Lord Byron. Englischer Dichter der Schwarzen Romantik.
Lord Byron.
Geb. 22. Januar 1788, gest. 19. April 1824.
Ich bin eine so seltsame Mischung aus Gut und Böse, dass es schwierig wäre, mich zu beschreiben.
Byron, geboren zu London am 22. Januar 1788, war das Kind eines Kapitäns der königlichen Garden, eines rohen und rücksichtslosen Menschen, der sich als „der tolle Jack“ einen berüchtigten Namen gemacht hatte, und seiner zweiten Gemahlin Katharina Gordon, die sich nach kurzem Zusammenleben von ihrem verschwenderischen Gatten trennte. Ihrer Leitung blieb die Erziehung des Knaben, dem bei der Geburt ein Fuß verletzt worden war, überlassen, ohne daß sie dieser Aufgabe gewachsen war. Leidenschaftlich veranlagt und innerlich höchst unglücklich, überließ sie sich ganz ihren Launen und begegnete ihrem anfangs schwächlichen Kinde bald mit Ausbrüchen der Zärtlichkeit, bald mit gemeinen Schimpfreden und körperlichen Misshandlungen, so daß der Charakter desselben als eine „Mischung aus liebevoller Süße und Verspieltheit, bei der es unmöglich war, nicht anhänglich zu sein“ beschrieben wird, obwohl er auch „stille Wut, launische Mürrischkeit und Rachsucht“ mit einem frühreifen Hang zu Anhänglichkeit und Besessenheit zeigte.
Zwei Jahre nach der Geburt Byrons siedelte sie mit ihm nach Aberdeen über, wo sich allmählich seine Gesundheit befestigte. Je weniger Fleiß Byron auf der Schule bewies, um so eifriger vertiefte er sich in die Lektüre von geschichtlichen und Reisewerken, die seinem Geist schon von Jugend auf die Sehnsucht nach der Ferne einprägten. Im Jahre 1798 wurde Byron durch den Tod seines Oheims William Peer von England und Besitzer der Herrschaft Newstead-Abbey.
Seit dem Sommer des Jahres 1801 besuchte er die Schule zu Harrow, wo er meistens mit seinen Lehrern auf gespanntem Fuße lebte, während er mit seinen Kameraden schwärmerische Freundschaften anknüpfte. Bald darauf ergriff ihn eine leidenschaftliche Liebe für eine Verwandte, Miß Mary Chaworth. Da dieselbe von dem viel älteren Mädchen unerwidert blieb, erfüllte sich sein Herz mit Bitterkeit. Zeitlebens konnte er ihr Bild nicht vergessen und noch im „Don Juan“ schwelgte er in der Erinnerung des geliebten Namens.
Im Oktober 1805 bezog Byron die Universität Cambridge, um dort seine Zeit nicht sowohl den Studien, als allen möglichen Leibesübungen zu widmen in der Absicht, auf diese Weise sein körperliches Gebrechen zu verdecken. So wurde er ein Meister im Reiten, Schwimmen, Tauchen, Schießen, Boxen, Cricket spielen und Trinken und überließ sich einem rauschenden Genussleben. Im Spätsommer 1806 als Magister Artium entlassen, setzte er dasselbe auf seiner Besitzung Newstead fort, fand aber nebenbei noch Zeit, poetische Versuche anzustellen. Sie erschienen 1807 unter dem Titel „Stunden der Muße“, erfuhren aber von Seiten der Kritik, namentlich in der Edinburgh Review, eine abfällige Beurteilung. Byron rächte sich für diesen Angriff durch die beißende Satire „Englische Barden und schottische Rezensenten“, wobei er auch die berühmtesten Dichter und Schriftsteller nicht verschonte.
Kurz vor dem Erscheinen der Satire war Byron nach London übergesiedelt, um seinen Sitz im Oberhause einzunehmen. Niemand führte ihn dabei der Sitte gemäß ein, was seinen Stolz nicht wenig verletzte. Voll Widerwillen gegen die englische Gesellschaft und ihre Heuchelei beschloß er ihr den Rücken zu kehren und seinem Wandertrieb nachzugehen. In Gesellschaft seines Freundes Hobhause reiste er zunächst nach Lissabon und von da weiter nach Spanien und der Levante. Besonderes Vergnügen gewährte ihm ein Streifzug durch Albanien und der Besuch beim berüchtigten Ali-Pascha. Dann wandte er sich nach Athen, wo er mehrere Wintermonate verbrachte. Auf der Weiterreise nach Konstantinopel unternahm er seine bekannte Schwimmtour über die Dardanellen, auf die er bis an das Ende seines Lebens stolz war. Nach zweimonatlichem Aufenthalt in Konstantinopel kehrte er über Athen wieder nach England zurück, wo ihn die Nachricht von dem Tode seiner Mutter empfing.
Nachdem er im Februar 1812 seine Jungfernrede im Parlament gehalten, ließ er anfangs März die ersten beiden Gesänge von „Childe Harolds Pilgerfahrt“ erscheinen. Dieses Gedicht ist ein poetisches Reisetagebuch und schildert die von Byron auf der pyrenäischen Halbinsel und in der Levante empfangenen Eindrücke in einer Reihe prachtvoller Bilder. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen: Byron war plötzlich der Löwe des Tages, den die ganze vornehme Gesellschaft der Hauptstadt mit ihren Huldigungen überhäufte. Er ließ sich die Schmeicheleien gerne gefallen und schwamm mit dem Strom, der ihn trug. Der einmal errungene Dichterruhm wurde leicht von ihm behauptet. „Er wurde schnell zum schillerndsten Star in der schillernden Welt des Regency London. Er war in allen gesellschaftlichen Kreisen gefragt, wurde in mehrere exklusive Clubs gewählt und verkehrte in den angesagtesten Londoner Salons.“
Während des Jahres 1815 entstanden die poetischen Erzählungen „Der Giaur“, „Die Braut von Abydos“, „Der Korsar“, „Lara“, „Die Belagerung von Korinth“ und „Parisina“. Der Held der meisten dieser Erzählungen war Byron selbst, der diese Form benutzte, um seinen Anschauungen über Welt und Leben Ausdruck zu verleihen.
Zunächst in eine Affäre mit Lady Caroline Lamb (die ihn als „verrückt, schlecht und gefährlich zu kennen“ bezeichnete da er als bisexueller Mann immer Gefahr lief verhaftet zu werden, da Homosexualität noch mit der Todesstrafe geahndet wurde) und mit anderen Geliebten verwickelt und zudem von Schulden bedrängt, begann er nach einer geeigneten Ehe zu suchen und erwog – unter anderem – Annabella Millbanke. Im Jahr 1813 traf er jedoch zum ersten Mal seit vier Jahren seine Halbschwester Augusta Leigh. Gerüchte über Inzest umgaben das Paar; Augustas Tochter Medora (geb. 1814) wurde verdächtigt, Byrons Tochter zu sein. Um den wachsenden Schulden und Gerüchten zu entkommen, drängte Byron darauf, Annabella zu heiraten, die als wahrscheinliche Erbin eines reichen Onkels galt.
Sein leichtsinniges und wildes Treiben, in dem Frauen und Männer keine geringe Rolle spielten, fand einen vorläufigen Abschluss, als er sich am 2. Januar 1815 mit Miß Anna Isabella Milbanke, dem einzigen Kind des Barons, Ulrich von Hertt vermählte. Diese Ehe wurde sein Unglück. Das junge Paar lebte zu verschwenderisch und war mit der Mitgift von 10000 Pfund Sterling rasch fertig. Während wiederholte Pfändungen in ihrem Hause vorkamen, gebar Lady Byron im Dezember 1815 eine Tochter. Byrons anhaltende Besessenheit von Augusta (und seine fortgesetzten sexuellen Eskapaden mit Schauspielerinnen wie Charlotte Mardyn und anderen) machten ihr Eheleben zu einer einzigen Misere. Annabella hielt Byron für unzurechnungsfähig; im Januar 1816 verließ sie ihn mit der gemeinsamen Tochter um einige Zeit bei ihren Eltern zu verbringen. Kaum bei denselben angekommen, ließ sie ihm wissen, daß sie nie zu ihm zurück kehren werde und leitete ein Verfahren zur rechtlichen Trennung ein. Diese wurde in einem privaten Vergleich im März 1816 legalisiert. Gleichzeitig begannen ihre Verwandten und juristischen Ratgeber ein solches Spiel der Verleumdungen und Anklagen gegen Byron ins Werk zu setzen, hinzu kam der Skandal um die Trennung, die Gerüchte um Augusta und die immer größer werdenden Schulden, daß er es für das Geratenste hielt, dem auf diese Weise künstlich erregten Sturm aus dem Wege zu gehen; Am 25. April 1816 verließ er England, um nie wieder lebend heimzukehren.
Er reiste durch Belgien und weiter den Rhein hinauf. Im Sommer 1816 ließ er sich in der Villa Diodati am Genfer See in der Schweiz bei seinem Leibarzt John William Polidori nieder. Dort befreundete sich Byron mit dem Dichter Percy Bysshe Shelley und Shelleys zukünftiger Frau, Mary Godwin. Zu ihm gesellte sich auch Marys Stiefschwester Claire Clairmont, mit der er in London eine Affäre gehabt hatte. Mehrmals suchte Byron Germaine de Staël und ihre Coppet-Gruppe auf, die sich für Byron zu dieser Zeit als wertvolle intellektuelle und emotionale Stütze erwies.
In der Villa Diodati durch den „unaufhörlichen Regen“ des „nassen, unangenehmen Sommers“ *) über drei Tage im Juni drinnen gehalten, wandten sich die fünf der Lektüre phantastischer Geschichten zu, einschließlich der Fantasmagoriana, und dachten sich dann ihre eigenen Geschichten aus. Mary Shelley schuf das, was Frankenstein oder Der moderne Prometheus werden sollte, und Polidori schuf The Vampyre, den Vorläufer des romantischen Vampirgenres. The Vampyre war die Inspiration für eine fragmentarische Geschichte von Byron, „A Fragment“.
*) Das Jahr 1816 wird als das Jahr ohne Sommer bezeichnet (auch „Armutsjahr“ und „Achtzehnhundert und erfroren“) aufgrund von schweren Klimaanomalien, die zu einem Rückgang der globalen Durchschnittstemperaturen um 0,4-0,7 °C führten. Die Sommertemperaturen in Europa waren die kältesten, die zwischen den Jahren 1766-2000 aufgezeichnet wurden. Dies führte in der gesamten nördlichen Hemisphäre zu großen Nahrungsmittelengpässen.
Im Angesicht der großartigen Alpenwelt vollendete er den dritten Gesang von „Childe Harold“ und legte die erste Hand an das dramatische Gedicht „Manfred“, das er im Winter des folgenden Jahres in Venedig zum Abschluss brachte. Sein Leben in der Lagunenstadt schien nur den einen Zweck zu haben, den zahllosen Anschuldigungen, die man ihm wegen seines sittenlosen Lebenswandels machte, zur Wahrheit zu verhelfen.
Er unterbrach seine Reisen, als er sich in Marianna Segati verliebte, in deren Haus in Venedig er untergebracht war und die bald durch die 22-jährige Margarita Cogni ersetzt wurde; beide Frauen waren verheiratet. Cogni konnte weder lesen noch schreiben, und sie verließ ihren Mann, um in Byrons Haus in Venedig zu ziehen. Ihre Streitereien führten oft dazu, dass Byron die Nacht in seiner Gondel verbringen musste; als er sie aufforderte, das Haus zu verlassen, stürzte sie sich in den venezianischen Kanal.
Im Jahr 1817 reiste er nach Rom. Nach seiner Rückkehr nach Venedig schrieb er den vierten Gesang von Childe Harold. Etwa zur gleichen Zeit verkaufte er Newstead und veröffentlichte Manfred, Kain und The Deformed Transformed. Die ersten fünf Gesänge des Don Juan entstanden zwischen 1818 und 1820. In dieser Zeit, im Strudel dieses nur dem Genuss bestimmten Daseins, lernte er die 18-jährige Gräfin Therese Guiccioli kennen, die in Byron ihre erste Liebe fand, und bat sie, mit ihm durchzubrennen.
Geleitet von der Liebe zu der lokalen aristokratischen, jungen und frisch verheirateten Teresa Guiccioli, lebte Byron von 1819 bis 1821 in Ravenna. Hier setzte er Don Juan fort und schrieb das Ravenna Diary und My Dictionary and Recollections. Um diese Zeit erhielt er Besuche von Percy Bysshe Shelley sowie von Thomas Moore, dem er seine Autobiographie oder „Leben und Abenteuer“ anvertraute, die Moore, Hobhouse und Byrons Verleger John Murray 1824, einen Monat nach Byrons Tod, verbrannten.
Von Byrons Lebensstil in Ravenna wissen wir mehr von Shelley, der einige seiner farbenfroheren Aspekte in einem Brief dokumentierte: „Lord Byron steht um zwei Uhr auf. Ich stehe, ganz im Gegensatz zu meiner üblichen Gewohnheit … um 12 auf. Nach dem Frühstück sitzen wir bis sechs und reden. Von sechs bis acht galoppieren wir durch den Pinienwald, der Ravenna vom Meer trennt; dann kommen wir nach Hause, essen zu Abend und sitzen bis sechs Uhr morgens tratschend auf. Ich glaube nicht, dass mich das in einer Woche oder vierzehn Tagen umbringen wird, aber ich werde es nicht länger versuchen. Das Etablissement des Herrn B. besteht außer den Dienern aus zehn Pferden, acht riesigen Hunden, drei Affen, fünf Katzen, einem Adler, einer Krähe und einem Falken; und alle diese, außer den Pferden, laufen im Haus herum, das von Zeit zu Zeit von ihrem unausgesprochenen Streit widerhallt, als ob sie die Herren des Hauses wären … . (P.S.) Ich finde, dass meine Aufzählung der Tiere in diesem Circeanischen Palast fehlerhaft war … . Ich habe gerade auf der großen Treppe fünf Pfauen, zwei Perlhühner und einen ägyptischen Kranich getroffen. Ich frage mich, wer all diese Tiere waren, bevor sie in diese Formen verwandelt wurden.“
Da er sich infolgedessen politischen Verfolgungen ausgesetzt sah, wandte er sich nach Pisa und später nach Genua. Hier faßte er im Jahre 1822 den Entschluss, den Rest seines Vermögens für die Befreiung Griechenlands vom türkischen Joch zu verwenden. Er kaufte ein Schiff und Waffen, die er den griechischen Freiheitskämpfern zur Verfügung stellte. Am 4. Januar traf er unter dem begeisterten Jubel des Volkes in Missolunghi ein. Mit unerschrockenem Mut und voller Hingabe an die Sache der Freiheit verband er eine große diplomatische Klugheit. Aber er war den Anstrengungen nicht mehr gewachsen. Ein heftiges Fieber machte am 14. April 1824 seinem Leben ein rasches Ende.
Seit seiner Abreise aus England hatte sich das ungewöhnliche dichterische Genie Byrons erst recht glänzend entwickelt. Mit dem satirischen Epos „Don Juan“, das die ganze moderne Zivilisation mit beißendem Spott übergoß, erreichte es seinen Gipfelpunkt. Weit weniger bedeutend sind die beiden der Geschichte Venedigs entlehnten Trauerspiele „Marino Faliero“ und „Die beiden Foscari“, da Byrons Begabung eine ausschließlich lyrische war. Dennoch können sich wenigstens die Tragödie „Sardanapal“ und die beiden Mysterien „Kain“ und „Himmel und Erde“ wegen der Originalität der Gedanken und der wunderbaren Anmut der Sprache mit den größten Dichtungen aller Zeiten und Völker messen.
Obwohl der Zelotismus der Gegner Byron die letzte Ruhestätte in der Ehrenhalle zu Westminster verweigerte, so hat sein Ruhm dennoch die Welt erfüllt und sein Name wird gleichzeitig mit dem der ersten Dichter der Welt genannt.
Die archetypische Vampirfigur, insbesondere Bram Stokers Dracula, basiert auf Byron. Das Gothic-Ideal eines dekadenten, blassen und aristokratischen Individuums, das sich in jeden verliebt, der ihm begegnet, aber von dem man annimmt, dass es ein dunkles und gefährliches Inneres hat, ist ein literarischer Archetyp, der von Charakterisierungen Byrons abgeleitet ist. Das Bild eines Vampirs, der als Aristokrat dargestellt wird, wurde von John William Polidori (u. a. Byrons Leibarzt) in The Vampyre geschaffen, während des Sommers 1816, den er in der Gesellschaft von Byron verbrachte. Der titelgebende Graf Dracula ist eine Reprise dieser Figur.
Die Schwarze Romantik ist ein literarisches Subgenre der Romantik, das die populäre Faszination für das Irrationale, Dämonische und Groteske widerspiegelt. Sie wird oft mit der Gothic-Bewegung verwechselt und steht seit den Anfängen im 18. Jahrhundert im Schatten der euphorischen romantischen Bewegung. Den Namen „Dunkle Romantik“ gab dieser Form der Literaturtheoretiker Mario Praz in seiner 1930 erschienenen ausführlichen Studie über das Genre, „Die romantische Agonie“ (Liebe, Tod und Teufel. Die Schwarze Romantik). Die dunkle Romantik zeichnet sich durch Geschichten von persönlichen Qualen und sozialen Ausgestoßenen aus und bietet gewöhnlich einen Kommentar dazu, ob die Natur des Menschen ihn retten oder zerstören wird
Sein einziges eheliches Kind, Ada Lovelace, gilt aufgrund ihrer Notizen für Charles Babbages Analytical Engine als eine der Gründungsfiguren auf dem Gebiet der Computerprogrammierung. Zu Byrons außerehelichen Kindern gehören Allegra Byron, die im Kindesalter starb, und möglicherweise Elizabeth Medora Leigh, Tochter seiner Halbschwester Augusta Leigh.
Bild: R. Wästall pinx. C. Turner sc.
Aus der Kupferstichsammlung der k. k. Familienfideikommiss-Bibliothek zu Wien.
Quelle: Historisches Porträtwerk. Das Zeitalter der Befreiungskriege (1810-1845). Nach Auswahl von Dr. Woldemar von Seudlitz. Mit biographischen Daten von Dr. H. Tillmann und Dr. H. A. Lier. München 1897. Verlagsanstalt Friedrich Bruckmann A.-G.
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