Sarah Siddons. Britische Schauspielerin des 18. Jahrhunderts.
Sarah Siddons.
Geb. 5. Juli 1755; gest. 8. Juni 1831.
Sarah Siddons (geb. Kemble; 5. Juli 1755 – 8. Juni 1831) war eine walisisch, englische Schauspielerin, die bekannteste Tragödiendarstellerin des 18. Jahrhunderts. Der zeitgenössische Kritiker William Hazlitt bezeichnete Siddons als „personifizierte Tragödie„. Sie war die erste Frau die Hamlet spielte, berühmt wurde sie jedoch vor allem durch ihre Darstellung der Shakespeare-Figur Lady Macbeth, die sie zu ihrer eigenen Figur machte, sowie durch ihre Ohnmacht beim Anblick der Elgin Marbles in London.*)
Sarah Siddons wurde am 5. Juli 1755 zu Brecon als die älteste Tochter des Schauspielers Roger Kemble (1721-1802) geboren, einem Schauspieler und Leiter einer reisenden Theatertruppe, in der fast alle Familienmitglieder arbeiteten. Sie hatte elf Geschwister, darunter die Schauspieler John Philip Kemble (1757-1823), Stephen Kemble (1758-1822), Charles Kemble (1775-1854) und die Schauspielerin Elizabeth Whitlock (1761-1836). Eine andere ihrer Schwestern, Ann Hatton (1764-1838), war eine berühmte Literatin.
Ihre Erziehung war von vornherein für die Wirksamkeit an einer Bühne berechnet. Noch ein Kind, trat sie zum ersten mal in einer Benefiz Vorstellung für ihren Vater auf und erntete mit einer Deklamation der Fabel »von den Buben und Laubfröschen« großen Beifall. Als sie dreizehn Jahre alt geworden war, konnten ihr schon Hauptrollen in verschiedenen Opern anvertraut werden; auch pflegte sie damals als Sängerin in Zwischenakten aufzutreten.
Zu den Mitgliedern der Truppe ihres Vaters gehörte ein Schauspieler namens William Siddons, dem eine ungewöhnliche Vielseitigkeit nachgerühmt wird. Sarah Kemble fühlte sich zu diesem Mann hingezogen, fand aber bei ihren Eltern einen unerwarteten Widerstand gegen eine Verbindung mit ihm. Sie entschloß sich daher, gegen den Willen der Eltern das Theater zu verlassen, wurde bei einer Dame zu Guy’s Cliff in Warwickshire Vorleserin und Gesellschafterin und vermählte sich am 26. November 1773 mit Siddons. Da es sich bald herausstellte, daß William Siddons nicht imstande war, seine junge Gemahlin zu ernähren, nahmen sie beide Engagement in der Truppe von Chamberlain und Crump zu Bath.
Es folgte nun eine Reihe von Wanderjahren, voll Not und Entbehrung. 1774 hatte Sarah Siddons ihren ersten Erfolg als Belvidera in Thomas Otways „Venice Preserved“. Dies brachte ihr die Aufmerksamkeit von David Garrick 2) ein, der ihr ein Engagement auf der Bühne des Drury Lane Theaters zu London, in der Rolle der Calista in Nicholas Rowes „The Fair Penitent“, anbot.
Unter anderem wegen ihrer Unerfahrenheit kamen ihre Auftritte als Portia in Der Kaufmann von Venedig, Shakespeare und anderen Rollen nicht gut an, so dass sie vom Direktor des Drury Lane die Nachricht erhielt, dass ihre Dienste nicht mehr erwünscht seien. In ihren eigenen Worten: „verbannt aus der Drury Lane als wertlose Anwärterin auf Ruhm und Reichtum.“
Im Jahr 1777 ging sie auf Tournee und trat in den nächsten sechs Jahren bei Theatertruppen in der Provinz auf (vor allem in Manchester, York und Bath), wo sie sich allmählich einen Ruf erarbeitete, aber trotzdem, daß sie hier eine feste Anstellung erhielt, wegen ihrer rasch anwachsenden Familie noch sehr mit Not und Sorgen zu kämpfen hatte.
Unter solchen Verhältnissen mußte ihr die Aufforderung, noch einmal am Drury Lane Theater ihr Glück zu versuchen, sehr willkommen sein. Und diesmal sollte es ihr besser gelingen. Als sie am 10. Oktober 1782 auf die Bühne an der Drury Lane zurückkehrte, wurde sie völlig anders aufgenommen als bei ihrem ersten Auftritt; sie erregte sofort Aufsehen in der Titelrolle von David Garricks Adaption von Thomas Southernes Isabella, or, The Fatal Marriage. Sie wurde mit Beifall überschüttet und mußte die Rolle an neunzehn Abenden wiederholen, und jedesmal war das Haus zum erdrücken voll.
Seit dieser Zeit wurde Mrs. Siddons der Liebling des Londoner Publikums. Es war der Beginn von zwanzig Jahren, in denen sie die unangefochtene Königin der Drury Lane ist. Ihr Bekanntheitsgrad wird als „mythisch“ und „monumental” beschrieben. Sie verkehrte in der Elite der Londoner Gesellschaft, und zu ihren Freunden gehörten Samuel Johnson, Edmund Burke, Hester Thrale Piozzi und William Windham. Die beiden großen Londoner Theater, Drury Lane und Covent Garden, wetteiferten miteinander um ihren Besitz. Bald stand sie in dem Ruf, die beste Schauspielerin Englands zu sein. Byron bezeichnete sie als das Ideal einer Schauspielerin, und Frau von Stael sagt in der »Corinna« von ihr: »L’actrice la plus noble, Madame Siddons, ne perd rien de sa dignité, quand elle se prosterne contre terre.« 3)
Ihre berühmteste Rolle war jedoch die der Lady Macbeth in Shakespeares Stück, in der sie mit großer Emotionalität die verbrecherischen Leidenschaften der Lady Macbeth zum Ausdruck brachte und das Publikum in ihren Bann zog. In dieser Rolle fand sie den breitesten und geeignetsten Spielraum, um ihr Talent als Schauspielerin voll zum Ausdruck zu bringen.
1785 sorgte Siddons für große Aufregung, als sie während der Schlafwandler Szene die Kerze auf den Boden stellte. Die Londoner Theaterbesucher waren sehr konservativ und die Kerze nicht während der gesamten Szene zu halten, war eine radikale Abweichung von der Tradition, die einen ausführlichen Bericht in der nationalen Presse zur Folge hatte. Siddons‘ Popularität war jedoch so groß, dass das Abstellen der Kerze zur neuen Tradition wurde.
Nach Lady Macbeth spielte sie die Rollen der Desdemona, Rosalind, Ophelia und Volumnia, wo sie umjubelt wurde; aber es war in der Rolle der Königin Katharina von Aragon in Heinrich VIII, dass sie eine Rolle fand, die ihrem schauspielerischen Talent fast so gut entsprach wie die der Lady Macbeth. Sie sagte Samuel Johnson einmal, dass die Katharina ihre Lieblingsrolle sei, weil sie die natürlichste sei. Als Elvira in »Pizarro« trat sie einunddreißigmal hintereinander mit Erfolg auf. Weniger glücklich war sie mit der Julia, da diese Rolle sich nicht für ihre Begabung eignete. In Lessings Emilia Galotti fiel ihr die Darstellung der Gräfin Orsina zu.
Zu ihren großen Erfolgen trugen jedenfalls ihre seltenen körperlichen Vorzüge nicht wenig bei. Man rühmt ihr nach, daß sie einen majestätischen Wuchs, eine edle Haltung, ein sprechendes Auge, ein volles und wohlklingendes Organ, Grazie in allen Bewegungen, eine treffliche Bildung, glühende Phantasie und ein eminentes Talent besessen habe. Sir Joshua Reynolds, der zu ihren besten Freunden und lebhaftesten Bewunderern zählte, hat sie als tragische Muse gemalt.
Im Jahr 1802 verließ sie die Drury Lane und trat danach noch gelegentlich auf der Konkurrenzbühne in Covent Garden auf. Dort gab sie am 29. Juni 1812 die vielleicht außergewöhnlichste Abschiedsvorstellung der Theatergeschichte.
Sie spielt darin ihre berühmteste Rolle, die der Lady Macbeth. Die Zuschauer weigern sich jedoch das Stück nach der Schlafwandlerszene weiterlaufen zu lassen. Schließlich, nach lautem Applaus aus dem Orchestergraben, öffnete sich der Vorhang wieder und Sarah Siddon erschien sitzend in Zivilkleidung, und hielt in eigenen Namen eine bewegende achtminütige Abschiedsrede an das Publikum.
Sarah Siddons verließ 1812 offiziell die Bühne, trat aber gelegentlich zu besonderen Anlässen, Wohltätigkeitsvorstellungen und auch auf ausdrücklichen Wunsch der königlichen Familie, meist als Lady Macbeth, auf. Ihr letzter Auftritt war am 9. Juni 1819 als Lady Randolph in John Homes Stück Douglas.
1) Die Parthenon Marbles, auch bekannt als die Elgin Marbles, sind eine Sammlung klassischer griechischer Marmorskulpturen, die unter der Aufsicht des Architekten und Bildhauers Phidias und seiner Assistenten entstanden sind. Sie waren ursprünglich Teil des Parthenon-Tempels und anderer Gebäude auf der Akropolis von Athen. Die Sammlung ist jetzt im Britischen Museum in der eigens dafür errichteten Duveen Gallery ausgestellt. In Großbritannien wurde der Erwerb der Sammlung von einigen unterstützt, während andere, wie z. B. Lord Byron, dessen Umstände mit Vandalismus oder Plünderung verglichen. 2) David Garrick (19. Februar 1717 – 20. Januar 1779) war ein englischer Schauspieler, Dramatiker, Theatermanager und Produzent, der fast alle Aspekte der Theaterpraxis im 18. Jahrhundert beeinflusste und ein Schüler und Freund von Dr. Samuel Johnson war.
3) “ …die edelste Schauspielerin, Mrs. Siddons, verliert nichts von ihrer Würde, wenn sie sich auf dem Boden niederwirft…“
J. Reynolds pinx.
F. Haward sc.
Quelle:
- Historisches Porträtwerk. Das Zeitalter der Französischen Revolution (1760-1810). Nach Auswahl von Dr. Woldemar von Seudlitz. Mit biographischen Daten von Dr. H. Tillmann und Dr. H. A. Lier. München 1896. Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft vormals Friedrich Bruckmann.
- The Connoisseur. London 1901.
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