Die Kesselkette. Gerätschaften und Gebräuche im Kanton Wallis.
1. Holzcrémaillère, Evolena, Sammlung f. Völkerkunde, Basel.
2-3. La Tène, Museum Neuchâtel.
4-6. La Tène oder römisch (Juragewässer Korrection) Hist. Museum, Bern.
7-8. römisch Landesmuseum Zürich.
9. Burg Waldegg (14. Jahrhundert) Hist. Museum, Basel.
10-11. Lenk (Hist. Museum, Bern).
12. Grindelwald (Hist. Museum, Bern).
13. Somvix (Hist. Museum, Bern).
14. Arolla Sammlung f. Völkerkunde, Basel.
Die Kesselkette.
Gerätschaften und Gebräuche im Kanton Wallis
In den meisten Häusern von Evolena, in den Sennhütten auf den Alpen, finden wir über dem einfach gebauten Herde, der auf einer viereckigen Basis aus grossen Steinplatten in einer Ecke steht, meist drei grössere rohe Steine, auf denen der grosse, früher meist bronzene Kochkessel aufruhen kann; dieser letztere ist an einer Eisenkette (Kesselhaken, Heli) über dem frei lodernden Feuer aufgehängt, die aus einem System von drei gedrehten Eisenstangen besteht, die durch zwei Ketten von vier Ringen verbunden werden und welche in die Haken am Ende der Stangen eingehängt, je nachdem zur Verkürzung oder Verlängerung der ganzen Kesselkette dienen. Das oberste Stangenstück besitzt oben einen Haken zum Einhängen an der Decke, das unterste einen solchen zum Aufhängen des Bügels des Kochtopfs. Die Totallänge einer solchen Kette beträgt zirka 215 cm, wovon zirka 150 cm auf die geraden Stangenstücke und der Rest auf die Kettenglieder kommt.
Diese Ketten sind heute also noch überall verbreitet und im Gebrauch. Woher diese offenbar alten und oft ausgezeichnet schönen Schmiedearbeiten im Val d’Hérens stammen, konnte ich nicht erfahren, jedenfalls wurden sie seit Menschengedenken nicht mehr im Tal gemacht. Im Val d’Anniviers wurde mir allerdings angegeben, dass z. B. in Vissoye heute noch vom Schmiede Kesselketten angefertigt würden.
Eine Angabe von Evolena lautete, dass sie früher wahrscheinlich von Aosta hergebracht wurden, wo die Evolener nach alten Urkunden zwischen dem 14.—17. Jahrhundert über den Gol du Mont Colon Handelsbeziehungen hatten. Man soll heute noch in Aosta den Marktplatz der Leute von Evolena zeigen, sowie bei Prarayer-Ollonon die Stelle, wo sie ihre Maultiere anbanden.
Diese Kesselketten, die auch im Lötschental allgemein gebräuchlich sind, gehören heute wesentlich noch dem Alpengebiet an, sie waren früher auch im Jura weit verbreitet. In Prêles, Tessenberg, sah ich 1915 noch eine, die zeitweise noch gebraucht wird. Das Museum von Bern besitzt solche aus der Lenk und von Grindelwald, sie kommen im Berneroberland noch häufig vor in den Sennhütten.
Seltener sind sie in Graubünden (Somvix, Engadin). Eine prächtige, mit vier unteren Haken versehene Herdkette besitzt das Engadiner Museum in St. Moritz. Im Calancatale wieder sind sie heute noch allgemein im Gebrauch, und an ihrem untern Haken hängt dort noch wie zur römischen und zur vorrömischen Zeit der altehrwürdige Kochtopf aus Lavezstein (Mussolinit, Speckstein). Im Museum von Bregenz sah ich ebenfalls sehr schöne Exem-plare aus dem Montafun und Walsertal im Vorarlberg stammend, wo sie heute noch von den Bauern beim Kochen der Polenta gebraucht werden.
Dieses altertümliche Herdgerät, die Kesselkette oder der Kesselhaken, kann ebenfalls auf einen alten, ununterbrochenen Stammbaum zurückblicken, der von der Prähistorie bis zur Jetztzeit führt. Wir kennen dasselbe genau in der heut noch gebräuchlichen Form seit der Latènezeit, mit dem einzigen Unterschied, dass am untern Ende zwei durch Kettenringe bewegliche Stangen mit Endhaken in die zwei seitlichen Ösen des bronzenen Kochtopfes eingreifen, während die heutigen nur einen haben, an dem der Henkel des Topfes aufgehängt wird. Diese Endstange der neueren Kesselketten kann sich allerdings wieder unten in mehrere, bis vier fixe Haken auflösen (Somvix, Engadin).
Als ältesten Fund dieser Art bezeichnet Brenner 1) eine mit einem transportablen, dreibeinigen Eisengestell (Höhe 150 cm) versehene Kesselkette, die in Dühren (Sinsheim Baden) gefunden wurde und im römisch-germanischen Museum in Mainz sich befindet. Sie gehört der mittleren Latènezeit an. Andere der spätem Latènezeit angehörige Kesselketten wurden in Alteburg (Hessen) und Milseburg (Rhön) gefunden, einige weitere in Emmendingen.
1) E. Brenner, Zur Geschichte des Kesselhakens, Mainzer Zeitschrift 5 (1910), p. 50.
Ein prächtiges Exemplar aus La Tène selbst besitzt mit dem dazu gehörigen Bronzekessel das Museum von Neuenburg. In La Tène wurden überhaupt nach Gross 1) auch in der Zihl. So besitzt das Berner Museum drei offenbar dieser oder spätestens der römischen Zeit angehörende Ketten, die bei der Juragewässerkorrektionen gefunden wurden (siehe Tafel Fig. 4—6). Neben diesen langen Ketten, deren Eisenstäbe eine Totallänge von 82 cm erreichen, wozu noch 10 Eisenringe kommen, beschreibt Vouga 2) ein kleineres Stück aus La-Tène mit nur einem Ring zwischen den drei gedrehten Eisenstäben.
Ganz ähnlich diesen Ketten der La Tène Zeit sind dann römische Kesselketten, die wie die im Landesmuseum befindliche aus Wattwil stammende, nur etwas reicher gegliedert sind (vier sich folgende mit einer Kette von sechs Ringen verbundene gedrehte Stangenstücke) aber sonst die genau gleich schöne Schmiedearbeit zeigen wie die von La Tène. Auch sie haben unten zwei Arme, wo die Haken in die zwei Ösen des Kessels passen. Auch von verschiedenen Kastellen des Limes sind nach Lauffer 3) römische Kesselketten bekannt.
Aus dem Mittelalter werden Kesselketten erwähnt, aus der Zeit Karls des Grossen im Capitulare de Villis im Jahre 816, in England in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Auch Wolfram v. Eschenbach erwähnt sie im Willehalm. Von Pavia sind sie 1320 beschrieben, und in den spätem Jahrhunderten sind sie ebenfalls überall im Gebrauch. Das historische Museum in Basel besitzt ein Stück einer eisernen Herdkette aus der im Jahre 1356 zerstörten Burg Waldegg im Leimental.
Sehr schöne, dem 15. Jahrhundert angehörige Exemplare finden sich in einem Kamin aufgehängt im Schlosse von Chillon. Später nahm der Kesselhacken auch noch andere Varianten der Form an, die uns hier nicht näher interessieren.
1) V. Gross, La Tène un Oppidum-helvète. Paris (1886), p. 44 u. pl. VIII, fig. Ders., Les Protohelvètes. Berlin (1883), pl. VIII. — 2) Vouga, Les Helvètes à la Tène, Neuchâtel (1885), p. 26. Pl. XVIII, fig. 17. — 3) aus dem germanischen Nationalmuseum Jahrg. (1901), p. 24.
Neben diesen eisernen Ketten existierten wohl schon in frühester Zeit hölzerne Kesselhaken. Wenn Brenner sich äussert, die Verwendung hölzerner Kesselhaken werde durch europäische Stämme wie Letten und Huzulen bewiesen, so können wir hier auch für diesen Beweis das Val d’Hérens beifügen, wo ich aus Villa einen solchen sehr primitiven hölzernen Kesselhaken erhielt. Er besteht (vergl. Tafel IV, Fig. 1) aus einem roh zugeschnittenen, unten knieförmig abgebogenen teilweise noch berindeten Aststück, in dem eine schlitzförmige Öffnung einem geraden mit 9 Löchern und am untern Ende mit einem hölzernen Haken versehenen Holzstück die Möglichkeit des Einstellens auf die gewünschte Länge durch einen eingesteckten Knebel gibt. Die Länge des obern Holzstückes beträgt 60 cm, des knieförmig abgebogenen 18 cm, des gelochten zu verschiebenden unteren Stückes 52 cm, Breite 4,5 cm. Auch im Val d’Anniviers sind, wie mir an Ort und Stelle angegeben wurde, noch hölzerne Crémaillères im Gebrauch, die ein etwas anderes System repräsentieren, indem in zwei parallelen Hölzern spitze Zacken des einen in entsprechende Löcher des andern eingreifen.
Es ist sehr wohl möglich, dass die hölzerne Crémaillère noch an die Wurzel der eisernen zu setzen ist und dass sie in ähnlicher Form vor der Eisenzeit als Herdgerät bis in das Neolithikum heraufreicht. Bei Agnoszierung von Holzstücken unbekannten Gebrauches wäre bei künftigen Pfahlbaugrabungen an diese Möglichkeit zu denken.
Der ganze Stammbaum der Kesselkette wird auf Taf. IV illustriert, wobei ich den Herren Direktor Wegeli vom hist. Museum in Bern, Dr. Viollier in Zürich, Dr. Viseher und Dr. Burckhardt vom hist. Museum in Basel für Überlassung der Photos meinen besten Dank sage.
*) Die La Tène Kultur war eine europäische Kultur der Eisenzeit. Sie entwickelte sich und blühte in der späten Eisenzeit (von ca. 450 v. Chr. bis zur römischen Eroberung im 1. Jh. v. Chr.) in der Nachfolge der früheisenzeitlichen Hallstattkultur.
Sie ist benannt nach dem Fundort La Tène an der Nordseite des Neuenburgersees in der Schweiz, wo Tausende von Objekten im See eingelagert worden waren, wie man nach dem Absinken des Wasserspiegels im Jahr 1857 entdeckte. La Tène ist der Typusort und der Begriff, den die Archäologen für die Spätzeit der Kultur und Kunst der alten Kelten verwenden, ein Begriff, der im Volksverständnis fest verankert ist.
Quelle:
- Volkskundliche Untersuchungen von einem internationalen Kreise befreundeter Forscher. Eduard Hoffmann-Krayer dargebracht zur Feier des Zwanzigjährigen Bestehens des Schweizerischen Archivs für Volkskunde. Im Auftrage der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde; Hanns Bächtold-Stäubli. Basel: Schweiz 1916.
- Führer durch das Schweizerische Landesmuseum in Zürich. Verlag des Schweizerischen Landesmuseums 1908. (Bild: Alte Küche. Lichtdruckanstalt Alfred Ditisheim, Basel.)
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