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Pierrefonds. Inneres eines franz. Wohnhauses im 15. Jh.

Auguste Racinet, Château, Saal, Schloss, Pierrefonds, Frankreich, Mittelalter,
Saal im Schloss von Pierrefonds

EUROPA – MITTELALTER. INNERES EINES FRANZÖSISCHEN WOHNHAUSES – XV. JAHRHUNDERT.

Saal im Schloss von Pierrefonds

Der auf unserer Tafel abgebildete Saal befindet sich im Schloss von Pierrefonds, welches Viollet-le-Duc mit grossem Geschick restauriert hat. Das ursprüngliche Stein- oder Holzgetäfel des Bodens ist durch einen gebohnten Parketfussboden ersetzt worden. Das Schloss von Pierrefonds ist von Ludwig von Orleans, dem Bruder Karls VI., am Ende des XIV. und am Anfang des XV. Jahrhunderts auf den Ruinen eines älteren Schlosses erbaut worden. Es trug zugleich den Charakter einer Veste und den eines mit allen Bequemlichkeiten ausgestatteten Wohnsitzes eines vornehmen Herrn.

Das patriarchalische Leben des XII. Jahrhunderts verschwand im Laufe und gegen Ende des XIII. Die Herren führten nicht mehr mit ihren Untergebenen eine gemeinschaftliche Lebensweise, sondern sie wohnten in getrennten Gemächern. Durch die Bekanntschaft mit dem Orient war auch der Geschmack an dem orientalischen Luxus in das Abendland gedrungen. Man wollte in wohl gegen Wind und Wetter verschlossenen, erwärmten Räumen wohnen, man belegte den Fussboden mit Teppichen oder mit Holzgetäfel. Die Sitte, an der Erde zu sitzen, erhielt sich zwar noch, aber man machte es sich durch zahlreiche Decken und Kissen bequem. Als der Gebrauch der Sessel aufkam, vervielfältigten sich auch bald die Formen desselben. Man hatte tragbare Sessel und Sitze, die an der Wand oder am Fussboden befestigt waren.

Diesem vergrösserten Luxusbedürfnis entsprachen auch die Arbeiten der Handwerker, welche an Stelle der einfachen Truhen, Sitze und Bettgestelle des frühen Mittelalters zierliche Möbel bauten, die sie mit Schnitzereien, Vergoldung und Malerei zierten, auch wohl mit Elfenbein incrustierten. Vor den Stühlen und Bänken stellte man Fussbänke auf oder man legte dicke Kissen hin, um die Füsse gegen die Kälte des Steingetäfels zu schützen. Im XIV. Jahrhundert wurde dieser Luxus auch in den Wohnungen reicher Kaufleute allgemein.

Das Schloss von Pierrefonds, eines der wichtigsten Baudenkmäler des XV. Jahrhunderts, umfasst die Ausklänge der mittelalterlichen Kunst. Es ist trotz seiner Grösse von einer starken Umwallung umgeben und erhebt sich in drei Stockwerken, die nur durch die Fussböden von einander getrennt sind. Sämtliche Räume sind mit Kaminen versehen. Im ersten Stockwerk befindet sich der grosse Empfangssaal, 21 Meter lang und 11 Meter breit. Wein- und Vorratskeller, Küchen, Kleiderkammern, Wasch- und Lagerräume, alles ist vorhanden.

Die Dekoration des auf unserer Tafel dargestellten Saales trägt noch ganz den gotischen Charakter, der sich auch in den Architekturteilen, wie z. B. in den die Laibung der Tür einfassenden Säulen kund giebt. Der Kamin, welcher sich gewöhnlich zwischen den beiden Fenstern befindet, nimmt die ganze Länge der dazwischen liegenden Wand ein. Sein grosser Mantel steigt bis zur Decke empor. Die Decke lässt noch die im Mittelalter üblichen Balkenlagen sehen. Rings um die Wände laufen hölzerne Paneele herum, die durch Pfeiler gegliedert sind. Die hohen Fenster geben trotz der Dicke der Wände ein ausreichendes Licht. Durch die Fensterkreuze ist jedes Fenster in mehrere Flügel geteilt, deren jeder besonders geöffnet werden kann. Die Verglasung der Fenster bestand aus kleinen Scheiben, die, in Blei gefasst, mit einander verbunden wurden. Später wurden dieselben bemalt und zwar wurde anfangs die Färbung dadurch erzielt, dass mau Glas von verschiedenen Farben zusammensetzte. Gewöhnlich wurden nur die unteren Abteilungen der Fenster ganz bemalt. Die oberen liess man entweder weiss oder man bemalte sie mit Wappen und Emblemen. Erst in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts wurden die Fenster mit figürlichen und architektonischen Darstellungen, mit Landschaften u. dgl. bemalt.

Mit Ausnahme der Paneele von Eichenholz sind sämtliche Flächen des Zimmers mit Malereien dekoriert. Der Kaminmantel ist mit dem Wappen der Orleans geschmückt, die Wände der Fensternischen zeigen ebenso wie der Wandteppich in dem anstossenden Raum auf blauem Grunde den Eber des Königs von Frankreich Ludwig XII. Auch das mächtige Consol, welches den Querbalken der Decke trägt, ist mit Wappen bemalt. In die Dekoration der Balken wurden bisweilen Platten von vergoldetem Zinn eingeführt. In dem Charakter der Ornamentik glaubt Viollet-le-Duc bereits die Vorboten der Renaissance zu sehen.

(Viollet-le-Duc, Description du Château de Pierrefonds, Paris 1863. Dictionnaire raisonné de l’architecture française und Dictionnaire du mobilier française von demselben; Histoire de l‘ Art monumental von Bâtissier, Paris 1860.)

Quelle: Geschichte des Kostüms in chronologischer Entwicklung von Auguste Racinet. Bearbeitet von Adolf Rosenberg. Berlin 1888.

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