Kriegswesen. Kulturgeschichtliche Anekdoten über das Militär.
Fünfter Abschnitt.
Kriegswesen.
Wie Bernold von St. Blasien zum Jahre 1078 erzählt, ließen die Anhänger Rudolfs von Rheinfelden, des Gegenkönigs Heinrichs IV., nach einer Schlacht am Neckar tausende von schwäbischen Bauern „zur milderen Züchtigung“ entmannen.
Vor Tortona läßt Friedrich Barbarossa Galgen errichten, um jeden Gefangenen sofort angesichts der Stadt aufzuhängen. Wie Otto Morena weiter berichtet, ließ er zweihundert Veronesen Nasen und Lippen abschneiden und andere zweihundert aufhängen.
Kulturhistorisch merkwürdig ist den Grausamkeiten gegenüber das Urteil der Biographen und Historiker. Als Friedrich Barbarossa einen Dienstmann, der sich früher ihm gegenüber vergangen hat, nicht begnadigt, wiewohl er sich dem Kaiser am Krönungstage zu Füßen wirft, schreibt Otto von Freising rühmend, er habe sich „von der Tugend der Strenge nicht zum Fehler der Nachgiebigkeit verleiten lassen“.
Als die in Tortona eingeschlossene Geistlichkeit ihn kniefällig um die Gnade bittet, die Stadt, in der die Pest wütete, verlassen zu dürfen, „fühlte er zwar wie innerlich sein Herz zum Mitleid sich wandte, um aber den Verdacht der Schwäche zu vermeiden, beharrte er äußerlich auf der Standhaftigkeit seiner früheren Strenge“ und schickt sie unverrichteter Dinge heim.
Im Krieg gegen Mailand verwüstet Friedrich 1159 das Land – dem im ganzen Mittelalter herrschenden Brauche gemäß – in scheußlicher Weise, indem er sogar die WeinpfIanzungen zerstören und Fruchtbäume abhacken oder schälen läßt. Als die Gegner dasselbe tun, meint Rahewin (Schreiber und Notar des Bischofs Otto von Freising um 1177), daß dieses Wüten nicht einmal Barbaren gegenüber erlaubt sei, tadelt den Kaiser aber wegen desselben Reates (veralteter Begriff für: Schuld, Straftat) nicht.
Vor Crema läßt Barbarossa die Gefangenen hängen und die Geiseln hinrichten, ja er bindet sogar Knaben, die er als Geiseln in Händen hatte, an die Belagerungsmaschinen, so daß die Cremenser ihre eigenen Kinder töten müssen. Oh Greueltat! ruft Rahewin aus, meint aber natürlich nicht den Kaiser damit, sondern die Belagerten, die Mut und Patriotismus genug besitzen, trotzdem die Angreifer weiter zu beschießen. Als Resultat dieser und vieler anderer Grausamkeiten ergibt sich für die Zeitgenossen das Urteil, daß Barbarossa human und milde war 1)!
Nach der Chroniques des ducs de Normandie (27527) läßt König Eldred von England die gefangenen dänischen Frauen nackt bis zur Brust in die Erde eingraben und so wehrlos den Hunden und den Raubvögeln preisgeben.
Die Schotten schnitten 1138 in England sogar schwangeren Frauen den Leib auf und metzelten Priester vor dem Altar nieder.
Im Jahre 1198 waren in einem Gefecht fünfzehn französische Ritter gefangen worden. Richard Löwenherz ließ vierzehn beide Augen ausstechen, dem fünfzehnten nur eines. Der Einäugige mußte seine Unglücksgefährten ins französische Lager geleiten. Philipp August aber rächte sich, indem er fünfzehn gefangene englische Ritter blenden ließ 2).
Es war Kriegsgebrauch, die eroberten Städte und Burgen zu zerstören, die Einwohner nieder zu machen oder in die Gefangenschaft zu führen, Frauen und Jungfrauen aber zu vergewaltigen. Mit Vorliebe wurden vornehme Frauen Troßknechten und Soldaten preisgegeben. Und zwar selbstverständlich auch in Kriegen und Fehden im eigenen Land und von Christen unter sich, keineswegs nur in solchen gegen Ungläubige, die sich stets humaner benahmen, als die Verbreiter des Evangeliums der Nächstenliebe.
Als Kaiser Sigismund 1412 im Krieg gegen die Venezianer das feste Schloß Motta erobert hatte, ließ er einhundertundachtzig Männern die rechte Hand abschlagen 3).
Wie Benedikt von Weitmil (IV) erzählt, betrugen sich die Soldaten Karls IV. in Böhmen, dem Lande ihres Herrn, wie folgt: „sie raubten den Armen seine Habe, sein Vieh, marterten sie zuweilen, um Geld zu erpressen, rissen den Frauen unbarmherzig die Kleider vom Leibe, taten den Jungfrauen Gewalt an und verübten unendlich viel Böses 4).“
Im Jahre 1375 machten entlassene englische Söldner ihren zweiten Einfall ins Elsaß. Wie sie sich benahmen, erzählt die Konstanzer Chronik. „Item sy gewunnent vil stattly und burg und dorffer und closter, und erstachent wip und man und kind, und furten die schonen frowen mit in emoy, was sy dero fundent. stan sy zugent gen Brysach und nach zu Basel und gen Burgonden und in Uchtland , und wustent, was vor in was, lut und gut 5).“
Die Speierische Chronik berichtet über die Eroberung von Dinant im Jahre 1466: „und als balde er die stat ingenam, do dottet er frauen, man und kinder und warff sie uber die muer uß in daz wasser, heißet die Maß, und ertranckt ir auch gar vil dar in. er liß auch die stat plundern und alz daz nemen, das dar inne waz. und dar nach liß er die stat an stoßen und verbornen und die kirchen und huser und thorn und muern gar zersleiffen, und macht ein eben feIt dar uß und liß acker und wisen dar uß machen.“ Es handelt sich um den Herzog von Charolais, der auf die Bürgerschaft von Dinant sehr erbost war, weil sie ihn für einen Bastard des Herzogs von Burgund erklärt hatte. Die Form, in der diese Beschimpfung in Erscheinung trat, ist auch überaus charakteristisch für die mittelalterliche Rohheit: Man hatte von ihm ein Bild malen lassen, dieses an den Füßen aufgehängt und mit Kot beworfen!
Wie in Feindesland gehaust wurde, geht auch aus dem Schreiben der Eidgenossen an den in Speier versammelten Städtetag hervor. Die Speierische Chronik schildert die Greueltaten, die sich burgundische Söldner 1474 im Sundgau zuschulden kommen ließen. Nachdem erzählt wurde, wie sie Kirchen zerstört, Priester geschmäht und viele Menschen getötet hatten, heißt es: „und besunder vil junger frawen und dochter wider iren willen geschendt und gewaltiglich genotzugt, vil sugender kind iren muttern ab der brust gezerret und die auch vil andern junger knaben und dochtern, by trien, viern, funff ader mer jaren alt, usser lant gefurt, den armen luten und mannen umb zytlichs guts willen an iren heymlichen gemachten onmenschlich pin und groß martir angetan, erlich frawen gewondet, dochter erstochen, by iren harn und zopffen uff gehenckt, etlich frauwen in der kirchen ir beyn von einander gesperret und mit scharffen holczern in im heymlichen gliddem gelt gesucht, die deshalb auch gestorben sind, auch mit knaben und frau wen erschroglich anmenschlich und annaturlich lesterlich sunden, nemlich in der kirchen, uff dem kerner gewaltiglich begangen, derhalb ain gancz land undcr gen mocht, als auch umb dergleichen sunden ließ versinken der allmechtig got Sodoma und Gomorra 6).“
Karl der Kühne ließ in Lothringen alles gefangene Kriegsvolk aufhängen. Maximilian tat dasselbe, als er das Blockhaus von Galoo bei Antwerpen erobert hatte: „und welche nit erschossen und erstochen waren, dieselben ließ er alle henken 7).“
Plündern eroberter Städte war durchaus herkömmlich, ebenso war es mit der ritterlichen Ehre zu vereinbaren, Gefangenen hohes Lösegeld abzunehmen, dagegen war merkwürdigerweise die Ausplünderung einer adeligen Dame dem Edelmann vom Ehrenkodex untersagt. Als Wilwolt von Schaumburg nach dem Fall von Arras das Schloß erobert und den Hauptmann gefangen hatte, brachte seine Frau freiwillig den Siegern alle ihre Kostbarkeiten im Werte von 4000 Gulden. Da sagte Wilwolt: „Wir Teutschen und vor aus von den Oberlanden, ob wir wol stet und schlos gewinnen, pflegen keiner frauen oder junkfrauen, vom adl geboren, nichts von irem geschmuck, zu irem leib gehörig, zu nemen, und wo solichs ein edelman tet, würde er von seinen genossen sein leben lang dester untreuer und unwerter gehalten. Darumb das jenig, so mir zu teil wirdet, wil ich mein beut der tugenthaften Frauen wider geben und ir nichts verkern.“ Seinem Beispiel folgten dann auch, allerdings widerstrebend, die welschen Hauptleute.
Nach dem Krieg war es oft schwer, die Söldnertruppen wieder los zu werden, zumal wenn sie den rückständigen Sold nicht bekamen. Aus dieser Verlegenheit halfen sich die Ungarn 1492 auf sehr einfache Weise: Von den 8000 ungelohnten Truppen erschlugen sie 6000 und zwangen den Rest, in Österreich Zuflucht zu nehmen. Da sie dort selbstverständlich zur Gewinnung ihres Lebensunterhaltes rauben mußten, überfiel sie Kaiser Friedrich III. 1493 und ließ 1100 Gefangene aufhängen 8). Unter diesen Umständen kann man es den Söldnern nicht verübeln, wenn sie höchst ungern ihren Kriegsherren den Lohn stundeten.
Die offiziellen Gewalten haben noch in neuerer Zeit an Grausamkeit nichts zu wünschen übrig gelassen und zwar in Kulturländern, denn in Russland war und ist ja alles möglich, wenigstens alles Barbarische und Viehische.
„Oliver Cromwell erstürmte 1649 die irische Hauptfeste Drogheda und ließ die ganze Besatzung, über zweitausend Mann, niedermetzeln. Später folgte ein gleiches Blutbad in Wexford nach. Nach Beendigung des Krieges im Jahre 1652 war Irland verödet, fast die Hälfte der Bevölkerung dem Schwert, Hunger und den Seuchen erlegen. Andere Tausende waren ausgewandert, verbannt oder, nicht besser als Sklaven, in die westindischen Plantagen verschickt 9).
Beim Rückzug der Jourdanschen Armee 1796 trug sich folgendes zu: „Die Bauern mit Frauen und Kindern fielen über die zerstreuten Haufen her, und schlugen alles, was ihnen unter die Hände kam, ohne Barmherzigkeit tot. Jeder hatte ein erlittenes Unrecht zu rächen. Die Ehemänner und Väter, welche durch die Schändung ihrer Ehefrauen und Töchter, die man oft vor ihren Augen vergewaltigt hatte, aufgebracht waren, schnitten den Franzosen das Glied, womit sie gesündigt hatten, lebendig vom Leibe, und schlachteten sie dann, wie man Schweine schlachtet. Die Wut der Bauern ging anfänglich über alle Grenzen bis zur unerhörtesten Grausamkeit … „
Die alten Griechen hatten bereits im 8. vorchristlichen Jahrhundert Tempelvereine, Amphyktionien (Städtebünde). Die berühmteste Amphyktionie war die pylische, die im Anfang des 6. Jahrhunderts mit der delphischen verschmolz. Diese aus mehreren Staaten bestehenden Städtebünde schworen: „Ich will keine amphiktionische Stadt zerstören, noch vom fließenden Wasser abschneiden, weder im Krieg noch im Frieden; verletzt eine Gemeinde diese Bestimmung, so will ich gegen dieselbe zu Feld ziehen und ihre Städte zerstören 10).“ Daß diese alten „Heiden“ danach handelten, beweist das Verfahren gegen Athen nach dem furchtbaren Peloponnesischen Krieg. Erst die Genfer Konvention ist nach fast zwei Jahrtausenden des Christentums zu den amphyktionischen Grundsätzen zurückgekehrt.
Der große König Aśoka von Magadha in Vorderindien (259-226 v. Chr.) erließ an seine Beamten als Richtschnur ihres Verhaltens gegenüber den „unbesiegten Nachbarn“, also seinen wirklichen oder möglichen Feinden folgendes Edikt: „Der König wünscht, daß sie sich nicht vor mir fürchten sollen, daß sie mir vertrauen sollen, daß sie durch mich nur Glück, nicht Unglück erlangen mögen.“
Ferner sollen sie folgendes verstehen: Der König wird von uns sich gefallen lassen, was man sich gefallen lassen kann ….. jene (die Nachbarn) müssen bewogen werden, Vertrauen zu fassen, damit sie verstehen: „Wie ein Vater ist der König zu uns – wie er sich selbst liebt, liebt er uns – wir sind dem König wie seine Kinder.“ … Zu diesem Zwecke habe ich dies Edikt erlassen, damit die Beamten stets sich bemühen, bei meinen Nachbarn Vertrauen zu erwecken und sie zur Befolgung des Gesetzes (Buddhas) zu bewegen 10).“
Dieser selbe Ashoka, der erst zum Buddhismus übertrat und ihm von ganzem Herzen zugetan war, blieb so völlig frei von jedem Fanatismus, der einst u. a. Karl den Großen zur Ehre des Christengottes 4500 Sachsen bei Verden enthaupten ließ, daß er vor allem Duldsamkeit gegen Andersdenkende lehrt. Sogar dem Brahmanentum gegenüber wurde Toleranz befolgt, und feindliche Handlungen unterblieben 11).
Damals konnte der Bauer zwischen kämpfenden Heeren sein Feld bestellen.
Als Mohammeds Nachfolger Abu Bekr seine Truppen zur Eroberung Syriens im 7.Jahrhundert aussandte, d. h. im Begriff war, einen der in seinen Folgen gewaltigsten Kriege der Weltgeschichte zu führen, gab er ihnen folgende Instruktionen: „Leute, ich habe zehn Dinge euch zu empfehlen, die ihr genau beachten müßt. Täuschet niemand und stehlet nicht; handelt nicht treulos und verstümmelt niemanden, tötet weder Kinder noch Greise noch Frauen, beraubt die Palmen nicht ihrer Rinde, noch verbrennt sie, schlaget nicht die Fruchtbäume ab und zerstöret nicht die Saatfelder, tötet nicht Schafe, noch Ochsen, noch Kamele außer für euren Lebensunterhalt. Ihr werdet Geschorene finden – schlagt sie mit dem Säbel auf die Tonsur; ihr werdet auch Leute in Zellen (d. h. Einsiedler) finden – laßt sie in Ruhe, damit sie in der Erfüllung ihrer Gelübde fortfahren 12).“
Es ist ausdrücklich überliefert, daß diese Instruktionen von den „fanatischen“ Mohammedanern auch befolgt wurden.
Jedenfalls hätten die christlichen europäischen Truppen im Chinafeldzug von 1900 sich daran ein Beispiel nehmen können.
Daß die weitesten Wanderungen auch bei den schlechten Verkehrsverhältnissen des Mittelalters dem kühnen Abenteurer möglich waren, lehrt das Beispiel Harald Hardraades, eines normannischen Kriegshelden des 11. Jahrhunderts (Harald III. Hardråde war von 1047 bis 1066 König von Norwegen).
In der Schlacht bei Stiklastad in Skandinavien, in der sein Bruder Olaf Thron und Leben verlor, verwundet, flüchtet Harald zu den Stammesbrüdern nach Russland, dann nach Apulien, ward hierauf unerkannt in Byzanz Führer der Waräger (Normannische Elitetruppe und Leibgarde des byzantinischen Kaisers) und vollbrachte ein Jahrzehnt lang an ihrer Spitze Heldentaten, die ihn bis Sizilien, Nordafrika und Ägypten führten. Danach ward er in Russland der Schwiegersohn des Fürsten Jaroslaw und bestieg schließlich, nach dem Tod seines Neffen Magnus, den Thron Norwegens. Sein Ende fand er beim Versuch, das Angelsachsenreich an sich zu bringen, in der Schlacht bei Stamfordbridge, nur 18 Tage vor dem Siege Wilhelms des Eroberers bei Hastings (1066).
Er hatte also ganz Europa vom äußersten Norden und Nordwesten bis in den tiefsten Süden und Südosten, die Küsten Asiens und Afrikas in seinen Gesichts- und Wirkungskreis gezogen und kann als Verkörperung der normannischen Ausbreitung gelten, die den Horizont der Kreuzzüge schuf 14).
Es war im frühen Mittelalter durchaus Sitte, daß dem Heer sich Kaufleute, leichtfertige Dirnen usw. anschlossen. Selbst an den Kreuzzügen beteiligten sich Scharen dieser leichtfertigen Frauen, die militärisch organisiert, mit Keulen bewaffnet und sogar mit eigenen Fahnen versehen gewesen sein sollen. Vom 2. Kreuzzug, auf den König Ludwig VII. von Frankreich aus guten Gründen seine äusserst attraktive Gattin Eleonore von Aquitanien mitgenommen hatte, heißt es: „Dies Beispiel befolgten viele andere Edelleute und nahmen ihre Gemahlinnen mit, und weil da Dienerinnen nicht fehlen konnten, so befand sich in dem christlichen Heere, das keusch sein sollte, eine Menge von Frauen.“
Auch im Heer Konrads III. fehlte es nicht an fahrenden Frauen, was dem erbaulichen Lebenswandel der christlichen Glaubensstreiter nicht eben Vorschub leistete. Deshalb wurde, als Heinrich II. und sein Sohn Richard Löwenherz 1188 den 3. Kreuzzug antreten wollten, bestimmt, daß „keiner auf die Wallfahrt irgendein Weib mitführen solle, außer einer Waschfrau zu Fuße, die unverdächtig sei.“ Wie „unverdächtig“ zu verstehen ist, wird nicht gesagt. Das kanonische Alter wird kaum Bedingung gewesen sein. Genützt hat diese Bestimmung nicht viel, wie auch der Erfolg der drakonischen Lagergesetze Friedrich Barbarossas ziemlich problematisch blieb 14).
Noch zur Zeit der Landsknechte nahmen viele Frau und Kind mit ins Feld und ins Lager. Die Ledigen litten auch nicht Mangel, denn ein beträchtlicher Troß liederlicher Frauen folgte dem Heer und unterstand der Disziplinargewalt des Trossweibels. Im Dreißigjährigen Krieg schleppte z. B. ein Regiment von dreitausend Mann zweitausend Frauen mit, gegen die die Autorität der Obersten nichts ausrichten konnte. Im Verlaufe des Krieges übertraf der Tross die Zahl der Kombattanten um das Drei- bis Vierfache. Diese Frauen mußten für die Soldaten alle Arbeiten verrichten und alle Strapazen teilen, dazu eine harte und mitleidlose Behandlung erdulden. Die „Lagerkinder“ wurden oft mit den Müttern ins Elend gestoßen. Dann konnten sie nichts anderes werden als Bettler, Diebe oder Räuber, im besten Falle Soldaten, was aber damals auf dasselbe herauskam 15).
Sehr gemütlich war die Kriegsführung der Italiener im 15. Jahrhundert. Die Condottieri hatten „aus der Kriegsführung eine Kunst gemacht, indem sie in solchem Maße temporisierten, daß meist beide Teile verloren“. In der Schlacht bei Zagonara, „dieser in ganz Italien berühmt gewordenen Niederlage“ wurde nur ein einziger Mann getötet, aber nicht etwa durch Waffengewalt, sondern durch Sturz vom Pferde und Ersticken im Schlamm. In der einen halben Tag dauernden Schlacht bei Molinella fiel kein einziger. In der Schlacht bei Anghiari, die von Leonardo da Vinci in einem berühmten, leider verloren gegangenem Karton verherrlicht wurde – Rubens entwarf in Anlehnung daran seine Reiterschlacht in der Münchner Alten Pinakothek – soll ein einziger Mann vom Pferde zertreten worden sein.
Diese Machivallis „Florentinischer Geschichte“ entnommenen Daten sind zweifellos übertrieben. Immerhin kennzeichnen sie die damalige Anschauung vom Kriegswesen, die auf den Grundton gestimmt ist „Wie gewöhnlich geschieht, siegte die Furcht“. Machiavelli faßt sein Urteil in die Worte zusammen: „Nie gab es Zeiten, in denen der im fremden Lande geführte Krieg minder gefährlich gewesen wäre, als in diesen .. Denn da alle beritten, mit Rüstung bedeckt und vor dem Tode sicher waren, wenn sie sich ergaben, so war überhaupt kein Grund vorhanden, weshalb sie sterben sollten. Beim Kämpfen schütze sie die Rüstung; konnten sie nicht mehr kämpfen, so ergaben sie sich“. „So wurde jene kriegerische Tugend, die anderwärts durch langen Frieden unterzugehen pflegt, in Italien durch die Lauheit der Kriegsführung unterdrückt.“
Die bei Caldana liegenden florentinischen Truppen hatten den Verlust von 200 Trossknechten zu beklagen, die ins feindliche, neapolitanische Lager desertierten, weil der Wein ausgegangen war! Aus diesem triftigen Grunde wurde die Belagerung auch aufgehoben 16).
König Friedrich Wilhelm I. von Preußen war bekanntlich ein leidenschaftlicher Freund und Sammler schöner großer Soldaten. Für die Art, wie er sie sich zu verschaffen wußte, ist folgende Notiz vom Jahre 1713 bezeichnend: „Die Werbungen sind sehr scharf vor sich gegangen, jedoch aber haben S. Kön. Maj. verboten, die Passagiere auf den Posten nicht mehr anzuhalten, als wie etliche mal in der ersten Hitz e geschehen.“ Im übrigen machte man im ganzen Lande förmliche Jagd auf Bürger und Bauern; auf den Straßen, in den Feldern, sogar während des Gottesdienstes erfolgten die Aushebungen. Als der Prediger Gottfried Arnold im Jahre 1714 in Perleberg eben das Abendmahl austeilte, drangen Werber in die Kirche ein und nahmen junge Leute mitten aus der Kirche fort. Der Prediger alterierte sich darüber derart, daß er zehn Tage später starb. Noch im Jahre 1720 wurden in der Mark Gemeinden während des Gottesdienstes von den Werbern des Soldatenkönigs – der im übrigen viel besser als sein Ruf war – überfallen. Diese Vergewaltigungen führten endlich zu einem offenen Aufstand: gerade die Tüchtigsten flohen in Scharen vor den preußischen Werbewüterichen. Von solchen Flüchtlingen wurden die Industrien von Elberfeld und Barmen begründet 17].
Mit List, Gewalt und Geld wurde auch außer Landes der Menschenfang betrieben. Karl Julius Weber, der berühmte Verfasser des Demokrit, erzählt, daß sein Großonkel, der Theologie studiert hatte und in Nürnberg als Hauslehrer lebte, bei einem Spaziergang von preußischen Werbern plötzlich überfallen, geknebelt, in einen Wagen geworfen und so nach Potsdam entführt worden sei, weil er 6 Fuß und 3 Zoll maß. Dieser Gewaltstreich kostete ihn sein ganzes Lebensglück. Solche Fälle waren an der Tagesordnung. Man fing sogar einen langen katholischen Geistlichen, den nachher unter Friedrich dem Großen in hoher Gunst stehenden gescheiten Abbe Bastiani, aus Welschtirol, als er gerade die Messe las, ein, und selbst ein Mönch aus Rom blieb nicht verschont und wurde in die blaue Garde gesteckt. Solche übergriffe ließen sich die Nachbarn auf die Dauer nicht gefallen. In Hessen-Cassel wurden z. Bspl. mehrere preußische Werbeoffiziere gehenkt.
Kinder in der Wiege, die lang zu werden versprachen, erhielten eine rote Halsbinde und die Eltern das Handgeld. Der Versuch Friedrich Wilhelms, recht lange Gardisten mit recht großen Frauen zusammen zu geben, um so recht lange Kinder zu erhalten, mißglückte zu seinem großen Bedauern.
Die „lieben blauen Kinder“ durften nebenbei ein Gewerbe betreiben, Bier- und Weinhäuser, Materialläden u.s.w. halten, nur keine öffentlichen Handarbeiten verrichten. Der König schenkte ihnen Geld und Grundstücke, sogar Kanonikate und stand bei ihren Kindern Gevatter.
Da die Kompagniechefs der preußischen Truppen verpflichtet waren, ihre Mannschaften vollzählig zu erhalten, waren alle zu Werbungen geradezu gezwungen. Die Chefs hoben ganze Kolonien in den zugewiesenen Werbedistrikten aus, versetzten sie auf ihre Güter als „Ergänzungsmannschaften“, machten die kleinen zu Bedienten, Köchen, Reitknechten u.s.w., kurz führten in die preußischen Staaten eine Art von Faustrecht zurück. Erst das Kantonreglement von 1733 räumte einigermaßen mit diesen unerhörten Zuständen auf 17).
Welcher Brutalitäten die Offiziere noch im 18. Jahrhundert fähig waren, erhellt aus der Sitte der Garnison von Gaeta aus der Hirnschale des dort als Mumie aufbewahrten Herzogs Karl von Bourbon zu trinken, „nachdem aber etliche mal Verdrüßlichkeiten und Unglücke darüber und bey solcher Gelegenheit unter ihnen entstanden, so ist solche Unordnung gänzlich untersaget worden.“ Erzählt Keyßler im Jahre 1730 18).
Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel, ein Fürst, der seine Residenz zu einer der schönsten in Deutschland machte, gebildet, kunstliebend und der Aufklärung zugetan – also keineswegs ein mittelalterlicher Tyrann – verkaufte im Jahre 1775 12800 Hessen den Engländern zum Gebrauch in ihren Kolonien. Bis zum Jahre 1782 wurden noch weitere 4200 Rekruten nachgeschickt. Dazu gab Hanau noch besonders 2400 Mann. Da Hessen-Kassel damals 400000 Einwohner hatte, verschacherte der Fürst fast den zwanzigsten Teil seiner Untertanen!
Die englischen Kommissarien kamen nach Kassel und besichtigten die verkauften Menschen auf dem Markte, wie sie die Neger in Amerika zu besichtigen gewohnt waren. Für jedes Stück dieser armen Kerle zahlten sie 100 Taler. Sie wurden auf der Weser eingeschifft und Friedrich der Große erhob bei Minden von ihnen beim Passieren seines Landes den üblichen Viehzoll! Die beste Verurteilung dieses Systems.
Klagten die Eltern der verschacherten Leute, dann kamen die Väter in die Eisenarbeit, die Mütter ins Zuchthaus. Wer desertierte, mußte zwei Tage lang Spießruten laufen – übrigens ein Kulturgeschenk Russlands – zwölfmal täglich, zuweilen bis zum Tode. Karl Justus Weber, der das miterlebte, wurde von den Offizieren belehrt, daß das Gassenlaufen der Gesundheit weniger nachteilig sei, als die alte Stockprügel!
Von diesen 19400 Mann kehrten im Herbst 1783 und im folgenden Frühjahr 11900 zurück. 7500 Mann hatte der Krieg weggerafft!
Merkwürdig ist, daß gleichzeitig – eine Einwirkung der Aufklärung – in Hessen die Tortur abgeschafft wurde und die einfache Todesstrafe nur mehr höchst selten Anwendung fand.
Übrigens hatte sich der Menschenschacher bezahlt gemacht: Als Landgraf Friedrich II. 1785 starb, soll er trotz seiner vielen Bauten und Reisen und des großen von ihm betriebenen Luxus 56 Millionen Taler hinterlassen haben 19).
Die englischen Subsidien, die Georg III. für die hannöversche Armee gegen Frankreich zahlte, berechneten die Prämie für einen toten oder drei verwundete Soldaten bei der Infanterie auf 28 Taler, bei der Kavallerie auf 11 Taler. Dagegen wurden für ein totes Pferd oder drei verwundete Pferde 90 Taler vergütet. Ein deutscher Soldat wurde also am Ende des 18. Jahrhunderts auf 11-28 Taler bewertet, also ein Achtel bis ein Drittel so hoch wie ein Pferd. Gleichzeitig schätzte der englische Nationalökonom William Petty den Wert eines Menschen auf 2888 Taler. Das waren allerdings auch Engländer! 20)
Eines schönen Tages im Herbst des Jahres 1906 begegnete ein Hauptmann auf der Landstraße in der Nähe Berlins einer vom Schießen heimkehrenden Soldatentruppe. Er hielt sie an, hieß sie umkehren und mit ihm nach Köpenick marschieren, wo er mit Unterstützung der requirierten Polizei das Rathaus umstellen ließ. Dann begab er sich mit zwei Mann zum Bürgermeister, nahm auf Grund einer gefälschten allerhöchsten Kabinettsorder eine Visitation der Stadtkasse vor, ließ sich den Betrag von 4000 Mark auszahlen, quittierte, verhaftete den Bürgermeister mit dem Kassenrendanten und ließ sie per Wagen nach Berlin transportieren.
Der Bürgermeister ist veritabler Reserveoffizier, der „Hauptmann“ seines Zeichens Schuster, der lange Jahre seines Lebens hinter Gefängnismauern zugebracht hatte. Daß eine Militärbehörde gegen einen Bürgermeister als Zivilbeamten keine Maßregeln ergreifen kann, bedenkt er nicht. Es hätte auch wenig genützt, denn wie die Soldaten bei der Gerichtsverhandlung bekunden, hätten sie auf einen Wink des „Hauptmanns“ hin den Vater der Stadt mit ihren Bajonetten durchbohrt. Niemandem war es aufgefallen, daß der „Hauptmann“ alt und schäbig aussah, niemandem, daß er unvorschriftsmäßig gekleidet war und in Mütze statt im Helm seine Visitation vornahm. Keinem der Soldaten war es eingefallen, den wildfremden Offizier nach seiner Legitimation zu befragen. Ganz Europa lachte.
Welches Ansehen muß der Militärstand in einem Lande besitzen, daß so etwas möglich machte? Daß eine Uniform allein genügt, eine ganze Stadt mitten im tiefsten Frieden zu alarmieren, die höchsten Behörden widerstandslos zu verhaften! Daß alle diese Maßnahmen ungesetzlich waren, wußte man natürlich auch in Köpenick, aber der Zauber der Uniform brachte jede Regung der Vernunft zum Schweigen.
Wie mag die Zukunft darüber urteilen, daß die großen Militärmächte Europas durch ihre Offiziere die Armeen anderer Staaten reformieren lassen? Im Chinafeldzug 1900 hatte der Feind unser verbessertes Gewehr System 88, das deutsche Seitengewehr vom gleichen Jahr, Prismen-Entfernungsmesser, Ferngläser u.s.w., manövrierte nach deutschen Signalen und bewies fast deutsche Disziplin 21).
Anmerkungen:
1) Vgl. zu obigem M. Kemmerich , Beil. 1903, Nr. 215. 2) A. Schultz , Höfisches Leben, II. Bd., S. 447ff. und S. 298. 3) Eberhard Windecke, Leben König Sigmunds in Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, S. 24. 4) A. Schultz, „Deutsches Leben im 14. und 15. Jahrhundert“, S.588. 5) Mone, Quellensammlung der badischen Landesgeschichte, I. Bd. S. 319. Das Folgende eb. I., S.495. 6) Schultz, Deutsches Leben, S. 588f. 7) Eb. S. 605. Das Folgende eb. S. 606. Fr. Falk, „Die Ehe am Ausgang des Mittelalters“ in „Erläuterungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes“ 6. Bd. 3. Heft, S. 15 behauptet, „daß die Kriegssitte den Frauen gegenüber die denkbar mildeste war“, wie irrig das ist, lehrt das Vorhergehende. Nur Adelige genießen und zwar nur im späten Mittelalter prinzipiell Schonung, wenn auch vereinzelt human gegen Frauen aus dem Volk verfahren sein mag. 8) Schultz, Deutsches Leben S. 607. 9) Th. Lindner, Weltgeschichte, 6. Bd., S. 47. Das Folgende in Archenholtz, Minerva 1797. S. 92f 10) Baumgarten. Poland und Wagner, „Die hellenische Kultur“. S. 114. 11) Vgl. C. Alberti, „Der Weg der Menschheit“, Berlin 1906, 1. Bd., S. 131f und Th. Lindner, Weltgeschichte, 11. Bd., S. 433 f. 12) A. Müller, „Der Islam im Morgen- und Abendland“ in W. Onckens „Allgemeiner Geschichte in Einzeldarstellungen“ II., 4. S. 249, Zum Benehmen der Chinakrieger. vgl. Rupprecht Prinz von Bayern, „Reiseerinnerungen aus Ostasien“, S. 163, 243 ff. und passim. 13) Vgl. Cl. Klein in Helmolts Weltgeschichte, 6. Bd., S.359. 14) A. Schultz, Höfisches Leben. II. Bd., S.239f., Zu den lagergesetzen, vgl. Rahewin Gesta Friderici, 3. Buch. Kap. 28. 15) Otto Henne am Rhyn, „Kulturgeschichte des deutschen Volkes“, 2. Aufl., 1. Bd., S. 479 und 2. Bd., S. 163. 16) Vg1. Machiavelli, .. Florentinische Geschichte“, Obers. v. Alfred Reumont, Leipzig 1846, H. Bd., 6. Buch, S. 111 und M. Kemmerich, „Die Charakteristik bei Machiavelli“, Leipzig 1902, S. 8Sf. 17) Ed. Vehse, Gesch. des preußischen Hofes, 2. Bd., S. 28M, S. 290f, S. 295 und S. 297ff. Hier auch das Nachstehende. 18) Keyßlers „Reisen“, 56. Brief. Hannover 1776. S. 740. 19) Ed. Vehse. Geschichte der deutschen Höfe. IV. Sektion. 5. Bd., S. 175 ff. 20) Kurt Eisner, Das Ende des Reichs. 1906. S. 103. 21) Rudolf Giehrl, „China Fahrt“. S. 132f. 148f. und passim.
Quelle: Kultur-Kuriosa von Dr. Max Philipp Albert Kemmerich. München, Albert Langen, 1910.
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