HERMANN SCHMITZ. DIE WIENER GOBELINSAMMLUNG
Zu den bedeutsamsten künstlerischen Veranstaltungen der Jahre nach dem Krieg gehört zweifellos die Ausstellung der ehemalig kaiserlichen Gobelinsammlung im oberen Belvedere in Wien, die in zwei Abschnitten in den Jahren 1920 und 1921 stattfand. Durch die Darbietung dieser, neben der königlich spanischen großartigsten Sammlung von Bildteppichen wurde zum ersten mal weiteren Kreisen von Kunstfreunden ein vollkommener Begriff von dem Können und dem Umfang der europäischen Bildwirkerkunst in den Jahrhunderten ihrer höchsten Blüte übermittelt.
Selbst auf die Kenner der Gobelinwirkerei mußte diese stattliche Vereinigung in voller Farbenpracht erhaltener Gold- und Seide durchwirkter monumentaler Textilgemälde überwältigend wirken. Handelt es sich doch hier fast durchgängig um Ausführungen von seltener Qualität, die teilweise von den ersten Fabrikanten im Auftrage des Kaiserhauses oder der österreichischen Statthalter in Belgien gearbeitet wurden.
Vor dieser in den ehemaligen Prunksälen des Prinzen Eugen ausgebreiteten, nicht enden wollenden Folge riesenhafter Wandbehänge von größter Kostbarkeit enthüllte sich dem geistigen Äuge der Besucher noch einmal die welthistorische Bedeutung, der Glanz und die Macht des Hauses Habsburg im Augenblicke, da die ehrwürdige Monarchie eben von dem Schauplatz der Weltgeschichte abgetreten war. Neben der künstlerischen und technischen Vollendung wirkte die geistige Kraft nicht minder überraschend, die sich in der überzeugenden Schilderung all dieser in der Tafelmalerei so ungewöhnlichen biblischen, mythologischen und geschichtlichen Darstellungen betätigte.
Nur ein kleiner Teil der ehemals kaiserlichen Gobelins war in den Gemächern der Wiener Hofburg und des Schlosses Schönbrunn der Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich gewesen. Die überwiegende Menge des über 900 Stück zählenden Bestandes wurde in dem Depot von Schönbrunn bewahrt und konnte nur bei seltenen Anlässen und mit großen Schwierigkeiten flüchtig gesehen werden. In dem Jahrbuch des Allerhöchsten Kaiserhauses hatte Birk in den Jahrgängen 1883 bis 1885 ein kurzes Verzeichnis der Teppiche mit Mitteilung der Marken und Beifügung einer Auswahl von Lichtdrucken geliefert. Anlässlich der Ausstellung erschienen zwei ausführliche kritische Kataloge, bearbeitet von Ludwig von Baldaß und eingeleitet von Hermann Trenkwald, herausgegeben durch die staatliche Lichtbildstelle in Wien und verlegt bei der österreichischen Verlagsgesellschaft Ed. Hölzel & Co. Im Anschluss an die Ausstellung wurde ein Tafelwerk mit 300 Bildtafeln und beschreibendem Text und wissenschaftlichen Anmerkungen von Ludwig von Baldaß ebenfalls von der österreichischen Verlagsgesellschaft Ed. Hölzel & Co veranstaltet: Die Wiener Gobelinsammlung, Wien 1920.
Die Verlagsgesellschaft hat eine Reihe von farbigen und schwarzen Tafeln aus diesem Werk zur Verfügung gestellt, an Hand deren in großen Zügen eine Vorstellung von dem besonderen Charakter und dem Inhalt der Wiener Sammlung gegeben werden soll. Ausführliche Mitteilungen über die Darstellungen, die Inschriften, die Maße usw. enthalten die Beschreibungen von Baldaß. Es ist zu hoffen, daß mit dem Abschluss der Ausstellung das herrliche Material nicht in Vergessenheit gerät, sondern erst recht seine Wirkung auf Künstler, Kunstfreunde und Forscher geltend macht und nach vielen Richtungen Nutzen bringt.
Die weitaus wichtigste Stellung in dem Bestände nehmen die Arbeiten von Brüssel aus dem 16. bis zum 18. Jahrhundert ein. Fast gänzlich fehlen allerdings die Brüsseler Erzeugnisse des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts, in denen die Tradition der Gotik noch lebendig ist. In dem reichen Besitz an solchen Stücken beruht die Stärke der königlich spanischen Sammlung. Neben den Brüsseler Arbeiten ist noch eine Reihe von Pariser Gobelinfolgen ersten Ranges besonders hervorzuheben.
Etwa drei Dutzend charakteristischer Stücke aus den verschiedenartigsten Folgen sollen herausgegriffen und kurz gekennzeichnet werden. Die Nummern beziehen sich auf das große Baldaßsche Tafelwerk. Den Anfang bildet Nr. 2, Der Triumph der Keuschheit, aus einer Folge von sechs Stücken mit den Triumphzügen nach Petrarca (Tafel I und II). Sie bildeten auch den Eingang zur Ausstellung im Belvedere und zeigten in ihren großen roten, blauen und grünen Farbflächen als einzige Gruppe noch den Nachklang des großartigen und einfachen monumentalen Stils der gotischen Wandtapetenkunst des 15. Jahrhunderts. Sie gehören zu den Erzeugnissen jener fruchtbaren mittelfranzösischen Teppichwirkerkunst, die in den Jahrzehnten um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert besonders in der Touraine geblüht hat.
Die Kennzeichen dieser Gattung, deren Hauptvertreter der Dom in Angers und das Cluny-Museum bergen, sind die dicht mit Blumen bestandenen Wiesengründe, die zart abgestuften, moosiggrünen Büsche und die in scharfen senkrechten Schraffuren durchgeführten Schattierungen der farbenbunten Gewänder. Ein Ausschnitt aus dem „Ruhm“ mit der Figur Karls des Großen ist in Tafel II wiedergegeben. Die Renaissancepilaster und die Trachten rücken diese sechs Stücke schon in das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. Die Trionfi des Petrarca, deren Grundgedanke die Vergänglichkeit des Irdischen ist, wurden damals unter dem Einfluss des Humanismus auch auf Brüsseler Teppichen wiederholt dargestellt; es sei auf die mit dem Berliner Schlossmuseum der Öffentlichkeit zugänglich gewordene Folge von sechs Stücken nach Bernhard von Orley im Joachim-Saal des Schlosses hingewiesen.
Unter den Brüsseler Teppichen des 16. Jahrhunderts stehen voran das kleine Kabinettstück Nr. 7, die „Taufe Christi“ in einer reizenden, von Heiligenfigürchen und Vögeln durchsetzten Rankenumrahmung (Tafel III). Das äußerst fein mit Seide durchwirkte Textilbild rechnet zu einer seltenen, höchst geschätzten Gruppe kleiner Brüsseler Teppiche von subtilster Struktur, die, nach Gemälden gewirkt, eine gemäldemäßige Wirkung erreichen. In diesem Fall ist die Hauptgruppe nach einem Staffelei Bilde Rogers von der Weyden, dem Johannesaltar in Berlin, gearbeitet. Die Wiener Sammlung besitzt noch eine verwandte figurenreiche Taufe Christi; andere Stücke befinden sich in ehemalig kaiserlich deutschem Besitz, in den Sammlungen von Brüssel und Paris und früher in der Sammlung Spitzer.
Die monumentale Brüsseler Wirkerkunst der Renaissance wird eingeleitet durch Nr. 13, ein Stück aus der Tobias-Folge nach Kartons des Bernhard von Orley um 1530: „Der Erzengel Gabriel empfängt von Gabel die Schuldsumme für Tobias“ nach Kapitel 9 des Buches Tobias (Tafel IV). Das zierliche Beiwerk und insbesondere die reiche Musterung der Gewänder und Decken, wie in diesem Falle der Tischdecke, ist den Wirkteppichen der Brüsseler Frührenaissance eigentümlich. Bezeichnenderweise zeigen die am Anfang dieser Stilgruppe stehenden berühmten Teppiche der Apostelgeschichte nach Raphael, die in der Werkstatt des Pieter van Aelst in Brüssel ausgeführt wurden, gerade in den sorgfältig gezeichneten Stoffmustern der Gewänder einen greifbaren Unterschied gegenüber den einfachen Figuren in den Raphaelschen Kartons selbst. Der ausgesprochene dekorative Ziersinn der Brüsseler Frührenaissance kommt in dieser Erscheinung deutlich zutage.
Den glücklichsten Ausdruck fand dieser Zug der Brüsseler Frührenaissance in den Borten, die die Orley-Teppiche wie auch das vorliegende Stück aus der Tobias-Folge einfassen. Es ist eine Art Hohlkehle, in die ein von üppigen Frucht- und Blumenbündeln bekränzter Lorbeerstab eingebettet ist, von Vögeln und kleinen Tieren belebt. Den Spätstil des Bernhard von Orley vertritt ein Stück aus der großartigen Abraham-Folge, Nr. 22: „Die von den Ägyptern geraubte Sarah wird dem Abraham zurückerstattet“ (Tafel V). Das Pathos der Darstellung, die großen Gesten und der Faltenschwung, die freie Raumbildung weisen diese Folge in die letzte Epoche Orleys, wo sich bereits die ersten Anzeichen der beginnenden Spätrenaissance geltend machen. In der Borte sind die pflanzlichen Motive verdrängt durch architektonische Elemente, allegorische Gestalten von Tugenden und dergleichen unter Bogenstellungen und zwischen Hermen; auch hierin kündet sich leise der Umschwung des Stils an. Die Figuren der knienden Gabendarbringenden zeigen Anklänge an den Orley-Teppich mit der Anbetung der Könige bei Exzellenz von Dircksen in Berlin.
Die Abraham-Folge trägt außer dem Brüsseler Stadtzeichen einige Marken, die sich auf Pieter van Aelst und Wilhelm Pannemaker deuten lassen. Diese beiden und als dritter im Bunde Franz Geubels sind die fruchtbarsten Brüsseler Teppichfabrikanten in der Zeit Karls V. Sie hauptsächlich haben nach den Entwürfen des Orley, des Pieter Coecke und des Vermayen die großen, in Wien und Madrid aufbewahrten mythologischen und historischen Folgen im Auftrage des Kaisers und des kaiserlichen Hauses ausgeführt. Aus dem Vertrag, den der Kaiser mit Pannemaker über die zwölf Teppiche der Tunis-Folge abschloss, erhellt, welches Gewicht der vornehme Besteller auf die Qualität der Seiden- und Goldfäden legte, welche letzteren der Kaiser selbst zu beschaffen versprach. Und welche Bedeutung die Vollkommenheit des Textilmaterials für den künstlerischen Eindruck hat, das wurde einem gerade in der Wiener Ausstellung vor Äugen geführt.
Auf die Entwürfe des Pieter Coecke van Aelst, des neben Orley fruchtbarsten Kartonentwerfers im damaligen Brüssel – der natürlich nicht zu verwechseln ist mit dem Teppichfabrikanten Pieter van Aelst -, geht Nr. 34 zurück: „Die Flucht der Israeliten vor Hai und die Verbrennung Achans“ aus der Josua-Folge (Tafel VII). Die Bewegung der Gestalten und das Pathos gehen über die letzten Werke Orleys hinaus und sind schon nicht frei von Manier und Übertreibungen. Die Borte wird noch von üppigen Frucht- und Blumenbüscheln mit Putten dazwischen gebildet; die Bandwerkumrahmung der Inschrifttafel oben in der Mitte ist bezeichnend für den Ornamentstil des Pieter Coecke. Eine zweite Folge nach seinen Entwürfen sind die „Sieben Todsünden“, die in Wien und Madrid vorkommen. Aus der Wiener Folge mit der Brüsseler Marke und dem Fabrikzeichen Wilhelm Pannemakers ist hier der „Geiz“ abgebildet, Nr. 42 (Tafel VIII).
Der Geiz fährt als geflügelte weibliche Gestalt mit Krallenhänden und Füßen in sich gekrümmt auf einem von Greifen gezogenen Wagen einher, von mythischen und historischen Gestalten begleitet. Die Borte ist ein treffliches Beispiel der zwischen 1540 und 1550 eindringenden Groteskenornamentik, deren Bahnbrecher gerade Pieter Coecke gewesen ist (vgl. über diese seine Rolle Schmitz, „Bildteppiche, Geschichte der Gobelinwirkerei“, dritte Auflage, Seite 237). Auf dem waagrechten Streifen der Borte erscheinen hier zierliche Groteskenwagen und Roll- und Bandwerk, mit nackten Figuren besetzt, und in dem senkrechten Streifen Hermen, dazwischen eingestreut noch reiche Frucht- und Blumenbündel. Später werden diese pflanzlichen Elemente zugunsten der ornamentalen mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt.
Nach Coeckes Entwürfen besitzt die Wiener Sammlung ferner die Paulus-Folge, von der ein wundervoll erhaltenes zweites Exemplar in den Renaissancesälen des bayrischen Nationalmuseums der breiten Öffentlichkeit vor Augen steht. Vor kurzem sind zwei nicht minder gut erhaltene Wiederholungen der Predigt des Paulus vor Agrippa und einer Predigt vor dem Volke in der Berliner Filiale der Galerie Bachstiz aufgetaucht. Die in der Albertina erhaltene Skizze zum Paulus vor Agrippa ist in M. J. Friedländers Zusammenstellung der Tätigkeit P. Coeckes für die Bildwirkerei abgebildet (Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen). Aus einer Folge der „Sieben Tugenden“ mit dem Brüsseler Stadtzeichen und dem Monogramm des Franz Geubels ist Nr. 41, „Die Liebe“, „Caritas“, abgebildet (Tafel X); die Borte wird von Tugenden unter Bogenlauben zwischen Fruchtbündeln gebildet und zeigt bereits Formen, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts häufig wiederholt wurden.
Nun folgen einige auch historisch denkwürdige Erzeugnisse der Brüsseler Bildwirkerei der Renaissance. Nr. 63 ist eine Verdüre mit dem Wappen Kaiser Karls V. aus einer von Wilhelm Pannemaker gewirkten Folge (Tafel XI). Die ausnehmend schöne Zeichnung der Blumen und Kräuter verrät die gleiche Hand wie die Verdüre mit einem Fasan in dem Berliner Schlossmuseum, die in Abb. 119 der „Bildteppiche“ wiedergegeben ist. Nr. 81 stellt die „Musterung des Heeres durch Karl V. bei Barcelona“ vor
und gehört zu der berühmten Serie der „Eroberung von Tunis“, die Jan Vermayen auf Befehl des Kaisers entworfen hat (Tafel XII). Allerdings haben wir hier nicht die Urausführung Wilhelm Pannemakers aus der Mitte des 16. Jahrhunderts vor uns – sie befindet sich in Madrid -, sondern eine für Kaiser Karl VI. von 1712 bis 1721 von Jodocus de Vos in Brüssel gewirkte Wiederholung. Die alten Kartons nach den Entwürfen des Vermayen waren in den Besitz Karls VI. gelangt und befinden sich noch in dem Depot der Wiener Staatsgalerie. In der weicheren Haltung des farbigen Ganzen der Wiener Ausgabe verrät sich die Barockepoche; ihre Zutaten sind natürlich die schmalen, leistenartigen Borten und die von dem Hofpoeten Heraeus verfassten Inschriften, die teilweise die Ereignisse irrig bezeichnen, wie das der im Grunde unhistorisch empfindenden Zeit Fischers von Erlach nur gemäß ist. Immerhin ist die Wiederholung von Renaissance Kompositionen in der Barockzeit – noch 1740 ließ Philipp V. von Spanien die Tunis-Folge durch seine Manufaktur wiederholen – zu beachten.
Auch Raphaels und Giulio Romanos Kartons sind durch das 17. bis ins 18. Jahrhundert immer wieder nachgewirkt worden. Diese Erscheinung ist jedenfalls ein Beleg mit für den ununterbrochenen Strom der Überlieferung, der die europäische Kunst vom 16. bis ins 18. Jahrhundert durchzieht. Nr. 97 stellt den „Triumphzug des Juan de Castro“, portugiesischen Vizekönigs von Indien, durch die Straßen von Goa dar, und gehört zu der zehn Stück umfassenden Folge mit den Taten des Castro in Portugiesisch-Indien im Jahre 1538, die, um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Brüssel entstanden, in der Technik und der Zeichnung bereits ein Nachlassen der höchsten Kraft bezeugen (Tafel XIII).
Die historischen Teppichbilder der Brüsseler Manufakturen in der Zeit Karls V. haben besonders lebhaften Anklang bei den deutschen Fürsten der Renaissance gefunden; als Hauptbeispiele aus einer ganzen Reihe verwandter Schöpfungen seien nur die von dem Pfalzgrafen Ottheinrich von Neuburg bestellten Porträt-, Ahnen- und Geschichtsdarstellungen erwähnt, die teilweise in München und im Museum in Neuburg erhalten sind.
Unter den Glanzstücken der Brüsseler Hochrenaissance rief natürlich die Vertumnus- und Pomona-Folge das höchste Entzücken aller Besucher hervor (Tafel XIV, XV, XVI). Schon zu ihrer Zeit muss sich die Arbeit der größten Wertschätzung erfreut haben. Das schönste Exemplar wurde für Karl V. gewirkt, zwei weitere für Philipp II. (jetzt in Madrid). Auch die Wiener Ausführung gehört, wie der Reichtum an Metallfäden schon anzeigt, zur besten Qualität. Die Schilderung des in immer neuen Verkleidungen der Baumnymphe Pomona nahenden Erntegottes, nach Ovids Metamorphosen, unter den köstlichen Reben- und Blumengeländern von Staketten, Lauben und Hecken ist von dem feinsten poetischen Zauber und Naturempfinden beseelt.
Die Folge ist eines der wichtigsten Denkmäler des von der italienischen Hochrenaissance begründeten dichterischen Gartensinnes, der in der späteren Renaissance und der Barockzeit eine so tiefgreifende Bedeutung im Kunstleben auch diesseits der Alpen gewann. Hier sind Nr. 148 und Nr. 149 Vertumnus als Landmann und als Winzer wiedergegeben (Tafel XIV und XV) und ein Ausschnitt aus Nr. 149 mit der Figur der Pomona (Tafel XVI). Gewiss wird der Forschung einmal die Feststellung des hervorragenden Entwerfers dieser Szenen gelingen, der auch als Ornamentiker unter den besten italienischen und niederländischen Zeichnern der Hochrenaissance obenan steht. Eine Anschauung von der meisterhaften Groteskenornamentik, die sich in Brüssel um die Mitte des Jahrhunderts, vornehmlich durch Cornelis Floris und andere in Italien geschulte Zeichner und Stecher, ausbildete, vermitteln Nr. 126 der Monat August aus einer Monatsfolge (Tafel XVIII) und Nr. 135 die Rückenwand eines aus fünf Teilen gebildeten Thronhimmels vom Jahre 1566 (Tafel XIX).
Die Zeichnung des letzteren Stückes ist bereits ins Zierliche und Elegante im Sinne der nahenden Spätrenaissance gewandelt. Die glänzende Erhaltung der Wiener Grotesken ist namentlich an dem leuchtenden Rot zu erkennen, das in fast allen Teppichen verwandter Art zu Lehmbraun abgeblasst ist. In die Mitte der sechziger Jahre fallen die Verfolgungen des Herzogs von Alba, die der flämischen Wirkerei durch Austreibung zahlreicher Meister einen schweren Schlag versetzten. Jedenfalls ist mit dem Ausbruch des Religionskrieges die höchste Glanzzeit der Brüsseler Wirkerkunst, die unter Karl V. erreicht wurde, vorüber.
Im Anschluss an die Brüsseler seien noch zwei Beispiele von Arbeiten aus anderen niederländischen Wirkerorten genannt. Nr. 106 ist eine Verdüre mit großen Distelblättern, die nach der Marke als Erzeugnis von Gramont bestimmbar ist (Tafel XX). Sie ist aufs engste verwandt mit der in den „Bildteppichen“ Abb. 120 wiedergegebenen, mit einem Halbmond signierten Verdüre, die dort nach dem Vorgang der belgischen Forschung als Enghien angesprochen wurde. Die Frage des Ursprungsortes dieser Verdürengruppe verdient noch eine eingehende Prüfung. Ein Erzeugnis von Brügge ist nach der Marke die Folge von Monatsdarstellungen, aus der Nr. 111, der „April“, eine Gesellschaft im Garten, abgebildet ist (Tafel XXI). Es ist dies eine der im 17. und 18. Jahrhundert häufiger ausgeführten Wiederholungen von Kompositionen des 16. Jahrhunderts, die fälschlicherweise dem Lukas van Leyden zugeschrieben wurden (Mois de Lucas). Die vorliegende Ausgabe wurde im Jahre 1666 für die Vermählung Leopolds I. mit der Infantin Margaritha Theresia angeschafft.
Den Schöpfungen der niederländischen Teppichkunst der Renaissance sind zwei bedeutsame französische Folgen anzufügen. Zu den Überraschungen der Wiener Ausstellung zählte die bis dahin nahezu unbekannt gebliebene Folge von mythologisch-allegorischen Kompositionen, die um 1540 in der Manufaktur von Fontainebleau für Franz I. gewirkt wurde. Zwei Beispiele daraus sind Nr. 160, „Franz I. als römischer Imperator“ (Tafel XXII), und der Ausschnitt aus Nr. 155 mit der Danae (Tafel XXIII). Die Darstellungen sind nach Fresken Giovanni Battista Rossis und Primaticcios in der Galerie Franz I. im Schloss in Fontainebleau kopiert. Unter Leopold I. wurden sie von dem Tapissier Trechet in Wien stark erneuert. Dies sind nun Denkmäler des reinen, von Italienern importierten Hochrenaissancestils, der schroff dem altfranzösischen Teppichstil, den uns die Petrarca-Folge kennen lehrte, gegenüber tritt. Sie bezeichnen den Beginn der Entwicklung, die im Zeitalter Ludwigs XIV. in Lebrun ihren Höhepunkt erreichte.
Als wichtiges Übergangswerk auf der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert ist die Diana-Folge zu nennen, die nach Entwürfen von Dubreuil (bis 1602) in Paris im Anfang des 17. Jahrhunderts wiederholt gewirkt wurde. Daraus ist hier Nr. 167, „König Minos verfolgt die Nymphe Britomartis“, abgebildet (Tafel XXIV).
Die Monogramme T. und H. und F. und M. kehren auf einer Folge von sechs hochrechteckigen Teppichen mit Gruppen von Philosophen wieder, die im Jahre 1919 aus Wien in den Handel gelangten; ein Stück davon wurde bei Lepke versteigert. Beiden Schöpfungen ist die für die Pariser Teppiche der Zeit bezeichnende breite, aus Bandwerk, Kartuschen und Emblemen gebildete Borte gemein. Zwei Stücke der Diana-Folge, „Diana vor Jupiter“ und „Latona verwandelt die Bauern in Frösche“, wiederum mit dem Monogramm F. und M., sind im Berliner Schlossmuseum der Öffentlichkeit zugänglich geworden. Aus derselben Pariser Manufaktur besitzt die Wiener Sammlung eine Konstantin-Folge nach den Entwürfen von Rubens. Nr. 173, „Die Siegesgöttin krönt Konstantin“, ist daraus wiedergegeben (Tafel XXV). Rubens hat die Entwürfe im Auftrage Ludwigs XIII. in den Jahren 1622 bis 1626 für die damals leistungsfähigste Pariser Manufaktur von Comans und de la Planche gefertigt. Rubens Stil hat also nicht nur in Brüssel, sondern auch in Paris auf den Fortschritt der Bildwirkerei fördernd eingewirkt.
Brüsseler Teppiche nach Rubens‘ Zeichnungen sind in Wien nicht vertreten. Dagegen kann sich die Sammlung des Besitzes einiger der wichtigsten Folgen nach Entwürfen von Rubens-Schülern rühmen. An der Spitze steht die wundervolle Reihe von Darstellungen des Reitunterrichts des jugendlichen Ludwig XIII. nach Jordaens (Nr. 194, Tafel XXVI). Sie ist von Everaert Leyniers und H. Reydams in Brüssel gewirkt und wurde wiederum im Jahre 1666 zur Vermählung Leopolds I. mit der Infantin Margaritha Theresia erworben. Auch für die Geschichte des Pferdes und des Reitens sind die Szenen von Wert. Sie zeigen die spanische hohe Schule, die gerade damals unter Kaiser Leopold in Wien ihre glänzende Fortentwicklung fand.
Eine zweite, kulturgeschichtlich nicht weniger interessante Folge nach Jordaens Entwürfen ist ebenfalls in Wien in einem trefflichen Exemplar vertreten: das Landleben, nach den teilweise erhaltenen Zeichnungen des Meisters (vgl. Baldaß in der „Kunstchronik“ 1920); hier ist Nr. 199, der lautenspielende Kavalier, ausgewählt (Tafel XXVII). Das um 1660 beginnende Eindringen des französischen Geschmacks in den Stil der Rubens-Nachfolger vergegenwärtigt die durch Nr. 217 vertretene Monatsfolge aus dem Atelier von Daniel Leyniers (Tafel XXVIII). Sie entstand im Anschluss an die ebenfalls in Wien befindliche berühmte Monatsfolge nach Jan van den Hoecke, die im Jahre 1650 von Everaert Leyniers und Gilles van Habbeke für den Statthalter der Niederlande Erzherzog Leopold Wilhelm gewirkt wurde; zu dieser letzteren Schöpfung sind die Skizzen und selbst die Kartons in den Wiener Staatsmuseen erhalten. Die abgebildete spätere Folge verrät bereits eine Auflockerung des schweren Barock und in den hochfrisierten Frauenköpfen die Einwirkung des französischen Schönheitsideals.
Bevor der Ausklang der Brüsseler Bildteppichkunst im 18. Jahrhundert verfolgt wird, sind jetzt einige Hauptstücke der Pariser Gobelin-Manufaktur zu betrachten. Von den Werken aus der Frühzeit Ludwigs XIV. ist die Alexander Folge nach Lebrun in einem 1672 von dem jüngeren Jans gewirkten Exemplar von glänzender Farbenerhaltung vertreten. Diese Schöpfung, aus der Nr. 237, „Die Familie des Darius vor dem siegreichen Alexander“, vorgeführt wird (Tafel XXXI), muss auf die Zeitgenossen einen außerordentlichen Eindruck gemacht haben, da sie in Paris selbst, aber auch in Brüssel, in Aubusson und kleineren Manufakturen häufig nachgewirkt worden ist.
Aus der späteren Epoche der Gobelin-Manufaktur stammen die „Nouvelles Indes“, die sogenannten „Calecuttischen Landschaften“, die zuerst um 1740 nach den Kartons des Desportes gewirkt wurden. Die Wiener Ausgabe wurde von 1774 bis 1778 von dem Meisterwirker Neilson hergestellt und kam als Geschenk Ludwigs XVI. an seinen Schwager Joseph II. nach Wien. Nr. 251, der „Kampf in der Tierwelt“ (Combat des Animeaux, Tafel XXXIII), und Nr. 253, der „Indier auf der Jagd“ (Le Chasseur Indien, Tafel XXXIV), mögen dem Leser einen Begriff von dieser unserem modernen Empfinden so besonders stark zusagenden Arbeit geben.
Es gibt kaum ein zweites Beispiel, in dem das lebensvolle Stilgefühl des 18. Jahrhunderts, die Fähigkeit der dekorativen Umsetzung der Natur, so herrlich offenbar wird, wie in den „Indes“ des Desportes. In einem Saal des königlichen Palastes auf dem Quirinal in Rom ist die ganze Folge von acht Teppichbildern ringsum aufgehängt, in vollkommener Farbenfrische, und man glaubt sich in eine zwischen Traum und Wirklichkeit wunderbar schwebende Landschaft voll buntschimmernden Getieres und Gefieders versetzt. Der Spätzeit der Gobelin-Manufaktur entstammt die Reihe mythologischer Darstellungen in Medaillons nach Gemälden von Boucher, die 1772 bis 1776 wiederum von Neilson ausgeführt und mit den zugehörigen Möbeln (Tafel XXXVI bis XXXVIII) gleichfalls dem Kaiser Joseph II. geschenkt wurden (Tafel XXXV).
Der Hauptreiz der Serie besteht in dem karmoisinroten damastartig gemusterten Grund und in den Umrahmungen. Diese aus architektonischen, mit Blumen und Vögeln belebten Leisten bestehenden Umrahmungen (Alentours) wurden in den verschiedenen Ausgaben geändert; die vorliegende, aus der Nr. 255 mit Vertumnus und Pomona im Medaillon ausgewählt ist, hat Umrahmungen von Jacques. Die Blumen und Vögel sind die gleichen wie auf dem in den „Bildteppichen“, Abb. 153, abgebildeten Teppich von Neilson, der im Jahre 1784 dem Prinzen Heinrich von Preußen geschenkt wurde; nur ist hier die Leiste bereits im Louis-seize (vorrevolutionärer Klassizismus) Geschmack gehalten, während die Wiener Folge noch die geschwungenen Formen des Louis-quinze (Ludwig XV.) aufweist. Aus einer lothringischen Fabrik wird noch Nr. 267, ein Groteskenteppich mit dem Allianzwappen Lothringen-Orleans, mitgeteilt (Tafel XXXIX). Er ist für Herzog Leopold von Lothringen (♰ 1721) und seine Gemahlin Elisabeth Charlotte von Orleans hergestellt und zeigt die Einwirkung der Bérainschen Ornamentik.
Die in der Hofburg ausgestellte Reihe von 23 Kriegstaten des Herzogs Karl V. von Lothringen, die in der Fabrik von Malgrainge in Nancy entstand, ist in dem Baldaßschen Tafelwerk abgebildet. Kürzlich tauchte im Berliner Kunsthandel ein Teppich auf mit einer Kriegsszene, vielleicht Franz von Lothringen im polnischen Erbfolgekrieg 1735 darstellend, der mit Sicherheit in dieselbe Werkstatt zu verweisen ist.
Zum Schluss folgen noch einige der schönsten Brüsseler Schöpfungen aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Aus den mehrfach vorkommenden vier Weltteilen des Pieter van der Borght sind „Europa oder der römische Karneval“, Nr. 284 (Tafel XL), und „Afrika oder das Gastmahl des Mohrenfürsten“, Nr. 287 (Tafel XLI), in Abbildungen vertreten. Die Wiener Sammlung besitzt aus derselben Fabrik die Moses-Folge (Nr. 272, „Pharaos Untergang“, Tafel XLII). Beide Folgen wurden anlässlich der Versteigerung des Wespienschen Hauses in Aachen vor mehr als einem Jahrzehnt in den Mittelpunkt des Interesses der Kunstfreunde gerückt. Der Stil dieser in zunehmendem Grade geschätzten Yan-der-Borght-Teppiche der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat ein ganz ausgesprochenes Gepräge, namentlich in den feingetönten Landschaftsgründen und Wolkenbildungen.
Das Figürliche steht unter der Einwirkung der späteren Italiener, wie des Luca Giordano. Eine eingehende Untersuchung über den zweifellos ausgezeichneten Maler dieser Entwürfe wäre sehr erwünscht. In der gleichzeitigen Brüsseler Tafelmalerei findet sich allerdings kaum Ebenbürtiges. Verwandt ist noch die von der Fabrik von Leyniers gewirkte, mehrfach vorkommende Telemach-Folge, woraus Nr. 292, „Telemach an der Tafel der Kalypso“, vorgeführt wird (Tafel XLIII). Die Telemach-Geschichte war damals durch den vielgelesenen Roman von Fénelon ein beliebter Gegenstand der Bildtapeten geworden.
Als letztes Stück steht hier Nr. 297, ein Zeltlager mit Reitergruppen, in der Art des Wouverman und Teniers aus den Ateliers von P. van der Borght und Leyniers (Tafel XLIV). Die zarten, verschwimmenden Töne der Figuren und der weiten Landschaft und der Duft des lichten großen Himmels tragen deutlich den Farbengeschmack des beginnenden Rokokos zur Schau.
Die Gobelins Nach Boucher und das Meuble Rose in der Wiener Hofburg von Edmund Wilhelm Braun.
Das ehemalige Audienzzimmer des verstorbenen Kaisers Karl im zweiten Stock der Wiener Hofburg, im sogenannten Alexanderappartement, enthält Schätze an französischer Gobelinkunst von seltener Schönheit und außerordentlich hoher Qualität. Es sind dies vier Gobelins, welche die Wände des mäßig großen Saales bedecken, und außerdem eine Garnitur von Möbeln, die allgemein als das „Meuble rose“ bezeichnet wird. Sie haben sämtlich dieselbe Provenienz, da sie dem Kaiser Josef II., als er zum Besuche seiner königlichen Schwester Maria Antoinette im Jahre 1777 zu Paris weilte, von seinem Schwager Ludwig XVI. zum Geschenk gemacht wurden.
Von den zu einer Serie vereinten vier Wandbehängen bilden je zwei derselben Gegenstücke im Format und in dem Inhalt der figuralen Mittelfelder, und zwar tragen zwei in hochovaler Umrahmung bunte Darstellungen mythologischen Inhaltes, während die übrigen queroval orientiert sind und genreartige Bildszenen einschließen. Die mythologischen Füllungen stellen „Vertumnus und Pomona“ (abgebildet in Farbendruck auf Tafel XXXV) und „Aurora und Cephalus“ dar. Beide Darstellungen sind Wiederholungen der gleichnamigen Gemälde von Francois Boucher im Louvre, die 1763 datiert sind. Die Genreszenen gehen gleichfalls auf Bilder Bouchers zurück, von denen das eine die „Fischerei“ (la pêche) darstellt, während das andere eine Wahrsagerin (la diseuse de bonne aventure) zeigt; die Gemälde, die als Vorbilder gedient haben, sind gleichfalls 1763 oder 1764 entstanden und hängen im „Grand Trianon“.
Francois Boucher wurde im Jahre 1755 als Nachfolger von Oudry mit der künstlerischen Leitung der Pariser Gobelinmanufaktur betraut, und diese Berufung dankte er in erster Linie der großen Beliebtheit, der sich die nach seinen Bildern ausgeführten Gobelins der Fabrik zu Beauvais erfreuten (Amours des dieux, Szenen aus den Lustspielen Molieres usw.).
Die Unternehmer der Gobelinmanufaktur Audran, Cazette und der Schotte Jacques Neilson, von denen der letztgenannte der bedeutendste war, versprachen sich sehr viel Erfolg von Bouchers Tätigkeit, denn sie richteten an den Generaldirektor Marigny ein dankerfülltes Schreiben, in dem es heißt: „La satisfaction, que nous ressentons de la nomination de M. Boucher, au lieu et place du feu sieur Oudry, nous est trop agréable, Monsieur, pour ne pas vous en marquer notre sincère reconnaissance.“ 1) Dieses Vertrauen in die Genialität Bouchers sollte nicht enttäuscht werden, denn es erschienen bald nach seiner Berufung zahlreiche Folgen von Gobelins, die zweifellos auf derselben hohen künstlerischen Stufe standen wie die in den früheren Blütezeiten der Pariser Manufaktur herausgegebenen Bildteppiche.
Technische Fortschritte, die der Initiative und Begabung Neilsons verdankt waren und sich besonders auf die bessere Färbung der verwendeten Wolle und Seidenfäden, die reichere und vielfältigere Nuancierung der Farbentöne erstreckten, vereint mit der sorgfältigen und exakten Nachahmung der feinen und duftigen Farbenstimmung auf den Boucherschen Originalen, ließen jetzt diese hochgeschätzten Wunderwerke der Gobelinwirkerei entstehen, zu denen die vier Gobelins der Wiener Hofburg gehören. Schon die figuralen Sujets waren vom Meister überaus glücklich gewählt worden, die Darstellungen aus der Mythologie nach Ovid „Sujets de la fable“ genannt) und die damals so überaus beliebten Genredarstellungen, die uns ja auch sonst im damaligen Kunstgewerbe so oft gegenüber treten. Die „Wahrsagerin“ auf dem einen der Wiener Gobelins finden wir als treffliche Ludwigsburger Porzellangruppe wieder und ein anderes Mal treffen wir sie als bunte Füllung auf einem der kostbaren bleu-royal-Geschirre aus Wiener Porzellan mit dem entzückenden Hochgolddekor.
Die beiden Gobelins mit „Vertumnus und Pomona“ und „Aurora und Cephalus“ tragen die Signatur des Meisters F. Boucher“, jedesmal im Bilde, daneben findet sich jeweils auch die Tapisseriebezeichnung „Neilson ex“. Ebenso anziehend an Schönheit und berückendem dekorativen Reiz sind die breiten Umrahmungen der Mittelfelder, aus denen letztere mit der herrlichen suggestiven Kraft ihrer duftigen, vielfach abgetönten Farben heraus leuchten. Man hat diese Gobelins 2) in der Manufaktur mit drei verschiedenen Typen von solchen Umrahmungen („Alentours“ genannt) angefertigt, deren Entwürfe auf die Maler Jacques und Tessier zurückgehen. Die Wiener Folge repräsentiert den zweiten „Alentour“, zu dem die großen Entwürfe von Jacques noch im Pariser Gardemeuble erhalten sind. In diesen köstlichen Umrahmungen offenbart sich das entzückend feine, liebenswürdige und graziöse Können der damaligen Künstler, die mit dem reizvollen Inventar ihrer Ornamentik wahre Meisterwerke dekorativer Schönheit geschaffen haben.
Die Mittelfelder werden in Nachahmung reich geschnitzter vergoldeter Holzrahmen von breiten ornamentalen goldgelben Leisten eingeschlossen, die oben und unten mit muschelähnlichen Kartuschen belegt sind. Dem oberen Teil dieses Rahmens schmiegen sich beiderseits bunte Blütenranken an, die auch auf der unteren abschließenden Kartusche aufliegen und zu der äußeren Umrahmung sich hinüber schwingen.
1) Lacordaire, „Les Gobelins“ 1855, S. 84
2) Fénaille, „État général. Tapisseries de la manufacture des Gobelins“ 11, 1907, S. 225-300.
Den Hauptteil des Grundes füllt ein breites karmoisinrotes Feld mit reicher hellerer Damaszierung, dichte Blüten und Rankenwerk darstellend. Den bereits erwähnten äußeren Rahmenabschluß bildet gleichfalls eine, diesmal noch breitere, goldfarbene Leiste von ähnlicher Form wie in der Mitte, nur weitaus reicher ornamentiert. Von oben herab hängen wiederum Blütenranken vor dem Damastgrund, die vierfach gerafft sind und beiderseits bis zur Mitte des Gobelins herabfallen. Die untere Blütengirlande endet auf den Seiten auf zwei zierlich gebildeten Konsolen, auf denen Vögel sitzen, und am reichsten ist die untere Seite des Außenrahmens geschmückt, auf der ein rundes bauchiges und gebuckeltes Gefäß in der Mitte, flankiert von zwei hohen, schlanken, blütenkelchförmigen Vasen steht, aus denen duftige, volle Blumen heraus blühen. Links und rechts davon sind an den Seiten mit blauen graziösen Maschen Blumensträuße an dem Rahmen angebunden. Dieses dekorative Inventar finden wir auf den verschiedenen Folgen dieser Gobelins 1) in immer neuen entzückenden Varianten wieder. Ein zweites Exemplar unserer Wiener Folge im „Mobilier national“ des Louvre, aus der dieselbe Darstellung mit dem Vertumnus und Pomona von Lady Dilke 2) abgebildet ist, veranschaulicht sehr hübsch die leichte Vielseitigkeit, mit der die Künstler ihren Dekor zu variieren wußten. Die figurale Szene selbst, nach Ovids Metamorphosen, die veranschaulicht, wie der Erntegott Vertumnus in einer Verkleidung sich der Baumnymphe Pomona zugesellt, ist von außerordentlicher Schönheit und wiederholt ein altes beliebtes Gobelinmotiv. In Besitz des Wiener Hofes befindet sich die auch in diesem Buche abgebildete Brüsseler Renaissancefolge mit der Geschichte der beiden selben Gottheiten, die zu den größten Meisterwerken der niederländischen Gobelinkunst gehört.
Als die Rokokoformen den Louis-seize-Ornamenten weichen mußten, hat man den Vertumnus und Pomonagobelin nochmals gewirkt (jetzt Schloßmuseum zu Berlin), und zwar im Jahre 1784, als Geschenk für den Prinzen Heinrich von Preußen, des großen Friedrichs Bruder 3), und da sind das Blumenrankenwerk, die Vasen und Vögel zwar noch beibehalten worden, aber die äußere Umrahmung ist bereits streng klassizistisch gebildet.
1) Man hat davon zwischen den Jahren 1765 und 1791 vierzehn Serien gewirkt, die sich zumeist in englischem Privatbesitz befinden.
2) French Decoration and furniture etc. S. 116.
3) Hermann Schmitz, „Bildteppiche“, S. 305.
Die Möbelgarnitur besteht aus zwei Sofas (Tafel XXXVII), zwölf Fauteuils (Tafel XXXVIII), einem Ofenschirm (einem sogenannten Écran [Tafel XXXVIII)) und einem sechsteiligen Paravent (Tafel XXXVI). Die Fassung besteht aus geschnitztem Holz, ist aber leider größtenteils nicht mehr die originale, ebenso wie die Manschetten der Lehne bei dem Sofa und den Fauteuils durch einen neuen, ähnlich gemusterten Damastbezug ersetzt wurden. Die Polsterung der Sitzmöbel mit Gobelinstoff besteht aus Sitzfläche, Rücklehne und den Manschetten auf den Armlehnen. Der karmoisinrote Grund mit derselben Damaszierung wie auf den Wandbehängen trägt üppige, bunte, wundervoll abgetönte Blumenranken und Blütenbüschel von herrlicher Komposition in immer neuen Variationen. So ist auf dem einen Sopha die Rücklehne (abgebildet auf Tafel XXXVII) mit zwei vom Mittelstück nach den Seiten ausgehenden Ranken geschmückt, die im flachen, nach oben gewölbten Bogen den Raum ausfüllen, während auf dem zweiten Sofa dieser Bogen nach unten gesenkt erscheint.
Die Sofas und Fauteuils haben weiße, geschnitzte und teilvergoldete Holzgestelle in Louis-XV.-Formen erhalten, zu denen sich moderne Pfeilertische in derselben Technik gesellen. Der Paravent ist in derselben Zeit mit einem ebenso behandelten Gestell aus Holz in Louis-XIV.-Formen versehen worden. Allein der Écran, der in alter, ursprünglicher, köstlicher Schönheit prangt, ruht noch im originalen Pariser Gestell von reicher vergoldeter Schnitzerei in den so überaus dekorativen Übergangsformen vom späten Rokoko zum frühen Louis-XVI.-Stil; allerdings ist auch hier die alte Vergoldung, die auf dem Kreidegrund aufliegt, in neuerer Zeit etwas ausgebessert worden. Die erhabenen geschnitzten Teile des Rahmens sind vergoldet, die Vertiefungen braun grundiert. Der eingelassene Gobelinstoff trägt die Tapisseriesignatur „Neilson ex“.
Die Ornamentik des Rahmens setzt sich aus Akanthuswerk und Rocaillen zusammen, an den oberen Teilen der Seitenflächen hängen Lorbeerranken herab und die obere Bekrönung bildet eine von Akanthuszweigen flankierte Muschel, um die sich wiederum eine Lorbeerblattranke legt. Die Schnitzerei ist mit der größten Feinheit ausgeführt und dürfte wohl in der Werkstätte des Hoftischlers G. Jacob entstanden sein, welcher von 1765 bis 1793 in Hofdiensten stand und dessen Zeichen wir u. a. auf den Stühlen der heute im Berliner Schloßmuseum 1) befindlichen Boudoireinrichtung der Königin Maria Antoinette aus dem Versailler Schlosse eingebrannt finden, die kurz nach 1780 entstanden sein muß. Möbel in dieser Art, auch Kaminschirme, werden als außerordentlich hochgeschätzte und beliebte Arbeiten Georges Jacobs 2) angeführt, der sich die Entwürfe zu denselben von den berühmtesten Möbelzeichnern seiner Zeit, besonders von dem Architekten Jules Antoine Rousseau, anfertigen ließ.
Ein Vergleich des Écran in der Wiener Hofburg, der wohl kurz vor 1777 geschaffen wurde, mit demjenigen aus dem Boudoir der Königin ist besonders lehrreich, weil wir dabei eindeutig feststellen können, daß im Verlaufe dieser wenigen Jahre der Lois-XVI.-Stil sich in seiner ganzen Reinheit durchgesetzt und sämtliche Elemente der späteren Louis-XV-Epoche, die an dem erstgenannten Kaminschirm noch vorherrschten, vollkommen ausgeschaltet hat.
1) Jul. Lessing, „Möbel aus der Zeit Louis XVI.“ „Vorbilderhefte des königlichen Kunstgewerbemuseums zu Berlin“, Heft 21. 1898.
2) Graul, „Das 18. Jahrhundert usw.“ 1905, S. 106.
TAFELN
TAFELN (Titel, Maße).
- Tafel I.
Touraine, Anfang des 16. Jahrh.
DER TRIUMPF DER KEUSCHHEIT ÜBER DIE LIEBE.
Inv. Serie CII, Sub 2 – H. 4,24 m, B. 5,79 m. - Tafel V
Brüssel, 16. Jahrh.
DIE VON DEN ÄGYPTERN GERAUBTE SARA WIRD ABRAHAM ZURÜCKERSTATTET (GENESIS, KAP.12)
Inv. Serie CII, Sub 2 – H. 4,83 m, B. 9,35 m - Tafel VII
Brüssel 16. Jahrh.
DIE FLUCHT DER ISRAELITEN VOR HAL UND DIE VERBRENNUNG ACHANS (JOSHUA, KAP. VII).
Inv. Serie XIX, Sub 4 – H. 4,60 m, B. 6,80 m - Tafel VIII
Brüssel, 16. Jahrh.
DER GEIZ AUS DER FOLGE DER SIEBEN TODSÜNDEN.
Inv. Serie XXXV, Sub 4 – H. 4,50 m, B. 7,75 m - Tafel XI
Brüssel, 16. Jahrh.
DER GEKRÖNTE KAISERLICH RÖMISCHE DOPPELADLER.
Serie XXXIII, Sub 3. – H. 2 m, B. 2,72 m - Tafel XII
Brüssel, 18. Jahrh.
DIE MUSTERUNG DES HEERES KARLS V. BEI BARCELONA.
Serie X, Sub 1 – H. 5,20 m, B. 7,08 m - Tafel XIII
Brüssel, 16. Jahrh.
TRIUMPHZUG JOÃ DE CASTROS DURCH DIE STRASSEN VON GOA.
Serie XXII, Sub 7 – H. 3,55 m, B. 3,94 m - Tafel XIV
Brüssel, 16. Jahrh.
VERTUMNUS NAHT POMONEN ALS LANDMANN.
Serie XX, Sub 3 – H. 4,20 m, B. 5,45 m - Tafel XVIII
Brüssel, 16. Jahrh.
DER MONAT AUGUST.
Serie XI, Sub 8 – H. 4,23 m, B. 6 m - Tafel XXIV
Paris, 17. Jahrh.
KÖNIG MINOS VERFOLGT DIE NYMPHE BRITOMARTIS.
Serie XXIV, Sub 7 – H. 4,15 m, B. 3,65 m - Tafel XXV
Paris, 17. Jahrh
DIE SIEGESGÖTTIN KRÖNT KAISER KONSTANTIN MIT DEM LORBEER.
Serie XVIII, Sub 5 – H. 4,69 m, B. 3,88 m - Tafel XXVI
Brüssel, 17. Jahrh.
KÖNIG LUDWIG AUF EINEM SPRINGENDEN PFERDE.
Serie XL, Sub 7 – H. 4,10 m, B. 3,82 m - Tafel XXVII
Brüssel, 17. Jahrh.
LAUTENSPIELENDER KAVALIER MIT SEINER DAME.
Serie C, Sub 4 – H. 3,80 m, B. 3,30 m - Tafel XXVIII
Brüssel, 17. Jahrh.
DIE MONATE NOVEMBER UND DEZEMBER.
Serie LIII, Sub 6 – H. 3,55 m, B. 5,50 m - Tafel XXXI
Paris, 17. Jahrh.
DIE FAMILIE DES DARIUS VOR ALEXANDER.
Serie V, Sub 7 – H. 4,90 m, B. 7,20 m - Tafel XXXII
18. Jahrh.
DIE EBERJAGD.
Serie XXXIX, Sub 3 - Tafel XXXIII
Paris, 18. Jahrh.
DER KAMPF IN DER TIERWELT.
Serie XV, Sub 1 – H. 4,20 m, B. 4,50 m - Tafel XXXV
Paris, 18. Jahrh.
VERTUMNUS UND POMONA.
Serie XIV, Sub 1 – H. 3,95 m, B. 3,10 m - Tafel XXXVI
Paris, 18. Jahrh.
PARAVENT. - Tafel XXXVII
Paris, 18. Jahrh.
KANAPEE. - Tafel XXXVIII
Paris, 18. Jahrh.
ECRAN UND FAUTEUIL. - Tafel XXXIX
Lothringen, 18. Jahrh.
GROTESKEN MIT DEM ALLIANZWAPPEN LOTHRINGEN-ORLÉANS.
Serie XXVIII, H. 3,64 m, B. 2,40 m - Tafel XLI
Brüssel, 18. Jahrh.
GASTMAHL EINES MOHRENFÜRSTEN (AFRIKA).
Serie L, Sub 3 – H. 3,28 m, B. 3,75 m - Tafel XLII
Brüssel? 18. Jahrh.
PHARAOS UNTERGANG IM ROTEN MEER (EXODUS, KAP. 14).
INV. Serie XLII, Sub 2 – H. 3,10 m, B. 5,30 m - Tafel LXIV
Brüssel, 18. Jahrh.
ZELTLAGER DER SOLDATEN.
Serie CV/1, Sub 6 – H. 4,20 m, B. 3,57 m
QUELLE: Die Gobelins des Wiener Kaiserlichen Hofes. Die Wiener Gobelinsammlung, von Hermann Schmitz. Die Gobelins Nach Boucher und das Meuble Rose in der Wiener Hofburg,“ von Edmund Wilhelm Braun, 1922. Krystall-Verlag Ges. M. B. H. Wien, IX., Währingerstrasse 2-4
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