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Die Geschichte der Todesstrafe im römischen Staat.

Abriss des römischen Staatsrechts, von Theodor Mommsen, 1893.

DIE GESCHICHTE DER TODESSTRAFE IM RÖMISCHEN STAAT.

DIE BEHANDLUNG DER TODESSTRAFE in den öffentlichen Ordnungen ist ein wichtiges Moment der Kulturgeschichte, und der römische Staat ist durch das innere Moment der rücksichtslosen Folgerichtigkeit seiner Entwicklung wie durch das äussere des ihm zum Werden und zum Ausleben gelassenen beispiellos langen Zeitraums für vergleichende Erwägungen dieser Art vorzugsweise geeignet. Wenn ich es unternehme, hier einen Überblick über die Geschichte der Todesstrafe bei den Römern zu geben, so geschieht dies einerseits mit dem Bewusstsein, dass für die betreffenden rechtlichen Fragen unsere Überlieferung reichlicher und sicherer ist als für die pragmatische Geschichte, anderseits aber auch mit dem Bewusstsein, das die geschichtliche Darstellung vielleicht unter günstigen Bedingungen Glanz und Farbe haben kann, ein Überblick dieser Art aber darauf verzichten muss und sich an die exzeptionellen Leser wendet, welche den Zeitaufwand und die Entsagung des Nachdenkens aufzubringen im Stande sind.

Die Todesstrafe beruht bei den Römern auf dem religiösen Fundament des entsühnenden Menschenopfers, und zwar des Menschenopfers vollzogen zunächst an dem kriegsgefangenen Landesfeind. Dieser Grundgedanke der staatlichen Todesstrafe tritt deutlich hervor in der ursprünglichen Form ihrer Vollstreckung. Der Verbrecher wird mit dem Beil enthauptet; das Beil aber ist bei den Römern niemals Waffe gewesen, sondern das Handwerkzeug des Schlächters, und dies sowie die Form der Hinrichtung entsprechen genau der Schlachtung des Opfertieres. Ebenso deutlich tritt diese Grundlage der römischen Todesstrafe darin zu Tage, dass die von Gemeinde wegen vollzogene Todesstrafe zunächst den Bürger trifft, der sich durch seine Handlungen dem Landesfeinde gleichstellt, in erster Reihe den Überläufer, weiter aber jeden des Landesverrats schuldigen Mann. Begreiflicher Weise wird dieser schwerer behandelt als der Landesfeind selbst; wenn das Kriegsrecht die Tötung des Gefangenen nur zulässt, so fordert das Strafrecht die Hinrichtung des Verbrechers. Ausgedehnt wird die Todesstrafe weiter auf den Mörder und den Brandstifter; ein solcher gilt zwar nicht wie der Überläufer als Landesfeind, aber diese Verbrechen sind in erster Reihe schwere Störungen der öffentlichen Sicherheit, Verletzungen der Samtbürgschaft eines für alle und aller für einen, auf welcher der Staat beruht; und darum trifft bereits in dem ältesten uns erkennbaren Entwicklungsstadium auch diese Missetäter das Beil.

Neben dieser im geregelten Strafprozess, das heisst, nach öffentlicher Verhandlung auf dem Markt der Stadt und nach angehörter Verteidigung auf Grund magistratischen Todesurteils eintretenden Execution steht das magistratische Recht der Selbsthilfe bei gefährlicher Störung des öffentlichen Friedens und bei Unbotmässigkeit des einzelnen Bürgers. Es ist keineswegs auf eigentliche Notwehr beschränkt, aber es ist ein Notverfahren und schliesst wie die prozessualische Behandlung so auch die geordnete Vollstreckung des Urteils durch das Beil aus. Der Magistrat zwingt den Ungehorsamen – Coercition heisst dies bei den Römern – und lässt, wenn gelindere Mittel nicht reichen, den Widerspenstigen greifen und von dem Felsen des Capitols in den Abgrund stürzen.

Ausser dem auf wenige Fälle beschränkten kapitalen Strafprozess und dem ausserordentlicher Weise eintretenden kapitalen Zwangsverfahren kennt die älteste uns bekannte römische Ordnung die Todesstrafe so gut wie gar nicht. Für keines der übrigen, insbesondere für kein Eigentumsverbrechen wird dem Übeltäter der Tod von Rechtswegen angedroht. Somit hatten die späteren Römer einige Ursache, ihren Vorfahren neben anderen minder bestreitbaren Tugenden auch diejenige der Humanität nachzurühmen.

Die übrigen Verbrechen werden von den Römern als Privatdelikte, das ist, nach heutigem Sprachgebrauch, als Antragsprozesse bezeichnet. Diese beruhen nicht auf dem religiösen Gedanken der Sühnung, sondern auf dem der praktischen Rache, die der Verletzte von dem Verletzer fordert, und die; nachdem die staatliche Ordnung die Hilfe des jedem einzelnen Bürger überlegenen Gemeindewesens dafür anzurufen gestattet, auch der schwächere‘ Verletzte dem stärkeren Verletzer gegenüber durchzuführen im Stande ist. Indes der römische Bürger, wie er sein soll, ist nicht rachsüchtig und vor allen Dingen ein wirtschaftlicher Haushalter. Nur in wenigen Fällen kann nach römischer Ordnung die Rache bis zur Tötung des Verletzers vorgehen, und auch in diesen ist die Tötung, nicht wie bei den öffentlichen Verbrechen gesetzlich vorgeschrieben, sondern nur gesetzlich gestattet; es gilt dies für den Dieb, der auf frischer Tat ergriffen wird und für den falschen Zeugen, in welchen beiden Fällen allerdings das Bedürfnis der Rache am heissesten brennt. Wenn diese Verbrecher sich mit Geld nicht wider den Willen des Verletzten lösen können, so ist dagegen für die ganze Masse der übrigen Verbrechen die Lösung mittels einer Geldbusse in der Weise gesetzlich vorgeschrieben, dass der Verletzte die Annahme nicht verweigern darf. Ist der Übeltäter nicht im Stande, die Lösung aufzubringen, so wird er nicht anders behandelt als jeder zahlungsunfähige Schuldner, das heisst er verliert nicht die bürgerliche, aber die persönliche Freiheit und sein neuer Herr kann mit ihm anfangen, was ihm beliebt, ihn einsperren und zur Zwangsarbeit verwenden, oder auch nach Ermessen ihn töten. Dies ist also die, mit billiger Rücksicht auf zahlungsfähige Verbrecher, wirtschaftlich wohl temperierte Privatrache. Für den, welcher die Kosten des Fehlschlagens tragen kann, ist der Diebstahl eine gewagte Spekulation. Der Dieb, der dazu nicht im Stande ist – und auch in Rom stahl der Arme öfter als der Wohlhabende – wird zwar nicht von Rechtswegen hingerichtet, und verständige Bestohlene werden es vorgezogen haben, ihn als Arbeiter zu verwerten; aber die bürgerliche Freiheit, welche die Hoffart des Gesetzes dem Verurteilten ungeschmälert lässt, hindert den neuen Herrn nicht, wenn er es wünscht, die aufgeschobene Rache späterhin nach Gefallen zu nehmen.

Die Handhabung dieser ältesten Rechtsordnung steht bei der Magistratur, dem monarchischen und lebenslänglichen Gemeindevorsteher der ältesten Zeit und den unter Aufgabe der Monarchie wie der Lebenslänglichkeit in der Republik an seine Stelle tretenden Beamten, das heisst bei dem König und bei den Konsuln. Ein Unterschied zwischen Stadt- und Landrecht oder Kriegs- und Friedensrecht besteht nicht. Das Imperium und das Beil schalten gleichmässig in Rom und im Lager und gleichmässig über den Bürger wie über den Nichtbürger. Von der Bürgerschaft war die Handhabung des Imperium nicht abhängig. Es mag sein, dass der Magistrat, wenn er ein Todesurteil nicht zu vollziehen wünschte, zur Begnadigung nicht anders befugt war, als mit Zustimmung der Versammlung der Bürger und dass insofern schon damals die Übereinstimmung des Gemeindeherrn und der Gemeinde als die über dem Gesetz stehende höchste Gewalt im Staat anerkannt war; aber die Handhabung der gesetzlichen Ordnung durch die strafrechtliche Judication und im Notfall die Coercition erfolgte ohne Mitwirkung der Bürgerschaft.

Eine wichtige Änderung dieser Ordnungen trat ein; sei es zu Anfang der Republik, sei es in ihrer Frühzeit, durch die Anordnung, dass das im Stadtbezirk über einen römischen Bürger verhängte Todesurteil nicht anders vollstreckt werden dürfe, als wenn der Anrufung der Gemeinde auf Begnadigung stattgegeben und von dieser das magistratische Urteil bestätigt sei. Damit schied sich Stadtrecht und Kriegsrecht. Faktische Scheidung der bürgerlichen und der militärischen Vergehen war damit gleichfalls gegeben; rechtlich aber hängt der Gegensatz nicht ab von der Beschaffenheit des Verbrechens, sondern von der Örtlichkeit, an der der Verbrecher vor den Magistrat gestellt wird. Ihren handgreiflichen Ausdruck fand die nene Rechtsordnung darin, dass, wo der Magistrat an sie gebunden war, in dem Abzeichen seiner Strafgewalt, den Fasces der Liktoren, die Beile fehlten.

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Lictor, römischer Kaiser, vornehmer Römer.

In dem Kriegsgebiet, das ist in Italien ausserhalb des engen Stadtbezirks und späterhin in den Provinzen, hat das Beil seine Herrschaft durch die gesamte republikanische Zeit hindurch behauptet. Auch unter dem Prinzipat ist zwar, als charakteristisches Zeichen des damit eintretenden Militärregiments, das Beil durch das Schwert abgelöst worden, in der Handhabung der Todesstrafe selbst aber eine wesentliche Änderung nicht eingetreten. Prinzipiell ist nur, wir wissen nicht wann, wahrscheinlich nicht lange vor dem Ende der Republik, das Recht auf den Tod zu erkennen dem Feldherrn in Beziehung auf römische Bürger genommen worden. In Übrigen hat Gaius Verres in Sizilien über Leben und Tod geschaltet wie König Romulus vom Palatin aus und wahrscheinlich nicht milder. Es gibt eine Geschichte, dass noch unter Augustus ein Statthalter von Africa, nachdem er an einem Tage 300 Verbrecher hatte köpfen lassen, auf der Richtstätte wandelnd sich glücklich gepriesen hat: „welch königliches Werk (o rem regiam)!“ Sie mag wohl wahr sein.

Im städtischen Gebiet blieb die Todesstrafe bestehen teils für die Ausländer und die Unfreien, teils für diejenigen römischen Bürger, denen die Bürgerschaft die Begnadigung versagte. Indes änderte sich, seitdem die Beile fehlten, die Art der Vollstreckung. Die ordentliche Todesstrafe wurde jetzt die Kreuzigung, gleichzeitig für Freie wie für Sklaven oder höchstens mit dem Unterschied, dass der Freie am Kreuz zu Tode gegeisselt ward, dem Sklaven aber mit geringerer Bemühung des Henkers die Schenkel gebrochen wurden oder auch man ihn am Kreuz verenden liess. Es gehört zu den wunderlichsten Blüten der römischen Hof­fär­tig­keit, dass diese Todesstrafe, wenn sie an einem Bürger vollstreckt wird, Execution nach der Sitte der Väter (more maiorum.), wenn an einem Sklaven oder Fremden, Kreuzigung heisst, ja man ungescheut die Kreuzigung bezeichnet als Sklavenhinrichtung (supplicium servile). Man gewann es nicht über sich, ausser wo einmal ein Advokat für seinen Klienten Stimmung zu machen hatte, es geradezu auszusprechen, dass, wenn der Schwestermörder der Königszeit aus dem altpatrizischen Horatiergeschlecht nicht begnadigt worden wäre, er geendigt haben würde wie der letzte Sklavenverbrecher auf dem Esquilin. – Neben dieser regelmässigen öffentlichen Exekutionsform wurden auch andere gebraucht, die Mörder gesäckt, die Brandstifter verbrannt. Frauen unterliegen der öffentlichen Execution nicht; wenn diese nicht durch ihre Familie vollstreckt werden kann, so werden sie im Kerker hingerichtet durch Verhungern oder gewöhnlich durch, Erdrosseln; und diese nicht öffentliche Hinrichtung im Kerker ist unter der späteren Republik auch bei Männern aus besseren Ständen überwiegend angewendet worden. Wesentlich war überall die Vollziehung des Urteils ohne Enthauptung.

Überhaupt aber liess man das ordentliche Strafverfahren verfallen. Seit über das schwere Verbrechen des römischen Bürgers in letzter Instanz die Bürgerschaft mit ihren unberechenbaren Majoritäten entschied, gaben die Oberbeamten das Verfahren in erster Instanz ab; sie waren und galten immer noch als die Herren der Gemeinde, und der königliche Richter kann die Kassierung nicht vertragen. Die dafür eintretende Staatsanwaltschaft war das Stiefkind der Republik. Für Landesverrat gab es gar keine ständige erste Instanz, vielleicht weil man in der Tat keine brauchte; kam einmal ein solches Verbrechen im Stadtkreis vor, so wurden die Richter erster Instanz für den einzelnen Fall bestellt. Für den Mörder und die ihm gleichgeachteten Verbrecher bildeten die erste Instanz niedrig gestellte und mit anderen ständigen Geschäften überhäufte Hilfsbeamte. Dieser schwächlichen Organisation des eigentlichen Strafprozesses zur Seite ging die Stärkung der Polizeigewalt – es genügt zu erinnern an die Einrichtung der Ädilität und der Kerkerverwaltung (tresviri capitales) und an die Verwendung der früher erwähnten Coercition für strafrechtliche Zwecke. – Der sehr populäre Prozesskrieg gegen den Wucher steht merkwürdiger Weise völlig ausserhalb des formalen Strafprozesses. Vielfach löst die schwere Geldstrafe den alten Kapitalprozess tatsächlich ab.

In dieser Weise ist die Todesstrafe in Rom gehandhabt worden während der grossen Jahrhunderte des gewaltigen Patriotismus und der keinen einzelnen Namen nennenden Bürgerherrlichkeit, während derjenigen Epoche, in der an dem harten Sterbemut des Legionärs Hannibals Genie sich brach und in welcher die Weltherrschaft der ewigen Stadt gegründet ward. Von der Handhabung erfahren wir wenig, die Ordnungen selbst sind klar und sicher.

Es kam die Zeit des sinkenden Gemeingefühls und des allmählichen Versagens der bestehenden Ordnungen. Im Gebiet der Todesstrafe zeigt sie sich in ihrer schwächlichen Handhabung. Wir wissen ja nur zu gut, wie in einer von sittlicher Fäulnis ergriffenen Nation die Geschworenen über Beweise und Gesetze sich hinwegsetzen und indem sie den Verbrecher begnadigen, die Rechtsordnung vernichten. Man wird sich danach eine Vorstellung machen können von dem freundlichen Verfahren der römischen Comitien gegen Mitbürger, die das Unglück gehabt hatten, zu morden, insbesondere, wenn es Leute von gutem Credit bei den Bankiers und anständiger Wirtschaft waren. Für das Niederhalten des eigentlichen Gesindels sorgte die Polizei, und sie wird nicht all zu genau nachgefragt haben, welche Individuen darunter das Bürgerrecht schützte. Statt weiterer Beweise für das Zurückgehen des gesetzlich geordneten Kapitalprozesses genügt es darauf hinzuweisen, dass in dieser Epoche, zugleich mit Hilfe lächerlich falscher Philologie, die alte Bezeichnung des Mordes parricidium auf den Vatermord umgedeutet und daraus der Satz gewonnen ward, dass nur der Vatermörder mit Säckung zu bestrafen sei.

So war man tatsächlich ungefähr angekommen bei der Abschaffung der Todesstrafe; und diesem Zustand der Dinge haben die Kriminalgesetze des Dictators Sulla rechtlichen Ausdruck gegeben. In diesen war die schwerste überhaupt vorkommende Strafe die Verbannung aus Italien auf Lebenszeit unter Androhung schwerer Rechtsnachteile für den Fall des Bannbruchs; im übrigen blieb dem also Verbannten das Bürgerrecht unbeschädigt und das Vermögen ungeschmälert. Dies galt für Landesverrat, Brandstiftung, gewöhnlichen Mord; ausgenommen blieb nur der Verwandtenmord, für welchen der frühere keineswegs ausser Kraft gesetzte Prozess mit seiner Todesstrafe in Geltung bleiben sollte. Die Vollendung dieser Ordnungen kam von Pompejus; dieser unfähigste aller römischen Staatsmänner war als konsequenter Mann gegen jede Ausnahme von den verfassungsmässigen Prinzipien. Er hat es fertig gebracht, auch den Vatermörder bloß aus Italien ausweisen zu lassen. Um diesen Anordnungen nicht Unrecht zu tun, wird man sich erinnern müssen, dass sie von Geschworenengerichten und zwar senatorischen gehandhabt werden sollten; bei schwereren Strafen würde das in der Aristokratie unausrottbare Mitgefühl für die ihrem Kreis angehörigen Verbrecher, das bei solcher Gelegenheit zu Tage tretende unsittliche Standesgefühl ohne Zweifel nur zu noch skandalöseren Freisprechungen geführt haben, als dies bei jenen Gesetzen der Fall war. Der konservative Staatsmann, welcher die Staatserhaltung in dieser Weise betrieb, hatte vielleicht keine andere Wahl. Aber allerdings bewies diese Art der Staatserhaltung nur, dass der also geordnete Staat nicht verdiente erhalten zu werden; und so kam es denn auch. Die Konservativen haben die Republik prinzipiell zu Tode konserviert; als Sulla die Augen schloss, stand der Henker bereits vor der Tür.

Die Wiederherstellung der für Nichtbürger und Sklaven stets in Kraft gebliebenen Todesstrafe auch für den römischen Bürger kam mit der Monarchie. Der Dictator Cäsar indes ist dazu nicht geschritten; er hat sich begnügt jene skandalöse Verbannung der Verbrecher wenigstens nach der vermögensrechtlichen Seite hin zu verschärfen. Die neue Ordnung geht auch hier zurück auf Augustus.

Augustus hat die Strafjustiz der Geschworenengerichte im Wesentlichen bestehen lassen, wie er sie fand, die von diesen zu erkennenden Strafen allerdings verschärft, jedoch nicht bis zur Todesstrafe gesteigert. Aber er hat zwei höchste Gerichtshöfe geschaffen, den der Consuln mit Bindung an den Senat und den kaiserlichen, bei welchem der Herrscher ohne rechtliche Bindung an Ratmänner das Urteil spricht oder in seinem Namen sprechen lässt, und diesen bei den Höfen eine befreite Strafgewalt beigelegt, so dass sie in der Bemessung des Strafübels rechtlich freie Hand haben und auch den römischen Bürger zum Tode verurteilen dürfen. Es hing dies staatsrechtlich zusammen mit der Übertragung der Volkssouveränität von den Comitien teils auf den Senat, teils auf den Kaiser und war im Wesentlichen die Wiederaufnahme der alten rechtlich nicht abgeschafften comitialen Strafjustiz in veränderten Formen. Hiermit war die Möglichkeit gegeben die schreiende Ungleichheit der Behandlung der Nichtbürger und der Bürger zu beschränken und auch gegen die letzteren zu der schwersten Strafe vorzuschreiten. Die republikanische Ordnung, dass nach Kriegsrecht oder, was dasselbe ist, nach Provinzialrecht gegen den römischen Bürger nicht auf Todesstrafe erkannt werden kann, blieb bestehen, nahm aber hiermit die Gestalt an, dass von einem solchen Todesurteil an das höhere Gericht in Rom appelliert werden konnte. Im Übrigen hing die Handhabung dieses Verfahrens, wie dies ja bei Exzeptionalgerichten notwendig eintritt, durchaus ab von der Individualität der Herrscher. Augustus selbst hat nach Konsolidierung der neuen Verfassung von diesem äussersten Strafrecht, soviel wir urteilen können, nur in angemessenen Grenzen Gebrauch gemacht und machen lassen. Wie die Kabinetsjustiz mit dieser Befugnis späterhin geschaltet hat, verzeichnen die bluttriefenden Annalen des Principats; und dass ein herabgewürdigtes und missbrauchtes Parlament noch eine weit schädlichere Staatsform darstellt, als diejenige ist, in welcher der Monarch für jede Tat vor seinem Gewissen innerlich, und nach aussen vor dem Volke, die Verantwortung trägt, auch das kann, wer dafür die Geschichtsbücher braucht, aus diesen mehr als zu Genüge lernen.

Mit dem Schwinden und dem Verschwinden der Geschworenengerichte und dem durchgängig dafür eintretenden rein magistratischen Strafprozess geht Hand in Hand nicht eigentlich eine prinzipielle Änderung hinsichtlich der Todesstrafe, wohl aber eine wesentliche Steigerung ihrer Häufigkeit. Ein Rechtsgelehrter aus dem Anfang des dritten nachchristlichen Jahrhunderts gibt an, dass für Majestätsverbrechen und Mord die eigentliche Strafe die Verbannung sei, jetzt aber regelmässig dabei auf Todesstrafe erkannt werde; wahrscheinlich hängt dies zusammen mit dem Wegfall der Geschworenengerichte und dürfte die neue Ordnung auf Severus zurückgehen, der seinen Namen mit Recht führt. Die in den folgenden Jahrhunderten mehr und mehr um sich greifende Barbarei tritt selbstverständlich auch hinsichtlich der Todesstrafe vielfach und oft in entsetzlicher Weise zu Tage; indes erscheint es nicht erforderlich dabei zu verweilen. Ich schliesse mit einigen Bemerkungen allgemeineren Inhaltes über die Schärfung der Todesstrafe durch die dafür gewählte Form und über ihr Verhältnis zu dem Personalstand des Verbrechers.

Im Allgemeinen werden die Römer der Grausamkeit dem Verurteilten den Tod durch Marterung zu erschweren, nicht geziehen werden dürfen; indes sind dabei doch Einschränkungen zu machen. So weit diese aus der Wahl der Strafen selbst hervorgehen, bedarf es weiterer Ausführung nicht. Aber hinzugefügt muss werden, dass nach römischer Ordnung der bürgerlichen öffentlich vollzogenen Todesstrafe jeder Art und Form, wofern sie nicht selbst durch Geisselung vollstreckt wird, diese vorhergeht. Weitere Martern kamen als reguläre Ordnungen bei Freien nicht vor. Dem militärischen Charakter und überhaupt den rationellen Ordnungen des Prinzipats entspricht die ausdrückliche Untersagung der älteren abweichenden Formen der Todesstrafe und die allgemeine Einführung der Enthauptung durch das Schwert ohne vorhergegangene Martern. Nur ausnahmsweise und besonders in späterer Zeit erscheint daneben der Feuertod. Die entsetzliche Form der Volksfesthinrichtung geht auf keinen Geringeren zurück als den Sieger von Pydna, Lucius Aemilius Paulus, der zuerst nach seinem Sieg über den König Perseus die gefangenen Überläufer den Bestien vorwarf und dem sein Sohn nach der Einnahme Karthagos darin folgte. Als eigentliche Kriminalstrafe aber erscheint diese Form des Todesurteils in republikanischer Zeit nicht, sondern erst unter den Kaisern. Die Verurteilung zu den Fecht- oder Jagdspielen kann nur ausnahmsweise als Todesurteil angesehen werden; in der Regel besteht sie in Verlust der Freiheit und der zwangsweisen Einstellung in ein lebensgefährliches Gewerbe, das aber nicht notwendig zum Tode führt, vielmehr unter Umständen den Wiedergewinn der Freiheit gewährt.

Das ideale Ziel der neueren Zivilisation ist gleiches Recht zu schaffen für alle, und auch wer diesen Satz beugt oder bricht, bekennt ihn regelmässig mit den Lippen. Das römische Gemeinwesen ist ausgegangen von dem entgegengesetzten Grundsatz und hat in seinem Ausleben ihn immer schärfer entwickelt. So musste es kommen; denn Rom ist ein Sklavenstaat gewesen und geblieben. Die ungleiche Behandlung des unfreien Verbrechers gegenüber dem freien steht von der ältesten bis zur spätesten Zeit durch alle Phasen der Staatsgestaltung durch. Der vorher ausgeführten gewissenlosen Nachsicht gegen den verbrecherischen Bürger zur Seite geht die nicht minder schrankenlose oder höchstens durch die Rücksicht auf das Bürgereigentum beschränkte Unbarmherzigkeit gegen den unfreien Missetäter. Die Massenhinrichtungen aufständischer Sklaven bilden vielleicht das dunkelste Blatt in der Geschichte der römischen Republik und die schwere Marterung vor der Hinrichtung so wie die für die Sklaven zu aller Zeit beibehaltene Kreuzigung gehören in die gleiche Reihe. Aber dabei ist es nicht geblieben. Wie die Sklaverei der Afrikaner die weisse Sklaverei in ihrem Gefolge gehabt hat, so hat auch die römische Entwicklung die rechtliche Ungleichheit der vornehmen und der geringen Bürger herbeigeführt. Bereits in früh republikanischer Zeit wird, wie wir sahen, bei gleichem Verbrechen dem Vermögenden eine Geldbusse auferlegt, der Unvermögende dem Beschädigten zu beliebiger Behandlung ausgeliefert. Hier indes tritt die rechtliche Zurücksetzung der Ärmeren noch verhüllt auf. Sie in ausgesprochener Weise in rechtliche Form zu bringen, was auch den neueren Nachahmern nicht gelungen ist, hat die römische Folgerichtigkeit fertig gebracht und einer ihrer tüchtigsten und begabtesten Vertreter, der Kaiser Tiberius, ins Werk gesetzt. Von da an ist doppelte Buchung in die Gesetzgebung eingeführt: wo der freie Mann (honestior) verbannt oder transportiert wird, trifft den gemeinen (humilior, plebeius) regelmässig Bergwerkarbeit, nicht selten der Tod. Die alte Regel, dass Unfreie schwerer bestraft werden müssen als Freie, hat natürlich unter dieser Weiterentwicklung des Prinzips keinen Schaden gelitten; der Sklave pflegt gekreuzigt zu werden, wo der Freie geringen Standes in die Bergwerke verschickt wird. Theodor Mommsen.

Nachdruck aus Cosmopolis; eine internationale Monatsübersicht, V. 1, S. 231-241. vgl. Zangemeister, Karl. Theodor Mommsen als Schriftsteller, 1905, S. 137

Quelle: Die Geschichte der Todesstrafe im römischen Staat von Theodor Mommsen, 1896.

Bild: Münchener Bilderbogen. Zur Geschichte der Kostüme. Herausgegeben und verlegt von Kaspar Braun & Friedrich Schneider in München. Publiziert zwischen 1861 und 1880.

Christian Matthias Theodor Mommsen (30. November 1817 – 1. November 1903) war ein deutscher Altertumswissenschaftler, Historiker, Jurist, Journalist, Politiker und Archäologe. Er war einer der größten Historiker des 19. Jahrhunderts. Seine Arbeit zur römischen Geschichte ist nach wie vor von grundlegender Bedeutung für die zeitgenössische Forschung. 1902 erhielt er den Literaturnobelpreis als „größter lebender Meister der Geschichtsschreibung, insbesondere in Bezug auf sein monumentales Werk A History of Rome“, nachdem er von 18 Mitgliedern der Preußischen Akademie der Wissenschaften nominiert wurde. Er war auch ein prominenter deutscher Politiker, als Mitglied des preußischen und des deutschen Parlaments. Seine Arbeiten zum römischen Recht und zum Schuldrecht hatten einen wesentlichen Einfluss auf das deutsche Zivilrecht.

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