich hierin wieder auf Bastian stützend, treffend sagt, läßt sich deutlich nachweisen, wie bei verschiedenen Völkern die Masken im Zusammenhang mit der Dämonenwelt stehen, indem sie einerseits den Menschen gegen die Dämonen schützen, die durch die vor das Gesicht gelegte Maske getäuscht werden; andererseits wird aber auch mit der Maske angriffsweise gegen den bösen Geist vorgegangen, indem man sich selbst ein schreckliches Fratzenangesicht vorlegt und damit den Dämon verscheucht.

Hierbei sollen auch die Lärminstrumente helfen, Peitschen, Glocken und Schellen. Ein sehr gutes Beispiel für letzteres wird angegeben in dem Schwazer Grasausläuten 14) im Unterinntal, wo die jungen Burschen mit Glocken und Schellen, die sie in den Händen schwingen, nach den entfernten Bauernhöfen ziehen, wobei die Bauern sagen: Wohin die Grasausläuter kommen, wächst das Gras gut, und das Getreide bringt reiche Frucht. Diese Grasausläuter trugen übrigens früher Masken, sie gehören also jedenfalls in das Kapitel der Perchtenläufe, von denen auch, wie erwähnt, die Tiroler Bauern glauben, daß, je mehr Perchten laufen, desto besser das Jahr wird.

12) a. a. 0., S. 137.
13) R. Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiche, Neue Folge, 1889, S. 109.
14) Andree, a. a. O., S. 138

M. Andree führt auch weiter aus, wie mehrere andere beim Perchtenlauf vorkommende Gebräuche, das Schlagen der Frauen mit einem Kuhschwanz 15), das Zuwerfen eines Wickelkindes an einer Schnur zu dieser Fruchtbarkeitssymbolik gehören.

Wie verhält es sich nun mit der Bedeutung unserer Lötschtaler Maskenläufe? Ich selbst konnte bei mündlicher und brieflicher Anfrage nichts in dieses Kapitel der Vertreibung von die Fruchtbarkeit schädigenden Dämonen Gehörendes herausfinden; ob eine solche Beziehung früher im Bewußtsein des Volkes gewesen und vergessen wurde, ob sie heute noch bei weiterer Befragung in diesem oder jenem Lötschtaler Dörfchen nachweisbar wäre, bleibe vorläufig dahingestellt.

Eine nicht unwesentliche Abweichung von den geschilderten Perchtenläufen scheint allerdings auch darin zu liegen, daß nichts davon gesagt wird, daß einzelne Burschen sich bei den Lötschtaler Bräuchen in Frauen verkleiden, ein Zug, der für die Tiroler Fruchtbarkeitssymbolik typisch zu sein scheint.

Wir können uns also bei unseren Masken immerhin noch nach weiteren Parallelen Hinsehen, um eine Erklärung des den Gebräuchen zugrunde liegenden tieferen Sinnes zu finden.

Bei solchen Parallelen dürfen wir, wie schon angedeutet, ungescheut unsere Blicke weit schweifen lassen; bei Maskentänzen und Gebräuchen, die so ungeheuer weit verbreitet sind über die Erde hin, können und müssen wir uns umsehen nach ähnlichen Gebräuchen, wo die ihnen zugrunde liegenden Anschauungen noch mehr oder weniger bewußt in der Volksseele leben, nach Gebräuchen, wie sie uns die ethnographische Erforschung noch lebender Naturvölker lehrt. Der verdiente Ethnograph Hein 15) hat gewiß durchaus recht, wenn er von den besprochenen Salzburger Masken sagt: „Die große Ähnlichkeit dieser Masken in Form und Auffassung mit den Tanz-, Beschwörungs- und Teufelslarven verschiedener Völker verleiht ihnen nicht bloß eine österreichische oder mitteleuropäische volkskundliche Bedeutung, sondern stellt sie in eine Linie mit jenen Erzeugnissen, in welche sich allerorts der Menschengeist in gleicher Weise offenbart; sie bilden daher ein unentbehrliches Glied in der Gesamtheit der Gesichtsvermummungen, wie sie bei allen Völkern des Erdballs geübt werden.“

15) Vergleiche hier die sehr lehrreichen Ausführungen von Mannhardt über den Schlag mit der Lebensrute. Mannhardt, a. a. 0., S. 251 bis 303.
16) Hein, Das Hutlerlaufen. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde zu Berlin, 1899, S. 109.

Wenn die mir von verschiedener Seite übereinstimmend gegebene Erklärung der Maskenläufe im Lötschental wirklich die alte Tradition vorstellt, was durchaus plausibel ist, so drängt sich, wie mir scheinen will, un willkürlich der Gedanke auf, ob wir hier nicht Reste einer uralten sozialen Einrichtung vor uns haben, deren Entwicklung und einzelne Etappen, bei Naturvölkern noch vielfach klar nachweisbar, hier in eine Mischung verschmolzen sind, deren einzelne Bestandteile nicht mehr scharf getrennt werden können, aber doch ihren Ursprung noch einigermaßen erkennen lassen.

Ich denke hier an die über einen großen Teil der Erde verbreitete Institution der Knabenweihen, der Altersklassen, Männerhäuser und der Geheimbünde, Einrichtungen, die, wie Schultz in seinem wichtigen Werk über diesen Gegenstand klar nachweist, ungezwungen ineinander übergehen.

Bei Natur- und Kulturvölkern gleichen sich diese Gesellschaften in überraschender Weise; nur steht bei den Naturvölkern das Verhältnis zu den Geistern der Ahnen in erster Linie, bei den geheimen Gesellschaften der Kulturvölker beruht das Ansehen der Mitglieder im Besitz besonderer Fähigkeiten und tieferer Erkenntnis der Wahrheit 17).

Bei seinen Ausführungen betont Schultz immer wieder, wie in der Völkerkunde die Erscheinungen etwas Verschwommenes, Fließendes haben, wie sie, da ein Volk etwas Lebendes, immer sich weiter Entwickelndes ist, ineinander übergehen und in ihrem Zusammenhang, nicht in starren Einzelformen, zu begreifen sind. So weist er auch nach an bestimmten Beispielen, wo die Motive der Komponenten der Gebräuche noch klarer erkennbar sind, wie aus den Knabenweihen ungezwungen der Geister- und Maskenspuk herauswächst.

Sehen wir uns nun die Lötschtaler Maskenbräuche, die noch jetzt bestehen, oder die vor kurzer Zeit bestanden haben, in Verbindung mit der jetzt noch lebenden Tradition ihres Ursprunges an der Hand von ethnographischen Parallelen, besonders bei Naturvölkern, auf die wesentlichsten Züge an, so geht aus ihnen hervor, daß wir es zu tun haben mit Altersklassen; es sind bei diesen Maskenläufen, analog denen in Salzburg und Tirol, nur Jünglinge und ledige junge Männer, die sich daran beteiligen dürfen.

Diese Altersklasse vermummt sich im Frühjahr um die Fastenzeit und hat heute noch offenbar das Recht zu manchem kleinen Unfug, und, wie aus den Überlieferungen hervorzugehen scheint, früher die Gewohnheit (ob auch ein gewisses Recht?), mancherlei Gewalttaten wie Raub und Diebstahl, zu verüben. Dabei tragen die Teilnehmer Masken und Lärminstrumente, wie Kuhschellen, brüllen auch selbst „wie der Teufel“ oder „wie Stiere“. Der Ort, woher die Masken zu diesen Überfällen kamen, wird von der Tradition in den Wald verlegt, wo sie als Räuberbanden gehaust haben sollen. Es handelt sich also hier offenbar um eine geschlossene Gesellschaft, die zusammen wohnte, wobei wir vielleicht an die Institution des Männerhauses denken dürfen. Zur Aufnahme in diese Gesellschaft, die bezeichnenderweise „geschulte Diebe“ genannt wurde, war eine Probe des Mutes und der Kraft erforderlich indem die Adepten mit einem Beutestück beladen, über den wilden Gletscherbach der Lonza springen mußten.

Die Aufnahmeformalität setzt wieder wie der gemeinsame Wohnort außerhalb der Dörfer, das Hausen im Wald, einen Bund voraus, der, in Verbindung mit den Überfällen der Häuser durch Maskierte, offenbar mehr oder weniger ungestraft (sonst wären diese angeblichen Räuberbanden zweifellos durch die tapferen Gebirgsbewohner längst verscheucht worden) mit Stehlen und Plündern ihr Wesen treiben durfte; sie machten sich, wie mein Gewährsmann sagt, „ein Spiel“ aus diesen Überfällen.

17) H. Schurtz , Altersklassen und Männerbünde. 1902.

Dies alles läßt wieder sehr wohl den Gedanken aufkommen, daß es sich ursprünglich um die Institution eines Geheimbundes handelte. Hierfür spricht auch der jetzt noch lebende Gebrauch, daß beim Herannahen der Maskierten, das sich durch Gebrüll und das Tönen der Schellen schon von weitem kündet, gerade wie heute noch in Westafrika und Melanesien, beim Tönen des Schwirrholzes die Frauen und die Kinder sich entsetzt in die Häuser flüchten. In den genannten ethnographischen Provinzen riskieren sie, auf der Straße von den Maskierten betroffen, mißhandelt oder gar getötet zu werden.

Dies sind die springenden Punkte dieser Gebräuche, für deren einzelne Komponenten wir in der Völkerkunde bei Naturvölkern und, was uns besonders interessiert, in kleineren Resten angedeutet auch bei europäischen Kulturvölkern, so auch in der Schweiz, eine Menge von Parallelen haben.

Gehen wir einige der wichtigsten derselben in Kürze durch, so finden wir etwa folgendes, wenn wir, wie oben schon angedeutet, von der Basis ausgehen, daß wir in den heutigen Gebräuchen und der Überlieferung ihrer Entstehung die Reste der eben genannten uralten Einrichtungen der Knabenweihe und Altersklassen, des Männerhauses und der Geheimbünde erblicken dürfen.

Was zunächst den Aufenthalt im Wald anlangt, der von jenen „Räuberbanden“ früherer Jahrhunderte gemeldet wird, so sehen wir, daß ein vorher temporärer Waldaufenthalt bei all den genannten Institutionen vielfach eine große Rolle spielt.

Statt der Männerhäuser, in denen die Knaben und jungen Leute zusammen hausen, wird als ihr Aufenthaltsort vielfach der Wald genannt, so in Neuguinea und Westafrika , sowie in Liberia, wo nach Büttikofer 18) die jungen Knaben und Mädchen ein bis mehrere Jahre in den Zauberwald Gree-gree Bush gebracht werden und dort ihre Erziehung erhalten. Beim Geheimbund der Simo 19) am Rio Nunez müssen sich die Knaben und jungen Leute, die dort beschnitten werden, sieben Jahre im Wald aufhalten, wobei die Familien für ihre Ernährung zu sorgen haben.

Der Zustand des Männerhauses kann auch existieren, ohne daß eigentliche Männerhäuser gebaut werden, in Form von Beratungsplätzen und flüchtig erbauten Hütten, und es könnten also solche temporäre Schutzhütten im Wald im Lötschental sehr wohl der Ausgangspunkt jener maskierten Streifzüge gewesen sein. Übrigens weist Schurtz 20) die überaus interessante Tatsache nach, daß sich gegenwärtig noch Reste des Männerhauses in Tirol finden, wo sich nach uraltem Brauch jede Gemeinde ihr Tanzhaus baute, das zugleich als Dingstätte diente. Hier wurden, so im Dorf Enneberg, öffentliches Gericht und die öffentlichen Tänze abgehalten. Ein solches, heute noch bestehendes Tanzhaus in Enneberg wird beschrieben als mächtiger Stadel von Holz, rechts und links mit weit offenen Eingängen versehen, in der Mitte reicht eine Säule vom Boden bis zum Dach. Jetzt dienen die Räume dazu, allerlei Vorräte aufzunehmen. Schurtz führt hier weiter aus, daß das Haus, das einen Platzmeister als Vertreter der jungen Leute hatte, offenbar das Haus der Junggesellen war, und, wie auch anderwärts oft die Männerhäuser sich zu Reisspeichern und Schatzkammern umwandelten, hier zum Vorratshause der Gemeinde wurde.

18) J. Büttikofer, Reisebilder aus Liberia, Bd. II, S. 304 ff.
19) Schurtz, a. a. 0., S. 415.
20) a.a. O., S. 316.
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Das Ganze ist also ein neues, bedeutsames Beispiel für die eben auch wieder durch die Lötschtaler Maskengebräuche bewiesene Tatsache, daß im Hochzebirge Schollen und Fetzen uralter, wohl bis zur Prähistorie zurückgehender sozialer Einrichtungen da und dort sich erhalten haben.

Ein zweites Charakteristikum, das ungestrafte Stehlen und Plündern durch Mitglieder von Knabenweihen, Altersklassen oder Geheimbünden, findet ebenfalls eine Menge von Parallelen.

Die neubeschnittenen Knaben in Futa Djallon dürfen einen Monat lang stehlen uud essen, was ihnen gefällt; ebenso schweifen sie in Darfur in den nahen Dörfern herum und stehlen Geflügel 21). Auch für die Zöglinge des Zauberwaldes in Liberia wird nach Büttikofer 12) Diebstahl nicht als Vergehen betrachtet; denn unter Leitung ihrer Lehrer, der maskierten So-bahs, überfallen sie nachts die benachbarten Dörfer, wo sie alles Brauchbare, besonders Lebensmittel stehlen und nach ihren Wohnstätten im Walde schleppen. Ähnlich in Yoruba beim Oro-Geheimbund 23), wo nachts der Waldgeist Oro, begleitet von zahlreichen maskierten Bundesmitgliedern, durch die Ortschaften zieht, wobei Hühner und Hunde als Beute mitgenommen werden. Auch hier wieder der bezeichnende Zug, daß beim Herannahen der Bande, die durch die dumpfen Töne des Schwirrholzes angekündigt wird, die Frauen sich verstecken müssen, da sie sonst Tötung riskieren.

Die Mitglieder des Pauga-Geheimbundes in Kamerun stahlen nachts Ziegen, Ochsen, Hühner, mordeten selbst Menschen, indem sie nachher sagten, der Geist (Isango) hätte es getan 24).

Sehr genaue, auf Selbstbeobachtung beruhende Nachrichten über ähnliche Gebräuche verdanken wir Allridge 25), der uns erzählt, wie bei der Aufnahme in den Poro-Bund in Sherbro die Adepten mehrere Monate im Walde zubringen müssen und dann bei der Rückkehr in die Dörfer einen Tag lang ungestraft stehlen und plündern dürfen, so viel sie wollen. Dasselbe berichtet der Missionar Wurm 26) vom Isango Ndjo in Kamerun, dessen Mitglieder nachts raubend durch die Dörfer zogen, wobei ungestraft Schafe, Ziegen usw. gestohlen wurden. Er fügt bei, daß auf diese Weise ganze Räuberbanden auf die Angst und den Aberglauben des Volkes spekulierten, eine Schilderung, die wohl, wenn man für Kamerun Lötscheu sagt, Wort für Wort auf die alten „Räuberbanden“ dieses Tales paßt. Diese Parallelen, denen noch eine ganze Menge ähnlicher beigefügt werden könnte, die immer wieder die nämlichen Hauptzüge der Bilder wiederholen, dürften wohl genügen.

Ein weiterer typischer Zug unserer Lötschtaler Bräuche ist die Maskierung. Auch hier bieten sich uns wieder reichliche Parallelen. Wir wollen hier nicht auf die Diskussion eingehen, ob, wie das vor allen R. Andree 27) betont hat, der Gebrauch von Masken ein sog. Völkergedanke sei, d. h., wie dies Karutz 28) für diesen

21) Schurtz, a. a., O., S. 107.
22) Büttikofer, a. a, O., S. 305.
23) Schurtz, a. a, O., S. 419.
24) Schurtz, a. a. O., S 425.
25) Allridge, The Sherbro and its Hinterland. London 1901.
26) Wurm, Die Religion der Küstenstämme in Kamerun, S 21. Basel 1904.
27) R. Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiche. Neue Folge, 1889. S. 107.
28) Karutz, Zur westafrikanischen Maskenkunde. Globus, Bd. 79, S. 361.

Frobenius, Masken, Hobi, Westafrika, Krankheitsdämonen
Masken verschiedener Völker.

Singhalesische Masken 1. – 3., Ceylon, Krankheitsdämonen darstellend. Nach Grünwedel.
Masken der Hobi 4. und 5., Nordamerika; Nr. 4 mit dem Symbol der Regenwolke auf der Wange. Beim Powamu (Erneuerungs,- oder Reinigungsfest gebraucht. Nach J. W. Fewkes.
Westafrikanische Masken 6. – 8., (6. Kamerun, 7. u. 8. Loangoküste). Nach Frobenius.

Urgeschichte der Kultur von Heinrich Schurtz. Leipzig Bibliographisches Institut 1900

Fall näher ausführt, ob die Vorstellungen, aus denen diese Masken herausgewachsen sind, in allen Varietäten des Menschengeschlechts aufkeimten und in verschiedenen geographischen Bezirken unabhängig voneinander auftraten, oder ob sie von einem Entstehungsherde aus ihre Wanderung fast über die ganze Erde machten; eines ist gewiß bei der ursprünglichen Bedeutung der oft so schwer zu erklärenden komplizierten Maskenbräuche vielfach und in erster Linie zu bedenken, nämlich was Schurtz 29) mit den Worten ausgesprochen hat: Das charakteristische Merkmal des Totenkults geheimer Gesellschaften sind die Masken. Diese lassen immer ursprünglich das Dasein von Geheimbünden vermuten. Der ursprünglich kultische, vielfach vergessene Inhalt der Maskenbräuche bestand, worauf Frobenius 30) namentlich immer wieder hinweist, in mancherlei Anschauungen, die in Beziehung zum Seelenkult stehen.

Nach diesem Autor sind in Westafrika und Ozeanien die Wälder (Geisterwälder), die Wohnung der Seelen der Abgeschiedenen, auch die Wohnstätten der Maskierten. Diese, die vor allem bei Totenfesten erscheinen, oft in der Meinung, selbst revenants zu sein, sind gewissermaßen als Ahnengeister geistergleich, verfügen über Geistergewalt und dürfen als Mitglieder von Geheimbünden ungestraft plündern und rauben. Wenn sie nächtlich durch die Dörfer ziehen, flüchten alle Bewohner, vor allem Frauen und Kinder, wenn sie nicht mißhandelt oder gar getötet werden wollen.

Die hierauf bezüglichen Ausführungen von Frobenius beruhen nun allerdings, worauf vor allem Karutz 31) hinweist, mehrfach auf unbewiesenen Hypothesen; letzterer hat für eine bestimmte Gruppe der westafrikanischen Hörnermasken es in hohem Grade wahrscheinlich gemacht, daß hier auch andere Motive, wie die Nachahmung vin Jagdtrophäen, mitwirken können. Immerhin sind auch dann manche manistische Beziehungen in hohem Grade denkbar.

Der Nachweis solcher Beziehungen und der primitiven Bedeutung der Maske ist also jeweilen da, wo wir denselben bei noch unbeeinflußten Naturvölkern klar führen können aus den naiven Angaben der Beteiligten selbst, bei denen die Bedeutung der Zeremonie noch nicht vergessen ist oder in abgeblaßtem Zerrbild erscheint, von großer, auch allgemeiner ethnographischer Wichtigkeit. Ich möchte zwei solcher Beispiele hier anführen. Yoyce 32) berichtet uns von einer von Dr. Schindler am oberen Sambesi aufgefundenen Zeremonialmaske mit betreffendem Kostüm, wo nach genauer Information bei den Eingeborenen der Maskenträger den reinkarnierten Geist eines Verstorbenen bedeutet, der die Knaben des Stammes zu ihren Weihen und zur Beschneidung vorzubereiten hat. Die Maske stellt ein menschliches Gesicht dar und ist aus Flechtwerk gemacht, auf das eine schwarze Gummimasse aufgetragen ist.

Aus Südamerika berichtet uns ferner Dr. Koch 32) von den noch unberührten Indianern vom oberen Rio Negro und Yapura, unter denen er lange lebte, deren Sprache er sprach, und von denen er ganz als einer der ihrigen angesehen wurde, also auch Informationen erhielt, die dem Durchreisenden unzugänglich sind, von den interessanten, dort üblichen Maskentänzen.

29) Schurtz, a, a. O., S. 356.
30) Frobenius, Die Masken und Geheimbünde Afrikas. Nova acta 1898, S. 216.
31) Kurutz, Zur westafrikanischen Maskenkunde. Globus, Bd. 79, S. 361. Derselbe, Die afrikanischen Hörnermasken. Mitteilungen der geographischen Gesellschaft zu Lübeck 1901.
32) Yoyce, On a Ceremonial Mask and Dress from the Upper Zambesi. Man 1903, No. 38.
33) Koch-Grünberg. Die Maskentänze der Indianer des oberen Rio Negro und Yapurá. Archiv für Anthropologie. Neue Folge, Bd. IV, 1905, S. 294.

Dieselben werden aus Anlaß von Totenfeiern aufgeführt und es stellen auch dort die Masken Dämonen dar; der Dämon steckt in der Maske und ist in ihr verkörpert und geht auch auf den jeweiligen Tänzer, der die Maske trägt, über. Solche ganz klare Nachweise der Maskenbedeutung bei Völkern, bei denen dieselbe noch lebendig ist, sind natürlich wichtig zur Erklärung von solchen, wo für die Beteiligten der ursprüngliche Sinn seit langer Zeit verloren gegangen ist.

Dieser ursprünglich religiöse Inhalt dieser Gebräuche kann auch schon bei gewissen Naturvölkern verloren gegangen sein, wo die Maskenbräuche im übrigen noch blühen. So sagt Wurm von den Losangobünden Kameruns ausdrücklich, daß sie zu Räuberbanden oder Maskeraden geworden sind.

Dieses nur einiges über Maskengebräuche in Westafrika, denen schließlich noch ein Beispiel aus Melanesien beigefügt werden möge.
Ich entnehme es dem Werke von Schurtz: Urgeschichte der Kultur, wo er folgende Mitteilung von Codrington, den Männergeheimbund Tamate auf den Banksinseln betreffend, zitiert 34): „Von Zeit zu Zeit entfalten die Mitglieder eine lebhaftere Tätigkeit in der Absicht, neue Mitglieder anzulocken. Sie beginnen dann, neue Masken anzufertigen, und der feierliche Klang eines Lärminstruments verkündet den Ungeweihten, daß die Mysterien begonnen haben. Das Land ist dann geschlossen, und niemand darf es wagen, auszugehen, wenn er nicht Gefahr laufen will, von den „Tamate“ geschlagen zu werden. Diese letzteren nun schleppen alles weg, was sie brauchen, plündern die Gärten und berauben die Obstbäume. Die Geister in ihrer Verkleidung stürmen in die Dörfer, verjagen die entsetzten Weiber und Kinder und prügeln jeden durch, den sie fassen können. Die ungünstige Lage dessen, der sich vom Bunde fern hält, tritt hier deutlich hervor. Die kleineren Gesellschaften treten mit weniger Anmaßung auf.“

So viel über Maskengebräuche jetziger Naturvölker, die wir, wie mir scheinen will, sehr wohl zur Erklärung derjenigen im Lötschental heranziehen können. Sie können uns den Untergrund zeigen, auf dem die Legende der Entstehung der heutigen Maskenläufe und diese selbst emporgewachsen sind; das klare Bewusstsein dieser Verhältnisse ist natürlich der Gegenwart völlig entschwunden.

Wie dies Schurtz 35) mehrfach ausführt, bilden die ineinander verfließenden Motive der Knabenweihe, des Toten- und Geisterkultes mit den aus ihnen hervorgehenden Tänzen und Maskengebräuchen, wie „Flüssigkeiten, die sich mischen“, eine neue Einheit. Über die ursprüngliche Tendenz solcher hypothetischer Geheimbünde im Lötschental läßt sich natürlich heute nichts Bestimmtes mehr sagen; höchstens scheint noch die vielfach bei diesen Institutionen bei Naturvölkern zutage tretende Tendenz angedeutet, durch die Geheimbünde über die Frauen des Stammes eine mystische und schreckhafte Macht auszuüben, eine Tendenz, die heute noch daran erkennbar zu sein scheint, daß Frauen und Kinder beim Herannahen der Masken die Straße zu räumen und sich in die Häuser zu verbergen haben.

https://world4.info/masken/

Es leben übrigens Reste solcher Geheimbünde und Klubs wie in einem großen Teile von Europa, so auch heute noch wohl kenntlich auf unserem Boden in der Schweiz. Es braucht nur auf die heutigen Überreste der Knabenschaften hingewiesen zu werden, von denen manche noch rechtsschützende Tendenzen erkennen lassen.

34) Schurtz, Urgeschichte der Kultur, S. 116. Leipzig 1900.
35) Altersklassen, S. 354.

Eine sehr eingehende Schilderung dieser schweizerischen Knabenschaften verdanken wir E. Hoffmann-Krayer 36), auf die hiermit hingewiesen sei. Es möge nur angedeutet werden, wie in diesen Knabenschaften die Momente der Altersklassen (nur Ledige), der Aufnahmebedingungen, ja teilweise auch der Masken, so in Klingnau 37), noch kenntlich sind, alles freilich in mehr oder weniger verwaschener Form. Nach obigem Autor haben sie heute wesentlich noch kriegerischen, justizialen und sakralen Charakter. Auch an das Institut der Nachtbuben sei erinnert, die vielfach noch – ich denke an den Kanton Bern – Reste einer Altersklassen-Organisation mit ausgesprochen justizialen Tendenzen erkennen lassen. Die von uns supponierte alte „Lötschtaler Knabenschaft“ läßt freilich eine viel ältere Schicht dieser sozialen Gliederung erkennen.

Die Zeit endlich, während der diese Lötschtaler Gebräuche stattfinden, die Fasten, ist ebenfalls wohl nicht ohne innere Bedeutung. Die christliche Fastenzeit ist, worauf z. B. Höfer 38) mit überzeugenden Gründen hinweist, eine Zeit des Totenkults; und so gut wir aus dem Gebundensein des Gebrauches gewisser Gebildbrote an bestimmte Zeiten, die mit dem Kultus der abgeschiedenen Seelen zu tun haben, auf uralte Zusammenhänge schließen dürfen, so gut können wir wohl das um diese Zeit der Fasten übliche Maskenlaufen mit uralten manistischen, jetzt längst vergessenen Beziehungen erklären.

Daß im Lötschental die Idee der Vertreibung der Dämonen, die die Felder schädigen, bei den Maskentänzen nicht mitgewirkt haben sollte, möchte ich durchaus nicht behaupten, es können ja ganz wohl ursprünglich beide Motive mitgewirkt haben. Nur scheint die mir gegebene Tradition eben im Sinn des oben skizzierten oder doch eines ähnlichen Zusammenhanges zu sprechen. Sobald uns eine eindeutige und authentische Tradition aus dem Lötschental bekannt gegeben wird, die auf Beförderung der Fruchtbarkeit hinweist, ist eine solche Teilerklärung eben sowohl wie für die Perchtenläufe sofort zu akzeptieren.

Wir sehen überhaupt bei Naturvölkern – und ein solches waren die Bewohner des Lötschentales, als diese Maskenbräuche in grauer Vorzeit aufkamen, ja zweifellos -, daß ganz wohl die Fruchtbarkeitsmotive und die Idee der Geheimbünde, die ursprünglich mit Animismus zusammenhängen, mehr oder weniger konkurrieren können. Ausdrücklich weist auch Schurtz 39) auf die Verwickelungen hin, die daraus entstehen, daß Kultusgebräuche, die sich auf den Frühling, auf das Gedeihen der Saaten und des Viehes beziehen, eng mit den Sitten verknüpft werden, die aus den Pubertätsweihen und Altersklassen erwachsen. Es fanden eben hier immer Neubildungen von Vorstellungen statt, und es sind hier wohl zwei Schichten von Gebräuchen auseinander zu halten, von denen diejenige der Knabenweihen usw. die ältere, diejenige der Fruchtbarkeitsideen die jüngere wäre. Die erstere vor allem wäre repräsentiert durch die Lötschtaler Masken, die letztere durch die Perchtentänze und verwandte Gebräuche.

Nach den obigen Ausführungen scheint uns also die Hypothese nicht allzu gewagt, daß wir in jener legendarischen „Räuberbande“, die in den Wäldern der Südabhänge des Lötschentales hauste, und von der nach der heutigen Tradition die noch bestehenden Maskenbräuche direkt abgeleitet werden, Reste von Geheimbünden und Altersklassen zu erblicken haben, deren Mitglieder vielleicht im gewöhnlichen Leben unter ihren Angehörigen in den Dörfern wohnten, aber in den Wäldern ihre „Mysterien“ und Versammlungsplätze hatten und von hier aus unter dem Schutz verhüllender Masken, vielleicht ursprünglich auch in Verbindung mit manistischen Vorstellungen, zu gewissen Kultzeiten „mit Geistergewalt versehen“, ihre Plünderungszüge in die Dörfer machten. Es braucht kaum mehr nochmals besonders darauf hingewiesen zu werden, wie die einzelnen Komponenten dieses Bildes, die Masken, der Lärm, der Schrecken der Frauen und Kinder, das Plündern usw., Zug für Zug gewissen westafrikanischen und melanesischen Parallelen entsprechen, so daß wir nur statt Yoruba, Kamerun, Banksinseln, Lötschental zu setzen brauchen, um die entsprechenden Verhältnisse zu erkennen.

36) Hoffmann – Krayer, Knabenschaften und Volksjustiz in der Schweiz. Archiv für schweizerische Volkskunde, Bd. 8, S. 81.
37) a. a. O., S. 88.
38) Höfer, Bretzelgebäck. Archiv für Anthropologie. Neue Folge, Bd. III, 1905, S. 96.
39) a. a. O., S. 115, 119.

Daß es sich, um nochmals auf diesen Punkt zurückzukommen, bei den dunkeln Erinnerungen an jene Räuberbanden nicht um gewöhnliche Räuber handelte, die hier jahrhundertelang in größerem Stile ihr Wesen trieben, geht auch daraus hervor, daß das kriegerische Volk der Walliser solche Zustände unter keinen Umständen so lange Zeit hätte andauern lassen; auch würde uns die Geschichte des Landes hierüber Auskunft geben. Ich habe aber in zwei Geschichtswerken über das Wallis 40), in denen die kleinsten Vorkommnisse erwähnt werden, nirgends eine Andeutung über jene angeblichen Räuberbanden im Lötschental finden können. Die Sache wird eben immer mit einem gewissen Mantel des Geheimnisses bedeckt gewesen sein.

Daß übrigens gerade in einem Walliser Hochtal solche aus uralter Vorzeit stammende Gebräuche sich noch erhalten haben, die, wie dies Schurtz vom Haberfeldtreiben in Bayern sagt, „wie ein seltsamer Felsblock“ – für unseren Fall wäre eher einzufügen, wie ein altersgrauer Findling – in die Kultur der Gegenwart herein ragen, scheint auch gar nicht besonders verwunderlich, wenn wir bedenken, wie gerade im Wallis vor anderen Gebirgskantonen der Schweiz sich in Bauart der Häuser und Stadel, in Geräten usw. sich so manches erhalten hat, dessen Wiege vielleicht im Schoße der Prähistorie liegt.

Es ist hier nicht der Ort, hierauf näher einzugehen; ich möchte aber nur in der Bauart der Häuser an zwei Vorkommnisse erinnern, die solch alten Stempel an sich tragen, und die ich vorigen Sommer im Val d’Anniviers selbst zu beobachten Gelegenheit hatte. Einmal meine ich jene mit Kerben versehenen, roh zubehauenen Balken, die statt der Leitern oder Treppen in die ersten Stockwerke der Speicher hinaufführen, wie dies zum Teil in Ayer und Grimentz noch mehrfach zu sehen ist, eine Einrichtung wie sie genau so vorkommt bei den Naturvölkern von Indonesien und wie sie wohl gewiß auch bestand bei den schweizerischen Pfahlbauten des Neolithikums.

Dann möchte ich erinnern an jene noch bestehenden Pfahlhäuser, wie ich sie auf den Alpen von Sorebois und Barneusa sah, wo einzelne der an der Peripherie der auf den Alpen von Anniviers so typischen Viehpferche stehenden Gebäude hinten auf einer Steinmauer, vorn aber, und zwar auf durchaus ebenem Boden, auf dicken, 1½ Mannshöhe hohen, rohen Baumstämmen stehen. Meist sind dies allerdings nur Ställe oder Speicher, auf Barneusa sah ich aber ein solches Halbpfahlhaus, das ein

40) S. Furrer, Geschichte des Wallis. Sitten 1850. II Gay, Histoire du Vallais. Genf und Paris 1888.

Wohnhaus war, und zwar tragen diese großen Pfähle nicht wie die meisten Speicher (sie fehlen übrigens bei recht manchen) die steinernen Deckplatten, die zum Schutz gegen Mäuse dienen sollen; diese Pfähle scheinen mir übrigens Schutzvorrichtungen von sekundärer Bedeutung zu sein, nicht das leitende Baumotiv, weshalb überhaupt die Speicher auf wenn auch meist nur kurze Pfähle gestellt werden. Die eigentlichen Motive liegen hier wohl tiefer, und ich möchte die Vermutung aussprechen, daß wir im Walliser Speicher und vor allem in jenen genannten, vorn auf bis 2½ m hohen Balkenpfählen stehenden Holzgebäuden den jetzt noch lebend bestehenden Rest des sonst verschwundenen neolithischen Pfahlhauses des festen Landes zu erblicken haben, dessen Pendant an und in den Gewässern wir längst kennen. Denn daß die Leute der Stein- und Bronzezeit nicht nur im Wasser, sondern auch auf dem Lande in Pfahlhäusern lebten, ist nach allen möglichen Analogien heutiger Naturvölker wohl zweifellos anzunehmen. Die Reste dieser sehr vergänglichen Bauten sind nur naturgemäß auf dem festen Lande nicht mehr erhalten.

Der einzige Befund, der, meines Wissens wenigstens, in der Schweiz solche prähistorischen Pfahlhäuser des festen Landes noch nachweisen dürfte, ist, wie ich einer mündlichen Mitteilung des Herrn Direktor J. Wiedmer in Beru entnehme, derjenige von angekohlten Pfählen, die er in dem von ihm ausgegrabenen Hallstatt Gräberfeld von Subigen fand und als Hauspfähle deutet.

Sei dem nun wie ihm wolle, ich möchte annehmen, daß also die neolithischen Pfahlhäuser heute noch im Walliser Speicher, teilweise sogar noch im Walliser Wohnhaus leben.

So sehen wir also aus unseren Maskenbräuchen wie auch aus solchen Baustilen, daß, so klein und weltabgeschieden auch ein solches Hochalpental wie das Lötschental sein mag, seine Bewohner in Sitten und Gebräuchen Wurzeln erkennen lassen, die, in Tiefen hinabreichend, verbunden sind mit verwandten Wurzelgeflechten hier im Schoße der gemeinsamen Mutter Erde, die ihren Kindern der verschiedensten Zonen und den Vertretern der verschiedensten, durch viele Jahrtausende getrennten Kulturschichten so manche physisch wie psychisch ähnliche Züge als Angebinde ins Leben mitgab.

Quelle:

  • Globus; illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde. Braunschweig, F. Vieweg und Sohn, 1862.
  • Geschichte des grotesk-komischen: ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit von Karl Friedrich Flögel und Max Bauer. München: G. Müller, 1914.
  • Urgeschichte der Kultur von Heinrich Schurtz. Leipzig Bibliographisches Institut 1900.
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